Ort: De Roma, Antwerpen
Vorband: –

Wer sind die Flaming Lips eigentlich aktuell? Sind sie noch eine Band oder ist es nur ‘noch’ das Projekt von Sänger Wayne Coyne? So genau weiß ich das gar nicht. Ich lese jedoch, dass er der einzig verbliebene aus der Flaming Lips Originalbesetzung ist, nachdem Anfang der 2020er Jahre Michael Ivins die Band verlassen hat.
Nach dem Konzert vermute ich sehr stark, dass die Flaming Lips aktuell ein Wayne Coyne Projekt sind, denn alle weiteren Musiker werden an diesem Abend nicht näher vorgestellt. Ich deute das als Indiz dafür, dass neben Wayne Coyne nur Tourmusiker auf der Bühne stehen. Ich mag mich aber auch irren.
An diesem Abend geht es um Yoshimi battles the pink robots, das immerhin schon 10. Studioalbum der Flaming Lips. Gefeiert werden soll dessen 20. Jahrestag. Etwas verspätet zwar, denn das Album wurde 2003 veröffentlicht, aber die Flaming Lips sind mit dieser Show bereits seit letztem Jahr auf Tour und daher bewegen sie sich noch im Rahmen eines okayen Feierlichkeiten-Buffers. Yoshimi battles the pink robots ist neben dem Vorgänger The soft bulletin ihr Durchbruch in Richtung Mainstream. Die Wichtigkeit, das Album nochmal in Gänze live zu präsentieren und damit gebührend zu feiern, ist also legitimiert.
Meine Bekanntschaft mit den Flaming Lips begann etwas früher. Das war Anfang der 1990er Jahre mit dem Album Transmissions from the Satellite Heart und der Single „She don’t use jelly“. Die lief damals sehr oft auf MTV, und die psychedelischen Grungegitarren gefielen mir irgendwie. Auch das eher abgedrehte „Plastic Jesus“ hinterließ bei mir Spuren. Ein super großer Flaming Lips Fan war ich allerdings nicht. Dafür waren sie mir manchmal echt zu anstrengend, als dass ich mir ihre Platten dauerhaft und enthusiastisch anhören konnte. Hier mal in Song, da mal ein Video, das war okay. Erst mit The soft bulletin kam ich etwas mehr auf den Geschmack. Hier waren die Melodien nicht ganz so verschroben, die Songs mehr catchy. Ich sah damals auch eines ihrer Konzerte in Köln. War das Ende der 1990er Jahre? War das im E-Werk oder in der Kantine? So genau weiß ich das nicht mehr. Und da es diesen Blog noch nicht gab, fehlen mir auch detaillierte Daten. Ich erinnere mich aber noch, dass mich das Konzert sehr überforderte. Eine Google Suche nach einem Kölner Konzert der Flaming Lips beantwortet die KI Gemini allerdings leicht fehlerhaft:
Die Flaming Lips spielten in den 1990er Jahren definitiv Konzerte in Köln. Genauer gesagt, sie waren 1996 mit ihrer „Transmissions“-Tournee in der Kölnarena. Es ist gut möglich, dass sie in dieser Zeit auch in kleineren Clubs oder Venues in Köln gespielt haben, aber die Kölnarena-Show ist die bekannteste.
Google Gemini
Hey Gemini, die Kölnarena gab es damals noch nicht. Und tatsächlich war das Konzert erst 2003, wie mich die Webseite concertarchives.org informiert.
Doch zurück in die Jetztzeit. Das Konzert ist Teil der Tour, die das 20. Jubiläum ihres Albums Yoshimi battles the pink robots feiert. Und es ist seit langem ausverkauft. Zwar spielen die Flaming Lips eine Woche später auch in Köln, aber da kann ich nicht. Überraschenderweise gibt es für diesen Abend auch noch Tage zuvor Tickets. Kann auch mit den Preisen zusammenhängen: die Kölner, oder besser, deutschen Ticketpreise – die Flaming Lips spielen auch noch Konzerte in Hamburg und Berlin – liegen deutlich über denen in Antwerpen. Oder anders gesagt: fährt man zu zweit nach Antwerpen, kann man sogar unter Berücksichtigung der Tankkosten günstiger wegkommen als bei einem Kölner Konzertbesuch.
Also Antwerpen.
Das De Roma liegt am äußeren Stadtring und ist verkehrstechnisch relativ gut zu erreichen. Im früheren Leben war es ein Kino, jetzt ist der Kinosaal ein Konzertsaal. Ich bin zum ersten Mal hier, es gefällt mir auf Anhieb sehr gut. Im hinteren Bereich gibt es eine große, weit geschwungen gebaute Empore/Galerie, das Parkett fasst sicherlich an die 1000-1500 Leute. Der gesamte Komplex ist im Art Deco Stil schön anzusehen. Die Bühne ist breit und gut einsehbar. Wie erwähnt, das Konzert ist seit langem ausverkauft. Entsprechend ist vor dem de Roma schon großer Betrieb, als ich eintreffe. Am Eingangsbereich des ehemaligen Kinos staut es sich ordentlich. Der Bürgersteig ist hier nicht sehr breit, schnell bilden sich zu beiden Seiten des Eingangs lange Schlangen. Aber wie so oft, die Mehrheit der Besucher geht gezielt in Richtung Galerie, um einen guten Sitzplatz zu bekommen. So ist es für mich nicht schwierig, einen Stehplatz in den vorderen Reihen zu ergattern. Und bei der zu erwartenden Show ist das durchaus eine erstrebenswerte Sache. Von meinen letzten Flaming Lips Konzerten weiß ich, was ich hier und heute erhoffen kann: Konfettistarkregen, lustige Kostüme und aufblasbare, mehrere meterhohe Puppen und Figuren. Da möchte ich nur Betrachter aus der Ferne sein, sondern mitten im Konfettiregen stehen. Und vielleicht wird auch wieder ein Holzpferd über die Bühne rollen, wie weiland bei meinem Flaming Lips Konzert in Utecht. Himmel, das ist schon 8 Jahre her, merke ich gerade.
Der Fahrplan für diesen Abend sieht folgende Stationen vor: Da die Flaming Lips zwei Sets spielen, erst ihr Album Yoshimi battles the pink robots in voller Länge und dann – nach einer kurzen Pause – andere Songs, entfällt ein Opening Slot. Der erste Konzertteil ist ab halb neun bis kurz vor zehn Uhr vorgesehen, nach einer 20-minütigen Pause folgt dann der zweite Teil mit anderen Hits aus anderen Alben. Zu diesem holt „Pump up the jam“ das Publikum wieder in den Saal zurück. Viele sind nach dem Albumteil kurz vor die Tür oder mit Getränken versorgt. Der Eurodisco Smasher bringt alle wieder in den Saal zurück. Und er hätte besser nicht gewählt sein können. Zum einen bringt es alle direkt in den Partymodus, zum anderen kommt die Band Technotronic aus dem nahegelegenen Brüssel.
Im zweiten Teil spielen die Flaming Lips Songs aus ihrem sehr umfassenden Gesamtkatalog und mit „The golden path“ von den The Chemical Brothers und „True love will find you in the end“ von Daniel Johnsons hören wir obendrauf zwei Cover. Ihr MTV Smasher „She don’t use jelly“ fehlt natürlich nicht und kommt gleich zu Beginn des zweiten Teils. Ein Evergreen, ein absoluter ‘one of the best songs ever written’ Hit. Und wann bitteschön passte ein Song mit dem Titel „Riding to work in the year 2025 (your invisible now)“ besser als dieser Tage? Abschließen werden sie den Abend mit ihrem vielleicht größten Song: „Race for the prize“ ist einfach ein Muss und darf nicht fehlen. Tut er entsprechend auch nicht.
Doch nochmal zurück zum ersten Teil des Abends. Ich hatte vor dem Konzert nochmal rasch in Yoshimi battles the pink robots reingehört, um ein bisschen was zu wissen. Denn so richtig im Kopf habe ich die Songs des Albums nicht mehr. Natürlich nicht mehr, müsste ich korrekterweise sagen, denn wann waren Flaming Lips Songs zuletzt relevant für mich? Nun, das ist lange her. Sehr lange.
Schön, dass „Do you realize“ auf dem Album ist, denke ich beim Durchlesen der Tracklist. Und auch „All we have is now“. Toll! Beide Songs mag ich sehr und beide Songs sind mir noch gut im Gedächtnis. Was ich von dem ein oder anderen Song des Albums jedoch tatsächlich nicht behaupten kann. Egal. An diesem Abend werde ich sie ja alle hören.
Das der Abend besonders wird, ist schon vor Konzertbeginn klar. Auf der Bühne liegen unaufgeblasene pinke Figuren, neben der Bühne stehen Batterien an Gasflaschen. Die Vorbereitungen auf viel Tamtam sind unübersehbar.
Um kurz vor halb neun hören wir aus dem Off eine Stimme: ‘the show starts in 3 minutes’…’the show starts in one minute. One minute to go’… Es ist Wayne Coyne höchstpersönlich, der aus dem Backstagebereich die Ansagen macht. Der Sänger der Flaming Lips ist guter Dinge und hat Spaß, sowohl vor als auch während des Konzertes. Ich habe – glaub’ ich – noch nie einen so glücklich und permanent strahlenden Frontmann gesehen wie ihn. Für jeden und alles hat er ein Lachen übrig. Tonschwierigkeiten schmunzelt er weg, ebenso die technischen Probleme beim Aufblasen der riesengroßen pinken Plastikfiguren, die wenig überraschend Roboter aussehen. Klar, so heißt es ja im Albumtitel. Während des Konzertes feuert er das Publikum an. Immer, wenn es ihm zu ruhig wird, schallt ein ‘keep going, keep going’ durch den Saal. Denn nicht nur auf der Bühne soll es Remmidemmi geben, sondern auch davor. Wenn schon Party und Spaß, dann bitteschön für alle. Und so werden wir schnell und intensiv angesteckt und mitgerissen von dem Feuerwerk, das die Flaming Lips hier locker und leicht abbrennen.
Allerdings ist sie für zwei Menschen Schwerstarbeit. Sie müssen sich die unterschiedlichen Kostüme überziehen (für nahezu jeden Song gibt es eine eigene Choreographie und ein eigenes Spektakel), sie müssen sich auf die Luftfiguren werfen, um sie platt zu bekommen, damit sie kurz darauf die nächsten Figuren aufstellen können, sie müssen die Konfettikanonen ausrichten und sie müssen in der Pause mit einem Laubbläser den Konfetti von der Bühne pusten. Gerade das Aufstellen und Ausrichten der Luftfiguren ist eine Kunst für sich. Scheinbar funktioniert auch einer der beiden Kompressoren nicht richtig, auf der linken Seite dauert es immer ein bisschen länger, bis die Luft die Figur stabil hält. Von vorne kann ich ihr Gewusel genau beobachten, sie tun mir ein bisschen leid. Aber irgendwer muss die Arbeit hinter dem Spektakel halt machen.
Wayne Coyne ist überrascht fit. Nahezu ununterbrochen hüpft er über die Bühne und wirkt dabei wie ein kleines Kind im Phantasialand. Immer auf der Suche nach der nächsten Attraktion, immer dabei, einen nächsten kleinen Scherz zu initiieren. Wayne Coyne hat Spaß, er ist in seinem Element. Der Sänger, das Konzert, die Show, der Abend, alles wirkt wie bei einem großen Kindergeburtstag, an dem das Geburtstagskind den meisten Spaß hat, weil es machen darf, was es will.
Es war ein verdammt gutes Konzert. Flaming Lips Konzerte lohnen sich, sie zu besuchen. Uneingeschränkt!
Setlist:
01: Fight test
02: One more robot/sympathy 3000-21
03: Yoshimi battles the pink robots, Pt. 1
04: Yoshimi battles the pinkrobots, Pt. 2
05: In the morning of the magicians
06: Ego tripping at the gates of hell
07: Are you a hypnotist??
08: It’s summertime
09: Do you realize??
10: All we have Is now
11: Approaching Pavonis Mons by balloon (Utopia planitia)
12: She don’t use jelly
13: Flowers of Neptune 6
14: The spark that bled
15: Pompeii Am Götterdämmerung
16: Waitin‘ for a Superman
17: The golden path
18: Riding to work in the year 2025 (your invisible now)
19: The Yeah Yeah Yeah song (with all your power)
Zugabe:
20: True love will find you in the end
21: Race for the prize
Kontextkonzerte:
The Flaming Lips – Utrecht, 28.01.2017
The Flaming Lips – Primavera Sound Festival Barcelona 2011