Ort: Cinema Walburg, Hamont
Vorband: Laurens van Waterloos
Hamont-Achel? Cinema Walburg? Auch ich habe bis vor 5 Tagen nichts von diesem Ort gewusst. Erst im Rahmen der fixen Idee, doch noch ein Pete Fij Konzert seiner Europatournee zu sehen, lernte ich Hamont-Achtal kennen. Hier sollte die letzte Gelegenheit sein, ihn auf dem Festland zu sehen. Hamont – der eine Ort der Doppelortschaft – liegt nahe der niederländischen Grenze im belgischen Limburg. (Achel übrigens auch.) Nicht weit weg, und doch weit weg von Vielem. 14000 Einwohner leben hier, eine Eisenbahnlinie verbindet den Ort mit Genk und Hasselt.
Da wir noch eine gute Stunde Zeit haben, beschließen wir, eine Frituur anzusteuern. Auf dem Spaziergang durch den Ortskern zählen wir mindestens drei Pommesbuden. Perfekt! Der Marktplatz ist schön, die Wohnstrassen ein bisschen spooky. Es gelingt uns, Frikandel und Fritten zu ordern. Die Pommes sind superb, perfekt zweifach frittiert.
‘Da sind Deutsche‘.
Mittlerweile sind wir im Kino und warten auf den Konzertbeginn. Ich muss an die belgische Krimiserie The Break denken, als wir in der kleinen Kneipe oberhalb des Kinosaals sitzen. Die Szenerie wirkt surreal. Gelsenkirchener Barocktheke, Holzstühle und zwei Tische. ‘Da sind Deutsche‘, sagt der Mann, der uns nach hier oben führte, als eine Frau erscheint. Vorher hat er auf unser Fragen hin Getränke gereicht. Kriek, nein, das haben wir nicht. Oh doch, steht auf der Karte, einem laminierten DIN A4 Zettel. Die Kasse sei aber noch nicht da.
Ja, wir sind früh, eine Viertelstunde vor der auf dem Ticket abgedruckten Einlasszeit. Das Cinema, das seine beste Zeit in den späten 1960er Jahren gehabt zu haben scheint, ist zu diesem Zeitpunkt noch leer, nur die beiden Betreiber sind da. Nach und nach kommen Einheimische. Man kennt sich, man unterhält sich lautstark. Wir, die wir am Tisch sitzen, werden irritiert bemustert. Kurze Zeit später tauchen zwei Frauen auf. Sie sehen so aus, als ob sie auch wie wir wegen Pete Fij nach Hamont gekommen sind.
Dann ist es irgendwann halb neun und wir dürfen in den Kinosaal. Anders als gedacht werden wir nicht zu den Kinosesseln geführt, sondern hinter den Vorhang auf die Bühne. Das Kino scheint auch gleichzeitig ein kleines Theater zu sein. Dort stehen ca. 50 Stühle und ein paar Tische. Die Bühne ist an diesem Abend also nicht nur Bühne sondern auch Zuschauerraum. Auf den Tischen stehen Nüsse und Oliven. Wir nehmen Platz und warten auf den Support. Laurens van Waterloos hat einiges zu erzählen. Da wir dem limburgisch-niederländischen nicht mächtig sind, verstehe ich nur zusammenhanglos einige seiner Geschichten. Es sind Alltagserzählungen. Gefühlt nimmt er sich dazu alle Zeit der Welt und so zieht sich sein Konzert auf eine gute Stunde. Laß‘ ihn dabei 10, 11 Songs gespielt haben. Hängengeblieben ist ein Stück über Sonic Youth im Stil von Sonic Youth. Thurston Moores Gesangstil und das typisch atonale Gitarrenspiel hat er gut studiert.
Pete Fijalkowski (so sein Name in Langform) war Sänger, Schreiber und Gitarrist der Band Adorable. Adorable waren eine 1990er Shoegaze Band, die über die Zeit von zwei Alben oder vier Jahren eine kurzzeitige Berühmtheit erlangten. Ich habe die Band in den 1990er Jahren nicht kennengelernt und höre daher Hits wie „Sunshine smile“ oder „Homeboy“ an diesem Abend zum ersten Mal. Auch sein zweites Bandprojekt Polak ist mir gänzlich unbekannt. In diesem spielte Pete Fij zusammen mit seinem Bruder. Da mag es wenig überraschend sein, dass ich auch seine Arbeiten mit Terry Bickers nicht kenne. Und mir überhaupt der Name Terry Bickers nicht geläufig ist. Im Gespräch erfahre ich erst, dass Terry Bickers der Gitarrist von The House of Love ist. Aber ich bin auch kein großer House of Love Fan, von daher ist alles in Ordnung. Abseits von „Hannah“ und „Beatles and the Stones“ kenne ich nichts. Ach, „Shine on“, das kenne ich natürlich auch!
Aber über all das werde ich an diesem Abend viele, sehr viele Geschichten hören. Über zwei Stunden spielt Pete Fij nicht nur Songs, sondern erzählt auch die dazugehörigen Geschichten. Wir erfahren viel aus seinem Leben, über seine Tätigkeiten in einem Altenheim, in dem er seit einigen Jahren dreimal die Woche arbeitet, und seine Familie. Natürlich werden auch Dönekes aus der Adorable und Polak Ära berichtet und ausführlich über das Musizieren mit Terry Bickers referiert. „Destroy The Heart“ von The House of Love hätte sein Leben verändert. Dies aber nur als Randnotiz.
Es gibt Menschen, die erzählen viel. An diesem Abend gehört Pete Fij zu diesen Menschen. Das kann nervig sein, hier ist es das überhaupt nicht. Alles ist sehr unterhaltsam und manchmal sehr traurig. Gerade seine Geschichten aus dem Altenheim regen zum Nachdenken an und treiben nicht nur dem Sänger Wasser in die Augen.
Zu Anfang und zum Ende des Konzertes lässt er uns an einer anderen Geschichte teilhaben: Der Midlife Crisis eines Musikers. Die besteht nicht darin, noch eben einen Audi TT Sportwagen zu kaufen, solange man noch unfallfrei ein- und aussteigen kann, sondern darin, nochmal die lang ersehnte Tournee zu machen.
Vor einigen Wochen feierte Pete Fij seinen 50. Geburtstag und damit, so der Musiker, begann für ihn die Zeit des Nachdenkens. Was habe ich erreicht, was habe ich noch vor mir, was möchte ich noch unbedingt machen? Zur letzten Frage gehörte unter anderem der folgende Punkt: Noch einmal eine Tour durch Europa. Und mit 50., so sagte er sich, mache ich das jetzt. Und so kam es, dass Pete Fij vor ein paar Wochen folgenden Tweet losließ, und sich anschließend auf den Weg machte. Paris, Berlin, Antwerpen, Köln, Hamont-Achal. Was auch immer ihn in die belgische Kleinstadt getrieben hat.
Folglich wird der Abend zu einer Retrospektive. Pete Fij spielt Songs aus seinem Musikerleben als Solokünstler, Sänger von Adorable und Polak sowie Songs, die er zusammen mit seinem großen Vorbild Terry Bickers komponiert hat. Und zwischen den Songs schwingt es in den Erzählungen immer irgendwie durch: mit 50 beginnt die Zeit des Nachdenkens. (Na ich bin in drei Jahren gespannt.)
Der Abend ist top, auch wenn die Oliven und Nussknabbereien von unseren Tischnachbarn aufgegessen werden. Manchmal sind es vielleicht ein, zwei Sätzchen zu viel, die Pete Fij ausschweift, aber grundsätzlich geht es schon in Ordnung. Es ist doch immer schön, Geschichten anderer Menschen zu hören; erst recht, wenn sie so unterhaltsam und ernst zu gleich vorgetragen werden. Überdies, und das bemerke ich bereits nach dem ersten Song „Out of time“, hat er wirklich klasse Songs. Es passt also zusammen: gute Geschichten, hervorragende Songs. Bravo!
„Rent“ ist auch mein liebstes Pet Shop Boys Lied. Pete Fij covert den Song, bevor er mit der zweiten Zugabe den Auftritt im Kino Walburg beendet. Was für ein großartiger Abend!
Setlist:
01: Out Of Time
02: Betty Ford
03: Houston
04: Saint
05: Submarine
06: Joyrider
07: Welcome to my world
08: Over you
09: Homeboy
10: Dumbstruck
11: Waking up
12: Sistine Chapel Ceiling
Zugabe:
13: Rent
14: A to fade in
Multimedia:
Kontextkonzerte:
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