Ort: Kulturfabrik, Esch-sur-Alzette
Bands: Melenas, Penelope Isles, Jonathan Bree, Nothing, Bodega, Holy Fuck
Ich gebe zu, es macht nicht immer viel Spaß, durch die Eifel nach Luxemburg zu fahren. Manchmal ist der Verkehr zu hektisch, manchmal zieht sich das Stück zwischen der A60 und der A64 wie Kaugummi. Dann aber wiederum gibt es Eifelfahrten, die vergehen wie im Flug. Die CD-Auswahl stimmt, der Verkehr ist entspannt und die Vorfreude auf ein Konzert lässt alles andere vergessen.
So geschah es auch am Samstag, als ich mich kurz nach Mittag auf den Weg nach Esch-sur-Alzette aufmachte, bzw. in Richtung Belval, wo ich zuvor im Hotel einchecke und das Auto parke. Von dem ehemaligen Industriestandort Belval, der heute die Universität, Rockhal und Wohngebiete beheimatet, sind es nur vier Bahnminuten bis nach Esch-Alzette, wo das Out of the crowd Festival stattfindet. Hat man die Eifel hinter sich gelassen, sind es noch knapp 40 Minuten, bis man Luxemburg von Ost nach West durchquert hat. Esch-sur-Alzette liegt an der französischen Grenze, ganz im Südwesten des Landes. Es ist die zweitgrößte Stadt Luxemburgs und 2022 eine von drei Kulturhauptstädten Europas. Das nur am Rand.
Seit einigen Jahren findet in der Kulturfabrik das Out of the crowd Festival statt. 2022 sieht die 18. Ausgabe des Indiefestivals. Im letzten Jahr gab es eine reduzierte Ausgabe im Herbst, im Jahr davor fiel das Out of the crowd aus bekannten Gründen aus. 2019 besuchte ich das Out of the crowd Festival zum ersten Mal. Und ich war sofort begeistert. Das Ambiente, das Konzept; in Summe merkte ich sehr schnell, dass es eines der besten kleinen Indiefestivals ist, das ich kenne.
Wer sich das Lineup der letzten Jahre anschaut merkt und sieht, was für ein famoses Gespür die Organisatoren Nicolas Prezor und Tom Karier an den Tag legen, um immer wieder Newcomer und mittelgroße Headliner zu finden, die perfekt in die Kulturfabrik passen. 2019 waren das z. B. Built to spill und Beak> (ich sag mal, die mittelgroßen Headliner) und The Murder Capital oder Lysistrata (die Newcomer).
Aber bevor ich in Romantik verfalle und aus den letzten Jahren erzähle, erzähle ich lieber über die 2022er Ausgabe. Die alten Geschichten kann jeder im Internet nachlesen.
Die 2022er Ausgabe versprach einiges: Metz, Nothing, Bodega. Das waren die Ansagen, die mich Ende letzten Jahres dazu bewogen, ein Ticket zu kaufen. Und auch wenn Metz kurzfristig absagen mussten (wie die gesamte Europatour übrigens), blieb es spannend: Holy Fuck, Jonathan Bree, Mdou Moctar, Makthaverskan, Honey for Petzi, Penelope Isles, Melenas, The Cookie Jar Complot und First Mote komplettieren das Lineup.
Ich sehe natürlich nicht alle Bands. Meine Absicht ist es, um 17 Uhr mit den Melenas ins Programm einzusteigen. Zeitlich stimmte ich meine Anreise darauf ab und ich war guter Dinge, als ich um halb fünf den Zug in Belval bestieg. Läuft ja wie geschnitten Brot’, denke ich. Um kurz nach fünf bin ich am Kulturbahnhof. Ich checke ein und begebe mich zum kleinen Saal. Hier spielen bereits die Melenas ihren Indiepop. Der klingt, wie spanischer Indiepop eben klingt; Die Katapult, Hinds oder Nalda became Punk sind Bands, die ich kenne, die Melenas kenne ich noch nicht. Egal wie, höre ich diese Bands, muss ich immer an die Beangrowers denken. Wer tiefer in den Indiepop reinschleichen möchte, New Adventures In Pop vom Elefant Label wäre ggfs. eine Empfehlung.
Melenas. Zwei Albenveröffentlichungen. Dias Raros und Melenas. Garage-Rock trifft auch melodischen Indierock. Die vier jungen Damen kommen aus Pamplona und als ich den Saal betrete, spielen sie gerade „Osa Polar“. Es dauert ein paar Minuten bis ich es erkenne: Grauzone’s „Eisbär“. Es ist die Coverversion des Festivals. Im Laufe des Abends werden mir Laura Torre, Leire Melenas, María Melenas und Oihana Melenas noch öfter begegnen.
Weiter geht’s im Programm mit Penelope Isles. Ich sag’ mal, von denen werden wir 2023 noch sehr viel hören. Und wir werden versuchen, eines ihrer Konzerte zu besuchen. Penelope Isles sind so verdammt gut, dass das unweigerlich passieren wird. Ich leg’ mich da fest. Das Quartett aus Brighton spielt im Nachbarsaal direkt nebenan. Penelope Isles sind in der Hauptsache die Geschwister Jack und Lily Wolter, live ergänzt um eine Bassistin und einen Schlagzeuger. Gerade ist ihr zweites Alben Which way to happy herausgekommen und sie haben ihre erste Europatour gerade beendet. Das ist schon eher meins. Indierock. Ein bisschen schrammelig, ein bisschen fuzzy. „Have you heard“ ist ein sehr schöner Song. ‘Sie seien es bisschen müde’ erzählen sie. ‘Aber jetzt ginge es erstmal nach Hause, nach fünf Wochen auf Tour.’ Penelope Isles sind nicht die einzigen, die an diesem Abend letzte Tourkonzerte spielen. Nothing und Bodega ergeht es ähnlich.
Danach stehen Makthaverskan auf dem Programm. Es geht Schlag auf Schlag. Zwischen den Konzerten in den beiden Sälen ist maximal eine fünfminütige Pause. Also eigentlich perfekt für diejenigen, die wegen der Musik hier sind. Es gibt keine Lücken, es sei denn, man mag eine Band absolut nicht sehen und hören. Oder man bekommt Hunger und braucht eine Verpflegungspause. Die brauche ich jetzt noch nicht, aber ein paar Minuten Ruhe und so schaue ich mir die Schweden nur kurz an. Dann gehe ich nach draußen und setze mich in die Abendsonne.
Zu Jonathan Bree bin ich wieder im Saal. Von nebenan dröhnt noch der Post Rock der Schweden in den Raum. Die letzten Soundcheckarbeiten laufen, bevor das Publikum von nebenan in den Saal kommt. Auf der Leinwand prangt eine Katze. Links und rechts auf der Bühne sind zwei Podeste aufgebaut. A ha, was erwartet mich denn jetzt?
Erstmal zwei Tänzerinnen. Dann kommt die Band und alle sind in weiß gekleidet und tragen weiß Gesichtsmasken. O ha. Indie- und Kammerpop. Und was für eine Inszenierung! Abends im Hotel lese ich unter einem seiner YouTube Videos folgenden Kommentar.
Jonathan was ready for the Covid long before the rest of the world.
Kann man so sagen.
Ich konnte mir vorher nichts unter einem Jonathan Bree Konzert vorstellen, war also vollkommen unvorbereitet. Jetzt weiß ich, Jonathan Bree ist eine große durchchoreographierte Show. Inklusive Videoanimationen auf der rückseitigen Leinwand. Die Absätze der beiden Tänzerinnen klacken auf dem Bühnenboden und in der ersten Reihe sehe ich die vier Melenas wieder. Zusammen mit ihrer Crew sind sie Partystimmung. Es scheint, dass die Getränkesituation im Backstage Bereich gut ist. ‘Fin’ leuchtet es am Ende von der Leinwand. Wow, ein beeindruckender Auftritt.
Danach bekomme ich direkt Hunger. Da der Food Truck stark umlagert ist und ich eine gute Zeit auf meinen Veggie Burger warten darf, verpasse ich Honey for Petzi und komme erst kurz vor dem Konzertbeginn von Nothing zurück in die Kulturfabrik. Der Burger ist aber sehr lecker und als Entschuldigung gibt’s obendrauf nicht bestellte Pommes. Also alles gut, beziehungsweise sogar besser. Um Honey for Petzi tut es mir ein bisschen leid, ich hätte die Schweizer gerne gesehen.
Mit vollem Magen gehe ich dann in den Endspurt des Out of the crowd Festivals. Vier Bands stehen zu diesem Zeitpunkt noch auf meiner Agenda.
Nothing. Wenn ich es richtig interpretiere, sind sie in Frankreich aktuell ein großer Hype; bei uns eher nicht. Das Konzert in Köln z. B. wurde vom Gebäude 9 ins MTC gedowngradet. Ich habe mir ihr Kölner Konzert verkniffen, weil ich wusste, dass ich sie hier sehen würde. Genauso wie bei Bodega (wo ich es aufgrund ihrer tollen Show bereue, die Chance sie zweimal zu sehen, verpasst zu haben). Gespannt war ich schon auf das Quartett aus Philadelphia.
Musik im weiteren Sinn aus dem Japandroids, Viet cong und Deafheaven Kosmos. Laute Gitarren. Die Aufstellung mutet Sonic Youth-esk an. Die Bassistin Christina Michelle in der Mitte wird von den beiden Gitarristen flankiert. Alle drei singen. Newcomer sind Nothing nicht. Seit 2010 existiert die Band, vier Alben liegen vor. Das aktuelle The great dismal erschien vor zwei Jahren. Laut Radio fm4 haben sie damit ‘das größte Weltschmerz-Album des Jahres veröffentlicht’. Schwermütig und melancholisch klingt ihr Wall of Sound.
Nothing offerieren darin viele gute Ansätze, allerdings haben sie in ihren Gitarrensoundsauch ein paar Längen. Das darf ich nicht verschweigen. und so stehe ich am Ende des Konzertes der Band mit gemischten Gefühlen gegenüber. Ja, eigentlich ist ihr Set toll, aber 100% überzeugt lassen sie mich nicht zurück.
Anders ist das bei Bodega. Wow, Bodega sind echt eine klasse Liveband geworden. Waren die vor drei Jahren auch schon so wild? Und warum nur verkniff ich mir ihr Konzert im Bumann & SOHN vor einer Woche? Fragen über Fragen. Ihr Konzert im kleineren Saal ist der helle Wahnsinn. Von er ersten Minute an brodelt es, der Funke von der Bühne zum Publikum springt direkt rüber. Und in der ersten Reihe tummeln sich wieder munter die Melenas. Für die Ordner heißt das Arbeit: ein Stagedivingversuch muss unterdrückt werden, halbvolle Becher müssen immer wieder vom Bühnenrand verschwinden und Fotografen mit ihren prallen Rucksäcken zurückgewiesen werden. Und wehe, einer überschreitet die am Boden aufgeklebte Linie am seitlichen Bühnenrand.
Bodega liefern das Konzert des Abends, keine Frage.
Setlist:
01: Margot
02: How did this happen?!
03: Shiny new model
04: Doers
05: Thrown
06: Statuette on the console
07: Jack in Titanic
08: Everybody’s sad
09: Territorial call of the female
10: Name Escape
11: No blade of grass
12: Realism
13: Warhol
14: How can I help ya?
15: Tarkovski
Holy Fuck, ich gebe zu, ich kannte von den Kanadiern nichts. Erst ein paar Tage vor meinem Luxemburgausflug hörte ich mir ihre Songs im Internet an. Spontaneindruck: Holy Fuck klingen wie Caribou auf Indierock. Wobei ich nicht weiß, wer zuerst da war. Es könnte also auch heißen: Caribou klingen wie Holy Fuck auf Indiepop. Ich google und erkenne, dass es Caribou klingen wie Holy Fuck auf Indiepop heißen müsste.
Holy Fuck sind Graham Walsh und Brian Borcherdt, die beide an den Keyboards stehen. Zur Band werden sie aktuell durch die Unterstützung von Matt Schultz am Schlagzeug und dem Bassisten Matt McQuaid. Die Musik der Kanadier basiert auf Vielerlei elektronischen Sounds, die sie aber nicht über Computersamples und durch Looptechniken aufbauen, sondern ‘händisch’ erzeugen. Frickelkram also, der sich zu einem tollen Mix aus Electronica, Dance und Krautrock zusammenfügt. Auf dem aktuellen Album Deleter gibt es einen Song mit Namen „Luxe“. Natürlich steht er in Luxemburg auf der Setlist und tatsächlich, so erzählt Graham Walsh, entstand dieser Song auch in Luxemburg während einer Tourpause.
Wenn wir schon nicht Headliner sind, dann trinken wir wenigstens den Backstagebereich leer und feiern die ganze Nacht.
Frei nach Rolf Rüssmann sind die Melenas erneut in der ersten Reihe zu finden. Ihre Pappbecher sind wieder gefüllt und ihr Spaß am Out of the crowd Festival scheint riesig. Tanzen und filmen sind nach wie vor ihre liebsten Beschäftigungen.
Tanzen geht auch gut, denn Holy Fuck klingen live runder und tanzbarer als auf CD. Die Songs sind nicht ganz so überfrachtet und frickelig, die Gitarre kommt etwas stärker heraus und die Sounds sind flüssiger. Vielleicht auch poppiger. Wobei das ein komisches Wort ist im Zusammenhang mit Holy Fuck Musik.
Nach dem Auftritt von Holy Fuck bin ich fertig. Es ist halb zwölf und ich überlege nur kurz, ob ich nicht schon den Zug um kurz vor Mitternacht von Esch-sur-Alzette ins Belval nehmen soll. Und wenn ich erst anfange zu überlegen, ist das fast immer ein ‘ja’. Also, natürlich nehme ich ihn, zu Mdou Moctar fehlt mir tatsächlich heute die Energie. Müde trotte ich zum Bahnhof, 10 Minuten später bin ich im Belval. Es dröhnt noch Musik aus dem Rockhal Café; die Rockhal (Luxemburgs größte Konzerthalle) liegt direkt neben dem Bahnhof. Mein Hotel auch. Erst gegen halb zwei ebbt der Lärm ab. Ob ich hier wohnen möchte? Ich bin mir nicht sicher. Auch wenn das Belval ein schöner Ort ist; aber wenn nach jedem Rockhal Konzert so lange Trubel herrscht, ist das anstrengend.
An diesem Abend spielte hier übrigens Gianna Nannini. Der Tourbus steht noch vor der Halle.
Kontextkonzerte:
Out of the crowd Festival – Esch-sur-Alzette, 27.04.2019 / Kulturfabrik
Pingback: pretty-paracetamol in concert: Out of the crowd Festival, Esch-sur-Alzette, 29.04.2023
Pingback: pretty-paracetamol in concert: Bodega - Köln, 23.09.2024