Ort: DEPART, Kortrijk
Bands: Priests, Whispering Sons, Vivien Goldman, Cate le Bon, Thurston Moore Group, Tony Njoku, PVA, OMNI, Squid, Jessica Pratt, The Murder Capital, Deerhunter
Vor zwei Jahren wurde ich das erste Mal auf das Sonic City Festival aufmerksam. Seinerzeit kuratierte Thurston Moore das Lineup und sorgte unter anderem dafür, dass Sun Kil Moon hier eines ihrer seltenen Konzerte spielen sollten. Leider haderte ich zulange mit dem Ticketkauf und als ich mich entschloss, war das Festival ausverkauft. Da half es auch nichts, dass die Macher sich kurz vor Festivalbeginn entschlossen, das Festival aus dem Musikgebäude De Kreun in die größere Eventhalle auf der anderen Straßenseite zu verlegen. Zu schnell waren auch die so freigewordenen Ticketkapazitäten vergriffen. Vielleicht schreckte mich auch die Entfernung ein bisschen von einem Besuch ab. Kortrijk liegt immerhin an der belgisch-französischen Grenze, also ein gutes Stück entfernt.
Im letzten Jahr lockte das Sonic City mit einem komplett aus Musikerinnen bestehenden Programm. In Zeiten, in denen alle über die Initiative Keychange reden, eine mir bisher einmalig untergekommene konsequente Umsetzung. Doch ich hatte andere Termine und so war es an 2019, den Besuch des Sonic Festivals ernsthaft in Betracht zu ziehen. Angelockt von den Konzertankündigungen von Deerhunter, Fontaines D.C. (die allerdings kurzfristig ihren Auftritt absagten) und der Thurston Moore Group bauten wir einen Roadtrip um das Sonic City Wochenende in Kortrijk. Brügge und die Nordseeküste sind nicht weit entfernt, ein Besuch kam kurzerhand mit auf die Liste und machte den Ausflug zu einer runden Sache.
Samstagmittag trudeln wir in Kortrijk ein. Der Ort ist überschaubar groß, schnell entdecken wir das Stadtzentrum und, direkt neben dem Kortrijker Spaßbad, die Evenementenhal Depart, in der das Sonic City Festival stattfindet.
Priests. Die erste Band hat es naturgemäß für mich schwer auf einem Festival. Zu sehr bin ich damit beschäftigt, mich zu akklimatisieren: das meist zu straffe Bändchen am Handgelenk zurechtrücken, die Halle auf mich wirken zu lassen, die Merch- und Essstände zu sichten und insgesamt das gesamte Ambiente zu verarbeiten. Da geht die Musik anfangs unter und so gingen Priests ein bisschen unter. Hatte die Band eigentlich schon immer einen Gitarristen, oder verwechsle ich hier gerade etwas?
Das Sonic City Festival präsentiert sich als eines dieser typischen kleinen Indoorfestivals. Drei Bühnen, eine große Halle für vielleicht knapp 1000 Leute, ein kleiner Saal und ein Bühnenpodest in der ersten Etage über der großen Halle. Das wirkt alles sehr schön und angenehm. Untergebracht ist das alles in einem Hallenkomplex am Rande von Kortrijk, was aber immer noch bedeutet, dass man in 10 Minuten Fußmarsch vom Stadtzentrum vor Ort ist.
Whispering Sons aus Belgien sind die erste Band, die ich bewusst wahrnehme. Seitdem ich sie Anfang des Jahres auf dem – ebenso kleinen und feinen – Little Waves Festival gesehen habe, mag ich die Band und ihren leicht altmodischen 1980er Jahre Gothic-Rock-Indie-Sound. Independent, dieses längst vergangene Musikgenre trifft als Beschreibung am besten auf die Whispering Sons zu. Ihr Cure Bass ist phänomenal, der tiefe Gesang von Fenne Kuppens selbstredend. Musik, die an das Bochumer Zwischenfall erinnert. Live sind die Whispering Sons eine Wucht. Der Bühnenpräsenz der Sängerin kann sich kaum jemand entziehen. Mit verzweifelt-wütendem Gesichtsausdruck, ach was, ganzer Körpersprache, tigert sie über die Bühne, schaut mit trauriger, kalter Miene in die ersten Reihen um sich im nächsten Moment ganz in der Musik ihrer Kollegen zu verlieren. Ein großartiges Konzert.
1980er Jahre Punkikone. Zusammen mit Thurston Moore schlendert die Vivien Goldman Band vor ihrem Konzert über das Gelände. Ich denke, man kennt und schätzt sich aus früheren Tagen. Beide sind ja ungefähr eine Generation und verbindet kulturell bestimmt eine Menge. So finde ich es auch nicht überraschend, dass sich Thurston Moore der Vivien Goldman Auftritt aus nächster Nähe anschaut. Als ich mich irgendwann kurz umdrehe, steht der Schlaks hinter mir am Bühnenrand. Mit Vivien Goldman habe ich nicht so viel am Hut, das, was ich weiß, habe ich mir vor dem Festivaltrip angelesen. Zusammengefasst ist es das: Mitglied der britischen New Wave Band The flying Lizzard, eine Hälfte des Pariser Duos Chantage, Solokünstlerin und Musikjournalistin.
Im hier und jetzt steht sie mit Dunia Best und Max Hirtz Wolf auf der Bühne und performt höchstunterhaltend alte und neue Songs. Mit Resolutionary (Songs 1979-1982) hat sie just ihr erstes Album veröffentlicht. Okay, es ist nur eine Zusammenstellung ihrer Songs mit The flying Lizzard und Chantage, der Solosingle „Laundrette“ und „Private Armies“ von der 1981er EP Dirty washing, die sie auch an diesem Abend spielt. Die Textzettel fliegen nur so vom Notenständer, Vivien Goldman tanzt und lacht und hat großen Spaß. Darüber vergisst sie wohl etwas ihr Zeitmanagement, den viel zu früh beendet sie ihr Konzert, so dass sie nach ein paar Sekunden nochmals auf die Bühne kommen. ‘In the context of this concert you look like Andy Warhol to me.‘ Ich werde nach dem Auftritt von einem Belgier angesprochen und unterhalte mich kurz mit ihm. Mal abgesehen davon, dass Vivien Goldman nichts mit Andy Warhol zu tun hatte, sollte ich mal wieder zum Frisör gehen.
Cate le Bon. So recht erschließt sich mir ihre Musik nicht. Klar, da ist der Hit „Miami“ und auch „Home to you“ gefällt mir sehr, aber die anderen Sachen sind mir mitunter zäh und langatmig. Ich werde nicht hundertprozentig warm mit Cate le Bon. So erging es mir bei ihrem Primavera Konzert, so ergeht es mir in Kortrijk. Live passen wir einfach nicht zusammen, im Wohnzimmer funktioniert Cate le Bon mit Reward dagegen ganz hervorragend.
Es ist eigentlich wie immer mit der Thurston Moore Group. Gitarren, Gitarren, Gitarren. Das aufgebaute Mikrofon kommt nur einmal zum Einsatz. Zum Schluss, wenn Thurston Moore sich bei den Zuhörern bedankt, höre wir zum ersten Mal seine Stimme. Davor waren es für 80 Minuten Gitarren, Gitarren, Gitarren. Müsste ein Foto das Konzert beschreiben, wäre es dieses. Thurston Moore, James Sedwards und My Bloody Valentine’s Deb Googe (Bass) stehen mit dem Rücken zum Saal, ihre Gitarrenhälse liegen auf den Verstärkerboxen und sie machen alle irgendwas mit den Knöpfen und Saiten. Heraus kommen Feedbacks, kreischende Laute und anderes Gefiepe. Das toll und doch immer wieder aufs Neue dasselbe. Konzerte der Thurston Moore Group sind sehr vorhersehbar. Lässt man sich auf all die Gitarrenschichten ein, sind sie eine Supersache. Macht man es nicht, werden sie sehr schnell sehr langatmig. Ich für mich habe entschieden, dass ich das Moore’sche Gitarren Verliebtsein oft genug gesehen und gehört habe und nicht mehr jedes seiner Konzerte brauche. Ab und an, so wie jetzt in Kortrijk, ist es okay. Sehr okay. Mehr muss nicht. Vier oder fünf Songs spielt die Band, Klatschpausen gibt es vielleicht drei. Ich bin froh, dass sie nicht ihr aktuelles Album Spirit Counsel in Gänze gespielt haben. Denn wir wissen, es besteht aus drei CDs, auf denen zwar jeweils nur ein Stück ist, zwei davon mit einer Spielzeit von über einer Stunde jedoch enorm lang sind. Wie schreibt die Online-Spex:
Gitarrenyoga für Fortgeschrittene
Die britische Jugend entdeckt den Post Punk. Und sie haben eine neue Uniform: Hochwasserstoffhosen und weite Hemden. Modisch gefällt mir das nicht, musikalisch schon. Mal ganz abgesehen von den Fontaines D.C. und Black Midi, belegen das Shame, Squid, The Murder Capital und PVA auf dem diesjährigen Sonic City Festival in eindrucksvoller Art und Weise. Modisch wie musikalisch. Zackig, gitarrig, mal synthielastig, mal schreiend sind ihre Sounds mit vielerlei Anleihen an den Punk und Post Punk der frühen 1980er Jahre. Es macht Spaß, den neuen Bands zuzuschauen und ihre Entwicklung zu bestaunen. Mein Beispiel dafür ist The Murder Capital. Vor einem guten halben Jahr sah ich die Band zum ersten Mal. Beim Out of the crowd Festival in Esch-Alzette spielten sie am frühen Abend vor vielleicht 50 Leuten und wirkten nervös und schüchtern. Ich glaube, es war damals ihr erster Auftritt außerhalb der Insel und ihr Debütalbum war gerade veröffentlicht. Mittlerweile sind sie bühnenfest und agieren selbstsicher und mit der wissenden Gelassenheit, dass ihre Songs gemocht werden. Das endet nicht selten in wilden Gitarrenwänden, Stagediving des Sängers und anderen irren Dingen, die wir aus erhöhter Position beobachten können. Im Nachhinein eine gute und richtige Entscheidung, das Konzert nicht aus Reihe eins, sondern vom Oberrang aus zu beobachten.
Doch der Chronologie nach.
Der Sonntag beginnt mit frühstücken. Es herrscht Trubel am Frühstücksbuffet. Schnell merke ich, dass das Hotel auch Bandhotel ist. Der Typ von Deerhunter lungert lange im Frühstücksraum rum. Wir auch, wie sonst könnten wir das mitbekommen? Bradford Cox erkennt man auf den ersten Blick, viele andere erkenne ich erst als Musiker, als ich sie später auf einer der Bühnen wiedersehe.
Darunter auch den Gitarristen und Sänger von PVA. Ursprünglich war es mein Plan, mit den drei Jungspunden aus London den zweiten Tag musikalisch zu eröffnen. Da ich jedoch etwas früher unterwegs war, nehme ich Tony Njokus Auftritt mit. Um 14 Uhr ist der große Saal mehr leer als voll. Es ist schön, hier zu stehen. Ich mag die frühen Festivalstunden. Sie haben etwas verlassenes und Morbides und erinnern mich an die Nordseeküstenurlaubsorte im November, die wir in den letzten Tagen besucht haben. Ihr Ambiente wirkte genauso trostlos stimmungsvoll wie das des Festivalgeländes. Zu diesen Gedanken passt das DJ Set mit seinen teils sphärischen, teils triphop-esken Sounds. Ab und an singt Tony Njoku dazu ein paar Textzeilen. Ein gutes Konzert in diesem Augenblick.
The xx 10 Jahre weitergedacht. Erstmals geben PVA ein Konzert außerhalb Großbritanniens. Samples, Beats, Gitarre, Sprechgesang. Einiges erinnert mich an die ersten Konzerte von The xx. PVA sind musikalisch auf anderen Wegen unterwegs. Einen Bass haben sie nicht, dafür Synthiemelodien, die viel von „Faith healer“ besitzen. PVA sind Josh Baxter und Ella Harris. Die beiden wechseln sich an Gitarre und Keyboard ab und teilen sich die Gesangsparts. Unterstützt werden sie von einem Schlagzeuger.
Ein Album gibt es – glaub ich – noch nicht, auf ihrer Soundcloud Seite ist genau ein Track gelistet. Ich meine, die Band hat potential.
Ein weiterer wesentlicher Aspekt für den Besuch des Sonic City Festivals ist der Auftritt der Band OMNI aus Atalanta. OMNI sah ich vor einem Jahr erstmals und verfolge seitdem die Band mehr oder minder stetig auf den diversen sozialen Kanälen. Vor zwei Jahren vielen sie mir durch ihren zackigen, mich an Televison oder die Talking Heads erinnernden Post Punk auf. Ihr aktuelles Album Networker wird in den USA als eines der wichtigsten Alben des Jahres angesehen, ein weiterer Meilenstein. Es ist ihr drittes Album und wie die beiden zuvor hat es mit 30 Minuten eine übersichtliche Spielzeit. Empfehlen möchte ich nach wie vor jedem ihr ZZ Top Cover „Manic mechanic“. Das ist großartig, genauso wie ihre neue Platte.
Setlist OMNI:
01: Southbound Station
02: Afterlife
03: Sincerely yours
04: Earrings
05: Skeleton key
06: Type
07: Moat
08: Delicacy
09: Present tense
10: After dinner
11: Equestrian
12: Courtesy call
13: Wire
Squid. Ich kannte die Band vorher nicht und ich schliddere in ihren Auftritt. Meine Spontanassoziation, die mich quasi zum Bleiben zwingt, ist die: das ist eine Mischung aus King Krule und Shame. Toll. Geschrei und Trompete passen gut zusammen.
Jessica Pratt. Dieses Konzert schlägt aus dem Rahmen. Zum ersten Mal sehe ich auf dem Sonic City eine nicht gitarrenlastige oder Post Punk Band. Stattdessen stehe ich vor der knallvollen kleinen Podestbühne und lausche sanftem, ruhigen Säuselgesang. Jessica Pratt und ihr musikalischer Begleiter an den Keyboards, die, wie sie uns erzählen, aufgrund eines ‘navigation errors‘ erst kurz vor Konzertbeginn Kortrijk erreichten und ‘the fastet movement from out of the bus to going on stage‘ gewältigt haben, entschleunigen mich für eine gute Stunde. Vergessen und weit entfernt sind alle anderen Bands, die ich in den letzten Stunden gehört habe. Hier herrscht, trotz regen Durchgangsverkehrs zur Bar und zurück, eine nahezu andächtige Ruhe. Folk und Indiesingersongwritertum. Akustikgitarre und Keyboard. Quiet Signs, so ihr aktuelles Album, hat den passenden Titel dazu. Manchmal erinnert mich ihr Gesang an Karen Carpenter.
Deerhunter sind die Indie-Wilco. Diese Band wird gnadenlos unterschätzt. Auch von mir. Vor den Tagen des Festivals hatte ich darüber nachgedacht, ob Deerhunter in den eher Post Punk orientierten Bandreigen um The Murder Capital, Squid und Shame, OMNI reinpassen. Nach den knapp 90 Minuten Konzert denke ich, ‘warum vorher diese Zweifel?‘ Brandon Cox und Co brennen ein elegisches Indierockfeierwerk ab, das viele mit offenen Mündern im Saal zurücklässt.
Setlist Deerhunter:
01: Death in midsummer
02: No one’s sleeping
03: What happens to people?
04: Revival
05: Desire lines
06: Sailing
07: Take care
08: Futurism
09: Plains
10: Coronado
11: Nocturne
12: Agoraphobia
13: He would have laughed
Abfahrt am Montag. Ein tolles Wochenende in der unspektakulären Kleinstadt Kortrijk nahe der französischen Grenze geht zuende. Am Frühstücksbuffet ein letztes Band watching: Omelette mit OMNI.
Seit drei Jahren beobachte ich nun das Sonic City Festival. Ich habe selten so stimmige und wohl bedacht zusammengestellte Lineups bei einem Festival gesehen wie hier. Wenn in diesem Jahr das übergeordnete Motto des Sonic City Post Punk gewesen sein soll, ist den Veranstalter die Umsetzung wahnsinnig gut gelungen. Sie haben alte Helden und neue, junge Bands aus dem erweiterten Post-Punk Umfeld zu einer schönen Festivaleinheit zusammengebracht und mit der Auswahl der drei Headliner das Motto nicht gänzlich außen vor gelassen. Es war alles passend, ich sehe keinen einzigen Kritikpunkt. Und da das Festival in Belgien stattfand, ist es müßig über die Konzertlocation zu reden. Die ist logischerweise gnadenlos gut.
Nach diesen zwei Tagen werde ich den Eindruck nicht los, dass ich hier nochmal hierhin zurückkommen werde.
Kontextkonzerte:
Whispering Sons – Little Waves Festival Genk, 13.04.2019
OMNI – Absolutely free Festival Genk, 04.08.2018
Deerhunter – Primavera Sound Festival Barcelona, 25.05.2013
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