Ort: Carlswerk Victoria, Köln
Vorband: Spiral Stairs

Wilco

Der zweite Abend in Folge mit einem langen Konzert. Auch aufgrund der vorherigen Nacht hatte ich lange überlegt, ob ich am Freitag ein Konzert besuchen solle. Auswahl hätte es genug. Helmet spielen in Düsseldorf ihre 30 Songs und im sehr schönen Eupener Kulturzentrum Alter Schlachthof spielt der Pianist Michael Wollny, einer der wichtigsten Jazzmusiker der Jetztzeit, ein Konzert. Da das nicht Auswahl genug ist, gesellen sich im Carlswerk zu Köln Wilco mit – was fast noch wichtiger für mich ist – Spiral Stairs im Vorprogramm als eigentliches must-see dazu. Must-see, denn eine andere Möglichkeit, Spiral Stairs zu sehen, gibt es für mich in diesem Herbst nicht. Um Köln und 200 km plus Umgebung sind keine Solokonzerte angesetzt. Also musste ich, um Scott Kannberg zu sehen, Wilco sehen. Nun, es gibt Schlimmeres.

Freitagmittag überlegte ich immer noch. Dann entschied ich, dass ich noch nicht müde genug war. Als ich dann ein Wilco Ticket für wenig Geld entdeckte, schlug ich zu. Also Wilco und Spiral Stairs. Ich gratulierte mir innerlich zu diesem Ticketkauf.
Der allerdings stellte mich vor die nächste Frage. Wie hinkommen? Mit der Bahn und dem damit verbundenen Nachteil, das Wilco Konzert früh verlassen zu müssen (alternativlos, da die Strassenbahnanbindung an den Bahnhof Köln-Deutz ist, gelinde gesagt, enorm bescheiden ist)oder mit dem Auto und der Gefahr, ewig keinen Parkplatz zu finden.
Ich fuhr ich mit dem Auto, auch weil ich den Tipp bekam, dass Wilco Konzerte durchaus etwas länger dauern können. Glücklicherweise waren keine weiteren Veranstaltungen im E-Werk und/oder Palladium angesetzt, ein Parkplatz somit leicht zu finden und ich stand um halb acht im Carlswerk. Sehr früh und viel zu früh….denn vier Stunden später stand ich immer noch da.
Oh ja, knappe zweieinhalb Stunden spielten Jeff Tweedy (Gesang und Gitarre), Nels Cline (Gitarre), John Stirrat (Bass), Glenn Kotche (Schlagzeug, Perkussion), Pat Sansone (Keyboard, Gitarre) und Mikael Jorgensen (Piano, Keyboard). Wie gesagt, der zweite Abend in Folge mit einem langem Konzert.
Zuvor aber Spiral Stairs. A.k.a. Preston School of Industry. A.k.a. Scott Kannberg, Pavement Gitarrist und Sänger. Das Konzert war wie gesagt ein Muss, das wollte ich nicht verpassen. Im Gegenteil, ich wollte es aus nächstmöglicher Nähe sehen. Und das bedeutete eben, früh im Carlswerk zu sein.

Nach einer halben Stunde warten überkam mich große Müdigkeit und die Beine signalisierten, hey, erst gestern standen wir vier Stunden im den Atelier, wir möchten uns hochlegen. Ich versuchte, die Signale zu ignorieren und wies meine Beine im Gegenzug an, diesen Abend doch bitteschön irgendwie durchzustehen. Beim langen Blick auf die Bühne entdeckte ich kein Schlagzeug. Die Instrumente waren allesamt verhüllt. Einzig vier Mikrofonständer standen unverhüllt am Bühnenrand. Mhh, spielen Spiral Stairs ohne Schlagzeuger? Interessant.

We play some strip down versions of our songs.

Das erklärt’s, bzw. Scott Kannberg erklärt’s, nachdem  er zusammen mit Tim Regan die Bühne betrat. Aha, die Band hat also Pause. Für eine halbe Stunde sind nur die beiden Spiral Stairs. E-Gitarre und Akustikgitarre, mehr Instrumente braucht der Kurzauftritt nicht. Bassist Matthew Harris, Kelley Stoltz und Schlagzeuger Jim Lindsay, die allesamt beim neuen Album We wanna be hyp-no-tized mitwirkten, hatten heute frei. (Und wohl auch bei allen anderen Gigs, die Spiral Stars im Rahmen ihrer Tour als Wilco Vorband spielen.)

Ich höre „Angel eyes“ und „Emoshuns“ und denke, ja, in dieser Kombination gefallen mir die Songs fast noch besser. Ähnliches denke ich auch bei den beiden sehr alten Songs „Two states“ (vom Album Slanted and entchanted) und „Caught the rain“ vom durchgängig schönen Preston School of Industry Album Monsoon aus dem Jahr 2004. Damals spielten Preston School of Industry übrigens zusammen mit den Shins ein sehr schönes Konzert im Gebäude 9. 

Wilco waren in den 1990er Jahren die Vorband von Pavement. Daher kennen wir uns.

So wird Jeff Tweedy später erzählen. Der Kreis schließt sich. Und wenn ich mir „I must be high“ vom AM Album anhöre, ergibt diese Kombination durchaus Sinn. Höre ich vom gleichen Album  dagegen „That’s not the issue“, sehe ich die sinnhafte Kombination nicht mehr. Na egal, die 1990er Jahre waren verrückte Zeiten.
Es hat Spaß gemacht, Spiral Stairs in der Duo Version zu sehen. Das nächste Mal sehe ich Scott Kannberg mit Pavement auf dem Primavera Sound. Vielleicht auch wieder mit „Two states“.  

Spiral Stairs

Wilco sah ich bisher einmal. Das ist schon viele Jahre her und es wäre falsch zu sagen, ich sei großer Wilco Fan. Ich mag ihre Musik und neulich kaufte ich mir das erste Soloalbum Together at last von Jeff Tweedy. Mehr ist da aber nicht.
Um auf das Soloalbum zurückzukommen. Darauf finden sich auch einige Akustikversionen von Wilco Gassenhauern, zum Beispiel „Via Chicago“ oder „I am trying to break your heart“. Das machte dann doch stärker Lust auf das Konzert.

Das Carlswerk ist gut gefüllt, ausverkauft ist es wohl nicht. Es gab am Nachmittag noch Tickets. Das Publikum ist mehrheitlich älter und vom Typ Vinylsammler. Unaufgeregt und geduldig warten sie auf den Konzertbeginn. Die Uhr am Bühnenrand zeigt ziemlich genau 9 pm, als Wilco die Bühne betreten.  In den nächsten zweieinhalb  Stunden werden sie ein überragendes Konzert geben, das auch mich nicht-Hardcore Fan restlos begeistert und mich zu keiner Zeit an meine Müdigkeit denken lässt. Das muß erst einmal jemand schaffen!
Es fällt mir schwer, besondere Highlights von der zweispaltigen Setlist und der Vielzahl der gespielten Songs herauszuheben. Irgendwie ist alles gleich gut. Abseits der Songs sehe ich heute Abend keine Show. Jeff Tweedy ist kein großer Geschichtenerzähler, bei den drei, vier Ansagen spüre ich das, und Wilco insgesamt sind keine großen Entertainer; sie spielen einfach ihre Musik. Das ist gut, weil es passt und das ist genau das, was ich an diesem Abend brauche. Einfach nur schöne, leicht dahinsegelnde Indierock/Americana Musik ohne Schnickschnack. Nur einmal gibt es Sturmboen. In „Via Chicago“ brechen Glenn Kotches Schlagzeugattacken wie ein Gewitter ein. Zwei, dreimal verläuft der Song in Kakofonie, während an den Mikrofonen Jeff Tweedy und John Stirratt den Takt und Gesang halten. Auf Dauer gewinnen die beiden und der Song läuft harmonisch aus.
Neben „Via Chicago“ ist „Impossible Germany“ ist der zweite Song, der den größten Applaus erntet. Die drei, vier neuen Songs des im Oktober zur Veröffentlichung anstehenden Albums Ode to joy werden so aufgenommen, wie neue, unbekannte Songs aufgenommen werden: reserviert. Und mir fällt ein: Yankee Hotel Foxtrot wollte ich mir doch immer schon kaufen. Auf CD.
Um halb zwölf schleiche ich zurück zum Auto. Ich bin platt. Ich bin glücklich. Ach, was für ein wunderschönes Konzert!

Multimedia:

Kontextkonzerte:
Wilco – Rolling Stone Weekender Weissenhäuser Strand, 11.11.2011

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