Ort: Kulturkirche Nippes, Köln
Vorband: Jayan Bertrand

Thurston Moore Group - Köln, 16.03.2023

Improvisationen schreibt der Kölner Stadtanzeiger in seinem Magazin unter die Konzertankündigung der Thurston Moore Group, die an diesem Abend in der Nippeser Kulturkirche ein Konzert geben. Improvisationen. Als Improvisationen empfand ich die Konzerte der Thurston Moore Group bisher nicht. Es klingt zwar zwischendurch wild und unstrukturiert, aber ich hielt es immer für ein wohl geordnetes Chaos. Sowohl auf Platte als auch bei Livekonzerten. Letzteres würde sich zwar für Improvisationen anbieten, aber an ein ‘so haben wir das noch nie gemacht, aber wir lassen es einfach laufen und sehen, wie wir wieder zukommen’ kann ich mich bei den letzten Thurston Moore Konzerten nicht erinnern.

Unsere letzte Begegnung mit Thurston Moore ist noch gar nicht so lange her. Im Oktober. Im Urlaub. Wir standen an einem Sonntagmorgen in der Hotellobby an der Kaffeemaschine. Wir hatten kein Frühstück gebucht und kamen gerade vom Bäcker (sprich Pret A Manger) gegenüber. Auf dem Weg ins Hotelzimmer wollten wir uns noch mit Kaffee und Tee versorgen, als Thurston Moore plötzlich hinter uns auftauchte. Er kuratierte in dem Hotel eine Ausstellung über bisher unveröffentlichte Velvet Underground Photographien von James Hamilton und war wohl auch deswegen an diesem frühen Sonntagmorgen bereits vor Ort. Tags zuvor, als wir uns die Bilder des Fotografen angeschaut haben, hatten wir nämlich erfahren, dass am nächsten Tag eine kleine Führung und Fotosbesprechungen stattfinden werden.
Wir kamen nicht umhin, Thurston Moore anzusprechen. Was als kurze Frage unsererseits über die Ausstellung begann, mündete dann überraschenderweise in ein längeres Gespräch. Thurston Moore schien guter Dinge und berichtete ausführlich über die von ihm kuratierte Ausstellung. Ich glaube, die Zeit um und mit Velvet Underground ist für ihn ein Steckenpferd. Wir erzählten, dass wir eher zufällig von dieser Ausstellung erfahren hatten, aber daraufhin bewusst dieses Hotel für eine Übernachtung wählten. (Für Hotelgäste stand die Ausstellung permanent offen, für andere Besucher gab es nur kleine Besuchszeitfenster.) Es entstand ein munterer Plausch, Thurston Moore empfahl uns noch den ein oder anderen Bildband, erzählte Details zu der Ausstellung und empfahl uns, tags drauf zeitig zum Kings Theater zu fahren, um die volle Pracht des Gebäudes und des Konzertsaals in Ruhe bestaunen zu können. (Im Kings Theatre spielten am nächsten Tag Pavement, wir hatten Tickets und das haben wir erwähnt.). Irgendwann kam seine Ehefrau Eva Prinz hinzu. Ihr schien die Unterhaltung lang genug gedauert zu haben, sicher hatten die beiden noch wichtigere Termine. Kurze Zeit später verabschiedete sich Thurston Moore von uns und auch wir machten uns auf den Weg. Seine Einladung, abends bei seinem kleinen Konzert im Rahmen der Ausstellung dabei zu sein, mussten wir leider aus Zeitgründen ablehnen.

Nippes.
Die Kulturkirche ist zu meiner Überraschung bebankt. Wir sind erst gegen halb neun da und versuchen, irgendwie in den Kirchensaal hineinzukommen. Wer die Kulturkirche kennt weiß, dass hinten an den beiden Getränkeständen, die links und rechts der Eingangspforte aufgebaut sind, immer ein irres Gedränge herrscht. Natürlich sind alle Bankplätze besetzt. Wir gehen am Rand des Kirchenschiffs weiter nach vorne. Das klappt überraschend gut und noch überraschender erblicken wir ganz vorne am Rand freie Sitzplätze. Natürlich ist der Blickwinkel auf die Bühne spitz und von Monitorboxen und Vorhang stark eingeschränkt. Aber ich sehe das Mikrofon und später auch Alex Ward und Jon Leidecker. Es geht also irgendwie ganz gut und ist allemal besser, als hinten zu stehen.
Kurz vor Konzertbeginn sind auch der Mittelgang und die Seitengänge voll. Vielleicht sollten sich die Kulturkirchenverantwortlichen überlegen, bei bestuhlten Konzerten nur so viel Tickets zu verkaufen, wie auch Sitzgelegenheiten vorhanden sind. Ist doch doof, wenn jemand direkt vor einem Sitzplatz steht. Die Gefahr besteht bei unseren Sitzplätzen nicht. Zu spitz ist der Winkel zur Bühne, als dass sich jemand darauf einlassen würde. Es sind nicht alle so schmerzfrei wie wir, zugunsten eines ruhigen Sitzplatzes den kompletten Blick auf die Bühne zu opfern. Die Band wird sehnlichst erwartet und der Applaus ist groß. Thurston Moore ist nach wie vor eine große Nummer bei Indiehörern über 40. Die sind in der Kulturkirche eindeutig in der Mehrzahl.

Krankheitsbedingt fällt der Group’sche Standardgitarrist James Sedward auf dieser Tour aus. 

Alex Ward springt für ihn ein. Der Rest der Group ist anwesend: Deb Googe, Jem Doulton und Jon Leidecker. Seit 4 Jahren arbeitet Thurston Moore mit ihnen zusammen. Seit Spirit Council, diesem Biest von einem Album. Drei Songs, drei CDs, zweieinhalb Stunden Spielzeit. Tja, wo bei anderen Bands die Songs aufhören, da beginnen sie bei der Thurston Moore Group erst. Das gilt übrigens auch an diesem Abend. Sieben oder acht Songs spielen sie in den 90 Minuten, die ihnen nach dem Soloauftritt des Seafoam Walls Sängers Jayan Bertrand bleiben. Den verpassen wir leider komplett. Ich gestehe, ich war neugierig auf den Typ, hatte ich doch tags zuvor ein paar Seafoam Walls Songs gehört, die mich ein wenig an Ryley Walker erinnerten; was gute Erinnerungen sind.

Thurston Moores Zusammenarbeit mit Deb Googe und James Sedward führt sogar noch weiter zurück. Hier fiel der Startschuss 2014. Die Thurston Moore Group ist eine eingespielte und etablierte Gruppe. By the fire, um das es an diesem Abend  hauptsächlich geht, ist bereits das siebte Thurston Moore Album nach dem Aus von Sonic Youth. Bis auf zwei Songs spielt die Thurston Moore Group Songs vom aktuellen Album By the fire. Die Ausnahmen sind ein Velvet Underground Cover und in der Zugabe das immer gern gehörte „Speak to the wild“.

Da kann sich Lee Ranaldo noch so sehr an seine Americana-Akzente kuscheln oder Kim Gordon ihren Techno-Experimenten verfallen – beide entkommen sie dem Schatten ihrer Vergangenheit nicht. Thurston Moore wollte nie weglaufen. Klar, auch er beschritt solo so manchen neuen Pfad, doch reichten Alben wie ‘The best day’ oder ‘Rock’n’ roll consciousness’ der Seele der Ex-Band stets die Hand. Der große Diplomat hegt keinen Groll und bemüht sich, das Früher mit dem Heute in Einklang zu bringen – auf seiner siebten Solo-Platte vielleicht so intensiv wie noch nie.

www.plattentests.de

Nach meinem Liveeindrücken möchte ich dem nicht widersprechen. Oft, sehr oft fühle ich mich bei Thurston Moore Songs an Sonic Youth erinnert. So natürlich auch an diesem Abend.

„Hypnogram“ als ersten Song, „Speak to the wild“ als Zugabe. Dazwischen: Kurz mal zum Naseputzen hinter den Vorhang (‘You know these German Winters.’), Gitarrengewitter mit Stampfbeat, Gitarren mit Thurston Moore typischen Säuselgesang (den ich übrigens sehr mag), Gitarren mit Klarinette und Gitarre mit Gitarre. Es ist so die übliche Moore’sche Gemengelage.
Im Vergleich zu meinem letzten Thurston Moore Konzert höre ich an diesem Abend sehr viel Gesang. Mir scheinen die Songs von By the fire etwas eingängiger, nicht so experimentell-vertrackt. Mein letztes Thurston Moore Group Konzert habe ich da anstrengender in Erinnerung. Lang sind sie natürlich immer noch. Allein „Locomotives“ dehnt sich auf 17 Minuten.

Zeitig verlassen wir die Kulturkirche. Notgedrungen. Der Zug wartet nicht. Wir nehmen noch die ersten Klänge der Zugabe „Speak to the wild“ mit, können aber nicht bis zum Schluss bleiben. Schade, denn „Speak to the wild“ ist toll. Danach sollten sie jedoch nichts mehr gespielt haben. Es ist schon um 22.30 Uhr und wenn sich die Sachlage nicht geändert hat, ist in der Kulturkirche um 22.30 Uhr Schluss.
So wie im AB. (Ich komme darauf, weil ich die Thurston Moore Group das letzte Mal im AB gesehen habe.) In dem Brüssel Konzertladen ist das mit dem Konzertende 22.30 Uhr übrigens deswegen so geregelt, damit alle noch entspannt die letzten Züge nach Hause bekommen können (die Nutzung des ÖPNV ist im Ticketpreis eingeschlossen, für überregionale Züge kann man mit dem Eintrittsticket vergünstigte Zugkarten kaufen – ich glaube 10 Euro von jedem Bahnhof Belgiens aus), in der Kulturkirche, die in einem reinen Wohngebiet liegt, aus Gründen der Lärmbelästigung.

Und ich dachte, ich hätte genug Thurston Moore Konzerte in meinem Leben gesehen. Pah, welch großer Irrglaube.

Kontextkonzerte:
Thurston Moore – Brüssel, 15.11.2021 / Ancienne Belgique
Thurston Moore Group – Sonic City Festival Kortrijk, 10.11.2019
Thurston Moore – Paris, 11.03.2017 / La Maroquinerie
Thurston Moore – Köln, 16.11.2014 / Gebäude 9
Thurston Moore – Köln, 31.03.2014 / King Georg
Chelsea Light Moving – Frankfurt, 03.07.2013 / Zoom

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