Ort: Abtei Neimënster, Luxemburg
Bands: SPRINTS, japanese breakfast, Sorry, The haunted youth, Phoenix, Billy Nomates
Endlich. In den letzten Jahren fiel der Besuch des Siren’s Call Festival in Luxemburg immer aus: ungünstige Terminplanungen meinerseits, nicht interessante Bands, Corona und Unwetter schafften es, mich von einem Besuch fernzuhalten. Aber nicht in diesem Jahr. Zwar fand zeitgleich in Antwerpen das Live is Live Festival mit ebenso interessanten Bands statt, wir entschieden uns aber für den Besuch der Abtei Neumünster im Zentrum Luxemburgs.
Im Innenhof des ehemaligen Klosters, das mittlerweile zu einem Kulturzentrum umgewandelt wurde, findet seit einigen Jahren das Siren‘s Call Festival statt. Also dort ist die Hauptbühne aufgebaut, zwei weitere Bühnen gibt es in einem angrenzenden Gebäude und in einer Bar ein paar Meter den Berg hoch auf der anderen Straßenseite.
Wer es noch nicht weiß, Luxemburg Stadt ist enorm hügelig. Das ehemalige Kloster liegt in der Unterstadt direkt am Flüsschen Alzette. Ich kenne ehrlich gesagt keinen schöneren Festivalort. Im Hintergrund der Bühne bieten die Kasematten eine schöne Kulisse, links und rechts umschließen die alten Klostergemäuer den Innenhof. Der Fußweg zur Bar und damit zur kleineren, zweiten Festivalbühne führt entweder entlang der Alzette und dann sehr viele Treppenstufen hinauf, oder aber viele Treppenstufen hinauf und dann ein paar Meter bergan entlang einer Straße. Beide Strecken gehen in die Waden; dummerweise werden wir im Laufe des Abends diesen Weg mehrmals zurücklegen müssen.
Es ist ein schöner Sommertag. Temperaturen um die 30 Grad begleiten auf unserer Ausflugsfahrt quer durch die Eifel nach Luxemburg. Die Strecke über die B 51 ist mittlerweile ein alter Hut, dennoch wollte ich nicht nachts wieder zurückfahren. Das Festival endet zwar einigermaßen zeitig um nicht weit nach Mitternacht, aber ein Sonnentag kann an der Kondition zehren und die ganzen Reisestrapazen müssen ja nicht sein. Wozu gibt es Hotels und arbeitsfreie Sonntage?
Unser Hotel liegt in der Oberstadt, in Bahnhofsnähe. In Fußdistanz zum Festivalgelände. Ein Aufzug oder eine steile Straße bringen uns nach unten. Wir gehen zu Fuß, entdecken dabei noch ein paar schöne Gassen und sind pünktlich auf dem Klosterplatz.
Wir verweilen hier nur kurz, die erste Band, SPRINTS, spielt in der Bar Melusina. Also geht es erstmals den Weg entlang der Alzette. Die Bar ist klein, hübsch und klimatisiert. Das findet nicht nur die Sängerin Karla Chubb gut, mir kommt das jetzt auch gelegen. Draußen drückt die Nachmittagssonne doch ganz ordentlich. SPRINTS haben bisher eine Platte veröffentlicht. Back catalogue heißt sie und der Name ist Programm, vereint die Scheibe doch die bis dato veröffentlichten Songs. Ich entdeckte SPRINTS irgendwann während der Pandemie durch ihren Song „Drones“. Der Post-Punk war seinerzeit langsam am hochköcheln, und SPRINTS passte mit ihrem Sound gut in diese Phase. Neben Karla Chubb sind SPRINTS Colm O’Reilly (Gitarre), Jack Callan (Schlagzeug) und Sam McCann (Bass).
In der Melusina Bar ist es laut. Sehr laut. Ich höre kaum den Gesang, die Aussteuerung bei der ersten Band des Tages ist noch nicht optimal. Während der acht oder neun Songs wird es nicht besser, aber ich gewöhne mich daran. Ein guter, interessanter Start in das Festival. Nachdem ich es letztes Jahr nicht geschafft hatte, SPRINTS zu sehen, ist es mir jetzt gelungen.
Nach dem Konzert geht es zurück zum Kloster. Japanese Breakfast warten dort auf der Hauptbühne. Auch die Amerikanerin habe ich bisher verpasst. Auf dem kürzlich zu Ende gegangenen Primavera Sound Festival bot sich uns dreimal die Gelegenheit, die Band um Michelle Zauner zu sehen. Wir konnten sie aus unterschiedlichsten Gründen nicht nutzen. Mark Knopfler Gitarren. Irgendwann nach einer der langen Gitarrenpassagen im Japanese Breakfast Konzert muss ich unwillkürlich an den Gitarristen der Dire Straits denken. Gedanken an Eric Clapton hätten auch Sinn gemacht, aber der kam mir nicht in den Sinn. Auf dem Album sind mir die langen Gitarrenparts gar nicht aufgefallen. Live sind sie sehr präsent. Manchmal ein bisschen zu präsent, wie ich finde. Doch bevor die Gitarren ausgepackt werden, dröhnen erstmal der Gong (während „Paprika“) und das Saxophon. Auch das Saxophon ist mir auf dem Album gar nicht so wuchtig aufgefallen. Mh, vielleicht sollte ich Jubilee – das dritte Album der Band – nochmal etwas genauer und intensiver hören.
Mit Jubilee schaffte Japanese Breakfast den Durchbruch. Zumindest in den USA. Ich mag das Album sehr, es hat ein paar wunderschöne Dream- und Indiepop Songs. „Slide tackle“ zum Beispiel. Für mich ist es der schönste Indiepopsong der letzten Jahre. Live erinnert er mich ein bisschen an Destroyer Songs. Auch „Be sweet“ hinterlässt einen guten Eindruck.
Michelle Zauner blickt ab und an sehr verkniffen und grimmig drein. Dabei gibt es dafür eigentlich gar keinen Grund. Das Konzert fluppt tadellos. Oder ist das nur ihr konzentrierter Gesichtsausdruck? Egal, es sieht mitunter lustig aus, weil er so gar nicht zu ihrer sonst fröhlichen Bühnenperformance passt. Da wird viel gehüpft, gelacht und dem Publikum, in dem um diese Uhrzeit noch ein paar Kinder sind, herzlich zugewunken.
Der Zeitplan lässt uns ein letztes Mal Zeit, gemütlich den Standort zu wechseln, die nächsten Konzerte laufen für uns in der Melusina Bar. Wir gehen an der Alzette entlang. Der Fußweg ist mit Kunstfiguren und Lampions beleuchtet. Also noch nicht jetzt, sondern so wird es später am Abend sein. Jetzt stehen und hängen erstmal nur die Installationen.
Sorry sind bisher meine meistgesehene Band des Jahres. Das erste Mal sehe ich Sängerin Asha Lorenz und Bassisten Campbell Baum ohne Fellmütze auf den Köpfen. die waren im Winter (verständlich) und im Frühjahr (schon eher unpraktisch) noch ihr Markenzeichen. Sie sind immer noch mit ihrem zweiten Album Anywhere but here auf Tour. Ein tolles Album, an ihren Indie-Gitarren und dem stellenweise Duettgesang von Asha Lorenz und Louis O’Byren kann ich mich aktuell noch nicht satthören.
Nach ihrem Konzert bleibe ich direkt da.
The haunted youth. Eine großartige Liveband. Es ist mein zweites The haunted youth Konzert in diesem Jahr, und sie sind nochmal eine Schippe besser, intensiver, heftiger geworden, als im Frühjahr.
Die kleine Bühne ist voll mit Kabeln und Effektpedalen. Die Keyboards von Hanne Smets brauchen auch noch Platz. Egal, irgendwie passt alles hierhin, auch wenn den Musikern nur 2 qm Fläche bleiben. Der Innenraum der Bar ist auch voll. Es hat sich herumgesprochen, dass The haunted youth eine fantastische Band sind. Ihr ‘next generation New Wave’ wirkt elektrisierend, alles klingt so verdammt vertraut und ist doch irgendwie anders und neu. ‘Boys cry too’ hat sich Joachim Liebens auf seinen Arm tätowieren lassen. In Anlehnung an einen ähnlich klingenden The Cure Song, vermute ich. Musikalisch sind The Cure definitiv Vorbilder. Die Dreampopgitarre von The haunted youth lässt mich oft an die englische Band denken. Überhaupt, jeder, der die Gemengelage zwischen 80s Wave und 2000er Dreampop mag, wird The haunted youth mögen. Versprochen.
Phoenix. Und Pommes. Bisher war tatsächlich keine Zeit, einen Imbissstopp einzulegen. Aber da ich eh erst kurz vor knapp im Innenhof vor der Hauptbühne ankomme, kann ich auch noch schnell am Imbisswagen stoppen. Na ja, ob der Schlange davor ist ‘schnell’ sicher nicht der richtige Begriff; und ja, es dauert dann auch bis zu drei Phoenix Songs, bis ich meine Pommesschale in der Hand halte. Ist aber nicht dramatisch, von hier hinten habe ich eine super Sicht auf das teils famose Bühnenbild. Aber was heißt hinten, der Innenhof ist kein Fußballfeld und ausverkauft ist das Festival auch nicht. Ich stehe in den ersten 20 Reihen, das ist vollkommen okay. Im Laufe der nächsten Songs kann ich mich gar am Bühnenrand positionieren. Mit Pommes in der Hand. Ach, ich liebe diese unaufgeregten Festivals.
Phoenix spielen ein alle-Hits-und-ein-paar-neue-Songs Festivalset. Wie man das eben so macht. Es sei denn man ist New Order. (Blogleserinsider). Die Stimmung ist gut, die Bühnenshow und der Ton perfekt. Als Headliner liefern die Franzosen definitiv das sehenswerteste Konzert des Tages. Und ich merke mal wieder, was Evergreens sind. Songs, die man einfach nicht vergisst und die einfach nie langweilig werden. „Long distance call“, „Lisztomania“, „1901“, „Too young“.
Nach Phoenix geht’s in der Melusina Bar noch weiter. Billy Nomates bestreitet ihr Set um kurz vor Mitternacht.
Mein Festivalabschluss nach einem schönen Tag.
Das Billy Nomates Konzert startet ungewöhnlich. Mit der Akustikgitarre spielt die Engländerin ihren ersten Song. Das überrascht mich, denn Folk hatte ich nicht erwartet. “Balance is gone” klingt so natürlich ganz anders als auf ihrem aktuellen Album Cacti. Doch das reguliert sich schnell. Zum zweiten Song wird die Gitarre beiseitegelegt und die Soundbox gestartet. Ah endlich, jetzt klingt mir Billy Nomates vertrauter.
Billy Nomates hat keine Band. Die Beats kommen aus dem PC, respektive Mac – vermute ich mal – und Tor Maries – so ihr nicht Künstlername – performt dazu barfüßig und wild. Sie singt, tanzt und wirbelt von links nach rechts. Es ist irre! John Maus kommt mir in den Sinn, weil er eine ähnliche Herangehensweise an seine Musik hat. Und seine Bühnenperformance ähnlich irre ist. Billy Nomates, so lese ich später im Internet, hat sich aber mehr von den Sleaford Mods inspirieren lassen. Die machen ihre Konzerte ja auch nur mit Laptop und ohne Band. Es ist also die gleiche Herangehensweise, und sicher kommt es nicht von ungefähr, dass Billy Nomates (ihr Künstlernachname kommt sicher nicht von ungefähr) auf dem vorletzten Sleaford Mods Album zu hören ist.(„Mork’n Mindy“). Wer den Rechner bedient, erkenne ich nicht. Ich merke nur, der Beat läuft unerbittlich weiter. Und ich frage mich: Was, wenn etwas Ungewöhnliches passiert? Was, wenn Billy Nomates einmal unverhofft trinken muss oder das Wischen der Bühne – Schweiß und Wasser müssen weg, sonst besteht Rutschgefahr – etwas länger dauert? Es ist nicht wie bei den Sleaford Mods, wo Andrew Robert Lindsay Fearn ggfs. per Tastendruck die Beats stoppen und das Tempo des Konzertes verändern kann, oder wie bei John Maus, der selbst vor jedem Song den Sound startet. Billy Nomates macht das nicht selbst und auch nicht ihr Begleiter am Bühnenrand. Der hält nur das Handtuch, beobachtet die ersten Reihen und achtet darauf, dass ihr niemand zu nahekommt. Nun ja, es gibt sicherlich eine ganz einfache Antwort auf die Frage.
Das Konzert ist verdammt gut. Schnell tanzt nicht nur Billy Nomates, sondern beinahe die ganze Bar. Und in den ersten Reihen ausgelassen übrigens auch alle SPRINTS Mitglieder .
Nach getaner Arbeit genießen sie nun als Fan das Festival. Gut so!
Kontextkonzerte:
Sorry – Little Waves Festival Genk, 15.04.2022
Sorry – Köln, 13.02.2023 / Bumann & SOHN
The haunted youth – Little Waves Festival Genk, 15.04.2023
The haunted youth – Leuven, 21.08.2021
Phoenix – Primavera Sound Festival Barcelona, 23.05.2013
Phoenix – Köln, 10.06.2013 / Alter Wartesaal
Phoenix – Dortmund, 19.11.2009
Phoenix – Bochum, 04.11.2006 / Zeche
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