Ort: Parc del Forum, Barcelona
Bands: Disappears, The KVB, The new Pornograhers, Ex Hex, The Julie Ruin, Perfume Genius, Sleater-Kinney, Ride
Wie dokumentiere ich dieses Festival?
In diesem Jahr habe ich mich erneut dazu entschlossen, Tagesberichte zu verfassen. Bei insgesamt vier Tagen Konzerte im Parc del Forum ergibt das logischerweise vier Berichte. Die Aufteilung in Tage erscheint mir lesbarer als ein elendig langer Bericht (#tlc’tr). Dabei kann ich die einzelnen Konzerte natürlich nur kurz anreissen, eine ausführliche Abhandlung wie bei einem Einzelkonzert würde meinen Zeitrahmen sprengen und sicherlich würde ich nie damit fertig werden.
Und ich denke, es tut auch keine Not. Ein Festval ist ein Festival ist ein Festival.
Vorab jedoch ein kurzer Überblick darüber, welche Bands in dieser Blogquadrologie vorkommen. Nach dem zeitlichen Ablauf sortiert sind dies:
– am Mittwoch, 27.05.2015:
Cinerama – Albert Hammond Jr. – OMD
– am Donnerstag, 28.05.2015:
Interpol – Twerps – Viet Cong – Ought – Kelela – Mineral – Spiritualized – Chet Faker – Sunn O)))
– am Freitag, 29.05.2014:
Disappears – The KVB – Ex Hex – Perfume Genius – The Julie Ruin – Sleater-Kinney – Ride
– am Samstag, 30.05.2015:
Sleaford Mods – DIIV – Tori Amos – Die einstürzenden Neubauten – Torres – Mourn
Jemanden vergessen? Ach sieh‘ selbst!
Mir gefällt der Post-Punk von Disappears. Die Band um Sänger Brian Case wirkt auf mich so unglaublich relaxt und cool, dass es zum Himmel schreit. Trotz des frühen Zeitpunktes, Disappears sind die ersten, die heute im Parc del Forum auftreten, ist es vor der Bühne gut gefüllt. Die Sonne scheint, es sind noch mildwarme Temperaturen, und trotzdem bin ich froh, hier nur eine knappe Stunde stehen zu müssen. Denn auf Dauer wird es warm im Nacken. Wie ist das wohl als Band, gegen die Sonne guckend spielen zu müssen? Ich stell mir das nervend vor. Allerdings gilt diese Begebenheit nur für die ersten Minuten es Konzerts, danach taucht die Bühne immer mehr in den Schatten und Brian Case kann seine Ray-Ban Sonnenbrille abnehmen.
Post Punk am Nachmittag macht Spaß. Wir sind schnell drin im Geschehen und ich freue mich besonders über „Hibernation sickness“, ein etwas älterer Song vom vorvorletzten Album Pre Language. Disappears kommen heute ohne Steve Shelley aus. Der Schlagzeuger, der bei Disappears erster Tour noch mitmengte, weilt zwar auch in Barcelona, spielt dort mit Thurston Moore, gehört aber seit einiger Zeit nicht mehr zur Disappears Stammbesetzung. Das macht nichts, denn auch sein Nachfolger Noah Leger verrichtet guten Job. Seit fünf Alben gibt es mittlerweile die Band, und ich glaube, sie werden immer besser. Diese treibenden Gitarren, der latent nölig und leicht aggressiv klingende Gesang, das nicht zu dominierende Schlagzeug; ja, sie wissen, wie es geht.
Als wir uns auf den Weg zur nächsten Bühne und zur nächsten Konzertstation machen sind wir uns sicher, gerade einen Höhepunkt des Festivals erlebt zu haben.
The KVB. Synthiepop. Eigentlich viel zu früh für diese Art von Musik ist es um kurz vor 18 Uhr. The KVB sind die erste Band, die an diesem Tag auf der ATP ran dürfen, entsprechend leer ist es noch vor der Bühne. Die dunkle, schwer getragene Musik von Kat Day und Nicholas Wood will nicht so recht fluppen. Liegt es an uns, an dem gerade gesehen hervorragenden Disappears Auftritt oder an The KVB? Es ist müßig, darüber nachzudenken. Das Konzert entwickelt sich zu einem klassischen Festivallückenfüllerereignis. vollkommen unangenehm ist es nicht, aber die volle Aufmerksamkeit kann es bei mir auch nicht abrufen. Wir setzen uns in den Schatten etwas abseits der Bühne und machen das, was man in eben solchen Augenblicken macht: was zu trinken holen, einen Happen essen, die sozialen Netzwerke auf Neuigkeiten prüfen, geschossene Fotos begutachten und die Leute um einen herum beobachten. The KVB hinterlassen bei mir wenig Spuren.
Die New Pornographers nahmen wir für vier, fünf Lieder mit. Ihr leichtfüßiger Pop passte mir gut in den Kram, bevor Ex Hex den Mädchenabend einläuten sollten. Ich mag die Band aus Vancouver, auch wenn ich sonst mit ihrer Art des Power-Pop nicht so viel anfangen kann. Denn das Mehrgenerationenprojekt (Keyboarderin Kathryn Calder ist die Nichte von Bandgründer und Sänger A.C. Newman) schafft es, mich erneut zu begeistern. Bereits im Winter des letzten Jahres waren die New Pornographers eine Art Neuentdeckung für mich. Existieren tut die Band seit vielen Jahren und mehreren Alben.
The New Pornographers are AC Newman and a group of ridiculously talented people uniquely equipped to realize his musical ambitions.
So steht es auf ihrer Homepage, gelinde gesagt enorm untertrieben. Musikalisch passt die Band in den Sommer, ihre Hits sind seicht weiche, fluffige Popsongs ohne Schnörkel und Kanten, gerade recht um sie in der Frühjahrssonne Barcelonas zu genießen. Und genau das mache ich auch für ein paar Minuten. Es ist eine willkommene Abwechslung nach dem getragenen Post-Punk und Synthiepop zuvor und dem folgenden Rock der Ex Hex, Sleater-Kinney und Julie Ruins.
Die Ex Hex kommen mir immer so vor wie die kleine Schwester von Sleater-Kinney. Dabei haben beide Bands gar nicht so viel gemein, wie ich immer annehme. Da wäre die Standortfrage: Ex Hex kommen aus Washington D.C., Sleater-Kinney aus Washington State. Ex Hex gibt es seit 2013, Sleater-Kinney seit vielen Jahrzehnten.
Tatsächlich ist das einzige Bindeglied zwischen beiden Bands Gitarristin Mary Timony, die zusammen mit Carrie Brownstein und Janet Weiss bei Wildflag gespielt hat. Auch musikalisch liegen kleine Welten zwischen beiden Gruppen. Ich behaupte, Ex Hex machen da weiter, wo Sleater-Kinney in Sachen Rock aufhören. Ex Hex haben mehr Hardrock und weniger Punk. Gerade Bassistin Betsy Wright hat die ganz großen Rockgesten im Portfolio. Das wirkt zwar manchmal abstrus, wenn sie die Gitarre hochreißt, Windmühlenarmbewegungen vollzieht oder sich beim Sologitarrenduell an Mary Timony ranschmeißt. Aber es wirkt auf sympathische Art und Weise abstrus und keinesfalls peinlich. Ihr Programm ist straight, wie man so sagt und „How you got that girl“ ist so ein Song, der in jede Lieblingsplaylist gehört. Die Band aus Washington D.C. ist die erste Frauenband, die ich an diesem Freitag sehe. Es wird nicht die letzte sein, die Messlatte liegt sehr hoch.
Randnotiz: Dass Ex Hex eine Frauenband sind, merkt man an der geschmacklichen Farbabstimmung ihrer Instrumente. Die Körper von Gitarre und Bass sowie das Schlagzeug sind alle im Mahagoni Farbton gehalten.
The Julie Ruin. Am Ende des letzten Songs läuft Kathleen Hannah in die rechte Bühnenecke, zieht ihre Schuhe aus, nimmt Anlauf und beendet den Auftritt von Julie Ruins mit einem geschlagenen Rad in den Spagat. B-Note 8.
Zuvor agierte die New Yorker Band, die ihren letzten Auftritt beim Primavera Sound Festival 2014 noch krankheitsbedingt absagen musste, so, wie man es von einer Punkrock Band erwartet. Rau, wild, verrückt. Das begann schon mit dem Auftreten der Bandmitglieder: Kenny Mellman, Keyboarder der Band und im richtigen Leben Comedian, trägt ein lustiges milchkuhgepflegtes T-Shirt und Hose, Sängerin Kathleen Hannah einen 60ies angehauchtes viel zu kurzes Minikleid und Bassistin Kathi Wilcox und ein blutrotes Cocktailkleid. Zusammen mit Kathleen Hannah war sie Bikini Kill, und irgendwie komme ich so zu Kim Gordon, mit der sie für mich aus der Distanz eine verblüffende Ähnlichkeit aufweist.
Ihr Konzert ist definitiv das kurzweiligste des zweiten Festivaltages, auch wenn die vielen Zwischenansagen der Sängerin etwas fahrt aus dem Programm nehmen. Noel Gallagher pflegte in diesen Momenten in Anlehnung an Bono‘s politische Botschaften während U2 Konzerten zu sagen „Shut up and play „One“. “ Ich sage gar nichts, stelle aber unbewusst meine Ohren auf Durchzug. Ja, es nervt etwas, immer und immer wieder irgendwelche soziopolitischen Dinge berichtet zu bekommen. Kathleen Hannah scheint eine große Frau mit Mitteilungsbedürfnis, ihr Einfluss in der amerikanischen Feministenbewegung sicher nicht unwichtig. Ihr Wikipediaartikel vermittelt mir diesen Eindruck, ich mag das aber nicht abschließend beurteilen zu können.
Kathleen Hanna (born November 12, 1968) is an American musician, feminist activist, and punk zine writer. In the early- to mid-1990s she was the lead singer of feminist punk band Bikini Kill, before fronting Le Tigre in the late 1990s and early 2000s. In 1998, Hanna released a lo-fi solo album under the name Julie Ruin and since 2010 has been working on a project called The Julie Ruin.
A documentary film about Hanna was released in 2013 by director Sini Anderson, titled The Punk Singer, detailing Hanna’s life and career, as well as revealing her years-long battle with Lyme disease. Hanna is married to Adam Horovitz of the Beastie Boys.
Der Bühnenplatz der Ray-Ban ist gut gefüllt. Zielgruppenpublikum um uns herum. Es ist der Tag der Frauenrockbands. Ex Hex zuvor sowie Patti Smith und Sleater-Kinney am späteren Abend, da passen The Julie Ruin sehr gut rein. Warum spielen die Babes in Toyland eigentlich erst morgen?
„The Riot Grrrl is coming to get you. Hey, we are all 46. But Punk doesn’t stop at 30.”
Dieser Mike Hadreas ist ein wunderbarer Ausdruckstänzer. Gerade läuft sein erster Song „Queen“ und Mike Hadreas tanzt geschmeidig über die Pitchfork Bühne. Es ist mein erster Perfume Genius Eindruck und es ist ein bleibender; in der nächsten guten halben Stunde wird wenig daran gerüttelt.
Perfume Genius ist Mike Hadreas (zusammen mit einem weiteren Keyboarder, Schlagzeuger und Gitarristen) und ich entdeckte den Amerikaner vor einigen Wochen, als ich mir die Primavera Playlisten anhörte. Too bright heißt seine aktuelles Platte und ich mag sie sehr. Für Barcelona war das Perfume Genius Konzert fest eingeplant, unter Umständen wollte ich sogar den Beginn von Sleater-Kinney sausen lassen, um mir den kompletten Auftritt anzusehen. Dass es dann nicht so war, lag an den Umständen. Sleater-Kinney sind nun mal Sleater-Kinney, und die lässt man nicht so einfach sausen.
Was jetzt jedoch nicht gegen das Konzert des Amerikaners spricht! Das war herausragend, ruhig, melancholisch und doch enorm energiegeladen. Sehr oft erinnerte mich Perfume Genius an Kate Bush. Es sind die Sequenzen, wenn Mike Hadreas am Keyboard sitzend solo seine ruhigen Songs spielt. Oder zelebriert. Das Wort passt besser. Die Keyboardpassagen sind wundervoll. In diesen Augenblicken sollte es mucksmäuschen still sein. Dass es das naturgegeben bei einem Festival nicht sein kann, stört jedoch nur wenig. Perfume Genius sind eine meiner Entdeckungen dieser Tage und es bereitet mir Spaß, der Band zuzuhören. Hits sind „Fool“ oder das elektrobeatlastige „Grid“ , trotzdem beschließe ich, das Konzert vorzeitig zu verlassen um der dritten Frauenrockband an diesem Abend bei der Arbeit zuzusehen.
Hätte ich geahnt, dass mich Sleater-Kinney an diesem Abend mit ihrem Auftritt enttäuscht und ratlos zurücklassen, ich hätte mich anders entschieden.
Als wir an der großen Heineken Bühne am anderen Ende des Festivalgeländes ankommen, ist es noch angenehm leer. Locker schaffen wir es, in den vorderen Bühnenbereich rechts vorzukommen. Der linke vordere Bereich ist für die VIP-Bändchenträger reserviert, die Zweiklassengesellschaft des Festivals, die letztes Jahr erstmals durch abgetrennte VIP-Bereiche eingerichtet worden war, gibt es auch 2015. Als VIP werden diejenigen Besucher klassifiziert, die ein ca. 100 Euro teureres Ticket gekauft hatten. Wie viele das waren, vermag ich nicht zu sagen, ich finde diese Praxis allerdings eher blöd. VIP-Bereiche gibt es jedoch nur vor den beiden großen Bühnen, so dass mich das nicht weiter stört und stärker ärgert. Das Sleater-Kinney Konzert ist mein erstes Konzert vor einer der beiden großen Bühnen auf dem Schotterplatz am Ende des Parc del Forum. Im Anschluss folgt auf der gegenüberliegenden Seite des Platzes mein zweites und letztes, und da wir auch hier ohne VIP Privilegien bis weit nach vorne vor die Bühne kommen, ist alles gut.
Sleater-Kinney lassen ein wenig auf sich warten, starten dann wie ich es von den letzten beiden Konzerten im Frühjahr gewohnt war, mit „Price tag“ in ihr Programm. Danach folgen jedoch nicht „Fangless“ und „Oh!“, sondern „Jumpers“ und „Bury our friends“. Corin Tucker, Carrie Brownstein und Janet Weiss haben also ihre Klubkonzertspielliste etwas umgestellt. Mit „The fox“ spielen sie gar einen Song, den ich live 2015 noch nicht gehört hatte.
In der Nachbetrachtung liest sich das ganz ordentlich, während des Konzertes hatte ich allerdings ein nicht so gutes Gefühl. Die Band schien mir durch ihr Programm zu hetzen, der Auftritt wirkte auf mich eher geschäftsmäßig routiniert als euphorisch begeistert. In einem Interview zu Beginn des Jahres las ich, dass Sleater-Kinney auf ihrer Reuniontour eigentlich keine Festivals spielen wollen. Ein paar Tage später kam die Bestätigung für das Primavera und ich war überrascht. Und wiederum doch nicht, standen doch Sleater-Kinney bei unserem letztjährigen Primavera Resümee als eine der Bands für 2015 fest auf unseren Zetteln. Damals war vom neuen Album No cities to love noch keine Spur und Konzerte jenseits unseres Vorstellungsvermögens. Trotzdem träumten wir und dachten, die Zeit sei reif für Sleater-Kinney. Dass sie dann ein Jahr später tatsächlich das Primavera bespielen sollten, war so Überraschung und Erwartung zugleich.
Aber für mich war es nicht das ganz große Highlight.
Berlin und Antwerpen im Frühjahr brachten mir bereits zwei sehr gute Sleater-Kinney Konzerte, die nicht zu toppen waren. Und das Primavera toppte sie nicht. Als die Band anfing zu spielen, war es um uns herum merklich voller geworden. Aber die Leute wirkten unaufmerksam. Freute sich hier niemand abgöttisch, alte Helden wiederzusehen? Links von mir wurde in einer Tour ge-whats-app-t, rechts checkte jemand seinen Instagram Account und sah sich andere Fotos an und verschickte likes. Der Typ vor mir hatte sogar die Ruhe, aus geschossenen Konzertfotos des Tages mit seiner IPhone App eine Fotocollage zusammenzubasteln, die er anschließend auf Facebook hochlud. Schöne neue Multimediawelt.
Und ja, auch ich war unaufmerksam, denn ich beobachtete die Menschen um mich herum mehr als Sleater-Kinney. Diese spielten weiterhin zügig ihr Programm herunter, machten kaum Pausen zwischen den einzelnen Songs und verkniffen sich jegliche Ansagen. Wie schon geschrieben, sie wirkten auf ich irgendwie gehetzt.
Setlist Sleater-Kinney:
01: Price Tag
02: Jumpers
03: Bury our friends
04: Oh!
05: Surface envy
06: Ironclad
07: What’s mine is yours
08: No cities to love
09: Fangless
10: Rollercoaster
11: A new wave
12: One beat
13: All hands on the bad one
14: The Fox
15: Words and guitar
16: Sympathy
17: Dig me out
18: Entertain
19: Modern Girl
Ride. Während wir die Strecke zur anderen großen Bühne am gegenüberliegenden Ende des Platzes gingen, musste ich an mein zweites Ride Konzert im Kölner Wartesaal zurückdenken. Gott war das seinerzeit laut. Und warm. Das Jahr weiß ich nicht mehr genau, es war der Tag vor dem ersten April. Daran kann ich mich noch erinnern, weil wir auf der Rückfahrt einen Aprilscherz der heimischen Dorfjugend vereitelten.
Ride waren Anfang der 1990er eine meiner allerliebsten Lieblingsbands. Nach dem Krach zwischen Andy Bell und Mark Gardener und der damit einhergehenden Trennung bzw. Auflösung der Band war ich sehr deprimiert. Going blank again war und ist ein Meisterwerk, „Twisterella“ einer der besten Songs aller Zeiten. Sogar die von allen als schlechte Alben abgetanen Carnival of light und Tarantula finde ich großartig. Ganz zu schweigen von den drei EPs Ride, Play und Fall. „Like a daydream“, „Dreams burn down“, „Chelsea girl“. Welthits!
Aber wie ist das mit Ride 2015? Funktionieren die noch? Die Slowdive Reunion im letzten Jahr sah ich positiv, auch wenn ich die Songs abseits der Livekonzerte kaum noch gehört habe. Sie sind eben doch irgendwie aus einer längst vergessenen Zeit. Genauso wie der Ride Shoegaze.
Muskelprotz Mark Gardener (war der eigentlich die letzten 10 jahre nur im Fitnessstudio) und Andy Bell haben sich also wieder vertragen. Mitte der 90er Jahre waren es ihre musikalischen Differenzen, die Ride auseinandergetrieben haben. Die beiden Gitarristen und Songschreiber der Band brachten ihren Ideen nicht mehr überein. Andy Bell zog es in seinen Songs mehr Richtung Pop, mit seiner nächsten Band Hurricane No. 1 hat er dies dann nach dem Ride Split sehr imposant umgesetzt. Leider reichte es nur zu zwei Alben, „Step into my world“, die Single des ersten Albums, ist aber eines der besten Britpoplieder aller Zeiten.
Was die beiden genau wieder zusammengeführt hat, ich weiß es nicht. Sicher war auch Geld im Spiel, denn nach den letzten Reunions großer britischer 1990er Jahre Bands (Slowdive, Stone Roses) waren dieses Jahr irgendwie Ride an der Reihe, die Festivals auf der Insel anzuführen. Wer ist denn sonst bitte noch übrig? (Für’s nächste Jahr tippen wir übrigens auf Elastica. Das ist Wunschdenken.).
Zum Intro von „Fyt“ der 4AD Band This Mortal Coil kamen Ride auf die Bühne. Ein gut ausgewähltes Intro, welches schön und harmonisch in den ersten Song, „Leave them all behind“ hineinflutscht. Bäm! „Leave them all behind“, welch‘ ein Traumstart. Einer der besten Ride Songs gleich zu Beginn setzt schönste Emotionen frei. Bewusst habe ich vor den Barcelona Tagen die alten Ride Alben nicht mehr gehört. Ich wollte mir den freudigen Überraschungsmoment im Konzert nicht verderben, indem ich zuvor die Songs bereits mehrmals durchlaufen lasse. Nein, dieses Konzert sollte all‘ die Erinnerungen an damals und all die Aha Effekte gebündelt hervorbringen. Mit „Leave them all behind“ ging mein Matchplan ab der ersten Minute auf. „Like a daydream“ legen sie und ich fürchte, dass es besser nicht mehr werden kann. Ride erfüllen bisher alle Erwartungen und ich bin froh, hier zu stehen.
Nach diesen ersten Minuten der Hocheuphorie legt sich alles ein wenig. Die nachfolgenden Minuten lassen den Erregungspegel etwas sinken, ich finde mich ein ins Konzert, der Mod-Spanier vor mir mit seinem Drang sich mit all einen Kollegen unterhalten zu müssen, beginnt mich zu nerven. Und Ride unternehmen just in diesen Momenten nichts, um mich abzulenken. Die Band spielt sich in ihre schlechte Konzertphase, Sennen“ und „Black nite crash“ wollen nicht so recht zu den vorherigen Krachern passen.
Wir beschließen, etwas aus dem vorderen Pulk zu gehen und das Spektakel von weiter hinten zu genießen. Das gelingt. „Dreams burn down“ und alles, was danach kommt, fasziniert uns auch 50 Meter weiter hinten. Da Ride keine Pyrotechnik einsetzen, gibt es auch nicht viel zu sehen und so verpassen wir nichts, wenn wir auf dem Schotterboden sitzend einfach nur den Shoegaze Gitarren lauschen. Das Konzert hat wieder Fahrt aufgenommen und entwickelt sich in Richtung hervorragend.
Das bleibt so bis zum Ende, „Mouse trap“ und „Chelsea girl“ Beschließen den Abend. Gott sei Dank spielen Ride nicht ihr Beatles Cover. Davor hatte ich mich im Vorfeld etwas gefürchtet. So bleibt es bei einem einzigen klitzekleinen Wermutstropfen: „Twisterella“ spielten sie leider nicht.
Setlist Ride:
01: Leave them all behind
02: Like a daydream
03: Polar Bear
04: Seagull
05: Sennen
06: Black nite crash
07: OX4
08: Dreams burn down
09: Time of her time
10: Chrome waves
11: Paralysed
12: Taste
13: Vapour trail
14: Drive blind
15: Mouse trap
16: Chelsea Girl
Fotos:
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