Ort: Kulturfabrik, Esch-sur-Alzette
Bands: Town Portal, The Murder Capital, Lysistrata, Built to spill, BEAK>

The Murder Capital

Irre ich oder tauchten in den letzten Jahren wieder vermehrt Ein-Tages-Festivals auf? Das Sirene’s call in Luxemburg, das – dieses Jahr pausierende – Crosslinx Festival in Eindhoven, das Little waves in Genk oder das Geelen calling Festival in, eben, Geelen.
Auch das Out of the crowd Festival in Esch ist so ein Festival, das für einen Tag lang einen Klub beziehungsweise einen Veranstaltungsort in ein kleines Festivalgelände verwandelt. Der Vorteil solcher Veranstaltungen liegt dabei klar auf Hand: übersichtlich, meist überdacht und zeitlich so komprimiert, dass ohne große Planungen und/oder Gepäck packen ein Besuch eingerichtet werden kann. Interessanterweise befinden sich all die von mir aufgezählten Festivals in Benelux. ‘Nachtigall ick hör dir trapsen‘ mag derjenige denken, der meinen letzten Post gelesen hat, aber ich vermeide jetzt die erneute Lobhudelei auf Konzertorte in unseren Nachbarländern.

Das Out of the crowd Festival in Esch ist ein besonderes Festival. Thematisch ist es, wenn ich mir das Programm der letzten Jahre so anschaue, eher den lauten Gitarren zugewandt und in seiner Bandauswahl dahin ausgerichtet. Im letzten Jahr zum Beispiel führten Metz und Motorpsycho das Lineup an. Die Macher beschränken sich darauf, eine Zielgruppe zwischen Noise-, Post- und Math-Rock anzusprechen. Damit weiß man als Besucher ganz klar, was man zu erwarten hat, oder was man erwarten kann, den größtenteils spielen hier bands, deren Namen nicht wirklich bekannt sind. Also mir zumindest nicht. Oder wem sagen Town Portal, Peter Kernel, Lysistrata oder The Murder Capital mehr als nur ein ‘hab ich letztens mal was von gelesen‘? Mir nicht.

Ort des Geschehens ist die Kulturfabrik, ein Gebäudekomplex direkt an der Hauptstraße des Ortes Esch. Ich bin zum ersten Mal in dieser Gegend, Esch scheint ein kleines Industriestädtchen zu sein. Viel sehe ich aber nicht von der Stadt, denn von der Autobahn kommend ist ein Verfahren schier unmöglich und damit eine unfreiwillige Stadtrandfahrt ausgeschlossen. Und für eine freiwillige Besichtigung bleibt mir einfach zu wenig Zeit. Ich hatte scheinbar bei der Fahrt durch die Eifel ein bisschen getrödelt, und um meinen Plan umzusetzen, mit den dänischen Band Town Portal in das Festival zu starten, musste ich direkt ins Kulturzentrum. So bleibt nur ein kurzer Blick über den Supermarktparkplatz, auf dem scheinbar auch alle anderen Festivalteilnehmer ihr Auto parken.

Zwei Konzerträume, direkt nebeneinander liegend. Hier wird das Out of the crowd Festival also stattfinden. Auf dem Innenhof der Kulturfabrik ergänzen drei Verpflegungsstände die Szenerie. Das wirkt auf mich überschaubar und sofort sympathisch.
Organisatorisch läuft das Ganze so ab: Ist die Musik in dem einen Saal vorbei, steht Minuten später ein Konzert im zweiten Saal an. Es ist also ein nonstop Programm, das auf mich einprasselt. Zeit zum Durchschnaufen und Essen bleibt eigentlich nur, wenn ich eine Band auslasse. Ich entscheide mich, mir meine Pause bei Peter Kernel zu gönnen, also zwischen den Auftritten von Built to Spill und BEAK>.
Das funktioniert gut und ich habe zu keiner Zeit das Gefühl, gelangweilt rumzustehen. Das ist mitunter das größte Manko, wenn man alleine ein Festival besucht.  Manchmal stört nur der Soundcheck, wenn die Band, die gerade ein Konzert spielt, ihre Gitarren stimmt oder sich an einer leiseren Ballade versucht. Obwohl, Balladen höre ich an diesem Abend eher selten. Denn wie erwähnt, dass Ootc ist für krachige und laute Bands bekannt.
Jetzt mag man fragen, warum dann BEAK> in der Bandliste auftauchen. Auch ich stelle mir diese Frage. So 100%ig passen BEAK> nicht ins Bandkonzept, finde ich. Vielleicht dürfen sie auch deswegen erst um 23 Uhr ran, als letzte Band, wenn im Nebensaal kein Soundcheck mehr notwendig ist und das Konzert stören können. BEAK> werden die ruhigste Band des Abends.

Town Portal

Wie erwähnt, ich starte mit der dänischen Band Town Portal. Das Video versprach Mathrock, das wurde es aber nicht so ganz. Vierzig Minuten lang ballerten mir die Gitarren um die Ohren, ohne Gesang, ohne viel Heck meck. Town Portal klingen sehr gut.

The Murder Capital. Wie es der Teufel will bekam ich tags zuvor eine dieser Promomails, in der mir just The Murder Capital nahegelegt wurden.

The Murder Capital beendeten 2018 mit einem bemerkenswerten Standing: Eine Band, allerorts empfohlen, ohne auch nur einen einzigen Song veröffentlicht zu haben. In einer Zeit, in der Leute und Bands standardmäßig zu viel von sich preisgeben, machten es The Murder Capital entgegengesetzt. Du möchtest etwas über sie herausfinden? Geh zu einem ihrer Konzerte und sieh selbst. Wenn du noch reinkommst. Mit ihrem beißenden, mitreißenden Livevideo „More Is Less“ und allein durch Mundpropaganda haben sich The Murder Capital eine beindruckende Reputation aufgebaut.

Und weiter,

The Murder Capital haben heute ihre zweite Single „Green & Blue“ veröffentlicht. Epische 6 Minuten lang, ist der Song schon jetzt ein Höhepunkt ihrer hochgelobten Liveshows.

Also hörte ich mir den Song und war angetan. Das klang vielversprechend und so kamen The Murder Capital auf meine will-ich-sehen Liste.
Und was soll ich sagen. Es stimmt. The Murder Capital sind eine famose Liveband. Nimm die Attitüde von Liam Gallagher (gelangweilt wirkendes Schellenring spielen, Rauchen auf der Bühne, dämlich gucken), die Wucht von Shame und die arrogante Ausstrahlung von The Enemy und anderen Ladbands, dann hast du The Murder Capital.

Sänger James McGovern beherrscht dabei alle großen Gesten. Manchmal ist es schon ein bisschen zu viel, wenn er erst wie Ian Curtis apathisch über die Bühne tanzt und Sekunden später in schönster Gallagher Manier regungslos am Bühnenrand hockt und leer ins Publikum schaut. Das wirkt dann doch arg aufgesetzt.

Musikalisch haben The Murder Capital einiges drauf, keine Frage. Ein Album haben die vier Bubis noch nicht veröffentlicht, bisher sind nur die beiden Singles „Green & Blue“ und „Feelings fades“ erschienen, aber mir kommt es so vor, als kenne ich jeden Song. Kein Wunder, denn bis auf eine Ballade (die aber ein guter Dosenöffner für ein größeres Publikum sein wird) machen die Iren ziemlich klassischen, hörenswerten Post-Punk.
In dem erstmals gut gefüllten Saal wird schnell klar, hier spielt gerade eine gute Band. Der Abschlussapplaus ist der größte des Tages. Die werden noch groß!

Lysistrata aus Frankreich. Sie bezeichnen ihre Musik als ‘alles, was mit Post zu tun hat‘. Damit passen sie schon einmal gut hierhin und ihr Konzert im kleineren Saal kommt dieser Ansage sehr nahe. Schon während des The Murder Capital Auftritts dröhnt es durch die Türen. Der Soundcheck war laut und das Konzert ist es später auch. Lysistrata erinnern mich an die Cloud Nothings oder The Japandroids. Das ging gut ab und es wird an diesem nieseligen Apriltag erstmals so richtig warm in den Räumlichkeiten der Kulturfabrik!

Built to Spill. Was für eine Enttäuschung!
Der Sound war schlecht, Doug Martsch wirkte müde und seine Band sprühte auch nicht gerade vor Spiellaune. Es schien, als ob der einstündige Auftritt mehr lästige Pflicht als Spaß bereitete. Built to Spill waren mein Grund, nach Esch zu fahren. Mein Lieblingsalbum Keep it like a secret präsentiert die Band in diesem Frühjahr auf einigen Konzerten und da kann ich keine Gelegenheit auslassen, mir ein paar Konzerte anzusehen.
Schon zur Umbaupause finde ich vor der Bühne ein und wundere mich, dass es auch später nicht wirklich voll wird. Ziehen Built to Spill hier nicht? Es wäre unverständlich, denn wie gesagt, Keep it like a secret wird die Band gleich in voller Länge präsentieren. Das hört und sieht an nicht oft.

Built to spill

Das Konzert beginnt wie das Album mit „The plan“ und „Center of the universe“. Aha, denke ich, sie spielen die Songs also in Reihenfolge.  Aber als als nächstes nicht „Carry the zero“ ertönt, weiß ich, ich habe mich geirrt. Es ist ein fahriges Konzert. Built to Spill springen nun wild durch Keep it like it secret, lassen dabei „You were right” aus und wollen so gar nicht „Carry the zero“ spielen. Stattdessen murmelt Doug Martsch nach 40 Minuten und dem epischen „Broken Chairs“ (das leider ohne das Pfeifen auskommen muss) irgendwas wie ‘That was … blablabla‘ und stimmt „In the morning“ an, was bekanntermaßen nicht auf Keep it like it secret sondern auf There is nothing wrong with love ist. Egal, „In the morning“ ist aber ein top Song, ich fand es gut, ihn zu hören. Aber „Carry the zero“ finde ich jedoch noch besser und ich warte weiter sehnsüchtigst. Einen Song muß ich mich noch gedulden, bis „Carry the zero“ den Abschluss des Konzertes bildet. Zu diesem Zeitpunkt ist es im Saal schon arg leer. Was ist hier los? Ich denke, es mit folgenden Dingen zu tun haben: der Sound war wirklich mies ausgesteuert, Doug Martsch Stimme fast gar nicht zu hören. Überdies sind nicht alle Keep it like a secret Songs Knüller, der Fluch eines Albumkonzertes schien bei nicht nur Fanpublikum voll durchzuschlagen.
So wird der Auftritt am Ende des Tages das schwächste Konzert des Festivals, was a) nicht für Built to Spill aber b) für die geschmacksichere Auswahl der Veranstalter spricht.

Beak>

Dann muss eben BEAK> herhalten, um den Abend zu retten. Und was soll ich sagen: sie haben es geschafft.
Erst ist es schön mit anzusehen, wie die drei Musiker vor Konzertbeginn im Kreis zusammenstehen und sich bei einem Schluck Bier wie ein paar Kumpels über irgendwas unterhalten. Das sieht nicht so aus, als würden sie gleich ein Konzert geben, vielmehr sieht es so aus, als stünden sie nach einer Party noch ein bisschen rum oder diskutieren gerade das just gemeinsam gesehene Fußballspiel. Drei Freunde im Gespräch: unaufgeregt und ausgeglichen.
Später ist es dann genauso schön mitanzusehen, wie eben diese drei Kumpel zusammen ein wunderbares Konzert spielen. Neben Geoff Barrow spielen Billy Fuller Gitarre und Will Young mal Keyboards oder Gitarre.

Ich muss gestehen, BEAK> hatte ich bisher nicht richtig auf dem Schirm. Mein einziger Berührungspunkt mit Geoff Barrow war – neben ein, zwei Portishead Konzerten – eine Filmmusikbesprechung im Rahmen des Primavera Sound vor einigen Jahren. Die war lustig, interessant und enorm lehrreich. Danach sah ich ihn noch beim Essen auf der Hotelterrasse. Mehr war da aber nicht. Musikalisch hatte ich BEAK> in eine spezielle, sehr jazzexperimentelle Krautrockecke gelegt, die mich damals noch nicht so interessierte. Daher schenkte ich den beiden Alben > und >> keinerlei Interesse.
Dass das mit dem Experimentellen jedoch gar nicht so wild ist, lernte ich erst mit den aktuellen Songs des letzte Albums >>>. Ich hörte „Brean down“ und dachte ‘uii, das ist ja tanzbar und von einer großen Leichtigkeit‘. Das hatte ich so nicht erwartet.

Jetzt freue ich mich schon, sie beim Primavera wiederzusehen.

Kontextkonzerte:

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