Ort: Parc del Forum, Barcelona
Bands: The Flaming Lips, Sufjan Stevens, Suicide, Das Racist, Grinderman, The record summer, Islet, Triangulo de amor Bizarro, Toundra

Das Fazit eines Festivals. Der erste Tag.
Völlig abstrus scheint es zu klingen, erst ein Ticket für ein Festival unter der Absicht zu kaufen, dort unter anderem The National, Interpol, PJ Harvey, die Fleet Foxes und DJ Shadow zu sehen, um dann schlussendlich keine der genannten Bands tatsächlich zu erleben.
Aber genau so erging es mir beim diesjährigen Primavera Sound Festival in Barcelona. Okay, zu meiner eigenen Genugtuung kann ich sagen, dass ich wenigstens den Hauptgrund für meinen Besuch in Spanien (neben der Schönheit dieses Festivals als solcher) nicht verpasst habe: Pulp. Nach über 10 Jahren sollten sie sich wieder für einige Festivalauftritte zusammenraufen, und das durfte ich nicht verpassen. Und so war es natürlich klar, am zweiten Tag so lange auf dem Gelände auszuharren, bis die Briten um kurz vor drei Uhr auf der Hauptbühne auflaufen.
Ausharren ist natürlich das völlig falsche Wort, denn Bands wie Explosion in the sky, Low, Half Japanese oder James Blake sind wahrlich alles andere als Lückenfüller. Aber all das sollte erst am zweiten Festivaltag anstehen, Tag eins war den optischen Reizen vorbehalten: Sufjan Stevens zur Eröffnung und als Abschluss die Flaming Lips. Mehr Luftballons und Konfettiregen kann es auf Bühnen nicht geben! Zwischendurch drei, nein vier durchgedrehte Hip-Hopper (Das Racist) und ein über siebzig jähriger Mann, fertig ist der erste Festivaltag.
Bands im Vorbeigehen zählen ja bekanntlich nicht, aber der Vollständigkeit halber seien die kurzen Blicke auf Grinderman, Triangulo de amor Bizarro (ein sehr kurzer Augenblick), Toundra, Islet und The Record Summer (zu denen gehen wir alle spätestens im Herbst ins MTC) erwähnt.
Im Vorfeld des Primavera hatten wir Glück. In der Auslosung um die 4000 Sitzplätze des Auditori, ein konzertsaalähnliches Gebäude am Rand des Festivalgeländes, hatten wir zwei Tickets ergattert. Hier sollte Sufjan Stevens zusammen mit DM Stith auftreten. Die beiden gab es nur im Doppelpack, und da der frühe Vogel die besten Plätze bekommt, fanden wir uns zeitig in der Schlange vor dem Auditori ein.
Pünktlich um halb acht setzte sich dann ein Mann mit Akustikgitarre vor das Mikrofon und spielte vier Lieder. DM Stith, ein Musiker aus der Band Stevens’, stimmte schiedlich friedlich auf den Abend ein. Seine Songs waren, na ja Folk. Unspektakulär und den Stevens Songs des Bundesstaatenalbums Illinois und nicht unähnlich. Ein stimmiges Vorprogramm also, das uns aber leider Cults verpassen ließ.
Verpasst haben wir aber nichts wirklich, wir hätten jedoch was verpasst, wenn wir uns gegen Sufjan Stevens entschieden hätten. Bis um elf Uhr fesselte er uns an die Sessel des Auditori. Und wie er das tat! Es war eine großartige Show, gespickt mit Tänzerinnen, Schmetterlingskostümen, Nachhilfeunterricht in Sachen amerikanischer Trash-Malerei und natürlich Ballons, Konfetti, Luftschlangen. All den anderen Kram hab ich vergessen, denn natürlich war jeder Song ein Happening. Wobei er jedoch seine Herkunft nicht verleugnete, mehrmals erwähnte er, dass er eigentlich aus dem Folk käme und erst im Laufe der Zeit eine Vorliebe für Rockopern und den visuellen Schnickschnack bekam. In diesen Momenten ließ er seine Begleitmusiker Begleitmusiker sein, griff zur Gitarre und spielte Songs wie „The one i love“ von REM. Traumhaft schön macht er das, und allein diese Akustikpassagen hätten seinen Konzertbesuch gerechtfertigt.
Unvergesslich wird sein Auftritt durch das große Finale mit „Futile devices“ und „Impossible souls“. Mittlerweile haben sich alle von ihren Plätzen erhoben und tanzend den Weg an die Bühne gefunden. Für zwanzig Minuten beginnt es nun, richtig malerisch und hinreißend zu werden. Große Luftballons werden in den Saal geworfen, die beiden Tänzerinnen performen mit halsbrecherischer Akrobatik am Bühnenrand und über allen steht, springt und singt Sufjan Stevens. In diesem Moment denke ich, das ist die Show des Festivals, das kann niemand mehr toppen. Als er dann noch als Zugabe „Chicago“ spielt, ist alles perfekt. Und das Auditori wollte gar nicht mehr aufhören zu applaudieren. Sensationell!
Voller Vorfreude auf weitere Konzerte verlasse ich den Saal, vergessen ist das Chaos um das Aufladen der Prepaid-Getränkekarte.

Die Unerreichbarkeit des Servers, man musste sich online im Primavera Portal registrieren und seine zusammen mit dem Bändchen erhaltene Zugangschipkarte mit seinem Portalaccount verknüpfen, um die Karte mit einem Guthaben, das man vorher auf seinen Portalaccount geladen hatte, zu befüllen, beschäftigte mich den ganzen Nachmittag.
What‘s next? Um kurz vor Mitternacht stehen alle Zeichen auf Interpol. Allerdings nicht für mich. Im Laufe des Tages hatte ich immer mehr Lust bekommen, mir Bands anzusehen, die ich a) noch nicht gesehen habe und b) wohl auch nie abseits eines Festivals sehen werde: Suicide und Das Racist.
Und gerade Suicide hinterlassen mächtig Eindruck. Die Band, die den Punk erfunden hatte, dröhnt uns mit ohrenbetäubendem Keyboard- und Synthielärm die Sinne fort und zwingt uns, nachdem wir die ersten drei Songs noch tapfer an der Bühne erlebt haben, in hintere Gefilde. Was machen die beiden da bloß? Während Alan Vega, mittlerweile 72!!! Jahre alt, seine Texte monoton herunter singt (seine Stimme ist dabei mit viel Hall unterlegt, der auch in den Zwischenansagen nicht abgestellt wird, was zu lustigen Augenblicken führte: ‚Hellohellohellohello BarcaBarcaBarcaBarca!‘), hämmert Martin Rev auf sein Keyboard als gebe es kein Halten mehr. Genau, mehr Bühnenschnickschnack brauchen Suicide nicht. Keyboard und Notenständer. Der Rest kommt digital. Wie war das wohl 1977, in dem Jahr, in dem ihr Debüt Suicide erschien. Dieses spielen Suicide nämlich an diesem Abend. ‚Suicide perform their first LP‘, so nennt sich das Konzert, das bei mir einen nachhaltigen Eindruck hinterlässt. Interpol sind längst vergessen.

Das Racist spielt zeitgleich auf der kleineren Pitchfork Bühne. Also lasse ich die letzten Minuten von Suicide sausen, um wenigsten noch eine halbe Stunde Kontrastprogramm zu erleben.
Das Racist sind eine New Yorker Rap Formation. Ich hatte das eine oder andere Video von ihnen entdeckt und einiges über sie gelesen, was mich neugierig auf die Band machte. Das ist komisch, denn eigentlich steh‘ ich nicht so auf HipHop oder Rap (was war noch mal genau der Unterschied?), aber meine Neugierde war da, und so waren Das Racist spätestens nach Sufjan Stevens für mich gesetzt. Und Heems, Kool A.D. und Dapwell, die noch eine DJ mit auf der Bühne haben, enttäuschen mich nicht. Ihr Sprechgesang erscheint mir intelligent lustig und eher unkonventionell. Ach, ich kenn mich hier zu wenig aus, um mehr darüber schreiben zu können.
Immerhin versamplen sie zum Abschluss Tina Turners „We don’t need another hero“. Und nach den Auftritten von Suicide und Das Racist finde ich das sehr passend.
Und dann kommen ja noch die Flaming Lips. Und die sind, wie die Flaming Lips eben sind. Ist die Sufjan Stevens Show durchchoreografiert und aufeinander abgestimmt, so habe ich bei all den Luftballons, Nebelmegaphon und Luftschlangen der Flaming Lips den Eindruck, dass hier gar nichts abgesprochen ist. Gefühlte 20 Mann auf der Bühne, Sängerinnen im Dirndlkleid, ein Wayne Coyne, der in einem durchsichtigen Ballon über das Publikum läuft. Die Flaming Lips veranstalten einen großen Kindergeburtstag, einen sehr großen. Das Zuschauen macht einen Riesenspaß. Und als sie dann bereits als viertes Stück „She don’t use jelly“ spielen (eines meiner Lieblingslieder), können sie nur gewinnen. Mit „Race for the prize“ folgt später ein zweites und so bescheren mir die Flaming Lips einen würdevollen Abschluss eines guten ersten Tages.

Da war es auch egal, das es mittlerweile schon halb vier war und ein gut halbstündiger Fußmarsch durch das frühmorgendliche Barcelona zum Hotel auf mich wartete. In fünfeinhalb Stunden gibt es Frühstück, in 12 Stunden Pulp.
Setlist Flaming Lips:
01: The fear
02: The Captain is a cold hearted and egotistical fool
03: Worm mountain
04: She don’t use jelly
05: The yeah yeah yeah song (with all your power)
06: Is David Bowie dying??
07: Yoshimi battles the pink robots, Pt. 1
08: See the leaves
09: Laser hands
10: Pompeii am Götterdämmerung
11: What is the light?
12: The Observer
Zugabe I:
13: Race for the prize
Zugabe II:
14: Do you realize??
Kontextkonzerte:
a) Primavera 2010
b) Primavera 2010
c) Primavera 2010
d) Primavera 2010
Setlist Sufjan Stevens:
hier
Setlist Suicide:
hier
habe die berichte sehr genossen. steht wohl mal an, selbst nach barcelona zu fahren. klingt alles sehr entspannt dort. danke für die ausführlichkeit und die persönliche note.
Das klingt nicht nur so, das ist es auch. Wenn du es irgends einrichten kannst, solltest du diesen Ausflug unbedingt mal einbauen. Lohnt sehr!
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