Ort: Mercedes-Benz Arena, Berlin
Vorband: The twilight sad

The Cure

Mein letztes The Cure Konzert passierte in Barcelona auf dem Primavera 2012. Robert Smith und Konsorten spielten mich seinerzeit müde. Unendliche Stunden blockierten sie die große Hauptbühne, spielten einen Hit nach dem anderen und ließen vieles andere zur Nebensache werden. Nach über zwei Stunden hatte ich nach einem harten Festivaltag genug von dunklen Bassläufen und verließ das Konzert, auch um mir parallel spielenden Kram anzuschauen. Als ich nach einer Stunde wiederkam, hallte gerade „Close to me“ über meinen Kopf hinweg. Ich war also pünktlich zur Zugabe zurück.

The Cure bedeuteten mir in den 1980er Jahren nicht so viel. Klar, ich tanzte zu „Boys don’t cry“ und „Why can’t i be you“, aber wer tat das nicht? Im weitesten ließ mit Gothic kalt und ich wurde kein großer The Cure Fan. „Never enough“, die Singleauskopplung von ihrem Mixed-up Album gefiel mir gut, ich glaube ich war damals so wirklich der einzige, der dem The Cure’schen Soundwechsel im Vergleich zu Disintegration nicht vollkommen verneinend gegenüberstand. Wish fand ich demzufolge nach großartig, in Düsseldorf sah ich die Band auf der zum Album gehörenden Tour. Danach verlor ich sie etwas, die Geschichten aus den 1990er Jahren ob möglicher Bandauflösungen nahm ich zwar wahr, mehr jedoch nicht. Ihre in dieser Zeit veröffentlichten Alben Bloodflowers und Wild Mood Swings hörte ich kaum, auch die späteren Alben The Cure und 4:30 Dream liefen irgendwie nur nebenbei. Allerdings besuchte ich ihre Konzerte. 2008 in Oberhausen, es war großartig! Und da mich auch der Barcelona Auftritt sehr beeindruckte, nahm ich mir vor, The Cure noch einmal (mindestens) live sehen zu wollen.

Seit einiger Zeit gehört Reeves Gabrels zum Stammpersonal der Band. Der Gitarrist unterstützt das Gitarrenspiel in unspektakulärer Art und Weise. Weit rechts steht er am Bühnenrand, meist abseits der Scheinwerfer. Weniger unscheinbar gibt sich da – natürlich – Simon Gallup, der das Konzert als läuferische Herausforderung annahm und permanent unterwegs ist, den Bass immer in der Kniekehle hängend zupfend. Eine rückenunfreundliche Körperhaltung, aber Simon Gallup ist das egal, solange die Tolle sitzt und das Rockabilly Outfit passt, ist alles okay.

Und alles wie immer, auch bei Robert Smith. Der  Chef der Band trägt sein labberndes, schwarzes Hemd zum weiß gepuderten Gesicht, die Augen mit dickem Kajalstift schwarz umrandet. Auffällig sind die Goldketten um seinen Hals, die dicker wuchtiger scheinen als früher. Seine Haare sind immer noch nach oben, nach hinten und gleichzeitig auch zu allen Seiten zerzaust gekämmt. Warum auch nicht.
Das dritte, länger jährige Bandmitglied Roger O’Donnell bildet optisch einen Gegenpol und wirkt am unscheinbarsten, weil am unspektakulärsten gekleidet. Verflucht, bilde ich mir das nur ein oder hat er eine gewisse Ähnlichkeit mit Nicky Wire von den Manic Street Preachers?

Die Tour ist als greatest Hits Tour deklariert, und somit war es Pflicht, alle größten Hits auch zu spielen. Da The Cure eine Menge davon haben, dauerte es eben entsprechend, bis die Liste abgearbeitet ist. Hier und heute nicht ganz drei Stunden und ich könnte sagen, es war ein Kompaktkonzert, wenn ihre Auftritte aus England von vor zwei Jahren als Maßstab erhalten sollen. Damals spielten sie an die 40 Songs an je zwei Abenden, 33 Songs werden es an diesem Abend sein. Natürlich sind in der Zwischenzeit keine Hits verlorengegangen, nur die kleineren Hits ließen The Cure dieses Mal weg. „Jumping someone else’s train“ zum Beispiel, „Killin‘ an arab“, „10:15 Saturday Night“ oder „Charlotte sometimes“, was ich live wohl nie hören werde. Auch auf meinen bisherigen The Cure Konzerten fehlte der Song auf der Setlist.

The twilight sadDie Mercedes-Benz Arena füllte sich nur zögerlich. Einlaß 17.30 Uhr wurde tags zuvor ausgewiesen, um 19.15 Uhr war es noch angenehm aufgelockert vor der Bühne. Ist aber auch verdammt früh, unter der Woche ein Konzert um 19.30 Uhr beginnen zu lassen. Wer nicht frei genommen hat, muss sich da schon sputen, um rechtzeitig von der Arbeit vor Ort sein zu können. Und das waren denn scheinbar einige, die es so früh nicht schafften. Die, die zu spät oder etwas später kamen, verpassten The twilight sad.  Die Schotten machten ihre Sache gut. Die Band gibt es ja auch schon ewig, irgendwann vor ein paar Jahren sah ich sie mal irgendwo. Eine halbe Stunde Zeit hatten The twilight sad um ihren extrovertierten Sänger James Graham, um eine Duftnote zu hinterlassen. Ich sag mal, es ist ihnen gelungen. Die dunkleren shoegazigen Gitarrensongs fügten sich gut in diesen Abend und da es bei The twilight sad qualitativ ja eh nix zu meckern gibt, war es eine schöne Entscheidung von The Cure, die Band auf ihre gesamte Tour mitzunehmen. Sieben Songs lang war es herrlich schummrig in der Halle, die Bühnenbeleuchtung war auf wenig rotes und hellrotes Licht reduziert, so dass vorne an der Bühne gar leichte Clubatmosphäre aufkam. „Reflection on the television“ und das letzte Lied des kurzen Sets „And she would darken the memory“ fand ich besonders schön, fasziniert hat mich James Graham durch seine ausgedrückte Leidensfähigkeit mit seinen Songs. The twilight sad passten mir gut in den Kram. Als nächstes käme seine ‘all time favorite band The Cure‘, hieß es vom Sänger zum Abschluss des Auftritts. Er ballte dabei die Faust seiner rechten Hand. Ganz so, als würde er sich selbst auch riesig darüber freuen. Immer noch und sicher wie an jedem der vielen Abende zuvor auf dieser Tour.

Die Umbaupause war kurz und knackig. Lange rumgefuchtelt wurde nicht. Die Logistik scheint über die Monate eingespielt zu sein. Und in der Erwartung eines langen Abends war das auch nicht das schlechteste. Es gab immerhin schon Leute, die zu diesem Zeitpunkt bereits über 2 Stunden in der Halle rumstanden. Mit „Shake dog shake“ begannen Robert Smith und Co den Abend. Als zweites kam das von mir sehr gemochte „Faszination street“, um einiges später mein vielleicht liebster The Cure Song „One hundred years“. „One hundred years“ war neben „The Baby Screams“ vom 1985er Album The head on the door für mich das Kernstück des Abends und zusammen mit „Burn“ vom The Crow Soundtrack mein absolutes Highlight. Ich mag diese dunklen Gitarren, diesen treibenden Bass, der noch nicht ganz rund läuft (im Vergleich zu späteren Sachen) und diese monoton elegischen Gitarre, die Robert Smith dazu spielt. 35 Jahre hat der Song auf dem Buckel, man hört jedes einzelne Jahr dem Song an. Aber seine Stärken büßt er dadurch überhaupt nicht ein. Ein Evergreen, einer der größten und besten The Cure Songs. Robert Smith singt „it doesn’t matter if we all die“ und In der Arena laufen auf der Videoleinwand in schwarz-weiß schreckliche Filmsequenzen über Mord und Tod.

Ähnlich verhält es sich für mich mit „Burn“. Perfekt als Soundtrack für The Crow geschrieben, wirkt es auf den ersten Hördurchlauf vielleicht unscheinbar und mag zwischen all den bis dahin geschriebenen und folgenden Songs ein wenig untergehen; live ist es fantastisch.

Im Gegensatz dazu fand ich „A forest“, was direkt auf „Burn“ folgte, schwach. Auch schon in Barcelona hatte das Gefühl, dass dieser Song nicht so recht zur Wirkung kam. Der Eindruck, The Cure rotzen „A forest“ einfach herunter, schwingt bei mir immer latent mit. Er kommt mir schneller gespielt vor, irgendwie hastig abgearbeitet. Die Publikumsreaktionen sind hinsichtlich dieser beiden Songs natürlich gegensätzlich zu meinen Empfindungen. Großer Jubel zu den ersten Takten von „A forest“, eher höflicher Applaus nach „Burn“.
Die Riesenhits kennt natürlich jeder, auch der 28jährige Jungspund, der altersmäßig eher die Ausnahme bildete, aber stimmungsmässig bei den Hits die größte Klappe hatte. Aber allgemein standen auf der Beliebtheitsskala „Boys don’t cry“, „Friday i’m in love“, „Lullaby“ und die etwas schnelleren Songs wie das Dinosaur Jr Cover „Just like heaven“ auf den Spitzenpositionen der Jubelskala. Dann greift Robert Smith zur Akustikgitarre („Friday i’m in love“) und auf der Leinwand laufen locker bunte Sequenzen wie die rot/blauen Herzen des Wish Plattencovers.

Daneben hatte aber auch jeder so seine persönlichen Favoriten. Waren es bei mir die erwähnten „One hundred years“, „Burn“, „Fascination street“ und „In between days“, so waren für einen Typ neben mir alle Songs Favoriten. Immer, wenn ich ihn aus den Augenwinkeln beobachtete, hatte er ein Grinsen auf dem Gesicht und sang leise in sich hinein mit. Er war ein großer Fan, man sah es ihm an. Ich selbst war überrascht, dass ich während der gesamten Konzertphase nicht in ein Loch fiel und die Band mich kurzzeitig langweilte. Ja, das war verwunderlich.

Nach 90 Minuten verließen The Cure zum ersten Mal die Bühne. Durchatmen und sich neu sammeln, denke ich. Die alten Setlisten wurden entfernt und neue ausgelegt. Diese zweite Setlist sah aus der Ferne nochmals ewig lang aus, es war also nicht nur ein Zugabenblock, der noch folgen würde. Natürlich nicht, denn wer die bisherigen Konzerte der Tour verfolgte wusste, dass noch lange nicht Feierabend war. Der zweite Abschnitt begann mit „It can never be the same“ und einer Besonderheit: Robert Smith verpasste seinen Gesangseinsatz. Nach guten 2 Stunden schwand nicht nur beim Publikum die Konzentration. Es war das einzige Mal an diesem Abend, der so perfekt durchgestylt ablief, dass etwas nicht klappte. Die The Cure Perfektionsmaschine ist mir schon unheimlich.  Das der Song neu ist, fällt gar nicht weiter auf. Angenehm passte das Stück in den von der Band gesetzten Rahmen als erster Song des zweiten Blocks und dem folgenden „Sinking“, welches wunderbar zu „Burn“ hinführte. Gut, danach kam „A forest“ und der erste Teil des zweiten Blocks ist beendet.

Als ich mich fragte, welche Songs eigentlich noch fehlten, spielten sie „Hot Hot Hot!!!“. Ach ja, den gibt’s ja auch noch! Und das, so denke ich, macht den Unterschied von The Cure Konzerten zu anderen Konzerten aus: diese Band hat einfach so viele Hits und persönliche Songlieblinge, dass ich dazu neige, viele von ihnen zu vergessen. Ich kenne keine andere Band, die mir ähnlich viele schöne Songs liefern könnte wie The Cure. Sonic Youth vielleicht, aber da mag ich aus der größeren Fanbrille schauen. Ernsthaft: Wer sich in den letzten dreißig Jahren in Independent und Underground Musik verliebt hat, der kommt an The Cure einfach nicht vorbei. Die Band ist einfach zu gut, um sie ignorieren zu können.

„Let’s go to bed“ wäre ein guter Konzertabschlusssong. Aber sie spielen noch zwei weitere Welthits. Denn während andere Bands mit großem Tamtam ihre Konzerte beenden, spielen The Cure einfach wie belanglos zusammengesetzt „Close to me“ und „Why can’t i be you“ (übrigens zu beiden Songs spielt Robert Smith keine Gitarre), um dann die Bühne endgültig zu verlassen. Erkennen konnte man das nur daran, dass Robert Smith wie ein alter Entertainer an den Bühnenrand ging, um dem Publikum zu applaudieren und sich freudestrahlend für die Begeisterung zu bedenken. Ich bilde mir ein, ihm angehen zu haben, wie sehr er dieses Konzert genossen hat und wie dankbar er über all den Zuspruch ist. Hier ging einer von der Bühne, der den Erfolg nicht als selbstverständlich ansieht und der nicht selbstgefällig auf ihn herabschaut. Nein, hier ging einer von der Bühne, der vielmehr ungläubig darüber zu sein scheint. Und das immer noch, nach all den Jahrzehnten.

Es war ein wundervolles Ende eines beeindruckenden Konzertes.

Kontextkonzert:
The Cure – Oberhausen, 16.03.2008 / König-Pilsener Arena
The Cure – Primavera Sound Festival – Barcelona, 01.06.2012

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