Ort: Doornroosje, Nijmegen
Bands: Eerie Wanda, Tramhaus, O., Squid, Heartworms, Black Country, New Road

Black Country, New Road - Zeitgeist Festival, Nijmegen, 03.12.2022

Ich war bisher einmal im Doornroosje in Nijmegen. 2010 spielten Pavement im Rahmen ihrer ersten Reuniontour hier ein Konzert. Es war der Tag des WM Halbfinalspiels der Niederlande gegen Uruguay. Vor dem Konzert gab es die Fussballübertragung, danach einen recht stimmungsvollen Pavementauftritt.
Doch darum soll es jetzt nicht gehen. Standorttechnisch, und das ist mein Punkt, habe ich das Doornroosje als relativ leicht und gut erreichbaren Club in Erinnerung. Es lag nicht im Zentrum, sondern irgendwo am Stadtrand, ein, zwei Seitenstraßen von einer größeren Ausfallstraße entfernt.

Mit diesen Gedanken im Hinterkopf machte ich mich auf den Weg nach Nijmegen. Mir kam es schon komisch vor, dass wir eine Übernachtung in Bahnhofs-und Doornroosjenähe gebucht hatten. Das Doornroosje liegt doch etwas außerhalb, dachte ich immerzu. Aber als wir in Nijmegen aus dem Zug stiegen, sehe ich mich getäuscht. Auf der einen Seite des Bahnhofsvorplatzes ist unser Hotel und auf der anderen Seite liegt tatsächlich die blau glänzende Fassade des Doornroosje. Komisch. Habe ich mich vertan, habe ich Orte verwechselt, was durchaus möglich ist, oder ist etwas anders? Die Antwort ist später schnell recherchiert: es ist etwas anders. Das heutige Doornroosje ist nicht das Doornroosje von vor 12 Jahren. 2014 wurde ein neues Poppodium Doornroosje am Bahnhof eröffnet.

Op 5 juli 2014 vonden de laatste activiteiten plaats aan de Groenewoudseweg, en op 1 oktober 2014 werd de nieuwbouw van Doornroosje geopend.

Und wie es sich für niederländische Kulturorte gehört (ein Poppodium ist ein Veranstaltungsort für Konzerte und andere Events), ist auch das Poppodium in Nijmegen von allerfeinster Güte. Zwei Konzert- bzw. Veranstaltungssäle, ein Restaurant und eine Bar sind in dem Gebäude untergebracht. Natürlich alles nach modernsten Standards. Und dazu in perfekter Lage direkt neben dem Bahnhof. Die Niederlande wollen sich Kultur leisten können, denn es braucht nicht nur Geld, um so einen Bau zu realisieren, es braucht auch Mut, ein solches Areal nicht teuer an einen Investor zu verhökern. Im diesem ‘neuen’ Doornroosje findet an diesem Freitagabend das Zeitgeist Festival statt. Pavement haben hier nie gespielt.

Zeitgeist. Laut Duden steht der Begriff für eine in einer bestimmten geschichtlichen Zeit charakteristische allgemeine Gesinnung oder geistige Haltung. Für die Macher des Festival bedeutet der Begriff bzw. die Verwendung des Begriffs für ihr Festival, dass an diesem Abend ‘de tofste acts van dit moment’ auftreten werden. Und seit 3-4 Jahren sind britische Post-Punk Bands de tofste acts van dit moment: Black Midi, Squid, Black Country, New Road und The murder capital waren 2019 die ersten, Yard Act, Just Mustard, PVA, Greenhouse Effect und ein paar anderen sind die – wenn ich es so nennen kann – zweite Generation an Bands, die die 1980er Jahre in ihrer Musik zitieren. Post-Punk ist das Genre der Stunde und folgerichtig spielen sehr viele Post-Punk Bands auf dem Zeitgeist Festival.

Squid und Black Country, New Road sind – wenn man so sagen möchte – die beiden Headliner. Beides sind Bands der ersten Post-Punk Generation und die Bands, mit den vielleicht bekanntesten Namen im zeitgeist Aufgebot. Dazu kommen zwei Bands der dritten Generation – O. und Heartworms – sowie die drei niederländischen Bands Iguana Death Cult, Eerie Wanda und Tramhaus, die meiner Meinung nach eher keinen Post-Punk machen. Iguana Death Cult aus Rotterdam sind dabei kurzfristig für Unschooling (Post-Punk Band) ins Festival gerutscht. 
Ich will sagen, das Zeitgeist Festival ist stimmig zusammengestellt. Und das macht mir als Besucher Spaß. Wenig überraschend meldete daher die Facebook Seite Tage vorher ein ausverkauft. Wer es schafft, ein so homogenes Festival zu organisieren, wird mit vielen Besuchern belohnt.

Eerie Wanda - Zeitgeist Festival, 03.12.2022

Die sind dann auch fast alle um 18 Uhr und zum Festivalbeginn mit Eerie Wanda im Doornroosje und versuchen, in den kleineren Saal zu gelangen. Das gelingt natürlich nicht und ich habe beim Anblick der wartenden Besucher vor dem Konzertsaal bedenken, dass ich jetzt bei jedem Künstler Sorgen haben muss, noch in den Saal zu kommen. Die Gedanken sind aber unbegründet. Im Laufe des Abends ist der kleine Saal nie mehr so stark besucht wie bei Eerie Wanda. Im Nachhinein führe ich es darauf zurück, dass die Niederländerin in Nijmegen ein Heimspiel hat und Heimspiele eben oft vor vollem Haus stattfinden. Erst recht, wenn man so schöne Melodien wie Marina Tadic – ihr bürgerlicher Name – und ihr Partner Adam Harting hat. Kurz nach dem Achtelfinalsieg der Niederländer (ich bin scheinbar nur während Fußball-WMs zu Konzerten in Nijmegen) beginnen sie mit ihrem Konzert. Ich kannte die Band vorher nur namentlich, möglichen Konzertbegegnungen wie zum Beispiel beim Little Waves wich ich aus.
Schade, denn Eerie Wanda machen tolle Musik. Immer wieder loopt Marina Tadic ihren Gesang und die Gitarre, Adam Harting spielt unaufgeregt Keyboards und zusammen klingt das dann wie Dreampop ohne Shoegaze. In ihrem gut halbstündigen Set habe ich ein, zwei kleine Hits für mich entdeckt.

Schlag auf Schlag geht es weiter.
Im großen Saal nebenan starten Tramhaus pünktlich. Ich verpasse den ersten Song, da ich beim Verlassen des kleinen Saals etwas herumtrödle. Egal, Tramhaus sind von mir als Überbrückungsband eingeplant, eigentlich warte ich auf O., Squid, Heartworms und Black Country, New Road.
Doch schnell wird deutlich, dass die fantastische Liveband Tramhaus meine Zeit sehr kurzweilig belegt. Von wegen Überbrückung! Tramhaus machen großen Spaß! Das Konzert fühlt sich gut und interessant an. Ich hatte vorher noch nie etwas von Tramhaus gehört, bin entsprechend überrascht über die Livequalitäten der fünf Musiker*innen. Sänger Lukas Pasman ist ein Schlaks, reckt und renkt seinen Oberkörper und erinnert in seinen Bühnengesten sehr an Iggy Pop. Er ist der eye-catcher in der Band, hinter dem seine fünf Kolleg*innen etwas anstehen. Tramhaus machen ordentlich Dampf, nehmen mich dabei sofort mit. Zwar kenne ich keinen ihrer Songs, aber irgendwie kommt mir alles bekannt vor. Silverchair, Skunk Anansie, Bush, es ist der Alternative Rock der späten 1990er Jahre, denn die Rotterdamer geschickt zitieren.

Tramhaus - Zeitgeist Festival, 03.12.2022

PS: Sein Hemd behält er jedoch an, vielleicht nicht die schlechteste Idee.
Tramhaus ist meine erste Band im großen Saal, der durch eine breite Bühne und einen nicht zu langgestreckten Grundriss eine gute Bühnennähe auch von weiter hinten bietet. Da der Boden zur Bühne hin durch eine Stufe absteigt, ist eine gute Sicht auch aus den letzten Reihen möglich. Der halbe Saal ist von einem Balkon überdeckt, der treppenförmig weitere Sitz- oder Stehplätze bietet und sich an den Seiten bis kurz vor die Bühne zieht.

Tramhaus haben vor ein paar Wochen erst ihre Debüt EP Rotterdam veröffentlicht. Soweit sind O. noch nicht. O. sind die nächste Band, die ich sehe. Joe Henwood am Bariton Saxophon und Tash Keary am Schlagzeug haben just ihre erste Single veröffentlicht. „OGO“ heißt sie und ich empfehle sie jedem, der sich wie ich gerne von einem Baritonsaxophon faszinieren lässt. Ich finde, es ist eines der am schönsten klingenden Instrumente. Im kleinen Saal ist es ein sehr wilder Ritt zwischen Jazz und Metal, denn die beiden auf die Bühne bringen. Manchmal klingt das Saxophon wie ein Saxophon, manchmal dröhnt es wie 10 Metalgitarren. Das finde ich schon sehr beeindruckend und die halbe Stunde mit allen Songs, die die Band hat, überzeugt mich.

O. - Zeitgeist Festival, 03.12.2022

Heartworms spielen erstmals außerhalb des UK. Menschen meines Alters hören in Nuancen sehr viele Bekannte: Siouxsie and the Banshees, The Cure, Gothic. Die Band ist für Sinead O’Brien ins Programm gerutscht. Diesen Tausch habe ich im Vorfeld irgendwie verpasst. Ist aber egal, Heartworms sind eine hochinteressante Band, die tolle Musik macht. Wie auch O. und The Lounge Society (die ich leider im Herbst live verpasst habe) veröffentlichen Heartworms auf dem Speedy Wunderground Label. Nebenbei, auch „Athen’s, France“, die erste Black Country, New Road Single wurde auf diesem Label veröffentlicht. Die Welt im britischen Post-Punk des 21. Jahrhunderts ist klein. Und dreht besitzt scheinbar mit dem The Windmill Club und dem Speedy Wunderground Label zwei Fixpunkte.

Damit sind für mich an diesen Abend die mir neuen und/oder unbekannten Bands durch. Bleiben noch zwei Bekannte, Squid und Black Country, New Road, diequasi als Doppel-Headliner dem Zeitgeist Festival das Sternchen aufsetzen. Und natürlich mein auschlaggebender Grund waren, mir frühzeitig Tickets zu besorgen. Wann habe ich schon die Möglichkeit, zwei meiner Lieblingsbands der letzten drei Jahre an einem Abend in einem Club zu sehen? Eben.

Heartworms - Zeitgeist Festival, 03.12.2022

Bei Black Country, New Road beeindruckt mich enorm, wie schnell und scheinbar mühelos sie den Rückzug ihres Sängers Isaac Wood Ende des letzten Jahres weggesteckt haben. ‘Nun, singen eben andere‘, ist seitdem banal das Motto der Band zu sein. ‘Uns kriegt das nicht klein‘, scheinen sie gedacht zu haben und die Textzeile ‘BC,NR friends forever’ aus dem „Up song“ ist das deutlich erkennbare und auf der Bühne sehr spürbare Zukunftskonzept der sechs verbliebenen Musiker*innen. Man hält zusammen. Man macht als Black Country, New Road einfach so weiter, ohne Isaac Wood. Dann singen eben andere. Ob das auch so einfach war, schwierig zu sagen. Was ich sagen kann ist, dass es funktioniert. Die neunen Songs sind allesamt klasse. Und der Zusammenhalt in der Band scheint da und groß zu sein. In einem Moment fällt mir das besonders auf und dieser Moment ist für mich der Konzertmoment des Jahres. Ziemlich genau in der Mitte des Sets setzen sich Tyler Hyde, Lewis Evans, Georgia Elleryalle, Charlie Wayne, Luke Mark in aller Ruhe vor das Schlagzeug, teilen sich ein Bier und lauschen dem Solo der Keyboarderin May Kershaw („Haldern“). Ein besseres Bild für Freundschaft kann es auf einer Bühne nicht geben. Auch, weil es wie selbstverständlich wirkt.

Nach dem Austritt von Isaac Wood hat sich die Band dazu entschieden, die alten Songs nicht mehr live zu spielen. So kam es, dass sie ihre Festivalauftritte in den Sommermonaten mit komplett neuem Material spielten. In Nijmegen setzen Black Country, New Road dies fort. Hatte ich beim ersten Wochenende des Primavera Sound noch weniger Ruhe, mir die neuen Sachen anzuhören (dort blieb eigentlich nur der „Up song“ hängen), gelingt mir dies im kleineren Rahmen im Doornroosje besser.

„The wrong trousers“ klingt nach Frank Sinatra und damit komplett anders als alle anderen Songs, „Turbines/Pigs“ könnte auch für ein Sinfonieorchester geschrieben worden sein und „Across the pond friend“ ist der nächste Hit der Band. Es bleibt musikalisch spannend und Black Country, New Road sind in vielerlei Hinsicht eine bemerkenswerte Band.

Look at what we did together, BC,NR, friends forever
Look at what we did together, BC,NR, friends forever
Look at what we did together, BC,NR, friends forever
Look at what we did together, BC,NR friends forever

Squid - Zeitgeist Festival - Nijmegen, 03.12.2022

Squid sind seit fast zwei Jahren mit Songs ihres Debütalbums Bright Green Field unterwegs. Ich mag die Songs live immer noch gerne hören, und ich mag Squid immer noch gerne mit ihrer Platte live sehen. Bright Green Field hat so viele Hits, da wird ein Konzert nicht langweilig. „Narrator“, „Boy racer“ oder das live sehr epische „Documentary Filmmaker“. Und „Pamphlets“ nicht zu vergessen.

Aber ich spüre auch eine gewisse Grundroutine. Es fehlt so die hundertprozentige Begeisterung. Anders ist das bei den neuere Songs, die sich heimlich im Laufe des Jahres in ihr Set geschlichen haben. In Nijmegen spielen sie mit „Sevenz“, „Rochdale“ und „Undergrowth“ drei Stücke, die aktuell noch auf keinem Album verzeichnet sind.

Setlist Squid:
01: Nines
02: G.S.K.
03: Undergrowth
04: Sevenz
05: Boy racers
06: Paddling
07: Rochdale
08: Peel St.
09: Documentary Filmmaker
10: Narrator

Nach Squid stand bei mir nur noch Unschooling auf dem Plan. Doch leider musste die Band  kurzfristig absagen, ein COVID Fall in den Reihen der Musiker verhinderte die Anreise. Die Rotterdamer Garagenrockband Iguana Death Cult, die für Unschooling nachverpflichtet wurde, sehe ich nicht mehr.
Ein Abend, sechs tolle Bands. Perfekt und gerne wieder.

Kontextkonzerte:
Squid – Primavera Sound Festival Barcelona, 09.06.2022
Squid – Köln, 11.10.2021 / Gebäude 9
Squid – Transformer 4 Festival Maastricht, 18.01.2020
Squid – Sonic City Festival Kortrjik, 10.11.2019
Black Country, New Road – Primavera Sound Festival Barcelona, 04.06.2022
Black Country, New Road – Luxemburg, 22.10.2021 / Rotondes


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