Ort: La Maroquinerie, Paris
Vorband: Serje

Shed Seven - Paris, 02.05.2025

‘Rick und Paul spielen ein Akustikset in Paris’. Diese Information sagte mir erstmal nichts, als sie mir erzählt wurde. Wer ist Rick, wer ist Paul? ‘Rick ist der Sänger von Shed Seven und Paul der Gitarrist.’ Ah ha, damit konnte ich schon mehr anfangen. Shed Seven also; auf einmal wurde die Information gar nicht mal so uninteressant. Aber dafür nach Paris? Wann ist denn das? Ach, am Brückenfreitag, na, das klingt doch machbar…. Und wie es so ist: wenn man nicht direkt ablehnt oder abgeneigt ist, hat man quasi zugesagt.
Also wurden schnell die Zugverbindungen gecheckt (nicht übertrieben teuer), ein Hotel gesucht (finanzierbar) und fertig stand der Kurzausflug in die französische Hauptstadt. Da ich länger nicht in Paris war, passte es ganz gut, diesen Konzertbesuch mit einem kurzen Sightseeing zu verbinden. Ein die-hard Shed Seven Fan bin ich jedoch nicht, in dem Kurztrip sah ich eher das Gesamtpaket als sehr lohnenswert und interessant an. Und ja, das Konzert wird schon gut; hohe Erwartungen hatte ich jedoch keine.

Shed Seven, das war für mich in den 1990er Jahren ein kleines Kapital. Vor 27 bis 30 Jahren war meine Shed Seven Hochphase, A maximum high (1996) und Let it ride (1998) sorgten für eine kurzzeitige, aber starke Begeisterung. „She left me on friday”, „The heroes“, „Getting better“, „Going for gold“. Knallersongs! Shed Seven wurden eine kurze Zeit lang neben den Bluetones meine liebste Britpop-Band. Oasis waren mit Be here now ein bisschen durch, Blur mit Blur und 13 musikalisch anders unterwegs und Pulp nach wie vor für mich weniger wichtig. Die Lücke schlossen erfolgreich Expecting to fly von The Bluetones und A maximum high von Shed Seven. In den Jahren danach hatte ich allerdings jeglichen Kontakt zu der Band verloren. Ich hatte keine Ahnung, was bei Shed Seven so passiert und ob überhaupt noch was passiert. Dass sie im letzten Jahr gar gleich zwei Nummer 1 Alben in England hatten, lese ich zum Beispiel erst im Nachgang zum Konzert. Glaub‘ es oder nicht, aber mit ihren Veröffentlichungen A matter of time und Liquid Gold (2024) sind Shed Seven tatsächlich so erfolgreich wie nie zuvor. Wow, jetzt erkundige ich gleich mal nach den Bluetones.

Wie erwähnt, ich erwartete wenig. Bekommen habe ich allerdings viel, zusammengefasst: das bisher stimmungsvollste Konzert des Jahres! Es war so eines dieser Konzerte, bei dem alles passte: Location, Publikum, Band. Wer konnte denn ahnen, dass Rick Witter ein so großartiger Entertainer ist? Wer konnte denn ahnen, dass die sechs bis 10 Hände voll angereister Briten eine Stimmung bis unter die Decke produzieren? Wer konnte denn ahnen, dass die La Maroquinerie in ihrer Größe und Bauform einfach der ideale Konzertort für dieses Konzert ist? Ich zumindest hatte all das vorher so nicht auf dem Schirm.

Der kleine Laden La Maroquinerie liegt abseits jeglicher Metrostationen im Südosten von Paris in der Nähe des Friedhofs Père Lachaise. Es bedarf schon noch ein paar Schritte den Hügel hinauf, um den Club/Bar/Restaurant zu erreichen. Unscheinbar in einer Nebenstraße liegt die La Maroquinerie umringt von Appartementhäusern und kleinen Lokalen. Im Innenhof und im Gebäude zweiter Reihe befindet sich das Restaurant/ die Bar. An diesem Abend sind fast alle Tische reserviert. Wir sehen das, weil wir a) sehr früh an der La Maroquinerie sind und b) die Wartezeit im Biergarten des Restaurants verbringen und die Mitarbeitenden dabei beobachten können, wie sie die einzelnen Schildchen auf den Tischen verteilen. Im Kellergeschoss des Gebäudes liegt der kleine Club. Ich meine sogar, es geht zwei Etagen nach unten. In einem Halbkreis um die Bühne sind Parkett und ‚Ränge‘ angeordnet. 500 Leute passen in den Saal, an diesem Abend ist die La Maroquinerie jedoch nicht ausverkauft. Es steht sich noch relativ luftig.

Der gemeine Konzerttourist ist immer zu früh am Konzertort. Nicht nur wir sind eine Stunde vor der Türöffnung an der La Maroquinerie, es warten auch schon ein paar Briten. Im Innenhof läuft uns der Sänger über den Weg bzw. steht rauchend am Nebentisch. Die Gruppe Briten lässt sich Platten signieren und führt Smalltalk, Zeit für ein Selfie bleibt aber problemlos. Scheint ein netter Typ zu sein, dieser Rick Witter.
Kurz vor Konzertbeginn sehe ich dann alle in den vorderen Reihen wieder. Jemand hat Shed Seven Paris Armbändchen erstellt und verteilt diese. Der Altersdurchschnitt liegt klar bei Ü45, junge Menschen hören oder entdecken Shed Seven nicht mehr. Obwohl, ein 17-jähriger junger Mann hat scheinbar die Plattenkiste seines Vaters durchgehört und steht mit drei Platten zum signieren freudestrahlend in der ersten Reihe. Er wird später das Konzert sehr genießen und sich sehr darüber freuen, dass Rick Witter und Paul Banks noch während des Konzerts seine Platten signieren.

Doch zuvor spielt Serje ein paar Songs. Florian Duboe – so sein nicht-Künstlername – ist ein französischer Musiker. Auf SoundCloud hat er 13 Follower*innen, 14 Abonnenten besitzt sein YouTube Kanal. Serje macht Yachtrock, fluffigen Indieelektropop. Auf der Bühne steht er alleine, seine Musik läuft vom Band. Ab und an greift er zur E-Gitarre. Das klingt ganz nett und ist anfangs auch kurzweilig, entwickelt aber leider im Laufe der 30 Minuten ein paar Längen. Ich frage mich, ob Serje den Parisern im Publikum bekannt vorkommt. Fragen kann ich keinen, denn um mich herum stehen nur britische Pärchen, oder besser: Ehepaare.
Der Umbau geschieht rasch. Es müssen nur das Keyboard und der Laptop abgebaut sowie ein Mikrofonständer aufgestellt werden.

Shed Seven, Stagetime 21-22.30 Uhr. Nicht nur ein Spiel dauert 90 Minuten, auch britische Bands wählen dieses Zeitfenster für ihre Konzerte.
Nach zwei Songs ist klar, der Abend wird episch. Nach kurzer Akklimatisierungsphase, und dazu nehmen sich Musiker und Publikum zwei Songs lang Zeit, gibt es stimmungsmäßig wenig Halten mehr. Es beginnt schon langsam bei „Speakeasy“, aber mit „High hopes“ sind alle drin im Konzert. Ab da läuft es für Rick Witter und Paul Banks wie geschnitten Brot. Der laden brodelt und kocht und es gibt ein 90-minütiges sing-a-long. Band und Publikum agieren bestmöglich und höchst unterhaltsam miteinander. Es macht großen Spaß, sich das anzuschauen und dabei zu sein. Rick Witter entpuppt sich dabei als guter Entertainer. Ich verstehe es nicht so ganz, aber ich glaube, im Vorfeld des Konzerts konnten unter einem bestimmten Hashtag auf sozialen Netzwerken Nachrichten an ihn gerichtet werden, die er jetzt genüsslich abarbeitet. ‘Wo ist Chris? Chris schrieb mir das …..`’; ‘Debbie, ist Debbie hier? Sie wünscht sich das nächste Lied‘; ‘James, happy birthday. Deine Frau bat mich, dir zum Geburtstag zu gratulieren.’ Undsoweiterundsofort. Manchmal verliert sich Rick Witter in seinen Feednachrichten, dem kollektiven Spaß tut das aber keinen Abbruch. Das Gute ist, die Stimmung wird zu keiner Zeit überbordend. Bierbecher fliegen keine, zu hemdsärmelig britisch wild wird der Abend Gott sei Dank nicht. Das fände ich dann nämlich zu anstrengend.

Musikalisch ist der Abend ein Selbstläufer. Alle sind textsicher, alle genießen die nur auf der Akustikgitarre gespielten Hits. Das funktioniert auch tadellos. Allerdings verzichten sie auf „She left me on Friday“, ein Song, der sicher zu stakkatohaft und zu wenig harmonisch klingt, um nur auf der Akustikgitarre gespielt zu funktionieren. Der Ausfall ist aber nicht weiter tragisch, denn Shed Seven haben genug hochklassiges Material. Von „Speakeasy“ bis „Disco down“ spielten sie alle Shed Seven Singles der 1990er Jahre. Ich bin von mir selbst überrascht, wie viele Sachen ich noch kenne. Wann habe ich Shed Seven Platten zuletzt gehört? Vor 25 Jahren, aber Textzeilen aus „Chasing rainbows“ oder „Getting better“ sind immer noch da. Gefühlt will niemand, dass das Konzert zuende geht. Shed Seven packen noch eine Coverversion (“A new England” – Billy Bragg) aus und spielen Songs ihrer letzten beiden Alben. Die kennen dann gefühlt alle außer mir. überhaupt kommt es mir so vor, als ob an diesem Abend keine Laufkundschaft das Konzert besucht. Jeder hier ist geplant hier, jeder hier ist mindestens Shed Seven Sympathisant. Nach 90 Minuten ist dann trotzdem Schluss. Wir laufen den Hügel hinunter zur Metrostation. Das Wetter ist frühlingshaft lau. Hach, was für ein schönes Konzert. Es war großartig, es war sensationell gut.

Ich habe keine Ahnung, wie oft sie diese Konzerte in England spielen und warum sie gerade diese einzige Show des Frühjahrs in Paris spielen. In England, wenn ich es richtig verstanden habe, spielen sie nur im Sommer mit Band ein paar Konzerte. Aber im Herbst machen sie dieses Paul & Rick Acoustic Duo Set noch einmal auf dem Kontinent. Zwei Konzerte in Amsterdam sind bereits terminiert und so gut wie ausverkauft.
Ich kann verstehen, warum.

Setlist:
01: Let’s go
02: Speakeasy
03: High hopes
04: Real love
05: Out by my side
06: Where have you been tonight?
07: On Standby
08: Tripping with you
09: A new England
10: Bully Boy
11: Ocean Pie
12: Getting better
13: Talk of the town
14: Let’s go dancing
15: Going for Gold
16: Disco down
17: Chasing rainbows

Kontextkonzerte:

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