Ort: TivoliVredenburg, Utrecht
Vorband: GEoRGiA
Es gab keinerlei Anzeichen, dass das Konzert der Flaming Lips im Utrechter TivoliVredenburg ausverkauft sein wird. Nicht vor Wochen, nicht am letzten Montag, nicht am letzten Freitag. Warum also nicht am Samstag einen Ausflug in die Niederlande unternehmen? Ja, warum eigentlich nicht. Mehrere Gründe sprachen dafür. In Utrecht ist es schön, die Tivoli Vredenburg ein imposantes Konzertgebäude. Das wären schon einmal zwei. Mein dritter Grund, bzw. die Notwendigkeit der Beantwortung einer Frage, ist aber der entscheidende Auslöser: Was macht ein Einhorn auf einer Konzertbühne und warum fliegt überall so viel Konfetti herum? Anfang der Woche sah ich in meinem Facebook Newsfeed ein Foto vom Berliner Flaming Lips Konzert. Darauf abgebildet war Wayne Coyne, wie er auf einem Einhorn sitzend durch den Konzertsaal ritt. Das machte mich so unendlich neugierig, dass ich mir das – wenn möglich – selbst anschauen wollte. Und die einzige Möglichkeit die Flaming Lips zu sehen bestand darin, nach Utrecht zu fahren. Also ging es nach Utrecht.
Die Anreise ist einfach und kurzweilig. Nach guten zwei Stunden geht es von der Autobahn hinunter und gradlinig Richtung Hauptbahnhof und einer Parkplatzmöglichkeit. Es folgt ein kleiner Fußmarsch durch schöne Gassen, und Utrecht ist wirklich schön, bis es Zeit wird, dass Konzerthaus aufzusuchen. Konzerthaus klingt komisch, trifft es meiner Meinung nach aber am besten. Das TivoliVredenburg ist kein Klub oder eine schnöde Halle. Es ist ein Gebäude, das mit seinen sieben Etagen komplett der Musik und Kultur gehört. So etwas kann es nur in den Niederlanden oder Belgien geben. Es ist das tollste Konzertgebäude, das ich kenne. Der Saal Ronda, in dem die Flaming Lips spielen sollten, ist der zweitgrößte der fünf oder sechs Konzerträume, die das Gebäude beheimatet. In der zweiten Etage liegt der Saal mit den seitlichen Sitztribünen und der hinteren Balustrade. Soundtechnisch ist er famos; Wayne Coyne erzählte später, dass es sehr beeindruckend sei, in diesem Saal zu spielen. Beim Soundcheck wollte jeder der Musiker unbedingt den tollen Klang im hinteren Bereich des Saales hören und so mussten sie wieder und wieder soundchecken, so dass alle sechs Musiker ausreichend in den Genuss einer Hörprobe kamen.
Was für die Musiker gilt, gilt erst recht fürs Publikum. Der Saal ist super, die Bühne perfekt einsehbar, alles wirkt wohlsortiert und mit Bedacht geplant. Die Wartezeit kann man sich bequem auf einer der vielen Sitzgelegenheiten in den unterschiedlichen Etagen des Gebäudes vertreiben, oder einfach stundenlang Rolltreppe fahren. Rolltreppen gibt es in der Vredenburg mehr als Konzertsäle.
Bevor der Flaming Lips Wahnsinn die Bühne enterte, kommen zwei junge Frauen auf die Bühne. Georgia, eine Band aus England, die sich wohl GEoRGiA schreibt, lärmten ordentlich herum. GEoRGiA ist die Schlagzeugerin Georgia Barnes, live wird sie von der Keyboarderin Hinako Omori unterstützt. Schlagzeug und Keyboards, mehr Instrumente brauchen die zwei nicht. Klang es noch zu Beginn wie Kate Tempest auf Speed, drückte im Lauf des Auftritts mehr und mehr das Keyboard in den Vordergrund. Musikalisch wechselte es oft zwischen Hiphop Beats, Synthesizergenudel und Dub Sounds hin und her. Manchmal ein bisschen so wie bei M.I.A.. Dabei waren die Songs nie zu anstrengend experimentell oder erschienen mir zu aufgekratzt. Nein, sie waren wohl ausbalanciert. Das war sicher dem Schlagzeug zu verdanken, denn es war dominanter als die Synthesizer und sorgte für so etwas wie eine innere Ruhe in den Songs. Da konnte Georgia Barnes auch noch so schreien bzw. singen. GEoRGiA ließen eigentlich nur eine Frage offen: Warum musste das Becken so hoch installiert sein, dass Georgia Barnes es nur mit sehr ausgestreckten Armen anspielen konnte. Bequemer wäre doch sicherlich anders. GEoRGiA, eine gute Vorband. Eine interessante Band.
An meine Flaming Lips Konzerte habe ich nur vage Erinnerungen. In den 1990er Jahren sah ich sie in der alten Kölner Kantine. Mehr weiß ich zu diesem Konzert allerdings nicht mehr. Jahrzehnte später spielten sie auf dem Primavera, als ich auch auf dem Gelände war. Ihr Konzert sah ich nur auszugsweise oder nicht von Beginn an oder nur am Rande. Ich glaube, im Zeitplan lag es ungünstig und ich sah konzentrierter etwas anderes. Ich erinnere mich nur noch an diesen riesigen Gummiball, in dem Wayne Coyne über den Köpfen des Publikums vor der damaligen San Miguel Bühne hinweg kugelte. Dass die Band live ein großes Spektakel veranstaltet, war mir also bewusst. Konkrete Lust auf einen erneuten Konzertbesuch bekam ich aber erst, als ich Anfang der Woche das besagte Foto in Facebook (oder sagt man auf Facebook) entdeckte. Also ein tollkühner Ritt auf dem Einhorn! Wow. Aber dass der Gummiball an diesem Abend erneut ins Spiel kommt, daran habe ich nicht im Traum gedacht.
‘Have fun‘ steht auf dem Button, den Wayne Coyne am Revers seines Anzuges trägt. Und ja, es ist wirklich nicht schwer, Spaß zu haben. Bereits die ersten Anspieltakte von „Race for the price“ zauberten mir ein Lachen ins Gesicht. Ein Spitzensong, der schon allein gute Laune verbreitet. Minutenlang dirigiert der Sänger im Intro des Songs Keyboard und Schlagzeug, bis nach gefühlt unendlichen Anläufen endlich die Gitarre einsetzen darf. Und mit der Gitarre kommt auch das Konfetti. Erst aus den beiden Kanonen links und rechts von der Bühne., dann aus der Luftschlangenpistole, die Wayne Coyne flugs angereicht bekommt. Also noch bevor er die Hände in den großen Konfettisack steckt um sich daraus zu bedienen und die ersten Reihen in einen Schnipseldauerregen zu stellen. Und ja, es macht ihm sichtlich Spaß. Mit einem genauso großen Grinsen im Gesicht wie ich es habe wirft er Konfetti, zeigt lachend auf die Gruppe maskierter Fans rechts neben mir und freut sich wie ein kleines Kind. Uff, nach fünf Minuten sind alle meine Erwartungen an dieses Konzert erfüllt. Und was für ein Start in das Konzertjahr. Mittlerweile lachen alle, die Band, das Publikum. Ich sowieso. Doch der Klamauk, äh Kindergeburtstag geht weiter. „Yoshimi battles the pink robots“ mit drei überdimensionalen Tanzfiguren und einem verträumt mit der Sternenfigur tanzenden Wayne Coyne. Dann das Einhorn auf der Bühne. Alter Schwede! Und dazu immer Unmengen Konfetti und Luftschlangen. Plastikphantastisch! Nach drei Songs haben die Flaming Lips schon so viel Spektakel veranstaltet wie manche Band auf einer gesamten Tour. Und natürlich war das noch nicht das Ende. Die nächsten Stücke waren etwas gesetzter, daher trat der wilde Konfettireigen etwas zurück. Stattdessen kam ein großer Gong auf die Bühne (sehr passend zu „Pompeii Am Götterdämmerung“) und das instrumentale „The Observer“ wurde unter einem aufblasbaren Regenbogen präsentiert. In meiner Erinnerung war das der ruhigste Moment des Abends, und jetzt erst vielen mir die Filzüberschuhe im Drachenpfötchendesign auf. Natürlich bestehen die Flaming Lips nicht nur aus Wayne Coyne, aber es fiel mir schwer, auch nur für kurze Zeit meine Augen von ihm abzuwenden. Es machte mir einfach zu viel Freude, ihm zuzusehen. Der 56jährige wirkt wie ein großes Kind. Er freut sich sichtlich, wenn er kübelweise Konfetti über die ersten Reihen wirft, die Luftschlangenpistole abfeuert oder einfach nur das Lachen in unseren Gesichtern erblickt. Es macht ihm Spaß, Spaß und Freude zu verbreiten. Sag ehrlich, mehr kann man nicht erwarten.
Aber es gibt sie, die anderen Musiker. Ich schenke ihnen definitiv zu wenig Beachtung. Sie stehen am Bühnenrand direkt neben den beiden riesengroßen Fliegenpilzen und am hinteren Bühnenrand. Es braucht ja Platz auf der Bühne für all die Gummifiguren, das Einhorn, den großen Gong, den Regenbogen und die Gummikugel. Fehlte eigentlich nur eine Hüpfburg.
Die Gummikugel betritt der Sänger zu „Space oddity“ vom aktuellen Album Oczy Mlody. Es ist einer der wenigen brandneuen Songs im Set, das Konzert ist mehr eine Art Werkschau über altes, mittelaltes und neues Material. Etwas unbeholfen rollt die Kugel über unsere Köpfe hinweg, ein kleiner Konzertsaal hat eben keine Open Air Publikumsdichte, so dass es kleinere Mühen kostet, das hintere Podest zu erreichen. Von dem aus singt Wayne Coyne in der Kugel stehend „Space oddity“. Ein passenderes Bild zu diesem Song kann es nicht geben. Im Vergleich zum Konzertbeginn ist das Konzertende mit „A spoonful weighs a ton“ eher unspektakulär. Nur noch Konfetti und das war es. Aber was heißt schon nur noch Konfetti. Aus vollen Rohren befeuert und eingedeckt in Trockeneisnebelschwaden standen wir knietief in Papierschnipsel. Noch eine Zugabe, „Do you realize“, der offizielle Rocksong des Bundesstaates Oklahoma, ein letztes Mal Konfetti.
Auf „She don’t use Jelly“ warte ich leider vergebens, auch spielen sie leider keinen Song aus ihrem Stone Roses Coveralbum The time has come to shoot you down… What a Sound. Das wäre was gewesen. „I wanna be adored“ in der Flaming Lips Interpretation. Aber ist das an einem solchen Abend eigentlich wichtig? Nein, ist es nicht. Es war auch so ein verdammt guter Konzertauftakt.
Kontextkonzert:
The Flaming Lips – Primavera Sound Festival Barcelona 2011
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