Ort: Nieuwe Nor, Heerlen
Vorband: Waltari

Dog Eat Dog

Um 15 Uhr hänge ich immer noch im IKEA fest. Vielleicht war es doch keine so gute Idee, den IKEA in Heerlen aufzusuchen. Der Parkplatz ist voll. Logisch, das Gewerbezentrum in Heerlen-Noord ist auch zu einladend, um dort nicht seinen Sonntagnachmittag zu verbringen. Wohnboulevard nennt man das wohl, wenn sich mehre Möbelhäuser an einer Strasse konzentrieren. In Heerlen-Noord ist so einer: IKEA, irgendein Ledersofaladen und ein Inneneinrichtungszentrum erblicke ich beim Durchfahren des Areals direkt. Da ist aber noch mehr.
‘Die Vorbands verpasse ich nun‘, denke ich, als ich an der Kasse stehe und den Einkaufswagen einen Meter weiter nach vorne schiebe. Mein date with IKEA dauert noch an.

Musik.
In den frühen 1990er Jahren hatte ich eine sehr intensive Crossover Phase. Crossover nennt man den Musikstil, der die Verschmelzung verschiedener Musikgenres, hier insbesondere die des Punks mit Funk und Rock-/Metalelementen, beinhaltet. Urban Dance Squad, Living Colour, Faith no More und die Red Hot Chili Peppers hörte ich laut und oft. Auf meinen Kassettensamplern waren Crossoverbands das Verbindungselement schlechthin; es durfte kein Song von mindestens einer dieser Bands fehlen. Sie funktionierten gut als Übergänge zwischen Keziah Jones, Guru’s Jazzmatazz oder Terence Trent D’Arby und Sonic Youth, Bad Religion oder den Pixies. Dog Eat Dog boten sich da in vielerlei Hinsicht an. Ihr Sound war etwas poppiger, und das Saxophon in ihren Songs war ein perfekter Transmitter.
Der Soundtrack zu Judgement Nights ist der heimliche Star des Crossovers. Ich empfehle jedem, der sich in den beiden Welten auch nur annähernd heimisch fühlt, da mal reinzuhören. Hier spielen Kombinationen wie Teenage Fanclub und De La Soul oder Dinosaur Jr. und Del Tha Funky Homosapiens. Das Album ist einer meiner liebsten Soundtracks, den Film kenne ich dagegen – glaub‘ ich – nicht.
Ja, ich kannte mich ein bisschen aus. Ich hörte die Freakin Fuckin Weirdoz, fand Such a Surge gut und mochte „U stink but I love you“ von Mucky Pup und „So fine“ von Waltari.

Waltari werde ich an diesem Nachmittag nicht sehen. Die finnische Band startet ihr Konzert bereits um 15.30 Uhr, das schaffe ich nun nicht mehr. Es ist mir ein wenig egal, denn mein ursprünglicher Plan war es eh, erst zu Dog Eat Dog ins Nieuwe Nor zu gehen. Vorher war mir mehr nach Schweden als nach Finnland. Auch, weil ich neben „So fine“ nichts von Waltari kenne.

Es geht eng zu auf der Bühne. Der Schlagzeugaufbau nimmt enorm viel Platz in Anspruch, so dass vorne für die beiden Gitarristen nur wenig Raum bleibt. Hinten links platziert sich das Saxophon, vorne im rechten Bereich das Soundpult. Sänger John Connor hockt auf einem Schemel, daneben steht ein halbvoller Kasten Wasser. Eine der leeren Ausbuchtungen dient als Halterung für seine Krücke. Wann hat sich der Sänger verletzt? Gestern Abend? Vor ein paar Konzerten? Er verrät es an diesem Nachmittag nicht. Das war bestimmt schon Gesprächsthema am gestrigen Abend. Denn das hier, ist Konzert Nr. 2 im Nieuwe Nor. Die Abschlussparty zur Tour, das Zusatzkonzert zum Abend davor und gleichzeitig das letzte Konzert der All Boro Kings 25 Year Anniversary European Tour 2019. Entsprechend euphorisch sind Band und Publikum. Wahrscheinlich bin ich der einzige im Saal, der gestern Abend nicht da war. So kommt es mir zumindest vor. ‘Good to see you again‘, ‘Saw you yesterday‘ sind häufig gehörte Sätze, die von der Bühne aus in Richtung einzelner Leute im Publikum fallen.

Habe ich Dog Eat Dog schon live gesehen? Über viele meiner Konzertbesuche in den 1990er Jahren liegt ein Schatten des Vergessens. Buch geführt habe ich nie, Tickets nicht immer aufbewahrt. So bin ich mir nicht sicher, ob mir die Band um Sänger John Connor nicht schon einmal über den Weg gelaufen ist. Möglich wäre es, „Isms“, „No fronts“, „If these are good times“ waren in den 1990er Jahren kurzzeitig kleine Lieblingslieder von mir.

All Boro Kings wurde 1994 veröffentlicht. Da ist es logisch, eine 25-jährige Geburtstagstour zu veranstalten und das komplette Album live zu spielen. Im Rahmen der All Boro Kings 25 Year Anniversary Tour wurden zwei Termine in Heerlen angesetzt. Samstagabend – der Termin landete lose in meiner Veranstaltungsvorschau – und, als der schnell ausverkauft war, auch noch einer am Sonntag. Ernsthafte Gedanken darüber, dort hin zu fahren, machte ich mir jedoch nicht. Es wäre vermessen zu behaupten, All Boro Kings gehöre zu meinen TOP 10 Alben und ich kenne die Songs in- und auswendig. Beides stimmt nicht. Ich kenne das, was alle kennen: „No fronts“ und „If these are good times“ (das mit dem schönen Saxofon Intro). Daher dachte ich: Crossover, Dog Eat Dog, das ist doch 2019 nur noch nett für 10 Minuten. ‘Lohnt sich nicht‘, so mein Urteil.
‘Lohnt sich vielleicht doch‘, dachte ich später, als mir klar wurde, dass das schon länger angekündigte Zusatzkonzert am Sonntagnachmittag stattfinden sollte. 14.00 bis 19.00 Uhr, so die Zeitangaben im Facebook-Event. Dog Eat Dog sind für 16.45 Uhr angesetzt, was wiederum bedeutet, dass ich zum Tatort wieder zuhause wäre. (Anmerkung: Den Zeitankündigungen von niederländischen, belgischen und luxemburgischen Klubs – die übrigens ohne Nachfrage am Nachmittag des Konzertes im FB-Event gepostet werden! – kann man trauen und sich darauf verlassen.) Und vorher könnte ich noch bei IKEA vorbei. Die zwei-Fliegen-mit-einer-Klappe Theorie ging auf; mein Plan war damit geschmiedet.

Da das Album nur eine Spielzeit von 35 Minuten aufweist, bleibt Zeit für andere Konzert-Dönekes. So spielen Dog Eat Dog ein paar Coverversionen (vom Wu-Tang Clan und „Just another victim“ vom Judgement Nights Soundtrack), zu denen Musiker der vorher aufgetretenen Waltari und Fights & Fires auf die Bühne geladen werden. Es gibt ein paar Geschichten aus den good old 90s, es gibt Konfetti, es gibt Stagediving. Ihr Tourmanager hält eine längere Ansprache und zu „No fronts“ werden die jüngsten Fans im Saal zum Mitsingen auf die Bühne gehievt. Songs der anderen Alben Play Games und Amp („Rocky“, „Isms“, „Step right in“) sowie zwei, drei neue Sachen („Vibe Cartel“) von der letzten, 2017 veröffentlichten EP Brand new bree komplettieren die Setlist.
Dabei entpuppen sich Dog Eat Dog auf der Bühne als gute Entertainer. Dass Sänger John Connor mit einem verbundenen linken Unterschenkel auf einem Hocker sitzend das Konzert bestreiten muss, tut der Stimmung und dem wilden Rumgehüpfe keinen Abbruch. Mehr als einmal fliegt die Krücke aus dem zum Halter umfunktionierten Wasserkasten.
Es ist das letzte Konzert der Tour, entsprechend ausgelassen lustig ist die Stimmung. Ich merke, dass den Bands die zwei Tage in Heerlen Spaß gemacht haben. Die Laune ist top, oft wird vom letzten Abend in der Bar und der guten Chemie zu den Waltari Leuten geschwärmt. Es ist ein bisschen so wie die letzte Fete, bevor man auseinander geht. Wann das genau der Fall ist, weiß ich nicht. Nach anderthalb Stunden verlasse ich das Nieuwe Nor. Es war schön, es war alles in allem ein unterhaltsamer Sonntagnachmittag. Aber jetzt reicht es auch. Genug Crossover, genug IKEA.

So richtige Vorstellungen über den Nachmittag hatte ich vorher nicht. Ich wollte mich überraschen lassen. Wenn es blöd sein würde, könnte ich ja einfach immer noch gehen. Der Ticketpreis schrie nicht nach Durchhalteparolen und durch den Nachmittagstermin sollte der Ausflug auch ohne Auswirkungen auf den nächsten Arbeitstag bleiben. Also alles völlig unkritisch. Doch es wurde nicht blöd, ich wurde positiv überrascht. Ich hätte nie gedacht, dass das Konzert so grundsympathisch rüberkommt. Dog Eat Dog’s Auftritt war komplett ohne Allüren und wirkte bodenständig-ehrlich. Die erste Reihe wurde per Handschlag begrüßt und das ansteckende Lachen und den fröhlichen Gesichtsausdruck vom Bassisten Dave Neabore werde ich so schnell nicht vergessen.

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