Ort: Gebäude 9, Köln
Vorband: Theo Clark

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Vor vier, fünf Jahren hatte ich musikalisch einen Belgienkomplex. dEUS mochte ich ja schon von Anfangstagen an, die zählen daher nicht wirklich mit ihrer damaligen Veröffentlichung Selected Songs 1994-2014. Und wer braucht schon Kompilationen?! Wer aber zählt sind BRNS und Girls in Hawaii, die mir beide in kurzer Folge über den Weg liefen. Da auch Hooverphonic seinerzeit irgendwas veröffentlichten, was mir auffiel, machte alles zusammen mein musikalisches Belgien komplett. Nun, es gibt schlimmere musikalische Komplexe, möchte ich anfügen.
Girls in Hawaii entwickelten sich schnell zu neuen Lieblingen. Ihr Album Everest, gemeinhin als break through Album tituliert, gefiel mir außerordentlich gut. Ich mochte ihre leicht poppigen, synthieverhuschten Songs. „Misses“, „Switzerland“ oder „Not dead“ klingen dabei so wunderbar morbid und melancholisch, dass ich nicht umher kam, mich näher mit den Girls in Hawaii zu beschäftigen. Ihre Melodien und die ruhige, unaufgeregt klingende Stimme von Antoine Wielemans erinnerten mich sehr oft an Grandaddy, die damals in der Versenkung verschwunden waren.

2014 sah ich Girls in Hawaii gleich zweimal. Einmal in einem sehr vollen Gebäude 9 (die Grenznähe spiegelte sich in der Vielzahl belgischer Besucher wieder) und ein weiteres Mal in Brüssel. Da war die Halle um einiges größer, das Publikum noch belgischer und die Stimmung überragend gut.
Wurde es mir im Gebäude 9 noch nicht wirklich klar, in Brüssel verstand ich es: Girls in Hawaii sind eine Hausnummer, zumindest in Belgien. Das war 2014 schon so und ist es auch 2018 noch. Einfach so feierten sie vor einigen Wochen die Premiere ihrer neuen Platte Nocturne mit einer kleinen Liven Session im Brüsseler Bahnhof Centraal und die YouTube Livevideos zeigen sie in vollen Hallen. Oder wie ich als Kommentar unter dem Video zur aktuellen Single lese:

Très belle soirée! Les Girls au top.

In den letzten Jahren ließ ich die Girls in Hawaii aus. Ein veröffentlichtes Livealbum (Hello strange) ignorierte ich weitestgehend, Nebenprojekte nahm ich aus den Augenwinkeln wahr und als im Herbst das neue Album angekündigt wurde, war ich zwar neugierig, blieb aber ruhig. Trotz Ruhe kaufte ich mir ein Ticket für ihr erneutes Gebäude 9 Konzert. Was einmal gut war, kann auch ein zweites Mal gut werden. Und nach vier Jahren, Himmel, da ist es an der Zeit. Nachmittags hörte ich mir auf YouTube ein paar der neuen Sachen an und entdeckte dabei zufällig, dass sie live einen Grandaddy Song im Programm haben. Da musste ich dann doch ein wenig schmunzeln.
Schnell merkte ich, dass sie „A.M. 180“ auf der aktuellen Tour im Zugabenteil spielen. Oh wie fein, und ich hoffte, dass sie im Gebäude 9 nicht von ihrer Setlist abweichen werden. Die Band, die mich mit ihrer Musik an Grandaddy erinnert, covert einen Grandaddy Song. Das wollte ich unbedingt live hören!

Mit sonderlich viel Publikum rechnete ich an diesem Abend nicht. In Deutschland finden Girls in Hawaii kaum statt, ihre neue Scheibe wird kaum in den Medien besprochen. Andererseits, es ist Freitagabend und die Grenze nicht fern.
Wenn eine Band im eigenen Land groß ist, können Konzertausflüge mitunter uninteressant werden. ‘Girls in Hawaii im AB. Oh, ich hab kein Ticket mehr bekommen‘ oder ‘ach, der Forest National ist so groß, da sehe ich doch nix‘ sind so Argumente, die durchaus für eine Fahrt ins benachbarte Ausland sprechen. Ich weiß, worüber ich spreche.

Und so sind viele belgische Konzertsänger im Gebäude 9. Um mich herum sprechen – bis auf eine Ausnahme – alle französisch oder flämisch. Das mit den Ausflugsfahrten muss man sich so vorstellen: Es wäre ganz so, als ob Kettcar in Belgien nicht Hallen in Palladiumgröße ausverkaufen würden, sondern in kleinen Läden auftreten. Da wäre es doch auch viel spannender, kurz und schnell über die Grenze zu huschen, als ins proppenvolle Palladium zu gehen. Kettcar sind auch in anderer Hinsicht ein gutes Beispiel. Musikalisch tun sich die Bands nicht viel. Beide kommen aus dem gitarrenorientieren Indiepop, beide entwickelten sich in Richtung Mainstream Pop und wurden bekannter und erfolgreicher.

Nach der Vorband betrat ich das Gebäude 9. Theo Clark sagte mir nichts, und ich beschloss, ihn sausen zu lassen. ‘Und, wie hat euch die Vorband gefallen? Obwohl, Theo Clark ist ja nur eine Person…‘ fragte der aus Eupen stammende – und daher deutsch sprechende – Girls in Hawaii Bassist Daniel Offermann kurz vor Ende des Girls in Hawaii Sets. Obligatorischer Höflichkeitsapplaus setzte ein. Also ging so, interpretierte ich. Ich konnte weder klatschen noch müde dreinblicken, ich hatte ihn ja nicht gesehen. ‘Der ist toll, oder? Wir haben ihn aus Lüttich mitgebracht.‘ Das übliche Hauptband – Vorband Geplapper, schon tausend Mal gehört, dachte ich, bis sich Antoine Wielemans ungefragt zu Wort meldet: ‘He’s an arrogant person.‘ Oh ha. Was war das? ‘I like him, but he is arrogant.‘ Die Relativierung klang irgendwie merkwürdig. War das jetzt belgischer Humor? Ich bin mir nicht sicher.

Die Bühne des Gebäudes 9 musste angebaut werden. Sechs Musiker und Equipment braucht Platz. So wurde ein Vorbau installiert, auf dem während des Konzertes die beiden Sänger Antoine Wielemans und Lionel Vancauwenberghe standen. Die normale Bühnenbreite reichte nicht aus, um alle und alles unterzubringen: die Bodenscheinwerfer, eine riesige rückseitige Lichtinstallation inklusive Laserflackergedöns und Lichterkette, drei Keyboards und ein Schlagzeug. Die Gitarrenständer standen gar rechts vor der Bühne. Die übrigen vier Musiker François Gustin, Daniel Offermann, Brice Vancauwenberghe und Boris Gronemberger mussten ja auch noch auf der Bühne untergebracht werden. Es blieb kaum Platz zum Atmen. Offensichtlich haben Girls in Hawaii ihr Hallenset mitgebracht. Schon draußen schaute ich verwundert nach dem riesigen Tourbus plus Anhänger, der die gesamte Front des alten Industriebaus zuparkte. Himmel, das Tourprojekt Girls in Hawaii wirkt ambitioniert überdimensional. Zumindest für Deutschland. Da aber im Anschluss noch Konzerttermine in Belgien und Frankreich anstehen, macht das Mitschleppen des ganz großen Krams natürlich Sinn.

Also, viel Technik in der kleinen Halle und wenig Leute vor der Bühne. Was passiert dann oft in diesen Situationen? Richtig, die Stimmung bleibt irgendwo auf der Strecke. So empfand ich es auch bei diesem Konzert. So recht sprang der Funke nicht über. War die Bühnenshow zu erdrückend, war der Saal zu schwach besucht, sind die neuen Songs zu mau oder hatten wir alle einfach nur einen schlechten Tag? Schwierig zu beantworten, vielleicht war es von allem etwas.

Das Set war gut, und die neuen Songs nicht schlechter als die alten Sachen. Stilistisch schließen sie da an, wo Everest mit „Misses“, „Switzerland“ oder „Not dead“ aufgehört hat. Sie sind melodisch, poppig, träumerisch. Das ist schlüssig und die logische Fortsetzung dessen, was Girls in Hawaii bisher geboten haben. Einen kleinen Schmalzfaktor hatten sie ja schon auf Everest, auf Nocturne erscheint er mir eine Schicht dicker. Schlimm ist das nicht. „Indifference“ ist so ein Song, der durch den Harmoniegesang der beiden Sänger Antoine Wielemans und Lionel Vancauwenberghe so wunderbar melancholisch daherkommt, dass es einfach zu gut ist, um peinlich zu klingen. Andere Stücke leben von den Synthesizern. „Flavor“ zum Beispiel  klingt anfangs kühl und morbid, gar ein bisschen distanziert und könnten auch gut als Soundtrack für eine dieser belgischen Psychothriller Serien a la The Break oder Salamander hergenommen werden.
Das ist aber die Ausnahme, meist sind die Synthesizer auf Pop justiert und der phasenweise vierstimmige Gesang unterstreicht diese Poppigkeit, indem er den Songs mögliche Kanten und Kapriolen nimmt. In diesen Momenten klingt alles einfach schön. Weichgespült wäre ein Begriff, der passen würde, wenn er nicht negativ besetzt wäre.
Den einzigen Ausreißer bildet das instrumentale „Up on the hill“ das zackig, straight mit fünf Gitarren gespielt aus dem Rahmen fällt. Ein Backflash zu den älteren Girls in Hawaii Sachen.

Natürlich freute ich mich insgeheim auf ihr Grandaddy Cover. Der Blick auf die Setlist verriet mir, dass sie es auch an diesem Abend im Programm haben. Sehr gut. Grandaddy hätte die Band früher oft gehört und sie hätten sie beim Musizieren inspiriert, erzählen sie zuvor. Das erklärt alles.

Setlist:
01: This Light
02: Indifference
03: Changes will be lost
04: Switzerland
05: Misses
06: Blue shape
07: Not dead
08: Sun of the sons
09: Time to forgive the winter
10: Walk
11: Monkey
12: Up on the hill
13: The fog
14: Road to Luna
15: Birthday call
16: Rorschach
Zugabe:
17: Flavor
18: Guinea pig
19: A.M. 180

Kontextkonzerte:
Girls in Hawaii – PIAS Nites Festival, Brüssel 15.03.2014
Girls in Hawaii – Köln, 23.01.2014 / Gebäude 9

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