Ort: Rotondes, Luxemburg
Vorband: –
Chris Brokaw ist ein bisschen der Tausendsassa des US-Gitarrenrocks. Seine Musikvita ist enorm lang und die Kollaborationen sind das who ist who der amerikanischen Indierockszene: Evan Dando, Geoff Farina, Ryley Walker, Thurston Moore, John McEntire, Chris Eckman, Steve Wynn und Adam Licht, um nur die aufzuzählen, die ich kenne. Ich sah ihn einst bei den Lemonheads Gitarre spielen. Das war allerdings schon in diesem Jahrtausend. Circa zehn Jahre zuvor gründete er zusammen mit Stephen Immerwahr und John Engle die Band Codeine, später Come und noch ein paar weitere Bands.
Comes Hochphase lag in den 1990er Jahren. In dieser Zeit veröffentlichten sie ihre vier Alben, die bestimmt niemand kennt, die aber höchsten Lob in der damaligen Indieszene einheimsten. 1998 und nach dem vierten Album Gently, Down the Stream legten Thalia Zedek und Chris Brokaw die Band auf Eis und widmeten sich anderen projekten. Seit den 2010er Jahren geben Come in ursprünglicher Besetzung – also neben Thalia Zedek und Chris Brokaw mit Sean O’Brien am Bass und Arthur Johnson am Schlagzeug – ab und zu Konzerte. Ende letzten Jahres dann kündigten sie eine größere Europatour an. Yeahh!
Das war für mich der Startschuss, aktiv zu werden. Ich war kurz davor, nach Den Haag zu fahren, wo sie im April ihr erstes Europakonzert spielen sollten. Gott sei Dank zögerte ich mit den Planungen, denn schnell wurden weitere Termine nachgelegt, darunter ein Auftritt in den Rotondes in Luxemburg. Perfekt, das passt perfekt. Hier zögerte ich mit dem Ticketkauf nicht. Auch nicht, als ich sah, dass die Band beim Primavera eine Woche zuvor auftreten wird. Vielleicht klappt es zeitlich beim Festival, dachte ich, und wenn doch, dann sehe ich sie eben zweimal. Ein Festivalauftritt ist ja schließlich nicht das gleiche wie ein einzelnes Konzert.
For fans of: Codeine, Karate, Swell
steht auf der Homepage der Rotondes. Na, genau meine Schnittmenge. Hier bin ich richtig. Besser kann man den Come Sound nicht beschreiben. Und besser kann man die Fanschaft nicht benennen. Bitte, wer kennt denn heutzutage noch Karate, Swell oder Codeine? Man könnte auch noch Slint hinzufügen.
Wenig überraschend liegt der Altersschnitt der Besucher bei Ü40. Mindestens. Eher Ü40 plus 10. Vielleicht 100 Leute haben sich in der Rotonde an diesem Dienstagabend eingefunden, um Come live zu erleben. Eine Vorband gibt es nicht. Ein DJ, der später von Chris Brokaw namentlich erwähnt und gelobt wird, legt vor dem Konzert im Biergarten ein bisschen 1990er Indierock auf.
Es ist ein angenehmer Sommerabend, das Konzert hätte auch draußen stattfinden können anstatt im sanft klimatisierten Innenraum des direkt neben dem Luxemburger Hauptbahnhof liegenden Kulturzentrums. Come betreten um halb neun die Bühne in eben genau jeder Originalbesetzung mit Thalia Zedek und Chris Brokaw an den Gitarren, Sean O’Brien am Bass und Arthur Johnson am Schlagzeug.
Sie starten mit einem Request, wie Thalia Zedek anmerkt: „Hurricane“. In der Folge spielen sie Songs von allen Alben. Jeder im Publikum hat so sein Lieblingslied. Um fünf vor 10 bin ich an der Reihe. Dann spielen sie den – für mich – besten Song des Abends: „Saints around my neck“. Das ist einer dieser Songs, die sich langsam anschleichen, dann aber für immer im Gedächtnis bleiben. Beim ersten Hören wirkt er vielleicht unspektakulär. Der getragene Beginn mit dem sich immer mehr steigernden Gitarrengeklimper, die dann immer lauter werdende Rockgitarre, der einsetzende Gesang, der auch als Geschrei interpretiert werden kann. Der sich anschließende catchy Refrain und dann wieder das ruhige Gitarrengeklimper des Beginns. In dieser laut/leise Kombination geht es sechs Minuten lang weiter, bevor sich der Song die letzten beiden Minuten stark verändert und wie ein komplett anderer Song klingt. Neben „Recidivist“ – der einzige Song übrigens, zu dem Chris Brokaw den Gesang beisteuert – ist das mein absolutes Highlight des Konzertes. ‘Our guitars are loud enough?’ fragt Thalia Zedek irgendwann. Die Antwort ist ein grummelndes ‘yes’.
Der Rest sind 1990s Indie-Rock-Gitarren.
Im September spielt Chris Brokaw mit seiner anderen Band, Codeine, ein paar Konzerte in Europa. Nächster Anlaufpunkt wäre für mich Brüssel. Ich guck mal, was geht…
Kontextkonzerte:
Come – Primavera Sound Festival – Barcelona, 01.06.2023