Ort: Die Röhre, Moers
Vorband: –
Ernie Brooks, Matt Mottel, Steve Shelley.
Oder: The Modern Lovers, Talibam!, Sonic Youth/Disappears/Sun Kil Moon/Shellac.
Oder: Bass, Keytar, Schlagzeug.
Es ist – denke ich – nicht übertrieben, von einer kleinen Supergroup zu sprechen, die sich im Sommer letzten Jahres gefunden hat, um ein paar Songs zusammen aufzunehmen.
The Modern Lovers waren eine Bostoner Punkrock Band. Kennen könnte man ihren Hit „She cracked“, falls nicht, ich empfehle ein Kennenlernen. Gegründet wurde The Modern Lovers von Jonathan Richman, Ernie Brooks spielte den Bass. Die Band aus Boston gilt – ähnlich wie Suicide – als Vorreiter und großer Einflussgeber auf die Punk- und Rockszene der späten 1970er und frühen 1980er Jahre. Talibam! aus New York sind ein Jazz Duo, das sehr experimentellen Jazz spielt. Letztes Jahr veröffentlichten sie zum 15-jährigen Bandbestehen ein Boxset mit 15 Alben. Matt Mottel ist 50% von Talibam!. Über Steve Shelley auch nur ein Wort zu erzählen, ist Zeitverschwendung. Er ist der Tausendsassa hinter dem Schlagzeug, der nach dem Ende von Sonic Youth bei vielen wichtigen Indierock-, Postrock-, und anderen Rockbands mitgemacht hat.
Matt Mottel hat eine Verbindung nach Moers. In den letzten zwei Jahren spielte er mit seiner Band Talibam! auf dem Moers Festival. So kam es wohl zustande, dass die Band neben Konzerten in Berlin, Amsterdam, Antwerpen und am Samstag beim Grauzone Festival in Den Haag auch in Moers in der Röhre auftritt. ‚Sie hätten auch gut in den alten Schlachthof nach Eupen gepasst‘, denke ich so auf der Hinfahrt, als ich feststellte, dass ich meine Google Maps Ausdrucke zuhause vergessen hatte und mich gleichzeitig eine Sehnsucht nach dem tollen Konzertsaal in Eupen überfiel. Ohne je zuvor in der Röhre gewesen zu sein, stellte ich mir das Ambiente dort ähnlich dem in Eupen vor.
Nun, es war nicht ganz so. Der alte Schlachthof in Eupen ist ein neues, sehr modernes Kulturzentrum, die Röhre in Moers dagegen wirkt auf mich mehr wie eine Uniteestube für Erwachsene.
Im Keller einer Kneipe ist der Konzertsaal untergebracht. Links und rechts an den Seiten sind Sitzplätze entlang der Wand, Kissen gegen einen kalten Po kann man sich am Eingang mitnehmen. Die Bühne steht am Kopfende des schlauchartigen Raumes (= Röhre). Man bekommt also Genickstarre vom Kopf zur Seite drehen, wenn man von den Sitzen aus zur Bühne schauen möchte. Der Raum ist vielleicht 5 mal 10 Meter groß. Die Röhre ist also eher klein. Die Klimaanlage läuft. Draußen sind es neun Grad. es ist ein schöner, gemütlicher ort. Überschaubar, unaufgeregt.
Das Publikum hier scheint ein Stammpublikum zu sein. Man kennt sich, man unterhält sich. Ich habe das Gefühl, dass ich skeptisch beäugt werde, als ich den Raum betrete. ‚Mh, ein Fremder‘, werden sie bestimmt denken.
Tatsächlich bin ich zum ersten Mal hier, gar zum ersten Mal in Moers.
‘So why are you here?‘ Steve Shelley stellt die Frage einem niederländischen Mann, der sich mit dem Musiker unterhält. Die Antwort bekomme ich nicht mit, ich überlege aber, was ich antworten würde. Vielleicht dieses: ‚Ich bin ein Steve Shelley Stalker. Immer, wenn du in meiner Nähe auf einer Bühne Schlagzeug spielt ist, bin ich auch da.‘
Das ist nicht gelogen und nicht böse oder gar als Drohung gemeint. Irgendwann musste ich feststellen, dass Steve Shelley der Musiker ist, den ich am häufigsten live gesehen habe. Es ist mehr als zwei Hände voll. Die Kombinationen waren dabei immer andere: mit Lee Ranaldo, Shellac, Thurston Moore, Disappears oder Sonic Youth auftritt. Doch jedes Mal gefiel mir das, was er macht. Als ich daher mitbekam, dass Steve Shelley zusammen mit Ernie Brooks und Matt Mottel unterwegs ist, wollte ich auch diese Kombination sehen.
Einen Bandnamen haben sich die drei nicht gegeben. Sie nennen sich einfach Ernie Brooks, Matt Mottel, Steve Shelley. Eine Platte gibt es noch nicht, am Merch kann man eine 3-Songs EP kaufen. Seit Sommer musizieren sie zusammen und spielen nun in Europa ihre ersten Livekonzerte. Aus dem Internet weiß ich, dass sie bei ihren Konzerten neben neuem, eigenem Material auch Songs der Modern Lovers spielen. Musikalisch bewegt sich das Trio damit im amerikanischen Indierock und Postrock. Ich erwartete somit einen unterhaltsamen Abend.
Live höre ich deutlich den Einfluss der Stammbands. Ich hatte vorher nicht groß Gelegenheit, in ihre eigenen Sachen reinzuhören, ich bin mir auch nicht sicher, ob es bei Bandcamp oder so etwas von ihnen gibt. Auf YouTube fand ich nur einen Albumteaser, der relativ nichtssagend ist, und ein paar live gespielte The Modern Lovers Coverversionen („The modern world“).
Obwohl außer dem Bass keine Gitarre gespielt wird, klingt es nach Gitarren. Matt Mottel spielt Keytar und es hört sich zeitweise wie eine E-Gitarre an. Neben eigenen Songs spielen Ernie Brooks, Matt Mottel, Steve Shelley auch in Moers Sachen aus ihren Bands. Zwei, drei Songs von The Modern Lovers – von Ernie Brooks immer angekündigt mit ‘Let’s go to Boston‘ – und das tolle „Hits of sunshine“ sind darunter. Und das hat mich umgehauen, weil ich nicht mit einem Sonic Youth Song gerechnet hatte. Es war das erste Mal, dass ich live einen Sonic Youth Song höre, den nicht Sonic Youth oder Thurston Moore spielen. Die Keytar klang sehr nach Sonic Youth’scher Gitarre und Matt Mottel kam dem Gesang von Thurston Moore sehr nahe. Bravo! Großartig! Wundervoll!
So baut sich das Konzert auf. Obwohl nur ungefähr 40 Leute in der Röhre sind, wovon vielleicht eine Handvoll genau wissen, wer da gerade auf der Bühne steht und sich über Modern Lovers Coversongs freuen, empfinde ich es stimmungsmässig als einen guten Abend. Die Band hat Lust und ihre Unaufgeregtheit färbt auf uns ab. Hier wirkt niemand verzweifelt, sei es, weil er die Band nicht kennt und nicht genau weiß, ob er das mag, was er hört, oder sei es, weil nur eine Handvoll Besucher wirklich den Eindruck vermitteln, sie seien wegen dem Konzert hier. Sowohl Besucher als auch Musiker sind routiniert und wissen mit ihrer jeweiligen Gefühlslage umzugehen.
Nach einer guten Stunde haben Ernie Brooks, Matt Mottel und Steve Shelley genug. Genug der eigenen Songs, genug der Coverversionen gespielt. Ihr Konzert endet mit dem Kracher „Misery“. Ob man den jemals auf Platte findet, ich habe keine Ahnung. Es ist die eigentliche Zugabe, die aber aufgrund der Tatsache, dass die Musiker keine Lust haben, die Bühne zu verlassen, einfach an das reguläre Set angehängt wird.
Dann geht das Licht an und alle drei stehen sofort im Saal und unterhalten sich mit den Besuchern. Ich bin sehr beeindruckt von diesem Abend. ‚Thank you for this wonderful evening‘, sage ich am Merchstand zu Matt Mottel und Steve Shelley, als ich die EP kaufe. Ich sage sonst nie etwas, an diesem Abend war es mir jedoch ein großes Anliegen.
Kontextkonzerte:
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