Ort: Gebäude 9, Köln
Vorband: John Moods

Squid - Köln, 10.11.2021

Der letzte Eintrag in meinem Notizbuch stammt vom 20.02.2020. Auch wenn das Datum lustig anmutet, das ist kein Scherz. So lange ist es her, dass ich zum letzten Mal mit dem Zug zu einem Konzert gefahren bin. Solange ist es überhaupt her, dass ich Zug gefahren bin. Erst kam der Lockdown, später kam das Hochwasser mit all seinen infrastrukturellen Zerstörungen.
Seit zwei, drei Wochen ist die Bahnlinie nach Köln wieder intakt, ich habe den Weg zum Bahnsteig nicht vergessen, meinen Mundschutz eingepackt und sitze Minuten später da, wo ich immer saß, wenn ich abends zu Konzerten fuhr: beim Knick an den Wagenübergängen. Soweit Routine und jahrelange Praxis, aber heute Abend kommt es mir wie etwas Besonderes vor. Ich bin gespannt wie ein kleines Schulkind vor der ersten Klassenfahrt.

Squid. Ein Konzert das ursprünglich irgendwann stattfinden sollte, dann verlegt wurde, dann nochmals verlegt wurde und schließlich auf einen Termin Ende des Jahres gesetzt wurde. Ende des Jahres ist heute Abend, das Bumann & SOHN heißt Gebäude 9 und Squid sind mittlerweile eine der angesagtesten Bands Englands.
Zweimal konnte ich Squid schon sehen, das ist ewig her. Aber hängengeblieben ist die tolle Livequalität der Band, die mich damals so sehr faszinierte, dass ich die Albumveröffentlichung kaum abwarten konnte. Ich musste diese Songs in Ruhe hören. Ihr Debütalbum Bright Green Field erschien dann im Mai dieses Jahres, ihr Konzert im Bumann & SOHN war zu diesem Zeitpunkt schon angekündigt und ich hatte natürlich das Ticket in der Schublade.
Nun, das Album enttäuscht mich nicht, es ist beinahe so irre wie Squids Konzerte. Die monotonen Drumparts, die vielen Tempo- und Instrumentenwechsel, die mal sehr tanzbaren, mal sehr verwirrenden Gitarrensounds, eigentlich all das, was ich aus den Livekonzerten kannte, höre ich auch auf der CD. Da haben sie nichts rausgelassen oder glattgebügelt. Das ist gut und Bright Green Field ist definitiv eines der Alben des Jahres, keine Frage.

Das sehe offensichtlich nicht nur ich so, das Konzert ist nicht nur hochverlegt worden, sondern das größere Gebäude 9 ist auch ausverkauft. Squid sind eine der Bands der Stunde mit einem der spannendsten Sounds des Augenblicks. Wahrscheinlich werde ich dasselbe später im Jahr auch über die Konzerte von Black Country, New Road und Black Midi sagen. Falsch ist das dann nicht, auch diese Bands versprechen mit ihren aktuellen Alben großartiges und unterfüttern den Hype um die neue britische Post-Punk Generation. Als ich gegen kurz nach 20 Uhr den Eingangsbereich betrete, ist der Saal schon voll. Na, immerhin habe ich mir zuvor das Schlange stehen zur 2G Kontrolle erspart. Natürlich ein schwacher Trost dafür, dass ich jetzt im hinteren Saalbereich rumstehe.

Nein, das ist keine Musik vom Band. Oder? Zwar höre ich Synthies, Saxophon und Schlagzeug, ich sehe aber auch einen Musiker mit Gitarre auf der Bühne stehen. Oder ist das gar kein Musiker, sondern ein Mitarbeiter, der eine Squid Gitarre stimmt? Ich schenke ihm kaum Aufmerksamkeit, erst als Applaus aus den vorderen Reihen kommt und der Kerl irgendwas von ‘next song…’ ins Mikrofon sagt, bin ich bei der Sache. A ha, doch keine Umbaupause.
Auf der Bühne steht John Moods und macht seichtesten Softrock. Der klingt so unspektakulär und so leise, dass man ihn durchaus für Pausen- bzw. Hintergrundmusik halten kann. Manchmal höre ich Soft- oder Yachtrock vor dem Einschlafen; er klingt so schön harmonisch und sanft, dabei lässt sich gut abschalten und wegschlummern.
Synthiewellen beschallen den Saal. Die kommen, genauso wie das Schlagzeug und ab und an ein Saxophon, vom Band. Die Gitarre und Gesang sind aber wohl live, genau nehme ich das von weiter hinten nicht wahr. John Moods sieht aus wie Wolfgang Petry und er hat – so fasse ich für mich nach wenigen Minuten seinen Auftritt zusammen – musikalisch die 1970er und modisch die 1980er genau studiert. Und das klingt toll. Ich muss mir mal die CD besorgen, sie scheint perfekt für faule Sonntage auf der Couch und für nächtliche Autofahrten. Also irgendwie für alles. Wenn mein Mobilempfang besser wäre, hätte ich jetzt den Künstler gegooglet. Aber das neue Gebäude 9 ist zu gut abgeschottet, als dass meine notwendige Funkstrahlung ins Innere des Saales vordringen kann. Hätte sie es geschafft, hätte ich in der Umbaupause folgendes über John Moods lesen können:

John Moods wuchs in Süddeutschland auf und zog 1994 nach Berlin. Er war Mitgründer der Berliner Band Fenster und veröffentlichte im Juni 2018 sein Debütalbum The Essential John Moods.

Lese ich in der Umbaupause eben nichts, sondern schaue mich um. Ich bin zum ersten Mal nach der Renovierung im Gebäude 9. Der Boden ist neu, die Wände (noch) strahlend weiß. Sicherlich ist der ‘Jackenhaken’ (eine kleine Fuge/Ritze in der Wand) vorne links ausgespachtelt. An diesem Abend kann ich das nicht prüfen, es ist voll und ich verspüre keine Lust, mich weiter nach vorne zu begeben. Und sonst? Nun, man erkennt das Gebäude 9 noch wieder, seinen alten Charme hat es nicht verloren. Ich dachte, der Saal wäre jetzt größer. Gefühlt erscheint er mir auf den ersten Blick unverändert. Auf den zweiten Blick bemerke ich dann, dass in der Tiefe doch zwei, drei Meter dazugekommen sein müssen. Die Tür neben der Bühne war vorher nicht da und auch die Abstände der Wandpfeiler zum Eingang und zur Bühne waren früher anders.

Dann kommen Squid. Louis Borlase, Ollie Judge, Arthur Leadbetter, Laurie Nankivell und Anton Pearson positionieren sich an der Schnur aufgereiht auf der Bühne. Nach dem Intro kommen erstmal non Album Songs. „Fugue” ist ein neuer Song, der nicht auf Bright Green Field veröffentlicht ist, genauso wenig wie „Sludge”, „The cleaner” und „Sevenz”. Dazwischen mogelt sich „G.S.K.”, der erste Hit, das erste Highlight im Konzert. Die Setlisten der Squid Herbsttour ähneln sich, ich hoffte aber, dass sie „Documentary Filmmaker” spielen, das sie bei dem ein oder anderen Konzert ausgelassen haben. Ich mag den Song, die ruhige Anfangspassage, das scheinbare Ende nach zwei Minuten und dann der immer stärkere und lauter werdende Gesang. Das ist so typisch für den Squid Sound.
Nach „Narrator” ist es soweit. Zur Postpunktrompete – ich kann es nicht anders nennen – zitiert Ollie Judge ruhig die Textzeilen zu „Documentary Filmmaker”, das kurz danach in diese zackigen Beats übergeht. Auf dem Album folgt dann „2020″, hier und heute „Pamphlets”, dieses Monsterding von Song. Wer kann da ruhig stehen? Auch weil zuvor schon „Narrator” das Gebäude 9 zehn Minuten lang ordentlich durchschüttelte. Diese drei Songs bilden ein großartiges Finale des Konzertes, das hinten heraus nochmal ordentlich laut wurde.

Zuvor ist es zeitweise verwirrender. Ist ein Song nun zu Ende oder ist es nur ein leiser Part, spielen sie gerade einen Übergang von Song A zu Song B, oder warum spielen jetzt alle gleichzeitig scheinbar irgendwas? Aber auch im größten scheinbaren Durcheinander ist immer eine Struktur vorhanden. Sie zeigt sich nur nicht immer so klar wie in den drei bekannteren Songs „G.S.K.“, „Narrator“ und „Pamphlets“. Die sind ja beinahe Mathrock! Alles andere liegt live irgendwo zwischen Krautrock, Der Plan und free Jazz ohne Jazz. Aber Squid sind eine schlaue Band, sie übertreiben es nicht, ihr Durcheinander ist nie zu viel Durcheinander (wie mir das z. B. auf der neuen Black Midi CD vorkommt). Und genau darum finde ich Bright Green Field enorm hörbar und so spannend. Dieses ’nicht zu viel‘ macht auch das Konzert nicht anstrengend, aber kurzweilig. Immer wenn ich denke, ‚puhh, warum jetzt noch ’ne Schleife‘, kommt ein tanzbarer Beat um die Ecke und entschlackt das Soundchaos.

12 Songs und gute 75 Minuten Konzert. Es war ein perfekter Restart nach dem Lockdown und all dem anderen Kram. Ich freue mich auf die nächsten Gebäude 9 Konzerte. Die baulichen Veränderungen lassen mich im Winter vielleicht nicht mehr so frieren wie früher. Wenn die Zugverbindung stabil bleibt, sehen wir uns noch ein paar Mal in diesem Jahr.

Setlist:
01: Intro
02: Sludge
03: G.S.K.
04: Fugue
05: Sevenz
06: The Cleaner
07: Peel St.
08: Boy Racers
09: Paddling
10: Narrator
11: Documentary Filmmaker
12: Pamphlets

Kontextkonzerte:
Squid – Transformer 4 Festival Maastricht, 18.01.2020
Squid – Sonic City Festival Kortrjik, 10.11.2019

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