Ein Samstag im Kino. Ich bin beileibe kein Cineast; Geknabbere und Knistern in meinem Nacken sowie im Dunkeln unmotiviert aufleuchtende Handydisplays sind nicht meins. Nur ab und an schaffe ich es, ein Kino zu besuchen. Das letzte Mal war das vor einem knappen Jahr, ich war auf einer Dienstreise und mir war am Abend langweilig.
Das Filmfestival im Kölner Filmpalast registrierte ich folgerichtig nur aus den Augenwinkeln. Gefühlt sind in Köln andauernd Filmfestivals, da fallen mir diese Festivalankündigungen in der Wochenbeilage der Zeitung nicht sonderlich auf. Meist überfliege ich nur die Überschriften und bleibe nirgends länger hängen. Hier stutzte ich aber, als ich eine Filmüberschrift mit dem Titel Freak Scene, a story of Dinosaur Jr. las. Mhh, ist es das, was ich glaube, dass es das ist? Ein Film über eine meiner Lieblingsbands? Ich las das Kleingedruckte unter dem titel und tatsächlich, der Film ist eine Dokumentation über die Band Dinosaur Jr..
Das weckte mein Interesse und da es Filmfestival heißt, buchten wir schnell noch einen Film für die Nachmittagsvorstellung. Bei einem Festival sollte man ja mehr als einen Künstler, bzw. hier Film, sehen. City Hall, so der Titel. Ich mag Dokumentationen und eine Langzeitstudie über die Stadtverwaltung Bostons klingt recht unterhaltsam. Rasch lagen zwei weitere Tickets im Warenkorb. Erst als es zu spät war, bemerkte ich die Spielzeit der Dokumentation: Viereinhalb Stunden. Das ist lang. So wurde es wortwörtlich ein Samstag im Kino.

Als nach sieben Stunden für uns der zweite Abspann an diesem Samstag läuft, stutzen wir kurz. Luisa, die Ehefrau von J. Mascis, heisst mit Nachnamen Reichenheim. Genauso wie der Filmregisseur. Ist das ein Zufall? Nein, das kann nicht sein. Das wäre sehr zufällig. Im nachfolgenden Gespräch mit dem Moderator kommt ganz schnell die Auflösung. Ein Teil der Familie sei auch anwesend, so der Regisseur Philipp Reichenheim, seine Schwester Luisa sei extra zur Premiere angereist.
Philipp Reichenheim ist der Schwager von J. Mascis und damit, wie der Moderator anmerkte, sei er ja quasi ein embedded Regisseur gewesen. Ah, das erklärt uns den ein oder anderen tieferen Einblick in die Welt von J. Mascis und Dinosaur Jr.. Dass wir just einer Weltpremiere beiwohnten, erfuhren wir auch erst jetzt.

Freak Scene, a story of Dinosaur Jr..

Ich mag Dinsoaur Jr. und so kam dieser Film in der konzertlosen Zeit quasi einem Pflichtprogramm für mich gleich. 80 Minuten lang warf er uns zurück in die 1990er Jahre und in den Alternative Rock. Natürlich erzählt er die Geschichte von Dinosaur Jr., aber darüber hinaus erzählt er auch ein bisschen die Geschichte des nordamerikanischen Punk/Gitarrenrocks zwischen 1983 und 1995, die Dinosaur Jr. maßgebend mitbestimmt haben. Er zeigt Verbindungen auf und erläutert Zusammenhänge. Was haben zum Beispiel Henry Rollins und Sonic Youth mit Dinosaur Jr. zu tun? Antworten gibt’s im Film.
Wir sehen lange nicht gesehene Videoschnipsel und Filmszenen mit und von den üblichen Verdächtigen: Henry Rollins, Kim Gordon, Thurston Moore, der Typ vom CBGBs, Bob Mould. Es sind die, die immer in Musikdokumentationen auftauchen, wenn es um amerikanische Indiepunkrockmusik der späten 1980er und frühern 1990er Jahre geht.

Ich entdeckte die Band – wie sicher fast alle – mit „Freak Scene“, dem Hit, den Ende der 1980er Jahre wirklich alle gut fanden, und ihrem The Cure Cover „Just like heaven“. ‘I like the Cure‘ wie J. Mascis im Film nur lapidar erwähnt, als er auf das Cover angesprochen wird.
Irgendwann in den 1990er Jahren sah ich Dinosaur Jr. zum ersten Mal. Ich weiß nicht mehr genau, wann und wo. Gut erinnern kann ich mich allerdings an das Konzert im E-Werk mit Atari Teenage Riot im Vorprogramm. Meine Erinnerungen sind deswegen so präsent, weil es eines der ersten Konzerte war, bei dem auch ich nicht ganz einverstanden mit der Vorband war. Wieso spielt eine Technopunk Band vor Dinosaur Jr.? Und warum kumpelt der Sänger – dem die Unaufmerksamkeit (höflich ausgedrückt) des Publikums nicht verborgen blieb – mit J. Mascis rum? ‘Egal was ihr denkt, aber J. und ich sind gute Freunde.‘ Ich tat das damals als Unsinn ab, wie könne das auch sein.
Jahre später werde ich im Kino 3 des Filmpalastes eines Besseren belehrt. Alec Empire und J. Mascis lernten sich über Luisa und Philipp Reichenheim kennen. Dieser war (oder ist) ein guter Freund des Regisseurs und so kam es, dass Atari Teenage Riot im Vorprogramm von Dinosaur Jr. spielten.

Ich hoffe, der Film geht im nächsten Jahr ins reguläre Kinoprogramm. Er hätte es verdient; es ist ein toller Film. Just like heaven.

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