Ort: DEPART, Kortrijk
Bands: Rose City Band, Deerhoof, Stereolab

Stereolab - Sonic City Festival Kortrijk, 10.11.2023

Das Stadion des KV Kortrijk ist noch ein typisches, zwischen Wohnbebauung eingekeilt liegendes Stadtstadion. Quasi das Luton Town Stadium Belgiens. An dem einen Ende ist ein Euromarkt bis an die Tribüne gebaut, auf der gegenüberliegenden Seite hat ein Autohändler seine Fahrzeuge neben den Tribünenstreben geparkt. An den Kopfseiten umschließt jeweils eine Straße mit Wohnhäusern das Stadion. Der Haupteingang befindet sich quasi auf dem Bürgersteig. Direkt vor den Drehkreuzen ist eine Bushaltestelle. Was für ein schönes, altehrwürdiges Stadion! Doch wo parken eigentlich die Auswärtsfans?

Kurz nach unserer Ankunft und bevor gegen 19 Uhr das diesjährige Sonic City Festival durch die amerikanische Rose City Band eröffnet wird, nutze ich die Gelegenheit für einen Spaziergang zum Stadion. Als ich vor Jahren das erste Mal in Kortrijk war, wollte ich hier schon kurz vorbeischauen, nur leider blieb keine Zeit. An diesem Spätnachmittag regnet es zwar, aber es gibt Zeit und Muße, über das Flüsschen Leie hinweg gemütlich zum Guldensporenstadion zu schlendern. Der KV Kortrijk spielt aktuell in der belgischen Jupiler Pro League, der höchsten Spielklasse im belgischen Fußball. Aber er spielt nicht erfolgreich. Aktuell ist die Mannschaft Tabellenletzter, am letzten Spieltag verlor der KVK gegen Union Saint-Gillosie 3:0. Das nächste Heimspiel ist gegen den berühmten KV Mechelen. Wer erinnert sich nicht an die sagenhafte Europapokalsaison 1988. Das wird schwer, es ist aber bereits ein 6-Punkte Spiel.

Rose City Band - Sonic City Festival Kortrijk, 10.11.2023

Die Rose City Band spielt Yachtrock. Auch nicht ganz so erfolgreich, sonst würden sie große Hallen füllen und in Köln nicht im Bumann & SOHN auftreten. Aber sie spielen es schön. Unaufgeregt, entspannt, mit aller Zeit und Ruhe für country-eske Gitarrensoli. Das Zuhören macht mir Spaß, auch wenn ich keinen einzigen Song der Band kenne. Wie auch, ein kleiner Anspieltipp im Vorfeld des Sonic City Festivals musste reichen, um mir einen Eindruck über die mir bis dahin unbekannte Band zu verschaffen.
Die Rose City Band ist das Projekt des Wooden Shjips Sängers und Moon Duo Mitglieds Ripley Johnson. Hilft das, die Band einzuordnen? Mir nicht so richtig, Moon Duo sagt mir zwar ein bisschen was, aber eben nur ein bisschen. Meinen Anspieltipp spielen sie als zweiten Song, er klingt live noch viel relaxter als im Video. Ich bin angetan, auch wenn ich eigentlich Countrykram, der eindeutig nach Countrykram klingt, nicht sonderlich mag. Die Pedal Steel von Barry Walker ist in einigen Songs sehr präsent, mir manchmal zu präsent. Aber die Yachtrockgitarre ist klasse! Garden Party heißt ihr aktuelles Album, ihre Musik könnte tatsächlich jeden sonntäglichen Mittags-BBQ untermalen.

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Das Sonic City Festival findet seit vielen Jahren immer im November und immer parallel zum Le Guess Who Festival im belgischen Kortrijk statt. Festivalort ist das sogenannte Depart, ein Gebäudekomplex, der neben Büroräumlichkeiten auch Veranstaltungsräume unterschiedlicher Größen beheimatet. Der große Saal des Depart, der an diesem Freitagabend bespielt wird, fasst gut 1000 Leute. Vor der Pandemie war ich zuletzt und erstmals hier beim Sonic City Festival; Cate LeBon, Thurston Moore, Deerhunter waren seinerzeit die Headliner, die mich zwei Tage in Kortrijk festhalten. Auch neue Bands wie Squid, The Murder Capital oder PVA gehörten damals zum Aufgebot.

In diesem Jahr schien nur der Freitag interessant. Stereolab und Deerhoof zogen uns an. Damit sich die Fahrt lohnt, wollten wir die anschließenden Tage an der See verbringen. Für das Le Guess Who waren wir zu spät, das Festival ist lange ausverkauft und vier Tage neue und teils unbekannte Musik, die man entdecken muss und die erschlossen werden will, schaffe ich auch nicht jedes Jahr. Also dieses Jahr ein Tag Sonic City. Warum nicht.

Die Rose City Band ist für 19 Uhr angesetzt und eröffnet das Festival. Wir sind fast pünktlich da, der große Saal, der an diesem Freitag einziger Konzertort des Sonic City Festivals ist (an den nächsten Tagen werden zwei weitere Säle im Depart bespielt), ist überschaubar gefüllt. Um diese Uhrzeit kein Wunder. Stereolab, wegen denen sicherlich die meisten an diesem Freitag ein Ticket gezogen haben, treten um viertel vor zwölf auf. Also in gut fünf Stunden. Aber wenn wir schon hier sind, dann gehen wir auch hin!
Meine Idee war es, mir alle vier Bands, die am heutigen Abend spielen, anzusehen. Rose City Band, Deerhoof, Youth Lagoon und Stereolab. Dass es dann nur drei wurden und das Youth Lagoon aus meinem Programm fielen, ist meinem Zeitmanagement und den doch sehr langen Pausen zwischen den Konzerten geschuldet. Wenn das Hotel nur zehn Gehminuten entfernt liegt, bleibe ich nicht zum zweiten Mal 50 Minuten im Depart, um auf die nächste Band zu warten. In der ersten Umbaupause habe ich doch schon alles inspiziert. Es ist schlicht langweilig. Und wenn ich schonmal im Hotelzimmer bin, und überdies etwas hungrig, dann bleibe ich auch etwas länger. So verpasse ich Trevor Powers a.k.a. Youth Lagoon, der zwischen Deerhoof und Stereolab ein Konzert geben sollte. Habe ich etwas verpasst? Ich weiß es nicht.

Nach der Rose City Band dann Deerhoof. Noise-Rock. Seit 1995 gibt es unzählige Albenveröffentlichungen der Band, die am Schlagzeug das Monster aus der Sesamstrasse sitzen hat. Natürlich ist das Monster keine Handpuppe sondern Greg Saunier, einer der Gründer der Band. Zusammen mit seiner Ehefrau und Sängerin Satomi Matsuzaki und den beiden Gitarristen John Dieterich und Ed Rodriguez bildet er das Lineup von Deerhoof. Bereits vor 10 Jahren kuratierten sie das Sonic City, im selben Jahr spielten sie mit Xiu Xiu Joy Division’s Album Unknown Pleasures live. Diese Kombination stelle mir irre vor! Ich habe Deerhoof lange nicht mehr live gesehen, geschweige denn ihre Platten gehört. Trotzdem fühle ich mich auf Anhieb heimisch und ihr Konzert gehört definitiv zu den besseren Konzerten, die ich dieses Jahr gesehen habe.

Deerhoof - Sonic City Festival Kortrijk, 10.11.2023

In Bezug auf Stereolab offenbart sich mal wieder mein gesamtes musikalisches Nichtwissen. Die Band um die französische Sängerin Lætitia Sadier und den famosen Gitarristen Tim Gane hatte ich immer irgendwie im Twee-Pop verankert. Und über ihren Hit „French Disko“ dachte ich, es sei irgendeine dideldu Popnummer. Himmel, wie dumm ich bin! Gegründet Anfang der 1990er Jahre sind Stereolab vielmehr Post-Rock und Art Pop als zuckersüßer Indiepop. So sehe ich das zumindest nach diesem Konzert. Irre ich mich erneut? Keine Ahnung, ich habe – glaub ich – noch nie eine Sterolab Platte komplett durchgehört.
Letzte reguläre Alben erschienen bis 2008, zwischen 2008 und 2019 legte die Band eine Pause ein. Seit vier Jahren spielen sie vereinzelt Konzerte und veröffentlichen ein paar Zusammenstellungen von B-Seiten und so. Ob irgendwann noch mal mehr kommt, bleibt abzuwarten. Denn eigentlich, so lese ich, macht die Band nichts Neues mehr. In diesem Jahr spielen sie zum Beispiel nur die beiden Festivals Sonic City und das Le Guess Who, bei dem sie in diesem Jahr auch als einer der Kuratoren fungieren.

Auf der Trommel klebt das bekannte The deadly finger Logo. Es ist etwas verdreht, aber gut zu erkennen. Direkt vor mir steht Gitarrist Tim Gane. Wie alle männlichen Musiker der Band hat auch er eine Maß Bier mit auf die Bühne gebracht. Während er nahe am Bühnenrand steht, agieren der Bassist, Keyboarder und Schlagzeuger nahezu im Dunkeln und im Bühnenhintergrund. Links außen steht Laetitia Sadier. Geschickterweise am weitesten von mir entfernt. Wie erwähnt, ich habe musikalisch etwas anderes erwartet, fühle mich von den langen Gitarrenparts daher leicht überrumpelt. Aber so lasse ich mich gerne überrumpeln. Der Sound klingt toll und in den ersten Minuten werde ich zum Stereolab Fan. Jetzt, so denke ich, verstehe ich auch, warum auf der Sonic City Homepage bei der Kurzbeschreibung etwas von

In the 1990s, they were among the first being labeled as ‘post-rock’.

steht. Die Atmosphäre ist entspannt. Es wird viel getanzt und mitgesungen. Viele, oder besser: alle, sind nur wegen Stereolab hier. Der große Saal ist dabei angenehm gefüllt, aber nicht voll. Ausverkauft sind nur der Samstag und Sonntag des Festivals. Warum, verstehe ich nicht so ganz. Denn dieser Abend ist qualitativ gut besetzt. Vielleicht liegt es am Freitagabend und daran, dass Stereolab länger spielen, als der letzte Zug Richtung Brügge erreichbar ist. Darauf weist der Veranstalter explizit per Aushang und auf der Webseite hin. Das nenne ich Servicekultur. Bei uns unvorstellbar, hier schafft man es ja noch nicht einmal, einen Zeitplan vorher bekanntzugeben.
Das Konzert ist gut, sehr gut sogar. Die Band hat sichtlich Spaß bei ihrer Arbeit. 10 Songs spielen sie, bevor sie die Bühne verlassen. Normalerweise geben Bands bei Festivals ja keine Zugaben, Stereolab kommen aber nochmal zurück. „French Disko“ fehlt noch, und das darf einfach nicht fehlen.

La Resistance!

Setlist Stereolab:
01: Come and play in the Milky Night
02: Eye of the volcano
03: Lo boob oscillator
04: Miss modular
05: Mountain
06: Delugeoisie
07: Harmonium
08: Pack Yr romantic mind
09: Super-Electric
10: Simple headphone mind
Zugabe:
11: French Disko

Kontextkonzerte:
Sonic City Festival 2019 – Kortrijk, 09.11/10.11.2019
Deerhoof – Berlin, 16.02.2015 / Lido

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