Marissa Nadler beim Little Waves Festival in Genk.
Mein Konzertjahr 2019.
Ich weiß, ich bin spät dran, Und vermutlich hätte ich diese Zusammenstellung auch nicht mehr hinbekommen, wenn in diesem Frühjahr alles normal verlaufen würde. Wäre es die Welt die von – ich sag mal – 2018, dann würde ich auf das Rewire Festival zurückblicken, das vor Ostern in den Haag stattfinden sollte, und mich auf die folgenden feinen Indoorfestivals Little Waves und Out of the crowd freuen. Und ich würde jetzt vor einem Berg von Aufgaben stehen, denn die Berichte von Greg Dully, The Jesus and Mary Chain, Lysistrata, Messer und Pete Fij – um nur die ausgefallenen Konzerte der letzten Tage aufzuzählen – würden auf ihre Abarbeitung warten. Aber 2020 verläuft bisher nicht normal und planmäßig. COVID-19 und die Folgen.
Für mich bedeutet das auch, dass ich eine Menge Zeit habe, den Jahresabschlussbericht 2019 zu verfassen.
Also fange ich mal an. 2019 war ein wunderschönes Konzertjahr. Wie kann es auch anders sein. Ich glaube, ich schreibe das so oder so ähnlich in jedem Jahresbericht. Aber mein Gott, so ist es nun mal. Konzerte sind schöne Angelegenheiten, wären sie es nicht, würde ich nicht so viele von ihnen besuchen. 2019 waren es 40 Berichte. Das reichte, denn erstmals setzte ich mir für ein Jahr eine Konzertobergrenze. Nicht mehr als 4 Konzerte pro Monat sollten es werden. Im Mittel. So lautete mein Vorsatz für 2019. Im Mittel heißt, es können auch mal sechs Konzerte pro Monat sein, wenn es in anderen Monaten nur ein oder zwei Konzerte sind. Also ‘Summe der Konzerte‘ / ‘Anzahl der Monate‘. Das passt und reicht auch aus finanziellen Aspekten. Ich zahle jedes Ticket, Gästelisten und ähnlichen Kram lehne ich ab. Dass es dann nur 40 Konzertbesuche wurden, lag wie immer an meiner Faulheit, an ausgefallenen Zügen oder an grippalen Infekten.
Billy Corgan. In einem Wort: erwarte nichts und du bekommst viel. Konzert des Jahres. Nicht nur wegen „For Martha“. Einfach wegen jedem einzelnen verdammten Song, wegen dem den Atelier, das ein so großartiger Klub ist, wegen der immer schönen Anfahrt nach Luxemburg, dem entspannten Parken am Bahnhof und dem in Luxemburg City mittlerweile obligatorischen Five Guys Burger vor Konzertbeginn. Es war ein perfekter Abend, den ich so schön nie erwartet hätte.
dEUS. Mehrmals. 20 Jahre The ideal crash. Die Geburtstagstour. Das konnte ich mir nicht entgehen lassen und buchte gleich Tickets für alle näheren Konzerte: Brüssel, Köln, Luxemburg. Abweichungen vom Programm gab in den drei Konzerten im Frühjahr nicht, trotzdem war jeder Abend für sich komplett einzigartig. Einziges Unterscheidungsmerkmal neben den Vorbands (sehr überzeugend übrigens Trixie Whitley) waren die Anzahl der Tänzer, die dEUS mit auf die Bühne brachte. Deren Auftritt war von der Bühnengröße abhängig, wie sich im laufe meiner drei Konzertbesuche herausstellte.
dEUS – Brüssel, 25.05.2019 / AB
dEUS – Luxemburg, 18.05.2019 / Den Atelier
dEUS – Köln, 06.05.2019 / Gloria
Amanda Palmer. Wir waren eh‘ an der Mosel und da bot es sich an, das Konzert im Conservatoire de Luxembourg mitzunehmen. Eine Musikschule also, in dessen Saal Amanda Palmer ein sehr intensives Konzert geben sollte, das mir noch lange im Gedächtnis bleiben werden. Nicht wegen der Musik, sondern wegen ihren Erzählungen. Und überhaupt, von einem Konzert zu reden, trifft es irgendwie nicht.
Amanda Palmer – Luxemburg, 27.09.2019 / Conservatoire de Luxembourg
Locust Fudge. Endlich. In den 1990er Jahren war ich großer Sharon Stoned Fan und verfolgte die Indieszene Ostwestfalens. Ja, die gab es wirklich und sie war nicht ohne. Hip Young Things, Sharon Stoned, Locust Fudge, Speed Niggs und weitere Musiker bauten ein spinnennetzartiges Beziehungsgepflecht auf, in dem quasi jeder mit jedem in irgendeiner Band spielte. Eine wilde Zeit. (Also nicht für mich, ich studierte damals an der FH Bochum Vermessungswesen), aber sicher für Dirk Dresselhaus und Christopher Uhe, die damals Locust Fudge waren. Ich liebe Schrammelindierock und so war es unumgänglich, dieses Konzert nicht zu besuchen. Es war toll!
Locust Fudge – Düsseldorf, 09.04.2019 / ZAKK
Pete Fij. Im Nirgendwo zwischen Belgien und den Niederlanden. Samstag ist Ausflugstag. Manchmal zumindest. Der 23. März war so ein Ausflugstag, der uns nachmittags ins belgisch-niederländische Grenzland führte. Der Weg bis zur Autobahnabfahrt in Roermond war bekannt, danach ging es über Dörfer und Landstraßen nach Hamont, einem Ort direkt an der niederländisch-belgischen Grenze. Im asiatisch geführten Frittenladen gab’s perfekte Fritjes speciaal und Frikandel, danach auf der Bühne des Kinosaals Pete Fij. Noch lustiger als das Konzert waren aber die Minuten davor, die wir wartend und gefühlt auf dem Präsentierteller sitzend (einzige Besucher bis dahin, keine Einheimischen, keine Niederländer) in der Kinobar verbrachten. Kein Wunder, aufgrund des miserablen Zeitmanagements, wer weiß auch schon, wie lange man genau nach Hamont fährt, waren wir viel zu früh da.
Pete Fij – Hamont-Achel, 23.03.2019 / Cinema Walburg
Ernie Brooks, Matt Mottel, Steve Shelley. Das erste Mal in Moers. Bands, in denen Steve Shelley Schlagzeug spielt, sind immer interessant und sehenswert. So entschloss ich mich, kurz nach Moers zu fahren, um mir das Jazz Ding – oder wie auch immer man es nennen mag, was die Supergroup dort in der Röhre fabrizierte – live anzusehen. Die Röhre ist tatsächlich eine Röhre und Moers hat, so mein erster Eindruck, eine umtriebige und neugierige Jazz Community. Ein unaufgeregtes, sehr inhomogenes Publikum machte den Abend zu einem schönen Erlebnis. Mein Vorsatz, endlich mal zum Moers Festival zu fahren, konnte ich im Mai leider nicht in die Tat umsetzen und auch dieses Jahr scheint ein Moers Ausflug auszufallen.
Ernie Brooks, Matt Mottel, Steve Shelley – Moers, 06.02.2019 / Röhre
Cass McCombs. Und die vielen kleinen Konzerte im Bumann & SOHN. Sie sind auch so eine Entdeckung des Jahres und ein Besuch im Bumann & SOHN entwickelte sich zu meiner Lieblingsbeschäftigung. Auch die Rotondes ist ein kleiner Laden. Blöd nur, dass er nicht um die Ecke liegt sondern ein paar Kilometer südlich. Der kleine Club in Luxemburg am Bahnhof bietet genauso wie das Bumann & SOHN ein feines Konzertprogramm und eine besondere Wohlfühlatmosphäre. Health und die Lemonheads waren wunderbar, Bodega einfach grandios. Aber auch Frankie Cosmos lohnten den Weg nach Luxemburg. Ich komme gerne in die Rotonden zurück.
Cass McCombs – Köln, 14.11.2019 / Bumann & SOHN
HEALTH – Luxemburg, 22.03.2019 / Rotondes
Frankie Cosmos – Luxemburg, 12.10.2019 / Rotondes
Bodega – Luxemburg, 19.08.2019 / Rotondes
Und nach Lüttich. Hier sah ich in diesem Jahr erstmals Konzerte. Kann man auch in den nächsten Jahren machen.
The Lemonheads – Lüttich, 09.03.2019 / Reflektor
Dog Eat Dog. Aus Langeweile an einem Sonntagnachmittag. Erst kurz zu IKEA, in Heerlen sonntags geöffnet von 12 bis 18 Uhr, dann ins Nieuwe Nor zum zweiten, zusätzlich angesetzten Dog Eat Dog Konzert. Regulär sollten die Amerikaner nur am Samstagabend auftreten, aber ich vermute, dass die hohe Ticketnachfrage und die Flugzeiten ein zweites Konzert am Sonntagnachmittag zuließen. So öffneten die Türen des Nieuwe Nor bereits gegen 15 Uhr und statt Kaffee und Kuchen hörte ich All Boro Kings im 25-jährigen Geburtstagsgewand. Und ich sah Waltari…..nicht. Nicht, dass ich darauf hingefiebert hätte, aber ich fand es tags zuvor irgendwie lustig, diese in meinen Augen one-hit-wonder Band („So fine“) aus Finnland einmal live zu sehen. Dass es dann nicht gepasst hat, lag an IKEA.
Dog Eat Dog – Heerlen, 13.10.2019 / Nieuwe Nor
Festivals.
Das Little Waves und das Primavera Sound. Da sind wir mittlerweile Stammgäste. Das Out of the crowd und vor allem das sehr empfehlenswerte Sonic City im belgischen Kortrijk sind die Neuentdeckungen des Jahres. Beides kleine, gut organisierte und wohl zusammengestellte Festivals, die die etwas weitere Anfahrt lohnten. Große Namen gibt es hier auch, aber viel spannender sind die vielen kleinen Namen und neuen Bands, die sich hier oftmals zuerst auf dem Kontinent präsentieren. The Murder Capital zum Beispiel beim Out of the crowd oder Black Country no roads und PVA beim Sonic City Festival. Letzteres hat noch den Standortvorteil der nahen Nordseeküste. Ein herbstlicher Kurzurlaub an der See und abends Livemusik. Nenn‘ mir mal was Besseres!
Sonic City Festival – Kortrijk, 09. u. 10.11.2019
Out of the crowd Festival – Esch-sur-Alzette, 27.04.2019
Little Waves Festival – Genk, 13.04.2019
Neneh Cherry, Cigarettes after sex, Wilco. Zwei Konzerte im zwar nicht mehr ganz nagelneuen Konzertsaal Carlswerk, aber für mich die Besuchspremiere. Schön sieht’s hier aus auf dem ehemaligen Fabrikgelände an der Schanzenstrasse, schön modern und aufgeräumt. Das Carlswerk ist ein Schlauch, wer etwas zu spät kommt, steht sehr weit hinten und sieht entsprechend wenig. Beim nicht ganz ausverkauften Cigarettes after Sex Konzert erging es mir so, bei Neneh Cherry war ich etwas früher. Bei Wilco war ich verdammt früh. Belohnt wurde ich mit guter Sicht und einem feinen Auftritt von Scott Kannberg aka Spiral Stairs im Vorprogramm. Den wollte ich unbedingt sehen.
Neneh Cherry – Köln, 19.02.2019 / Carlswerk Victoria
Wilco – Köln, 13.09.201 / Carlswerk Victoria
Cigarettes after sex – Köln, 25.11.201 / carlswerk Victoria
Alles in allem war 2019 erneut ein tolles und unterhaltsames Konzertjahr. Ich bin gespannt, wie es in diesem Jahr weitergeht. Derzeit schätze ich, oder nein hoffe ich, dass im Oktober oder November wieder Konzerte stattfinden. An einen früheren Zeitpunkt möchte ich nicht denken, denn auch wenn es bei uns besser aussieht als in vielen Teilen der Welt, Bands müssen auch reisen können und dürfen.
Doch wieso habe ich bei der Zusammenstellung diese beiden Konzerte vergessen?
Josh Rouse & Grant-Lee Phillips – Leuven, 24.04.2019
The Good, the Bad & the Queen – Luxemburg, 15.08.2019
Ich weiß es nicht, aber sicherheitshalber gibt es alle Konzertbesuche 2019 nochmal hier: