Ort: Parc del Fòrum, Barcelona
Bands: Porridge Radio, Mavis Staples, Idles, King Krule, Black Country New Road, Bauhaus, Nick Cave & the Bad Seeds
Hatte ich schon erwähnt, dass die Hochhausruine bzw. das Hochhaus, das mich die letzten 12 Jahre über vom Kreisverkehr an der Avinguda Diagonal angeschaut hat, endlich fertiggestellt ist? Ich habe damit nicht mehr gerechnet, die Nachbarschaft hier am Kreisverkehr wahrscheinlich auch nicht.
An diesem Samstag starte ich nicht im Auditori in den Tag, sondern an der Plenitude Stage aka Pitchfork Bühne. Porridge Radio spielen hier gleich in der Spätnachmittagssonne und mein Plan ist es, mir die Band anzuschauen. Da ich etwas zu früh hinten am Hafenbecken bin, schaue ich noch ein paar Songs auf der Bühne nebenan. Dort spielt die spanische Band Guineu ihren spanischen Indiepoprock. Alle Musiker*innen sehen extrem glücklich aus, ich glaube, Guineu ist die glücklichste und zufriedenste Band des diesjährigen Primavera Sound Festivals. Zumindest habe ich in keine glücklicheren Gesichter auf einer der Primavera Bühnen gesehen.
Überraschenderweise steht nur eine Frau auf der Plenitude Bühne. Oh, ich dachte, Porridge Radio seien eine Band. Jetzt und hier steht jedoch nur Dana Margolin auf der Bühne. Sie nuschelt irgendwas von ‘travel restrictions’ und ich deute es so, dass ihre Bandkollegen Probleme mit der Ausreise/ Einreise hatten. Egal, solo und mit elektrischer Gitarre ist es ein fabelhaftes und besonderes Set, dass die Porridge Radio Frontfrau in die Sonne meißelt. Wie würde es wohl in Bandbesetzung klingen? Da ich Porridge Radio noch nie live gesehen habe, weiß ich darauf keine Antwort. Aber sicherlich anders und nicht unbedingt besser.
Um das Auditori komme ich auch an diesem Tag nicht umher. Warum auch, in den Sesseln ist es schön gemütlich und die Konzerte ein tägliches Highlight. Gleich spielt hier Mavis Staples und ich bin gespannt. Mavis wer? Mavis Staples, eine ältere Dame die in den 1960er Jahren mit ihren Geschwistern als The Staples Singers („For what it’s worth (Stop, Hey what’s that sound?“, „I’ll take you there“) Erfolge hatte und später eine Solokarriere anhängte. Mavis Staples, das ist Gospel, Rhythm- und Blues. Und es ist eines dieser Konzerte, für das man das Primavera Sound auch weiterhin einfach lieben muß. Das Auditori ist voll, als die fünf Musiker*innen zu „Keep on pushing“ von den The Impressions auf die Bühne kommen. Sofort fühle ich mich wie in einem dieser 1960er Jahre Musikfilme.
Und ich bin gefordert. Standing ovations nach fast jedem Song. Na ja, wie das eben so ist, wenn eine große Persönlichkeit des Musikgeschäfts vor einem auf der Bühne steht.
Es ist ein Konzert der alten Schule, es gibt Schulterklopfer für den Gitarristen, es gibt kleine Geschichten zwischendurch, es gibt Soloparts und es gibt diese hundertprozentige Bluesherzlichkeit. Gegen Ende der 90 Minuten merkt man dann das Alter von Mavis Staples. Sie muss sich setzen, schnauft bei den Ansagen und ist bei den letzten Danksagungen deutlich kurzatmig. Hach, das war ein schönes Konzert.
Zurück auf dem Festivalgelände und vor der Binance Bühne. Black Country, New Road. Ich komme nicht ganz pünktlich. Die ersten Klänge von „BC, NR friends forever“, dem ersten neuen Song nach dem Ausstieg von Isaac Wood, laufen bereits. Was das beim Primavera Sound 2022 bedeutet, ist klar. Kein Rankommen mehr an die Bühne. So stehen wir sehr seitlich und sehen bis auf Lewis Evans, der am vorderen Bühnenrand steht, nichts. Spaß macht das erneut nicht, ist aber leider nun mal so. Wir hören noch ein, zwei Songs (darunter einen neuen Song – „Across the pond friend“-, entstanden und inspiriert durch eine Begegnung mit Earl Sweatshirt am Hotelfahrstuhl vor einigen Stunden) und gehen dann zur Cupra Stage, King Krule spielt dort in 20 Minuten.
Um Archy Marshall ist es ein bisschen ruhig geworden. Zumindest bei mir. Lange nichts mehr gehört von dem britischen Musiker, der mich mit seinem Album The Oz so begeistert und beeindruckt hat. Letztes Jahr hat er ein Livealbum veröffentlicht, neue Songs seit dem 2020er Album Man Alive! scheint es nicht zu geben.
Nick Cave. Ein Spontangedanke treibt mich vor eine der großen Bühnen. Und die Tatsache, dass auf den anderen Plätzen nicht so viel für mich Interessantes abläuft bzw. Konzerte schon laufen und ich nun wirklich keinen Bock mehr darauf habe, irgendwo an einer Ecke oder sonst wo zu stehen und gefühlt nur 1/8 der Bühne im Blick zu haben. Da kann ich mir auch ein Konzert auf der Leinwand ansehen, einen Umstand, den ich eigentlich hasse wie die Pest. Ich schlendere also zum großen Platz und fühle mich bestätigt: aua, schon hier hinten ist es voll und überdies total uninspirierend, sich ein Konzert auf der Leinwand anzusehen. Ich bin kurz davor, wieder zu gehen, als ich doch noch einen Versuch unternehme, am Rand etwas weiter nach vorne zu kommen. Überraschenderweise gelingt mir das sehr leicht und schnell bin ich in einem räumlichen Abstand zur Bühne, in dem es anfängt, Spaß zu machen, ein Konzert zu sehen. Nick Cave. Ein Künstler, den ich komplett nicht auf meinem Radarschirm habe. Früher, also ganz früher, mochte ich „The weeping song“ und „The mercy seat“. Große Songs. „The ship song“ fand ich bereits nur noch so lala und spätestens seit dem Duett mit Kylie Minogue („Where the wild roses grow“) war ich bei Nick Cave raus.
Und jetzt stehe ich hier und je länger ich dem Australier zuhöre, umso mehr bin ich von seinem Konzert gefangen. Es ist ein growner, mit jedem Song wird das Konzert besser. Ich kann einfach nicht gehen, ich sehe Nick Cave vor den ersten Reihen tänzeln, mit Warren Ellis am Klavier sitzen, oder einfach über die Bühne rennen. Was für ein großartiges Konzert!
Wenn er am Klavier spielt, ist es mucksmäuschenstill. Nick Cave hat die Sache fest im Griff. das beeindruckt mich sehr und ich beschließe, ab heute Nick Cave Fan zu sein.
Am Ende von „The mercy seat“ spuckt er auf den Bogen. Selbst das kann ich ihm jetzt schon nicht mehr übelnehmen. Was für ein Glück, das ich hierhin gekommen bin. Eines meiner Höhepunkte des ersten Wochenendes.
Im Anschluß bleibe ich thematisch stabil. Bauhaus. Um Himmels Willen, Bauhaus. „Bela Lugosi is dead“. Ich bin genau pünktlich zum 1980er Jahre Spektakel vor der Binance Stage. Bauhaus fand ich nie gut, aber jetzt kann ich die mal mitnehmen. Außer viel Bühnennebel ist nicht zu sehen. Erst gegen Ende des Sets kommt mehr und mehr weißes Bühnenlicht dazu. Mehr als nett wird dieses Konzert nicht. Ich stelle mir ernsthaft die Frage, ob es heutzutage noch irgendjemanden stört oder gar provoziert, wenn man sich den Mikrofonständer wie ein Kreuz um die Arme schlingt, um dann „Stigmata Martyr“ zu singen. Ich denke, nein. 1980 war das sicherlich noch anders.
‘Fuck the queen, Fuck the queen.’ Bei den skandierenden Spaniern frage ich mich, welche Königin sie meinen. Bei den Idles und der Vielzahl britischer Fans ist die Sachlage klar. Sie haben es offensichtlich nicht so mit der britischen Politik des Premiers und ihrer Monarchie. ‘Fuck the queen’. An diesem Wochenende ist nicht nur das Primavera Sound Festival, sondern es finden in London auch die Feierlichkeiten zum Geburtstag der Queens statt. Und Idles sind hörbar froh darüber, dass sie dazu nicht im Land sein müssen. Mehr als einmal lässt Sänger Joe Talbot uns das wissen.
Ich hatte ja schon viel über die Livequalitäten der Idles gehört und gelesen, aber das, was sie hier auf der Cupra Stage abreißen, Mannmannmann. Das hätte ich nie erwartet. Das Konzert ist ein einziger Moshpit, ein ewiges stagediven. Die Stimmung ist ausgelassen gut, die vielen britischen Festivalbesucher textsicher und in Mitgröhllaune. Staunend schaue ich mir das Treiben vom Rand aus an, genieße ein Medley aus „I‘m easy“, „Wonderwall“ und „All I want for Christmas is you” (Scheinbar drei Lieblingssongs des Sängers) vor dem eigenen „Love song“ und bin auch sonst sehr sprachlos.
Wow, was für ein Spektakel. Bestes Konzert des ersten Primavera Sound Wochenendes. Definitiv.
Danach kann ich nicht mehr zu Beach House. Sowohl physisch als auch anders. Erstens ist der Platz vor der Binance Stage knüppelvoll und zweitens brauche ich nach dem Idles Auftritt Ruhe. Die ist notwendig, das war einfach zu heftig. Und besser wird es heute eh’ nicht mehr.
Auf dem Rückweg gehe ich noch um ein paar Ecken zum Hotel. Die Gorillaz begleiten mich. Der Sound von der großen Bühne schwallt ordentlich laut herüber. Sollten die nicht längst fertig sein? Was für ein schöner Tag voller Unterschiede!
Kontextkonzerte:
King Krule – Köln, 01.12.2017 / Bürgerhaus Stollwerck
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