Ort: Carlswerk Victoria, Köln
Vorband: Okay Kaya

King Krule - Köln, 21.10.2023

Schon früh am Abend ist die große Halle im Carlswerk voll. Ich habe nach langer Zeit mal wieder die Anfahrt mit dem eigenen Auto gewählt und so das neue Parkhaus zwischen E-Werk und Carlswerk ausprobieren können. Gut, dass ich einigermaßen zeitig bin, denn auch im Palladium spielt heute irgendwer und auf der Schanzenstraße ist entsprechend viel los. Himmel, was war das früher hier ein Parkplatzchaos. Durch das Parkhaus und auch durch das Parkhaus auf dem Carlswerk Areal hat sich die Situation scheinbar ein bisschen entzerrt. Nichtsdestotrotz fahre ich das naechste Mal wieder mit der Bahn. An diesem Abend machte ich das nicht, weil die Bahnstrecke immer noch wegen Modernisierungsarbeiten unzuverlässig bis gar nicht funktioniert und EV (also Ersatzverkehr durch Busse) nicht wirklich mein Ding ist. Das geht noch den ganzen November so, ich werde daher einige Kölner Konzerte absagen. Das King Krule Konzert war mir aber wichtig; so wichtig, dass ich es nicht absagen wollte. Vielmehr sogar, ich wollte bis zum Ende bleiben. Und mit der Bahn ging das schon mal gar nicht. Also nahm ich das Auto.

Den Sound von King Krule fasziniert, seit ich die Band erstmals auf dem Primavera Sound Festival und kurze Zeit später im Bürgerhaus Stollwerck live erleben durfte. Das war vor ziemlich genau sechs Jahren. Die Songs klangen erfrischend neu und fremdartig, King Krule vermischte so ziemlich alles, was ich gut finde: Indie-Pop, Hip-Hop, Electronic, Neo Jazz. Ich holte mir The Ooz, sein zweites und damals aktuelles Album. Auf Platte klangen alles noch viel dichter und noch viel spannender. Also besorgte ich mir auch die nächsten Veröffentlichungen Man alive! und das Livealbum You heat me up, you cool me down. Nach wie vor gefielen mir die dichten Gitarrensongs, die aber auch teilweise jazzig klangen, und irgendwie so gar nicht in ein bis dato anerkanntes Indieschema passen wollten. Sein Konzert im letzten Jahr beim Primavera Sound Festival sah ich leider nur halb, Überschneidungen und so. Als dann im Frühjahr Daten seiner aktuellen Tour bekannt gegeben wurden, war mir klar, ich möchte sein Konzert in voller Länge sehen.

Im Carlswerk stehe ich umringt von jungen Menschen. Es kommt nicht so oft vor, dass ich mich bei einem Konzert explizit alt fühle. An diesem Abend ist es allerdings so. Das Publikum ist jung. Verdammt jung oder zumindest so jung, dass ich mich alt fuehle. Irgendwie war mir nicht klar, dass King Krule einen so hohen Wert bei unseren twentysomethings besitzt. Entweder bin ich total raus oder ich habe es nicht bekommen, dass King Krule auch bei uns mittlerweile gut durchgestartet ist. Ich hatte das offensichtlich deutlich unterschätzt.
‘Archy, Archy’. Ein Junge neben mir stimmt immer wieder einen Sprechchor an. Archy Marshall a.k.a. King Krule nimmt es gelassen. Eine Interaktion mit dem Publikum gibt es bis auf die obligatorischen ein, zwei Ansagen nicht. Das Motto ist eher: Musik statt Worte. Die Space heavy Tour, das ist die Konzertreihe zum gerade veröffentlichten neuen Album. Space heavy ist das vierte King Krule Album. Glitterhouse rezensiert das Album wie folgt:

Er bewegt sich weiterhin außerhalb aller (Indie-) Schubladen, hat aber einiges verändert (Hip Hop-Elemente zum Beispiel kommen nicht mehr vor). Im Grunde präsentiert er zwei Sorten von Songs. Zum einen (wesentlich häufiger) die ruhigen, oft luftigen, teilweise auch ganz schlichten und reduzierten, die gern die sanfte unbestimmte und dezidiert individuelle/unorthodoxe Schönheit von Melodie und Gitarre feiern, auf verschiedene Art und Weise: Sachte tuckernd, langsam voranschreitend, gedankenverloren, sehr leise und völlig laid back, schwerelos und entfernt Ambient-verwandt, zart und nackt und Talk Talks Mark Hollis nicht unähnlich (sogar zweimal), ein Hauch Lounge-Jazz-Pop (beispielsweise dem Julee Cruise-Debut wesensähnlich), ganz leicht angespacet, auch mal soft mit kurzen schroffen Parts oder sinnlichen weiblichen Gast-Vocals. Auf der anderen Seite stehen einige erheblich rauhere bis aggressivere Songs, mehr Schärfe und/oder Drive bzw. Dichte und instrumentale Vielschichtigkeit (in Grenzen), partiell mit gewissen 80s-Parallelen (ohne irgendwo zu klauen), inklusive knappen Noise-Attacken (immer noch gemäßigt), für Momente eine Spur spooky, anderswo ansatzweise Post Punk-Einfluß in angeschrägt/verquer, sowie originäre dezente Post-New Wave-Experimente. In ein, zwei Stücken vereint er beide Spielweisen. Im Vordergrund steht neben der Stimme die (meist moderat verstärkte) E-Gitarre, nicht selten vorsichtig angejazzte Akkorde verwendend, respektive kurz Folk-Jazz-artig, mehrfach mischt sich ein Sax (oder Bass-Klarinette) ein, ob leise verweht, ziemlich rauh bis etwas schärfer, teils pur jazzig und/oder nur für Sekunden. Die harmonische Offenheit dieser Musik und beträchtliche Originalität wird niemanden verwundern.

Ich zitiere den Text, weil ich es nicht schaffe, den King Krule Sound mit eigenen Worten zu beschreiben. Für mich ist es eine dunkle Gemengelage aus so vielen Dingen, die manchmal gar nicht zueinander zu passen scheinen, aber irgendwie doch zusammen funktionieren. Oder, um die Band Kante zu zitieren: ‘es ist mehr als die Summe der einzelnen Teile‘. Passend zum unklaren Sound ist die Bühne in diffuses, meist blaues Licht gehüllt. Alles wirkt vernebelt, unscharf. Klare Konturen sind meist nicht auszumachen. So entsteht ein schönes Stimmungsbild, das das Konzert zu einem harmonischen Ganzen macht. Irgendwo las ich, dass blau Archy Marshalls Lieblingsfarbe sei. Wenn das stimmt, dann wird die Lichtauswahl dem zu 100% gerecht.

Das Konzert macht Spaß und es ist sehr gut, dass ich nicht eher gehen muss. Ich hätte mich sehr darüber geärgert, vor der Zugabe den Saal verlassen zu müssen, um die letztmögliche Straßenbahn zum letztmöglichen Zug zu erreichen.

‘Mann, sind die groß geworden’, denke ich, als ich nach 2 Stunden zurück zum Parkhaus gehe.

Vor King Krule spielt Okay Kaya. dahinter steckt die Schauspielerin und Singersongwriterin Kaya Wilkins. Habe ich sie schon mal live gesehen? Irgendwoher kommt sie mir bekannt vor. Zusammen mit einem Gitarristen spielt sie eine gute halbe Stunde lang sehr reduzierte, Indiepopsongs. Die klingen anfangs interessant, werden dann aber etwas dröge. Gefühlt ist das hier nicht der passende Rahmen; die Bühne ist zu groß und die Publikumsmenge noch mehr damit beschäftigt, den richtigen Stehplatz zu finden. Einmal noch horche ich kurz auf, als Okay Kaya die Band Grauzone zitiert: ‘ich und du, wir liegen auf Scherben, ich und du, wir können sterben.’ Das richtige Musikwissen scheint sie zu haben. Ich würde sie gerne mal in einem kleinen Club sehen.

Kontextkonzerte:
King Krule – Primavera Sound Festival Barcelona, 04.06.2022
King Krule – Köln, 01.12.2017 / Bürgerhaus Stollwerck

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