Ort: C-Mine, Genk
Bands: Isbells, Pinegrove, Marissa Nadler, Sam Amidon, Niklas Paschburg

Little waves,Marissa Nadler,Konzertbericht,Review

Im letzten Jahr lernte ich das Little Waves Festival in Genk erstmals kennen. Unser Grund, die 100 Kilometer in die belgische Kleinstadt zu fahren, war der Solo- und Akustikauftritt der beiden Mercury Rev’er Sean „Grasshopper“ Mackowiak und Jonathan Donahue, der mich im Nachhinein sehr verzaubert zurückließ.
Aber ganz abgesehen von dem Auftritt überzeugte mich das Little Waves mit seinem Veranstaltungsort und seiner wohl durchdachten und unaufgeregten Organisation. Im C-Mine Kulturzentrum, einer ehemaligen Zechenanlage ähnlich der Zeche Zollverein in Essen, wurden drei Säle unterschiedlicher Größe bespielt. Mercury Rev zum Beispiel traten in einem Theatersaal mit enorm bequemen Sitzplätzen auf, andere Bands spielten in einer kleinen Konzerthalle oder in einem angrenzenden Raum. Es war ein guter Samstagabend Ausflug und ja, schon damals plante ich, wieder herzukommen. Gedacht, getan.

In diesem Jahr besorgte ich mir direkt ein early bird Ticket für das Little Waves 2019 Festival. Obwohl noch keine Band bekanntgegeben wurde, hatte ich nie das Gefühl, dass ich die Investition bereuen würde. Und für die 20 Euro kann man auch nichts falsch machen! Als dann Marissa Nadler als erste Künstlerin vermeldet wurde, war eigentlich schon alles gut. Marissa Nadler, die sieht man nicht oft und ich hatte sie schon länger nicht mehr live erlebt. Toll! Das passte. Ich hoffte, ihr Konzert würde im Theatersaal stattfinden. Dass es dann so kam, war – wie sich herausstellt – nicht nur ein Segen.

Später kamen die belgischen Whispering Sons als Headliner dazu und allein durch diese beiden Ankündigungen wurde das Little Waves 2019 nicht nur gut, sondern ein besseres Festival. Ein bisschen schmerzte zwar die Absage von Ryley Walker, sie fiel für mich aber nicht so stark ins Gewicht, dass ich arg verärgert sein musste.
Stattdessen freute ich mich auf die Fahrt nach Genk, auf wieder einmal belgische Friet und auf die Konzerte in der schönen C-Mine.
Mein Plan war folgender: Ich wollte mit den belgischen Isbells am frühen Abend starten, um mich dann über Marissa Nadler, Sam Amidon oder Pinegrove, Niklas Paschburg und Whispering Sons durch den Abend zu hangeln. Ausgerichtet war mein Plan dabei auf den Auftritt von Marissa Nadler, den ich nicht nur auf gar keinen Fall verpassen wollte, sondern auch unbedingt in voller Ruhe und Aufmerksamkeit genießen wollte. Um ihn rankte sich sozusagen meine gesamte Organisation.

Isbells

Nachdem mich die Isbells im Theater eine gute halbe Stunde unterhalten hatten, blieb ich für die Umbaupause von 40 Minuten einfach sitzen. Draußen war es kalt und ungemütlich und in einen anderen Saal wechseln wollte ich für die wenigen Minuten nicht. So wartete ich einfach und sah Marissa Nadler dabei zu, wie sie ihre Gitarren stimmte und die beiden Mikrofone checkte. Als Soundtrack läuft „Ghosts“ und „Pop Song“ von David Sylvian. Ich bemerke das, weil ich durch die anfänglichen Synthie Plingplings in „Ghosts“ aus meinen Gedanken gerissen werde und mir dann bewusst wird, wie schön dieser Song in ein abgedunkeltes und nahezu leeres Theater passt.

Liedjes von Tristesse.

So kündigt die Conférencieuse die Amerikanerin an. Und das stimmt natürlich. Über mittlerweile eine Vielzahl von Alben, von denen ich nur July und Strangers besser kenne, hat sie diesen traurig melodiösen Sound entwickelt, der allein mit der Gitarre vorgetragen eine so zauberhaft schöne Wirkung entfachen kann, dass er einen nicht mehr loslässt. Also mir geht es zumindest so.
Doch an diesen Abend stimmt irgendwas nicht. Marissa Nadler wirkt verzweifelt, vielleicht sogar genervt. Erst ist das Licht, das für Ihren Geschmack viel zu stark und viel zu hell die Bühne ausleuchtet. Ein erster, zarter Versuch der Kontaktaufnahme mit dem Lichtmann und die Bitte, die Scheinwerfer zu dimmen, bringt erst nichts und Marissa Nadler muss kopfschüttelnd und immer wieder die Hand vor die Augen haltend und sich vom Bühnenrand wegdrehend noch einen weiteren Song spielen, bevor das Licht endlich gedimmt wird. Ab diesem Moment ist ihr der Konzertfaden deutlich verloren gegangen. Sie verliert sich im Stimmen ihrer Gitarre, wirkt von Sekunde zu Sekunde unsicherer, murmelt etwas über die viel zu große Bühne, die sie alleine gar nicht ausfüllen kann (und mag) und von einer insgesamt aus ihrer Sicht spooky Atmosphäre. Ob all das hinten im Saal auch so ankommt, weiss ich nicht. Die ersten Reihen sprechen ihre Zustimmung aus, applaudieren nach den Songs noch stärker und geben aufmunternde Kommentare. Doch es nützt nichts. Das ganze Dilemma wird an einer Szene deutlich: Nach einem Song stöpselt sie erst ihre Gitarre aus, weiß dann nicht wohin mit dem Kabelende und bewegt es hinter ihrem Rücken von der linken in die rechte Hand und zurück, bückt sich zu ihren Pedalen, stößt sich beim Aufrichten am Mikrofon den Kopf um dann die Gitarre doch wieder einzustöpseln. Den nachfolgenden Song muss sie abbrechen, weil sie einen Griff nicht hinbekommt. Die leider einer Künstlerin. Der Applaus nach dem Ersatzsong ist grenzenlos und lässt Marissa Nadler kurz lächeln.
Das Publikum ist aufmerksam und feinfühlig, es trägt am Unwohlsein keine Schuld. Was also bewegt Marissa Nadler? Ich habe zu jeder Sekunde die Befürchtung, dass sie augenblicklich das Konzert abbrechen würde. Doch sie hält tapfer bis zum Ende durch und verschwindet erst nach dem letzten Gitarrenton schnellstmöglich von der Bühne. Dieser Auftritt hat ihr sicherlich keinen Spaß macht.
Der Applaus hallt noch lange nach.

Sam Amidon

Nach diesem sehr bewegenden Konzert war der Abend gegessen. Ich hätte nach Hause fahren können, bleibe aber, um mir Sam Amidon und die Whispering Sons anzusehen. Erst nach ein paar Minuten Ruhe und einem Gang über das Gelände der C-Mine kann ich mich auf die beiden weiteren Konzerte einlassen.

Whispering Sons

Definitiv im Gedächtnis bleiben wird mir die unendliche starke Bühnenpräsenz der Whispering Sons Sängerin Fenne Kuppens. ‘Just dance like Joy Division‘ ist ein Song der Wombats. Die Aussage kann ich mühelos auf die Whispering Sons übertragen. Post-Punk im klassischen Sinn mit einer großen Portion Joy Division, kurz zusammengefasst ist es das, was ich auf der Hauptbühne des Little Waves sehe. Bei uns läuft die belgische Band noch ein bisschen unter dem Radar, doch das wird sich sicherlich ändern. Spätestens, wenn sie im Sommer ein paar open airs spielen, und so einem breiteren Publikum bekannt werden. (Ich weiss jedoch gar nicht, ob sie das machen werden.) Live haben mich die Whispering Sons voll überzeugt. Die muss ich nochmal sehen!

Das gilt auch für den Musiker Niklas Paschburg. Auf dem Rückweg nehme ich ein paar Sequenzen seiner ambient-elektro-dance Gemengelage mit. Es klingt so spannend und schön, wie ich es von seinem Konzert im Luxor in Erinnerung hatte. Seinerzeit eröffnete er vor Blonde Redhead und sein Set gefiel mir ausgesprochen gut. So wie an diesem Abend auch.

Kontextkonzerte:
Little Waves Festival – Genk, 14.04.2018

Dieser Beitrag hat 5 Kommentare

Schreibe einen Kommentar