Ort: Parc del Fòrum & CCCB, Barcelona
Bands: Geoff Barrow, Cymbals eat guitars, Nots, Alexandra Savior, Julia Jacklin, Solange, The Afghan Whigs
Der Tag des Solange Konzertes. Die kleine Schwester von Beyoncé Knowles hat es mir seit ein paar Monaten angetan. Ich liebe ihr Album A seat at the table sehr, es ist das Beste des letzten Jahres. Wer anderes behauptet, hat keine Ahnung. Als bekannt wurde, dass Solange auch auf dem Primavera dabei sein wird, war ich überglücklich und freute mich seit diesem Augenblick wie Bolle auf ihren Auftritt. Logisch, dass das Solange Konzert in Zement gemeißelt war, nichts hätte mich davon abbringen können, es zu verpassen.
Als ich vor der Mango Bühne, so nennt sich dieses Jahr die zweitgrößte Bühne des Festivals eintrudelte, war es schon einigermaßen voll. Selbst ein so wichtiges Konzert schaffte es nicht, mir andere Künstler durch die Lappen gehen zu lassen, und eine halbe Stunde vor Beginn war das Äußerste, das ich an Zeit ohne Konzert opfern wollte. Es reichte für einen Platz im gesicherten Mittelfeld leicht links von der Bühne. Das war okay, Sicht und umstehende Leute waren gut bzw. aufmerksam genug, um mich nicht zu sehr vom Auftritt Solanges ablenken zu lassen. Mit ein paar Minuten Verzögerung betrat die Amerikanerin, die mit A seat at the table wohl endgültig in der upper class des R’n’B angekommen ist, die Bühne. Es sind die Klänge des Plattenintros „Rise“, die als erstes über den Platz schallen. Die Bühne leuchtete dazu in einem hellen Rot. „Rise“ ist ein guter Opener, weil er bedächtig nur mit der Gesangsstimme startet, bevor nach und nach die Instrumente und der Backgroundgesang einsetzen. Als es direkt in „Weary“ überging, war der Jubel groß. Ich war definitiv nicht der einzige, der auf dieses Konzert hingefiebert hat. Das spürte ich sehr deutlich: ich sah viele lachende und glückliche Augen, ich vernahm eine angenehme freudige Stimmung. Das Tamtam auf dem großen Festivalplatz verschwand für die Augenblicke des Konzertes im nichts. „Cranes in the sky“ folgte. Der Plot folgte bis hierhin streng der Songreihenfolge auf A seat at the table. „Cranes in the sky“ ist ein Knaller, alle Oberkörper wippten im seichten R’n‘B Takt. Es war traumhaft. Solange Stimme klang perfekt, die Musik spielte akkurat und diese verdammte rote Bühnenausleuchtung passte sowas von gut, dass sich der Himmel scheinbar mit den Rottönen des Sonnenuntergangs anzupassen versuchte. Die blaue Stunde wurde eher eine rose-orange-rote Stunde. Ich genoss jede Minute, die ich hier stehen konnte. „Losing you“ und „Don’t touch my hair“ läuteten nach einer knappen Stunde fiel zu früh das Finale des vielleicht besten Festivalauftritts des Jahres ein, eine Reprise von „Rise“ bedeutete das definitive Ende des Konzertes. Wow, es war großartig!
Nur ein bisschen weniger großartig war das, was ich bis halb zehn Uhr gehört und gesehen hatte.
Alles begann am Nachmittag. Meine vorherigen Überlegungen wurden über Bord geworfen, als ich von der Diskussionsveranstaltung 10 Favs: music and images by Geoff Barrow & Ben Salisbury im Sala Teatre des CCCB (Centre de Cultura Contemporània de Barcelona – Zeitgenössisches Kulturzentrum von Barcelona) erfuhr. Nikki Lane im Auditori sowie Pinegrave im Parc del Forum mussten ohne mich auskommen, ich fand es viel spannender, mir von Geoff Barrow Filmmusiken erklären zu lassen. U. a. Fargo, Assassins und Dirty Harry standen auf dem Programm der 10 Favoriten. Leider fanden sich nur 20 Leute im Sala Teatre ein, um an diesem Event teilzunehmen. Leider fehlte auch sein angekündigter Diskussionspartner, der Komponist Ben Salisbury, aus irgendeinem Grund. Ein Dialog über Filmmusik wäre sicherlich noch ein bisschen spannender geworden. So blieb es an Geoff Barrow, seinen Senf alleine abzugeben. Die 90 Minuten waren zwar nicht sonderlich spektakulär, aber es war hochinteressant, sich das wieso, weshalb, warum von Musik in der einen oder anderen Filmsequenz erklären zu lassen.
Zurück am Parc del Forum war dann Zeit für Konzerte. Die Cymbals eat guitars sollten den Reigen eröffnen. Ein wenig befremdlich finde ich es schon, wenn Bands, die sonst eher in kleinsten Klubs vor 100 Leuten spielen, plötzlich auf der drittgrößten Festivalbühne angesetzt werden. Kommen da überhaupt Leute? Kann da überhaupt Stimmung entstehen? Wirkt all das nicht zu skurril? Fragen, die ich mir jedes Jahr beim Primavera aufs Neue stelle, und die jedes Jahr, so auch dieses, mit klaren Antworten abgeschmettert werden: Ja, es kommen Leute. Ja, es entsteht Stimmung und nein, es wirkt keineswegs skurril.
Weder bei den Cymbals eat guitars noch bei Julia Jacklin, eine australische Singersongwriterin, die gerade mal ein Album veröffentlicht hat (Let the kids win). Julia Jacklin sollte ich, genauso wie Alexandra Savoir, die Künstlerin, auf die ich vielleicht am meisten gespannt war, morgen nochmal im Innenhof des CCCB sehen.
Bei Nots, das Mädchenquartett aus Memphis, reichte mir ihr Auftritt auf der adidas Bühne. Zwar hätte ich sie auch nochmal am Sonntagnachmittag sehen können, aber ihr Konzert überzeugte mich nicht wirklich. Ihr Girlie-Punk kam mir an diesem Tag nicht entgegen, der Auftritt verpuffte im frühabendlichen Barcelona.
Solange steckte mir noch in den Knochen, als ich mich in Richtung Ray-Ban Bühne zum Afghan Whigs Konzert aufmachte. Auf die Afghan Whigs freute ich mich nicht minder, ihr Auftritt sollte der zweite Höhepunkt an diesem Abend werden. Und er wurde es! Die ersten Songs bestritt Greg Dulli alleine („Birdland“, „Arabian heights“), in der Art der solo & electric Konzerte von Bob Mould im letzten Jahr, nur mit Soul. Nach ein paar Songs kam dann die Band, irgendwann kamen auch noch ein paar Broken Social Scene Musiker und trompeteten. Und irgendwann kam „Gentleman“. Wie aus dem nichts und mit einer so enormen Wucht gespielt, dass es mich förmlich umhaute. Zuvor überzeugte schon „Light as a feather“ ungemein, aber „Gentleman“ und von da ab alles Weitere war einfach nur überirdisch. Die Afghan Whigs spielten sich in einen Rausch, der nichts von altbackenem Soulrock und abgehalfterten Rockstars hatte. Frisch und in großer Spiellaune schien die Band, getragen sicher auch von einem rappelvollen Ray-Ban Rund, dass ich mich fragte, ob auch jemand Bon Iver schaut.
Nach den Afghan Whigs hatte ich genug. Ich konnte nicht mehr. Ich hatte zwei herausragende Konzerte gesehen, die mir sehr wichtig waren. Das musste ich erstmal mental verarbeiten und sacken lassen. Direkt rüber zur adidas Bühne, wo bereits die anstachelnde Kate Tempest spielt, war mir unmöglich. Und auch auf Aphex Twin konnte ich mich später nicht mehr einlassen, so dass ich seinen nächtlichen Auftritt sausen ließ.
Kontextkonzerte:
Primavera Sound Festival – Barcelona, 31.05.2017
The Afghan Whigs – Primavera Sound Festival Barcelona, 31.05.2012
The Afghan Whigs – PhonoPop Festival Rüsselsheim, 12.07.2014
Greg Dulli and Mark Lanegan – Düsseldorf, 15.07.2009
Fotos:
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