Ort: Rotondes, Luxemburg
Vorband: –
Es gibt viele gute Gründe, an diesem Freitagabend nach Luxemburg zu fahren. Zum Beispiel diese drei, um eine kleine Auswahl zu nennen: a) es ist Freitagabend, und an Freitagabenden fährt man irgendwohin, b) Benzin kostet fast 40 Cent/Liter weniger als bei uns, oder c) in der Rotonde spielen Black Country, New Road. Nun, einem Ausgehzwang unterliege ich seit 50 Jahren nicht, Tanken ist zwar notwendig, aber auch nicht so wichtig. Was bleibt ist c) und das alles entscheidende Argument: ein Konzert von Black Country, New Road sollte sich 2021 nun wirklich niemand entgehen lassen. Warum?
Darum: Black Country, New Road ist neben Squid (schon gesehen) und Black Midi (werde ich hoffentlich bald sehen) der neueste und heißeste Postpunkscheiss aus England. Muss man so deutlich sagen. Ist so. Hätte die bald zweijährige Coronazwangspause nicht gegeben, würde alle diese Bands deutlich größere Hallen füllen. Diese drei Bands sind im Moment Top of the pops. Ich denke, darauf können wir uns einigen. Von daher ist es quasi ein Muss, sich Black Country, New Road live anzusehen. Und die anderen beiden ebenso. Im August hätte das mit Black Country, New Road schon fast geklappt, allerdings wurde ihr Konzert vor der Rotonde in Luxemburg kurzfristig gecancelt.
Die Rotonde, im Übrigen einer der schönsten und besten Konzertläden, die ich kenne, ist nahezu ausverkauft. Wenn ich richtig bin, waren noch zwei Hände voll Tickets am Abend verfügbar. Es hat sich rumgesprochen, Black Country, New Road sind sehens- und hörenswert. Denn es ist nicht das einzige Konzert der Tour, das im Vorfeld ein ausverkauft meldet. Auch in Köln und in Brüssel, die beiden nächsten Stopps der Band, ist das so. Und gar in den USA, wo Black Country, New Road im nächsten Frühjahr auf Tour gehen, prangt hinter dem ein oder anderen Ort bereits ein sold-out auf dem Tourplakat. Die Band, so scheint’s, macht gerade die Tour ihres Lebens. Und die steht noch ziemlich am Anfang. Luxemburg ist erst die zweite (?) Station auf dem Festland. Im Ablauf merkt man das, die Dinge sind noch nicht eingespielt. Das fällt selbst mir als nicht Musiker auf. Einsätze werden verpasst, Isaac Woods hat seinen Text bei „Science Fair“ nicht komplett im Griff und später sucht er anfangs bei „Track X“ nach den richtigen Gitarrengriffen. Black Country, New Road und mir ist das aber alles egal. Sie lachen die kleinen Pannen einfach weg, improvisieren stattdessen überragend gut und haben Spaß an der Sache. Den habe ich auch. Das Konzert ist gut. Diese kleineren Schwierigkeiten werfen sie nicht aus der Bahn, dazu sind sie schon zu bühnenerfahren. Konzentriert wirken die sieben Musiker*innen. Müssen sie auch sein, sieben Instrumente wollen koordiniert werden; es ist ja schon ein kleines Ensemble, das da auf der Bühne steht. Black Country, New Road sehen dabei aus wie eine Schüler*innenband, die sich nachmittags im Übungsraum hinter der Aula trifft, um gemeinsam über Lehrer und Eltern zu lästern und um etwas Eigenes auf die Beine zu stellen. Spaß ja, aber nicht spaßig. Ehrgeiz ist schon auch da. Ich weiß nicht, ob es das genau trifft, es sind dies meine Eindrücke, die mir in den ersten Konzertminuten durch den Kopf gehen. In der Rotonde liegt nämlich diese besondere und sympathische Atmosphäre einer Musik-AG Rockband, die leicht über allem schwebt. Dazu passt es irgendwie sinnbildlich, dass nur alkoholfreies Bier und Sprudelzeugs auf der Bühne stehen. Dazu passt auch das „Star Wars Intro“, zu dem die Band die viel zu kleine Bühne betritt: Sänger und Gitarrist Isaac Wood, Tyler Hyde (Bass), Lewis Evans (Saxofon), Georgia Ellery (Geige), May Kershaw (Keyboard), Charlie Wayne (Schlagzeug) und Luke Mark (Gitarre). Alle stehen sich im Weg, und dann stehen da auch noch die Instrumente.
Einspielen. Es hapert noch in den ersten Minuten. Es klingt quer und es dauert, bis sich alle finden. der Sound scheint auch noch zu leise. immer wieder werden Finger gehoben und Blicke gehen auf die Monitorboxen. Aber es wird. Zu „Athens, France“, laut Wikipedia ist der Titel eine Anspielung auf den Wenders Film Paris, Texas, sind Black Country, New Road gut drin. Auch der Sound wird hörbarer. Der Abend entwickelt sich, das Konzert kommt extrem entspannt und die Band grundsympathisch rüber. „Concorde“ im Anschluss ist der erste non-Debütalbum Song des Konzertes. For the first time war Anfang des Jahres eines der Alben, auf die ich am stärksten hin gefiebert habe. „Good will hunting“, „Bread song“, „The place where he inserted the blade“ und „Chaos Space marine“ sind weitere Stücke vom im nächsten Jahr erscheinenden zweiten Album Ants from up there. „Good will hunting“ und „Bread song“ höre ich zum ersten Mal. For the first time dagegen höre ich bei jeder zweiten Joggingrunde. Ich mag dieses Album wirklich sehr. Ich mag den Sprechgesang von Isaac Woods, ich mag die vielen Referenzen und Textzitate, ich mag diese nie komplett wirkenden Songs mit ihren vielen Brüchen und Wendungen. Ich mag das Saxophon. Saxophonsolos mochte ich schon in den 1980ern, 90ern und 00er Jahren.
Übrigens, auch Squid und Black Midi haben ein Saxophon. Das Instrument hat gerade sein Momentum, würde man auf dem Fußballplatz sagen. Lange war es weg und alle fanden es irgendwie beknackt. Im Gegensatz zu Squid sind ihre Songs komplizierter, haben meist zwei sehr unterschiedliche Seiten bzw. Augenblicke. Mindestens. (Wie sich das zu Black Midi verhält, erfahre ich später im Jahr. Ihr aktuelles Album Cavalcade verspricht aber noch mehr Konfusität). Zurück zum Saxophon. Live finde ich es viel präsenter als auf Platte. Man muss das Saxophon gerne hören, um mit Black Country, New Road live klarzukommen. Es ist der zentrale Punkt, das zentrale Instrument an diesem Abend. Immer wieder mischt es sich in die Songs ein, leitet Tempo- und Melodienwechsel ein. Ich denke, nicht umsonst steht Lewis Evans in der Bühnenmitte. Und man muss Improvisationen mögen. „Science fair“ ist an diesem Abend ein typischer Fall. Das Saxophon klingt komplett anders, die Textpassagen passen auch nicht so ganz und das Keyboardgewummere irritiert. Wer im Konzert die Songs wie auf Platte hören möchte, der ist hier falsch.
Im Laufe der letzten 60 Minuten hat sich ein ganz besonderes Konzert ergeben. Die neuen Songs klingen gut, passen schön in das Gesamtgebilde. Als ich „Chaos Space Marine“ zum ersten Mal hörte, war ich etwas überrascht ob der Queen-esken Anleihen. Das hat sich jedoch schnell gelegt und ja, ich finde es gut, dass die anderen neuen Songs diesbezüglich weniger Ehrgeiz entwickeln. Black Country, New Road wollen doch lieber die neuen Arcade Fire werden.
Der Abend geht auf der Zielgerade. Nach „Track X“ flirren zwei neue Songs von der Bühne. Dann folgt „Opus“. Doch zuvor gilt es, Vorbereitungen zu treffen. Vor dem ersten Ton stecken sich der Gitarrist, die Bassistin und die Keyboarderin noch einmal Ohrenstöpsel in die Ohren. Sekunden später knallt die Trommel des Schlagzeugs den Takt von „Opus“ in die kleine Rotonde. Sie haben nochmal Lautstärke draufgepackt, ganz klar.
Eine Zugabe geben Black Country, New Road trotz langanhaltendem Applaus nicht. Also kein Abba, MGMT oder Weezer Cover, auch „Sunglasses“ spielen sie an diesem Abend nicht mehr. Schade. So muss die olle Thekenfloskel herhalten: Wenn es am schönsten ist, soll man aufhören. Richtig ist sie weder an diesem Abend noch in der Kneipe. Es kann ja immer noch schöner werden, wer weiß das schon. Aber mehr als eine Stunde Spielzeit bei einem Album ist schon ordentlich und mehr als okay.
Es sind dann 10 Songs, die Black Country, New Road in etwas mehr als einer Stunde spielen. Dann geht das Jazzrock-Septett von der Bühne. Es ist das Ende eines der Konzerte des Jahres! Ich glaube, die haben musikalisch und technisch einiges drauf. Da könnte noch viel Schönes auf uns zukommen.
PS: Wer sich das fragt, Lewis Evans trät ein Tour T-Shirt der Rapperin Bhad Bhabie.
Setlist:
01: Instrumental
02: Athens, France
03: Concorde
04: Science Fair
05: Chaos Space Marine
06: Good will hunting
07: Track X
08: Bread song
09: The place where he inserted the blade
10: Opus
Kontextkonzerte:
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