Orte: Razzmatazz und Poble Espanyol, Barcelona
Bands: Beck, Jehnny Beth, Pomp Pomp Squad, Ride, Magdalena Bay
Primavera Sound a la Ciutat Teil 1.
Was für ein Chaos! Wieso weiß hier kein Ordner Bescheid darüber, wo und in welche Warteschlange wir uns mit unseren Double-weekend plus Dice Ticket Tickets einzureihen haben? Es ist kurz nach 18 Uhr und wir sind am Razzmatazz angekommen. Gegen 20 Uhr sollen hier nacheinander Jehnny Beth und Beck ihre Klubshows spielen. Die Konzerte gehören zur Reihe ‘Primavera a la Ciutat’, die zwischen den beiden Festivalwochenenden im Parc del Fòrum eine Menge an Konzerten in verschiedenen Orten und Klubs Barcelonas bereithält. Zugänglich für Konzertticketinhaber, Wochenendticketinhaber und für alle ohne Tickets. Und genau das ist das Problem.
Es knubbelt sich vor dem Razzmatazz. Doch wer soll sich wo hinstellen, welche Schlange bzw. welche Absperrung ist für welchen Typ Ticketinhaber vorgesehen? Beschilderungen (die werden um kurz vor 20 Uhr angebracht) gibt es um 18 Uhr noch nicht, obwohl schon hunderte Leute in verschiedenen Wartezonen stehen.
Denn nein, es gibt nicht nur eine Warteschlange. Es gibt derer fünf: es gibt eine Schlange für sogenannte Dice Ticketinhaber (man konnte reguläre Einzeltickets für die Konzerte und Upgrade-Tickets zu einem der Wochenend-Festivalticket erwerben, mit denen man sich garantierten Einlaß in den Konzertsaal erkaufte), es gibt eine Warteschlange für Primavera VIP-Ticketinhaber, es gibt eine Warteschlange für one-weekend Primavera Sound Ticketinhaber, es gibt eine Warteschlange für double-weekender und es gibt eine Warteschlange für alle Anderen.
Also einfach ist es nicht. Man fragt diesen, man fragt jenen und erhält ein Achselzucken hier oder eine gegenteilige Antwort dort. Zu viele Anstelloptionen und zu wenig Personal, das einen Plan hat. Eine üble Mischung.
Und einfach ist auch nachher der Einlass nicht: Welche Schlange darf zuerst rein, wer muss ewig lange warten? Ich sehe überall nur überforderte Ordner und Volunteers. Erst recht, als beim Dice Ticketeinlass das Scannen der Zusatztickets nicht richtig funktioniert und in Listen überprüft werden muss, wer wirklich ein Ticket gekauft hat. Gott sei Dank ist es an diesem Sonntagabend noch nicht so brüllend heiß wie eine Woche später, das Warten ist erträglich.
Hier gibt es wirklich Optimierungspotential, allerdings wird die Situation im Laufe der Woche nicht wirklich besser. Dafür die Schlangen immer länger.
Es gelingt uns nur, an zwei Abenden Konzerte zu sehen. Für beide hatten wir im Vorfeld für 16 Euro Zusatztickets gekauft. Sicher ist sicher und wie sich jetzt vor Ort herausstellt, eine mehr als lohnende Investition. Alles richtig gemacht.
Am Sonntag bin ich so zum ersten Mal im Razzmatazz und sehe Beck und vorher Jehnny Beth. Die ehemalige Sängerin der Band Savages sah ich bereits in der Nacht zuvor, daher wusste ich, was mich erwartet. Beck nicht. Seinen Auftritt am Samstag ließ ich aus.
Wie schon der Parc del Fòrum ist auch das Razzmatazz pickepacke voll. Wir überblicken das gut, weil wir oben auf der Galerie sitzen und auf den Innenraum schauen. Auf der Galerie sieht man übrigens nur im Sitzen etwas. Galerie ist auch nicht das passende Wort, es ist vielmehr ein Gang, in dessen zum Saal hin gewandte Mauerwand Durchbrüche in Form größerer Fenster geschlagen wurden. Davor sind Sitzbänke aufgereiht. Sitzt man auf einem der Sitzhocker, schaut man quasi durch die Fensterdurchbrüche auf den im Erdgeschoss liegenden Saal und die Bühne. Durch diese Konstruktion entstehen keine mehrzeiligen Stehreihen. Wer nicht sitzt, sieht nichts. Demzufolge herrscht hier oben kein Gedränge, wir sitzen hier ganz bequem und können entspannt dem Best-of Set von Beck zuschauen. Beck liefert ein sehr unterhaltsames best-of Konzert, obwohl best-of nicht ganz korrekt ist. Alle Hits kann er in den gut 75 Minuten einfach nicht spielen. Aber er spielt so einiges, das ich lange und länger nicht mehr gehört. „Where its at“ zum Beispiel. Im vollen Razzmatazz ist die Stimmung ausgelassen. Sehr viele sind nicht zufällig hier, wie man bei einem ‘freien’ Konzert mutmaßen könnte. Der Saal unter unseren Füssen ist textsicher und nimmt jede Laune von Beck Hansen – Akustikgitarrenteil, Rapeinlagen, Dancemusik, Blues – mit. Ja, es ist ein launiges Konzert, abwechslungsreich und sehr schön. Beck habe ich nie so richtig auf meinem Schirm, man kann seine Konzerte aber blind buchen. Versprochen.
Um halb eins ist das Konzert vorbei und wir haben Glück, dass noch eine Metro fährt. Das Suchen nach der passenden Nachtbuslinie oder gar ein längerer Fußweg zurück zum Hotel bleiben uns erspart.
Jehnny Beth, und das noch kurz zum Ende der Razzmatazz Erzählungen, liefert in etwas komprimierter Form das, was ich schon gestern Nacht im Parc del Forum von ihr gesehen habe. Eine wilde, irre Show. Wieder spielt sie das Nine Inch Nails Cover „Closer“, wieder höre ich annähernd die gleichen Ansagen. Da sich der Abend durch den langsamen Einlass zeitlich verzögert hat, spielt Jehnny Beth nicht wie vorher lanciert eine Stunde, sondern sie bekommt nur knapp 45 Minuten Spielzeit. Mir reicht das, ehrlich gesagt. Überzeugt hat sie mich schon vor ein paar Stunden nicht, jetzt sehe ich das nicht anders. Ich warte einfach mal auf eine Savages Reunion, die wäre toll.
Primavera Sound a la Ciutat Teil 2.
Für den Mittwoch im Poble Espanyol haben wir auch Tickets. Das Line-up versprach einfach zu großartiges, um sich das entgehen zu lassen: Pom Pom Squad, Magdalena Bay, Ride, Khruangbin, Phoenix. Liest sich gut, ist auch gut.
Unser Hauptanliegen war ursprünglich die Konzerte ab Ride aufwärts. Und durch das Wörtchen ursprünglich driftet der Satz in den Konjunktiv ab. Ja, das war der Plan, er wird aber leider nicht Realität. Und das zeichnete sich schon am Tag zuvor ab. Eine längere Ausflugsfahrt in einem vollklimatisierten Zug sorgte bei mir für eine mittlere Sommererkältung. Nach zwei Jahren Urlaubspause bin ich die heiß-kühl Wechsel (draußen Sonne, drinnen klimatisierte Räume) nicht mehr gewöhnt. Die Abkühlung im Zug sorgte nach einem verschwitzten Tag zwar für Erfrischung, aber auch für ein ordentliches Verschnupft sein. Und nein, es war kein Corona, dass ich mir eingefangen habe!
An diesem Mittwoch fühle ich mich leicht malad und ich habe zwei Optionen: heute Abend nicht nur Ride sondern auch noch Khruangbin (ich bin schon sehr neugierig) und Phoenix sehen, um dann unter Umständen in den nächsten Tagen völlig platt zu sein; oder heute Abend nur Ride zu sehen, ausruhen und hoffen, dass die Erkältung schnell von dannen zieht und nicht noch weiter aufblüht. Da ich mir das zweite Festivalwochenende nicht komplett vermiesen wollte, entscheide ich mich für die zweite Option. Und so bleibt Rides Going blank again Albumkonzert leider der Höhepunkt des Abends im wunderschön anzusehenden Poble Espanyol. Gerne wäre ich länger geblieben, die Atmosphäre in diesem Innenhof ist extrem gut und ich fürchte, Phoenix spielen hier ein fulminantes Konzert.
Die Oxforder haben allerdings den besten Slot erwischt. Um 21 Uhr passend zur untergehenden Sonne und in die blaue Stunde hinein spielen sie Going blank again. Wie schön das ist, wie schön das passt.
Going blank again ist eines meiner Lieblingsalben der frühen 1990er Jahre. Damals, als der Shoegaze aufkam und sich bei mir eine gewisse Bedeutung erspielte, waren es eher Ride und Chapterhouse als Slowdive, deren Gitarrenwände mich faszinierten. Nowhere, das Vorgängeralbum von Going blank again war ein sehr wichtiges Album für mich. Aber dazu dann am Samstag mehr.
Jetzt erstmal Going blank again in complete. Was mag ich das lange Gitarrenintro vor „Leave them all behind“, die kleine Popnummer „Twisterella“, die Beatles-esken Melodien in „Making Judy Smile“ oder den Shoegaze Weirdo „Time of her time“. Und auf dem Cover das komische Clownsgesicht mit den Gurkenscheiben auf den Augen. Songs von Going blank again fehlten auf keinem Kassettensampler. 30 Jahre ist das jetzt her.
Die Setlist bringt keine Überraschungen. Sie spielen das Album, und für mehr ist keine Zeit. Aber das reicht mir, denn das ist genau das, was ich hören wollte. Und ich kann nicht wirklich in Worte fassen, wie schön es ist, Going blank again einmal komplett live zu hören. Es ist einfach überwältigend großartig. Ich erinnere mich an das Konzert 1992 im Kölner Wartesaal zurück. Selbst damals, im Rahmen der Going blank again Tour, spielten sie nicht alle Songs. An dieses Konzert habe ich beste Erinnerungen, es war mein bis dahin lautestes. Im alten Wartesaal dröhnten die Gitarren so sehr, dass ich gar zwischenzeitlich den Saal verlassen musste, weil ich es nicht aushielt. Und das trotz Taschentücherzipfel in den Ohren. Tagelang hatte ich danach Ohrenfiepen.
Vor Ride war ich noch auf die Brooklyner Pom Pom Squad gespannt. Ich kenne die Band über ihr Cover des Nada Surf Hits „Popular“. Obwohl, das ist übertrieben. Ich kenne den Coversong, weitere Songs oder Geschichten von und über Pom Pom Squad kenne ich nicht. Leider spielen sie „Popular“ an diesem Abend nicht; so bleibt es für mich gefühlt ein unvollendetes Konzert.
Zwischen Ride und Pom Pom Squad sehen wir das kalifornische Synthie-Pop Duo Magdalena Bay. Mica Tenenbaum und Matthew Lewin haben leider mit riesengroßen Soundproblemen zu kämpfen, die sich durch die ersten drei, vier Songs ziehen: Mikro funktioniert nicht, Keyboard ist nicht angestöpselt, Sound zu leise, Mikro funktioniert, aber der Gesang ist zu leise ausgesteuert, Headset defekt. Sie wollen schon fast aufgeben, aber als niemand mehr so richtig daran glaubt, wird doch noch alles gut und der Sound ordentlich auf den Poble Espanyol gepustet.
Das reißt es für mich aber nicht raus. Die Achtzigerjahre-Ästhetik der Sounds und der Videoanimationen auf der Bühnenleinwand sind auf Dauer nicht meins. Es ist mir zu belanglos. Und als sich Mica Tenebaum eine Hasenmaske vor das Gesicht spannt und damit über die Bühne hüpfend ein paar Songs performt, wirkt das arg strange auf mich.
Gar nicht strange ist die Font Màgica am Plaça d’Espanya, oder genauer gesagt am Plaça de Carles Buïgas. Allabendlich bietet der Brunnen ein schönes Farben- und Wasserspiel. Bevor wir weiter zur Metro gehen, bleiben wir einen Moment stehen, lauschen Vangelis und schauen in Fontänen und Wassersäulen, die in unterschiedlichen Farben angeleuchtet werden. Ein irgendwie meditativ beruhigend wirkender Ausklang unseres ersten wirklich heißen Barcelona Tages.
Kontextkonzerte:
Beck – Brüssel, 06.06.2018 / AB
Jehnny Beth – Primavera Sound Festival Barcelona, 03.06.2022
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