Ort: Parc del Fòrum, Barcelona
Bands: Bob Mould, Boredoms, The chills, U.S. Girls, Brian Wilson, Drive like Jehu, PJ Harvey, Parquet Courts, Die Katapult, Julien Baker

Bob MouldAlle guten Dinge sind drei. Dritter Festivaltag, drittes Konzert auf der Hidden Stage, ein drittes Mal früh am Nachmittag am Festivalgelände.

Vielleicht ist das Konzert von Bob Mould mein wichtigstes Hidden Stage Konzert. Ich spürte schon den halben Tag eine gewisse Vorfreude und ein Lächeln auf meinem Gesicht, wenn ich nur an das Konzert dachte. Bob Mould begeisterte mich vor Jahren bereits beim Primavera, damals mit band und vielen Songs von Sugar. Nun also solo-electric. Ich war wirklich gespannt, wie das sein wird. Also abseits von laut und gitarrig. Das es das werden wird, war irgendwie klar. Aber eine ein-Mann-Rock-Show mit E-Gitarre habe ich – glaub‘ ich – zuvor noch nicht gesehen. Funktioniert sowas, oder ist das nichts Halbes und nichts Ganzes?
Nun, es funktioniert prächtig. Nachdem der Run auf die Tickets wieder groß war (vielleicht noch grösser als am Tag zuvor), ich aber vom Zettelausgabemädchen am Ticketstand mit dem Worten ‘Bob Mould?‘ begrüßt wurde und mir, noch eh‘ ich antworten konnte, der Einlassschein überreicht wurde, war ich erneut dabei in den Katakomben des Parc del Fòrum. ‘Ja‘, dachte ich, ‘Bob Mould. Seh‘ ich so aus?‘  Was soll ich sagen: ein Blick in die Schlange der noch wartenden zeigte mir hauptsächlich Mittvierziger und Menschen mit grauen Haaren. Ja, ich sehe so aus. Das ist die Bob Mould Zielgruppe des Jahres 2016.
Das Konzert war grandios. Bob Mould begann mit „Hoover Dam“, dem ollen Sugar Smash-Hit. Kann man besser in einen Festivaltag starten, schrieb ich direkt nach Konzertende an das Internet. Nein, kann man nicht. Erst recht nicht, wenn sich das solo-electric Konzert so anfühlt, als stünde eine ausgewachsene Band auf der Bühne. ‘Is it loud enough’, fragte Bob Mould in die Runde. ‘Because it should be loud.’ Es war laut. Es war gut. Es gab nichts zu meckern. Es wurde ein überragendes Best-of Set aus allen Bob Mould Bands und Solosachen („If i can changed your mind“, „I don’t know you any more“, „Hold on”). Das Ende war besonders  grandiose: Dreimal Hüsker Dü, der Jubel vor der Hidden Stage war groß.
“Hey Mr. Grey”, es war ein fulminanter Auftritt, einer der besten des diesjährigen Primavera Sound.BoredomsIm Anschluss war etwas Luft. Ich besuchte Boredoms an der Primavera Bühne und stellte fest, dass der Freiluft-Festivaltag begann wie der gestrige Tag endete: mit zwei Schlagzeugern. Boredoms ist eine japanische Noise-, Psychodelic-, Rock-Band, die seit gut 30 Jahren Platten veröffentlicht. Ende der 1980er Jahre machten die Japaner etwas mit Sonic Youth, später noch mit John Zorn. Daher war mir der Name nicht gänzlich unbekannt, auch wenn ich bis dato natürlich nichts von Boredoms gehört hatte.
Ich blieb ein bisschen, auch wenn mir der Lärm von der Bühne befremdlich vorkam. Nein, konzentriert habe ich mich nicht auf das Konzert, ich saß abseits und dachte so vor mich hin. Boredoms liefen da eher im Hintergrund.The ChillsÄhnliches galt auch für das Konzert der Chills. Ich war auf dem Weg zur Adidas Stage, um mir U.S. Girls anzuschauen, als ich kurz vor der Ray-Ban stoppte. The Chills, noch so eine Band aus längst vergangenen Zeiten. „Pink Frost“ könnte man vielleicht von ihnen kennen. Nach 20 Jahren haben The Chills wieder ein Album rausgebracht und Touren diesen Sommer ein bisschen durch Europa. In Köln hatte ich sie ein paar Tage zuvor noch verpasst, bzw. Metz den Vortritt gelassen. Ich wusste ja, ich könnte sie hier sehen. Ihr Indierock mit Violine und sanften Gitarren beeindruckte mich dann aber nicht so stark wie ich es vorher dachte, so dass ich ihren Auftritt nicht bis zum Ende verfolgen wollte.

Ich schlenderte weiter zur Adidas Bühne. Adidas Bühne, Ray-Ban, Heineken, in den Jahren zuvor die Mini, San Miguel oder Converse. Sponsoring auf großen Festivals ist Normalität, ich nehme es eigentlich gar nicht mehr wahr. ‘Wir sehen uns vor der Adidas‘, eine Aussage, die während eines Primavera Festivals in meinen allgemeinen Sprachgebrauch übergeht. Meghan Remy von den U.S. Girls sieht das ein bisschen kritisch. Lakonisch beschwert sie sich, dass sie ja noch nicht ihren Trainingsanzug und die Schuhe bekommen habe, dafür, dass sie auf der Adidas Bühne Auftritt und dies auch getwittert hat. ‘Wir tragen die Markennamen in die Welt und was bekommen wir als Gegenleistung?‘ so ihre anklagende Frage. Musikalisch überzeugt das U.S. Girl. Gemeinsam mit einer weiteren Sängerin steht sie auf der Bühne und begeistert mich mit einer Mischung aus Pop, Rap, Lo-Fi und Indie. Die Gesellschaftskritik ist in ihren Texten und Ansagen dabei nicht zu überhören. Nun gut, denke ich und gehe mit ehrlich gesagt wenig Gedanken über Produktplatzierungen auf Festivals und anderswo in Richtung des großen Festivalplatzes.

U.S. GirlsBrian Wilson spielt gleich Pet Sounds. Das möchte ich mir nun doch nicht entgehen lassen. Wahrscheinlich bin ich der einzige Mensch, der Pet Sounds noch nie gehört hat.  Ich habe es probiert, vor einigen Jahren, allerdings erwischte ich beim Durchhören wohl die beiden Instrumentalstücke des Albums und wich erschreckt zurück. Das klang nicht nach Sonne, Strand, Surfin USA und „Good vibrations“. Was waren das auf Pet Sounds für Beach Boys, die kannte ich so aus dem Radio nicht. Und warum genau ist es das allerwichtigste Album der wichtigen Alben aller Zeiten? Ich verstand das nicht und ließ wenig begeistert von der Platte ab.

50 Jahre Pet Sounds, für Brian Wilson ein Grund, nochmal mit dem Album auf Tour zu gehen. Zusammen mit den Beach Boys Al Jardine und Blondie Chaplin. Insgesamt standen 11 Musiker auf der Bühne: Streicher, Hornisten, Cembalisten oder Trompeter. Die hohen, signifikanten Beach Boys typischen Gesangparts übernahm Matt Jardine.Brian Wilson50 Jahre sind eine lange Zeit, und man mag über ein solches Konzert denken was man möchte: peinlich, unnötig, hochinteressant oder endlich einmal. Gute oder herausragende Musik bleibt zeitlos, die dazugehörigen Konzerte müssen es nicht unbedingt sein. Es wirkt natürlich befremdlich, wenn Brian Wilson mit wirklich nicht gesund aussehender Gesichtsfarbe vor seinem Klavier sitzt, bzw. dort hingesetzt wird und mit brüchiger Stimme Ansagen ins Mikrofon ruft (‘This next song has no voices, no voices. Can you imagine? Just instruments! Just instruments!‘), die etwas komisch anmuten. Andererseits stehen vor der Bühne mehrere 10000 Menschen und lachen, tanzen, singen und lassen sich von dem schmalzigen Mehrstimmengesang. Daher haben alle alles richtig gemacht: Brian Wilson für das Umsetzen dieser Konzerttour, die Veranstalter für das Platzieren des Konzertes zur Primetime auf der größten Festivalbühne und ich, der dort hingegangen ist um sich das anzuschauen.  Das Pet Sounds Konzert hält den Ansprüchen stand. Um mich herum verbreitet sich rasch eine enorm gute Laune Stimmung. Ich lasse mich anstecken, stelle aber auch fest, dass das vermeintlich beste Album der Menschheit auch Längen hat.

Nach den Songs von Pet Sounds gab es das, was bei Albenkonzerten oft folgt. Ein Potpourri der größten Hits. „Good vibration“ machte den Anfang, weitere folgten. Ich blieb jedoch nicht länger auf dem großen Platz sondern stiefele zu den kleineren Bühnen. Einen der größten Musiker hatte ich gesehen, Pet Sounds endlich in voller Länge gehört. Nun waren mir Drive like Jehu wichtiger als ein paar weitere Surfersongs.

Es gab eine Zeit da war Emo nicht gleich schlechter Haarschnitt trifft auf Teenage-Angst, Emo war eigentlich der Ausdruck einer Eruption im Hardcore, der die Zeit nach Bands wie Black Flag und Minor Threat stark DIY geschwängert einnahm. Der Post-Hardcore nahm sich breitere künstlerische Freiheit raus und ebnete den Weg für diverse Subgenres, eben auch genannten Emo, der in seiner heutigen Form nicht weiter entfernt vom Ursprungsgedanken sein könnte. In dieser Zeit formierte sich in San Diego auch Drive Like Jehu um den Rocket From The Crypt Frontmann Speedo Reis. Ihr Einfluss auf die noch junge Szene war enorm, auch wenn der Erfolg oft „größeren“ Bands wie Quicksand oder Fugazi in die Schuhe geschoben wurde. Die Fähigkeit komplizierten Gitarrenrock mit Hardcore zu verbinden ohne dass er an Intensität verliert, hatte Charme und fand eine treue und zeitlose Fangemeinde. Drive Like Jehu war wohl die Fortschrittlichste der führenden Post-Hardcore-Bands: Ihre langen, geschnittenen Kompositionen mit ungeraden Taktarten, waren orchestriert gebaut und voll von elliptischen Melodien und andere Drehungen und Wendungen. Das Ergebnis war einer der markantesten und wildesten Sounds in der lose definierten Post-Hardcore-Bewegung.

Das Primavera schafft es immer wieder, große unbekannte Bands der 1990er Jahre auszugraben und zu Liveauftritten zu bewegen. So spielten hier vor einigen Jahren die Meat Puppets und Slint, letztes Jahr Julie Ruin und Mineral. An diesem Abend nun Drive like Jehu. Bands, deren Namen vielleicht kaum einer kennt, die aber so wichtig für die zeitgenössische Musik sind, wie kaum jemand. Postrock, und Emo, vielleicht hätten wir das gar nicht, ohne Drive like Jehu und Mineral.Drive like JehuIhre beste Phase hatten Drive like Jehu zwischen 1991 und 1995. Zwei Albenveröffentlichungen reichten der Band, um alles zu sagen. Die Band löst sich auf. Sänger und Gitarrist Rick Froberg machte anschließend mit Rocket from the Crypt weiter. 2015 kamen Drive like Jehu für ein paar Liveauftritte wieder zusammentaten. Kann man machen.
Da ich Drive like Jehu bis zum Ende sehen wollte, kam ich erst pünktlich zu PJ Harvey auf das große Konzertgelände zurück. Keine Chance also, weiter nach vorne vor die Bühne zu gelangen.

PJ Harvey mutiert zum Kunstobjekt. Die Bühnenshow ist von atemberaubender Schönheit. Gebannt starre ich auf die Leinwände und lasse mich von einer perfekt gestylten Polly Jean begeistern. Das Konzert erinnert mich an eine Björk Show in schwarz-weiss. Musikalisch sagt mir das aktuelle PJ Harvey Album nicht sonderlich zu, live können mich die neuen Stücke auch nicht recht überzeugen. Und so warte ich auf den ein oder anderen älteren Song und genieße dabei das nächtliche Festivaltreiben. Es ist es doch wieder toll hier, denke ich so, das Wetter ist top, die Luft gut und das Festivalambiente wie immer entspannt und unaufgeregt. Und „Let England shake“ spielt sie dann ja noch…

Parquet CourtsParquet Courts werden anschließend die letzte Band für mich im Parc del Fòrum sein. Die letzte für 2016. Im nächsten Jahr möchte ich wieder gerne hierhin zurück. Doch so weit ist es noch nicht. 60 Minuten LoFi sind noch vor mir. Die Musik von Parquet Courts begeisterte mich vor ein paar Jahren beim Phono Pop. Ihr Geschrammel hatte viel von Pavement und Konsorten, das gefiel mir. In diesem Sommer haben sie ihr aktuelles Album Human Performance veröffentlicht, es enthält meinen derzeitiges Lieblingslied: „Dust“. Ein Song, extra für mich als Sauberkeitsfanatiker geschrieben:

Dust is everywhere
Sweep
Sweep
Dust is everywhere
Sweep

Ha, großartig! Auch 2016 klingen Parquet Courts noch super, ihr Konzert ist (m)ein würdiger Abschluss des diesjährigen Primavera Sound.

Nachschlag:
Julien BakerNachmittags gab es natürlich auch schon Konzerte. Im Innenhof des CCCB spielten erst Die Katapult, eine spanische Band, und Julien Baker, eine amerikanische Singer Songwriterin. Diese Primavera-Tageskonzerte sind jedes Jahr heimliche Höhepunkte. Irgendwo in Barcelona finden sie statt, frei zugänglich für jedermann. Hier spielen Künstler, die man auch abends im Parc del Fòrum sehen kann, kurze Sets. Julien Baker zum Beispiel spielte tags zuvor auf der Adidas Bühne. Hatte man sie also dort verpasst, oder fand sie so unheimlich gut, dass man nicht genug bekam, bot sich am Nachmittag eine neue Chance. Ich hatte Julien Baker verpasst und nahm Die Katapult – die nicht im Parc del Fòrum auftraten – gleich noch mit.
Julien Baker macht schöne Singersongwriterin Musik. Ihre Musik ist keine Neuerfindung von irgendwas. Ich könnte Scout Niblett nennen oder Waxahatchee.  Im letzten Jahr zum Beispiel verliebte ich mich in Torres, die ähnliches auf die Bühnen Spaniens zauberte.  In diesem Jahr also Julien Baker, die ihre Sache sehr gut machte. Ich mag ja sowas, da braucht es viel, um mich sofort in große Begeisterung zu versetzen. Eigentlich braucht es nur eine Gitarre und eine interessante Stimme mit leicht traurig-verzweifeltem Gesang.Die Katapult

Die Katapult es una banda hispano-sueca que hace krautpop mediterráneo.

Die Katapult sind gefühlt die spanische Variante von Schnipo Schranke. Die beiden Spanierinnen singen mit deutschen Texten, ohne ein Wort Deutsch zu verstehen. Ihre Songs nennen sie „Schweinsteiger“ oder „Braun“ oder „Deutsche TV“. Das ist unterhaltsam und für eine Stunde kurzweilig.

Multimedia:

 

Kontextkonzerte:
Primavera Sound Festival – Barcelona, 01.06.2016
Primavera Sound Festival – Barcelona, 02.06.2016
Primavera Sound Festival – Barcelona, 03.06.2016

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