Ort: Parc del Fòrum, Barcelona
Bands: Salif Keïta, Destroyer, Black Country, New Road, Alan Sparhawk, Squid, MJ Lenderman, ANOHNI and the Johnsons, LCD Soundsystem

Der letzte Tag beim Primavera Sound Festival. Also der letzte Festivaltag, morgen gibt es ja noch die Abschlusskonzerte im Paral.lel 62 und im Sala Apolo. Und genau dahin führen mich auch die heutigen, ersten Konzerte. Erst Salif Keïta im Sala Apolo, später dann direkt im Anschluss zu Destroyer im Paral.lel 62. Wie an den beiden Tagen zuvor beginne ich den Tag mit den Nachmittagssessions des Primavera Sound Festivals.
Im Halbkreis sitzt die Band auf der Bühne des Sala Apolo und hat sichtlich viel Spaß an ihrem Auftritt. Das Grinsen in den Gesichtern der fünf Musiker ist groß. Salif Keïta selbst macht noch den abgeklärtesten Eindruck, seine Begleitmusiker hingegen sind vollends hin und weg von dem Jubel und der Begeisterung, die ihnen aus einem sehr vollen Sala Apolo entgegenschlägt. Eine gute Stunde lang stehen wir hier und hören Weltmusik. Etwas, was ich eigentlich nicht so gerne mag, aber von dem ich mich hier mitziehen lasse.

Die Band präsentiert Songs aus dem neuen Album So Kono, das Salif Keïta in diesem Jahr herausgebracht hat. Laut Wikipedia ist es sein 19. reguläres Album, all die Nebenprojekte und Zuarbeiten nicht mit eingerechnet. Zwar ist das Konzert überraschend kurzweilig, ich habe aber nicht die Absicht, tiefer in seinen Backkatalog einzutauchen. Ich denke, das Konzert ist ein schöner und ausreichender Einblick in die Musikwelt Salif Keïtas, dabei möchte ich es dann auch belassen. Ich bleibe bis zum Schluss, um anschließend nahtlos ins Paral.lel 62 wechseln zu können.
Destroyer interessiert mich schon mehr, ich freue mich auf seinen Auftritt.
Wenn man sich hinsetzen kann, sollte ich mich hinsetzen. Immerhin stehen noch einige Konzerte an diesem Samstag an. Wenn es gut läuft, liegen noch 10 Konzertstunden vor mir. Destroyer sind für 16 Uhr angesetzt und überraschenderweise ist es nicht so voll wie erwartet. Ohne größere Probleme kann ich mir einen Sitzplatz in der ersten Etage direkt über der Bühne sichern. Nun sitze ich also ziemlich genau an der gleichen Stelle, an der ich auch das Cat Power Konzert tags zuvor gesehen habe. Oder waren es zwei Tage zuvor, ich kann mich schon nicht mehr genau erinnern. Wie dem auch sei, zur Loungezeit im Paral.lel 62 ein bisschen Jazz und Indierockpop hören fühlt sich sehr gut an. Das Konzert schwingt entsprechend gemütlich. Destroyer spielen alte Hits und vier oder fünf neue Songs vom aktuellen Album Dan’s Boogie. “Times Square” und “Kaput” fehlen natürlich nicht.
Im Anschluss dann ein letztes Mal für dieses Jahr mit der Metro zum Parc del Fòrum.

Wie soll ich das beschreiben, was Black Country, New Road machen? Die werden immer irrer und eine klare musikalische Einordnung wird – zumindest für mich – immer schwieriger. Mittlerweile bewegen sich ihre Songs irgendwo zwischen musical-haften Sounds (fühlte mich mehrfach an Cabaret erinnert) und Pompös-Pop. Post-Punk oder Postrock kann ich das nicht mehr nennen. Es ist Musik zum Zuhören, weniger zum Abschalten. Aber BC,NR können machen was sie wollen, es klingt immer irgendwie spannend und aufregend. Was mir auffällt: Aktuell scheint es so, als ob BC,NR sich auf Tyler Hyde, Georgia Ellery und May Kershaw als Hauptsängerin geeinigt hätten. Bei meinem letzten BC,NR Konzert war noch Lewis Evans sehr aktiv dabei, an diesem Abend bleibt er jedoch komplett im Hintergrund. Sie spielen nur Songs ihres neuen Albums Forever howlong. Es ist also in dem Sinn ein Albumkonzert, das die sechs Freunde auf der Amazon Bühne präsentieren.
Leider leer es sich vor der Bühne während des Konzertes enorm. Ein klarer Fall von Interessenkonflikt, weil mit kleiner Überschneidung die Fontaines D.C. ihr Konzert auf einer der großen Bühnen geben. Und bei vielen verlieren BC,NR diesen Wettstreit. Ich bleibe aber, verzichte auf die Fontaines D.C. und schaue mir stattdessen lieber im Anschluss Alan Sparhawk an. Der spielt wenige Minuten später auf der kleinsten Festivalbühne ein paar Meter weiter in Richtung Mittelmeer.

Alan Sparhawk den Autotune entdeckt. Zur Verwunderung des einen oder anderen, der sich vor der kleinen Trainline Buehne versammelt hat. Wie Pumuckl auf Speed springt er dabei von rechts nach links über die Bühne. Nur sein Voicecoder und der Laptop, die er zwischen den Songs neu justieren bzw. einstellen muss, können ihn stoppen. Seine beiden Begleitmusiker an Schlagzeug und Gitarre spielen irgendwie keine Rolle. das wichtigste Instrument ist dieser kleine schwarze Kasten mit den drehknöpfen und dem Laptopanschluss. Bei vielen ruft das irritierende Blicke hervor. Bei mir nicht, mir ist bekannt, dass sich Alan Sparhawk musikalisch von Low gelöst hat und neue Sachen ausprobiert. Ich mag auch sein Soloalbum White Roses, my God, das in ähnlichen Sphären unterwegs ist wie dieser Konzertauftritt.
Eine Stunde vor diesem Konzert spielte die Band ein sogenanntes ‘hidden concert’ auf der intimen Levi’s-Bühne im Backstagebereich des Levi’s Standes. Das habe ich leider verpasst, ich höre aber, dass sie dort ein rein akustisches Set gespielt haben sollen. Also was komplett anderes, als ich hier die ersten 40 Konzertminuten höre. Immerhin wenden sie sich zum Ende des Sets noch den Gitarren zu und spielen drei, vier Gitarrensachen. Jetzt sind alle glücklich.

Gegenüber starten in fünf Minuten Squid. 20 Minuten kann ich sie sehen, dann zieht mich MJ Lenderman an die Cupra Stage. So bleibt es nur bei einem flüchtigen Eindruck, der mir nichts über die neuen Songs und die neue Platte von Squid erzählt. Es ist das zweite Mal in diesem Jahr, dass ich die Band wegen Überschneidungen mit anderen Konzerten verpasse. Schade, ich hätte sie hier gerne etwas länger gesehen. Aber ich denke, die Möglichkeit Squid zu sehen ist grundsätzlich größer als die, ein MJ Lenderman besuchen zu können.
MJ Lenderman ist der Posterboy der wieder mehr in den Fokus kommenden traditionellen amerikanischen Gitarrenmusik. Das habe ich gestern schon bei seinem Kurzauftritt im Waxahatchee Konzert gespürt. Der Jubel war dort sehr groß.
Und der Hype um den Ami ist gerechtfertigt, denn sein aktuelles Album Manning Fireworks ist eines der besten und schönsten Gitarrenalben der letzten 5 Jahre. Genau wie Tigers blood von Waxahatchee klingt es enorm zeitgemäß und so bezaubernd, dass man es einfach nur gut finden muss. Es ist dies sein zweites Soloalbum, nach wie vor ist MJ Lenderman immer noch Gitarrist der amerikanischen Indieband Wednesday.

Auf der Cupra Stage gibt es in diesem Jahr keine schlechten Konzerten. Ach was, es gab hier noch nie ein schlechtes Konzert. Zumindest kann ich mich an keines in den letzten 15 Jahren erinnern. Im Gegenteil: The xx, Suicide, Suede, Little Simz, NAS, Idles, Swans, ich habe hier so viele gute Sachen gesehen und kennengelernt, da kann keine andere Festivalbühne mithalten.
MJ Lenderman startet gegen 22.30 Uhr und spielt eine Stunde lang ein sehr rockiges Konzert. Ihr klassischer amerikanischer Singer-Songwriter Indierock klingt dabei überhaupt nicht altbacken. Ich empfinde die Songs erfrischend und gut hörbar, auch wenn die 1990er Jahre sehr oft und sehr nett grüßen. Rein optisch ist die MJ Lenderman ein irrer Haufen. Der zweite Gitarrist John Samuels sieht aus wie der junge Lou Barlow, der Steel-Gitarrist könnte mit seinem lockigen Vokuhila ohne Probleme als Mitglied einer 1980er Jahre Glamrock Metal Band oder bei Genesis durchgehen. Ja, es stehen ein paar interessante Typen auf der Bühne und es sieht so aus, als ob MJ Lenderman der Jüngste in der Band ist. Natürlich spielen sie alle Hits des aktuellen Albums und den ein oder anderen älteren Smasher. Es ist ein schönes und musikalisch sehr bodenständiges Konzert, das mir sehr gut gefällt. Leider entfällt der Gegenbesuch der Waxahatchee Frontfrau Katie Crutchfield, aber damit habe ich auch nicht wirklich gerechnet.
Am Tag darauf lese ich noch eine interessante Sache. Sowohl Katie Crutchfield als auch MJ Lenderman wirken beim neuen Ben Kweller Album mit. Himmel, von dem habe ich ja auch lange nichts mehr gehört. Das passt aber ganz gut zusammen und mit ein bisschen Glück sehe ich Ben Kweller beim nächsten Primavera auf der Cupra Stage. Gerne vor Wilco.
ANOHNI and the Johnsons schaffen es tatsächlich, den Vorplatz vor der drittgrößten Festivalbühne zum Schweigen zu bringen. Ganz grosse Hochachtung vor dieser Leistung!

Bis fast in die hinterletzte Reihe herrscht gespannte Ruhe und Ergriffenheit. Ich komme spät vom Konzert gegenüber, ANOHNI and the Johnsons spielen bereits den ersten Song und so bleibe ich einfach etwas weiter von der Bühne entfernt stehen. Ich hatte mir vorher überlegt, dass, wenn der Geräuschpegel um mich herum zu groß ist, ich einfach gehe und mir etwas anderes anschaue. Im Vorfeld hatte ich wirklich die Befürchtung, dass ANOHNI and the Johnsons auf einem Festival gar nicht funktionieren würden. Wir sahen sie im letzten Sommer während des Gent Jazz Festivals und die Sounds waren doch sehr ruhig und die Botschaften zwischen den Songs sehr eindringlich und intensiv. Auf einem Festival mit den vielen Ständen, dem permanenten Stimmengewirr und der Laufkundschaft im Publikum konnte ich mir das nicht vorstellen. Doch dann erlebe ich etwas, was ich so noch nicht erlebt habe. Während des Konzerts wird es immer ruhiger um mich herum, und ich stehe im hinteren Drittel. Die Leute bleiben stehen, schauen auf die Videowände und verharren. Die, die schon da sind, werden andächtig, verharren weiterhin und alle zusammen sind ergriffen von dem, was ANOHNI and the Johnsons auf der Bühne machen. Die ist von hier aus kaum zu sehen, die Musiker erkenne ich nur über die Leinwände.
Zwischen den Songs laufen Filmsequenzen die sich um die Thematik Korallenriffe, Ozean, Meeresverschmutzung, etc. drehen. Diverse Wissenschaftler kommen zu Wort und bringen ihr Entsetzen darüber zum Ausdruck, dass die Menschheit trotz besseren Wissens es nicht schafft, das fortschreitende Korallensterben aufzuhalten. Die Songs wiederum werden mit Videosequenzen von Unterwasseraufnahmen untermalt. Allerlei Fische und Meerestiere fließen über die großen Leinwände, mal wunderschön, mal wunderschön unheimlich. Der National Geographic oder Discovery Channel könnten das nicht schöner hinzaubern. Es ist ihr Statement zur an diesem Wochenende stattfinden UN Ozeankonferenz. Es ist ein sehr ergreifendes Konzert, das mich mit einem Tränchen im Auge zurücklässt („You are my sister“). Wow, und ich dachte, ANOHNI and the Johnsons funktionieren auf einem Festival nicht. Ich habe keine Ahnung.
Am nächsten Morgen sitzt die Band sehr entspannt im Frühstücksraum des Hotels. So unnahbar ANOHNI auf der Bühne wirkt, so sympathisch und offen ist sie jetzt.
Bis 1.20 Uhr und LCD Soundsystem bleiben noch knapp eine Stunde. Endlich essen und ein wenig die Füße ausruhen.

LCD Soundsystem. Ja, das kann man alles so machen in einer Samstagnacht zwischen 2 und 3 Uhr morgens. James Murphy und sein schöner Elektrodancepop aus den 2000er Jahren ist wohl konserviert und allseits bekannt. Das sorgt natürlich für ordentlich Stimmung, wirkt allerdings tatsächlich ein bisschen altbacken. Nichtsdestotrotz, ich finde es schön, LCD Soundsystem nach all den Jahren nochmal beim Primavera live zu sehen. Wann war das das letzte Mal? Vor 10, 12, 13 Jahren? Ich weiß es nicht mehr. Seit American Dream (2017) hat LCD Soundsystem nichts mehr gemacht, und so lebt das Set an diesem Abend von den alten Songs. „North American scum“, „New York, I love you but you’re bringing me down“, „All my friends“, „Tribulation“. Gerne gehört und gerne wieder gehört. Allerdings beschleicht mich während des Auftritts ein wenig das Gefühl, dass LCD Soundsystem doch eher ein schwacher Headliner sind. Sie spulen halt ihr Set runter, es schmeckt nach Hausmannskost. Die ist zwar auch lecker, aber ein bisschen mehr hätte ich mir schon erhofft.
Es ist das schwächste Konzert des Tages. leider. Auf dem Rückweg zum Hotel nehme ich noch 10 Minuten Turnstile mit. Zu mehr reicht es gegen halb vier Uhr morgens nicht mehr.

Kontextkonzerte:
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