Ort: Kings Theatre, New York
Vorband: Steve Gunn
Some bands I like to name check,
And one of them is REM,
Classic songs with a long history
Southern boys just like you and me.
are – E – M,
Flashback to 1983,
Chronic Town was their first EP
Pavement: Unseen power of the picket fence
Wir landen am späten Nachmittag in Newark. der Shuttlebus bringt uns in unser Hotel in Midtown. Flying Lotus hat seine beiden Konzerte am Donnerstag und Freitag im Brooklyner Howard Gilman Opera House mittlerweile gecancelt. Ich bedauere das sehr, auf seinen Abend war ich fast ein bisschen mehr gespannt als auf das Pavement Konzert im Kings Theatre. Wann habe ich schon mal die Gelegenheit, Flying Lotus zu sehen? Eben.
Nach dem Einchecken im Hotel schauen wir uns die Fotoausstellung ‘Linger on – unseen Velvet Underground portraits’, die im sogenannten Oak Room des Hotels präsentiert wird. Der Oak Room war in den 1920er Jahren der Ort in New York City, an dem sich Literaten, Künstler und Schriftsteller zum Lunch trafen und aktuelle Themen diskutierten. Ein Ort von historischer Bedeutung für die Kunst und genau deswegen auch der Ort dieser Fotoausstellung.
Es ist kein Zufall, dass wir dieses Hotel ausgewählt haben. Die Ausstellung ist nur zu bestimmten Zeiten für die Öffentlichkeit zugänglich, Hotelgäste haben dagegen jederzeit Zugang. Da wir die Ausstellung gerne sehen wollten, uns aber die öffentlichen Besuchszeiten terminlich nicht passten, mussten wir quasi das Notwendige mit dem Wünschenswerten verbinden und uns in diesem Hotel einquartieren.
Noch am Abend schaffen wir es, den Hotelmanager davon zu überzeugen, den Raum für uns aufzuschließen. Zu sehen bekommen wir bisher unveröffentlichte Fotos der New Yorker Band Velvet Underground, in der Hauptsache Bilder von Nico und Lou Reed. Fotografiert wurde diese von James Hamilton, der vor allem für seine Dokumentationen der New Yorker Film-, Kunst- und Musikszene der 1970er und 1980er Jahre bekannt ist. Die Ausstellung konzentriert sich auf den Oak Room, der über einen kleinen Flur, in dem die Kaffeebar des Hotels aufgebaut ist (also ein Kaffeeautomat plus Pappbecherpyramide sowie Zucker- und Kaffeesahneregal) von der Lobby aus zugänglich ist.
Am nächsten Morgen stehen wir genau vor diesem Kaffeeautomaten, um uns einen Café Americano und warmes Wasser für Tee zu ziehen, als Thurston Moore mit einem leeren Kaffeebecher hinter uns steht. ‘Hallo, guten Morgen’. ‘Hallo, wie geht’s.’ Es beginnt ein Plausch unter Hotelgästen, die am Kaffeeautomaten auf ihren Kaffee warten oder darauf, endlich an der Reihe zu sein. Einziger Unterschied: Wir kennen den Gegenüber besser als er uns. Natürlich wissen wir, dass Thurston Moore nicht zufällig in diesem Hotel ist; er ist einer der Kuratoren der Ausstellung. Dass wir ihn dann allerdings im Hotel treffen, ist ein großer Zufall. Wir nutzen die Gelegenheit des gemeinsamen Wartens und fragen ihn ein wenig über die Ausstellung aus. Schnell wird deutlich, dass Mr Moore in Gesprächslaune ist. Er erzählt uns, wie die Ausstellung zustande kam, empfiehlt uns nebenbei den neuen Bildband des Fotografens, die Lou Reed Ausstellung in der Stadt und fragt uns, was wir so machen und ob wir morgen Abend auch zur Abschlussveranstaltung der Ausstellung kämen; wir seien eingeladen. Wir müssen leider dankend ablehnen und erzählen, dass wir bereits Tickets für das letzte Pavement Konzert in Brooklyn haben. Ja, im Kings Theater sei er am Freitag gewesen, entgegnet Thurston Moore. Am Freitag spielten Pavement ihr erstes der vier Brooklyn Konzerte. Das Theater müssen wir uns unbedingt in aller Ruhe anschauen, es sei ein großartiger Ort, und er empfiehlt, vielleicht eine Stunde eher vor Ort zu sein, um alles inspizieren zu können. Dann verabschieden wir uns, bevor der Kaffee in unseren Bechern endgültig kalt wird.
Die Ausläufer von Hurrikan Ian ziehen über New York. Den ganzen Tag regnet es und es ist herbstlich kühl. Perfektes Wetter also, um das Pavement Pop-up Museum in Downtown zu besuchen. Zufällig las ich vor drei Tagen davon, sonst hätten wir wahrscheinlich nie davon erfahren. Wie ein Pop-up-Museum? Was ist das denn? Zeitgleich zu den vier ausverkauften Shows werden in einer Galerie an der Greenwich Street in Downtown Pavement Devotionalien ausgestellt. Sachen wie schlammverschmierte T-Shirts von einem Lollapalooza Auftritt, Songbooks, Poster, Eintrittskarten, eine MTV-Trophäe und andere Dinge, die sich in den letzten 33 Jahren Pavement angesammelt haben. Passend heißt die Pop-up Ausstellung Pavements 33-22. Neben New York ist die Ausstellung noch in London, Tokio und Stockton zu sehen.
Die drängendste Frage am nächsten Tages ist die, wie wir zum Kings Theatre kommen und wann die Metro – und welche? – abends noch zurück nach Midtown fährt. Laut Zeitplan sollen Pavement um 21.05 Uhr starten, zuvor ab 20 Uhr Steve Gunn. Und wenn wir Thurston Moores Empfehlung mitnehmen, heißt das, pünktlich zu den Türen um 19 Uhr plus minus in Brooklyn zu sein.
Das Wetter ist weiterhin windig und regnerisch, tagsüber planen wir daher nicht allzu viel ein. Es reicht so gerade zu einem Besuch des Central Parks und der Museumsmeile rund ums Guggenheim und dem Metropolitan. Ab dem späten Nachmittag freuen wir uns dann nur noch darauf, endlich nach Brooklyn fahren zu können.
Über den Veranstaltungsort gibt uns Google folgende Informationen: Das Kings Theatre, ehemals Loew’s Kings Theatre, ist ein Veranstaltungsort im Stadtteil Flatbush in Brooklyn, New York City. Es wurde 1929 als Loew’s Theater und Filmpalast eröffnet und 1977 geschlossen. Anschließend stand das Theater jahrzehntelang leer, bis es 2010 renoviert wurde und nun als Konzerttheater hergerichtet ist. Das Fassungsvermögen beläuft sich auf 3000 Besucher (weil 3000 Sitzplätze) und ich glaube, ich kenne es aus der Beastie Boys Dokumentation, die ich letztens auf Apple TV sah.
Draußen regnet es immer noch, als wir die Metrostation Beverly Street in Brooklyn verlassen und uns auf den kurzen Fußweg zum Kings Theatre machen.
„Hello sunshine“ von den Super Fury Animals läuft, als wir den imposanten Konzertsaal betreten. Oh ja, Thurston Moore hat nicht zu viel versprochen. Das Kings Theatre ist toll. Von außen wirkt es – im Vergleich zum Chicago Theatre – noch wenig spektakulär, von innen ist es eine Wucht. Der Treppenaufgang zum Balkon ist imposant, die Kronleuchter in der Lobby blitzen um die Wette und überall liegt roter Teppich und an den Wänden sehe ich schöne Holzvertäfelungen. Im Konzertsaal setzt sich das fort. Die Seitenwände sind schön verziert, die Kuppel – ich weiß nicht – viele Meter über uns. Ein traumhafter Saal.
Es sind erst wenige Sitze besetzt. Kein Wunder, die Anfahrt nach Brooklyn dauert eine Zeit. Die Metrostation ist 15 Minuten Fußweg entfernt und soweit ich das verstanden habe, ist es nur eine Linie, die aus Manhattan hierüber führt. Aber bis um 21.05 Uhr ist der Saal fast voll.
Zuvor jedoch spielt Steve Gunn vor nahezu leeren Rängen. Sein Set verpufft dadurch etwas in der Leere des Raums. Ich mag seine Musik, die aber leider hier und jetzt so gar nicht zur Geltung kommt. Für einen Song holt Steve Gunn die Sängerin Bridget St. John auf die Bühne. Moment, Bridget St. John kenne ich doch irgendwoher. Und richtig, ich habe die Britin vor einigen Jahren im Rahmen des Primavera Sound Festivals im Auditori gesehen. Damals spielte sie in dem Konzertsaal vor Julien Baker, und ich war so früh vor Ort, um beinahe ihr komplettes Konzert mitzubekommen.
Pünktlich um 21.05 Uhr kommen Pavement auf die Bühne. Das Kernteam um Stephen Malkmus, Bob Nastanovich, Scott Kannberg, Steve West und und Mark Ibold wird wie schon zuletzt in Barcelona um Rebecca Cole, die im Hintergrund Keyboard spielt und im Gesang unterstützt, ergänzt. Bei dieser Reunion sind Pavement zu fünft unterwegs. Den Grund dafür nennt Bob Nastanovich in einem Interview, das ich vor Tagen im Internet gelesen habe:
She makes us better than ever, allowing us to play so many songs better than ever and also play 10-12 songs we’ve never played before. She makes us more versatile.
Sie starten mit „Grounded“ vom 1995er Album Wowee Zowee. Es wird nicht der einzige Song von diesem Album sein, im Laufe des Konzertes spielen sie sieben Songs von diesem wirklich tollen Album. Find’ ich gut, ich mag Wowee Zowee. Ich mag auch Brighten the corner, das sie an diesem Abend mit fünf Songs auch ausgiebig präsentieren. Leider vergessen sie dabei „Date with Ikea“. Von Terror Twilight, ihrer letzten Platte, spielen sie nichts. Es konzentriert sich auf die ersten vier Alben und Sonderveröffentlichungen aus dieser Zeit. Darunter auch das 2022 wiederveröffentlichte und 2020 ohne erklärbaren Grund virale gegangene „Harness for Hopes“.
Langsam, aber sicher entwickelt sich ein Pavement Konzert, das ich als das Beste ansehe, was ich in diesem Jahrtausend von Pavement gesehen habe. Es fügt sich alles wie von selbst zu einer einzigen Schönheit zusammen: der Ort, die Songs, das Publikum, die Band. Es macht Spaß, Pavement nicht nachts um 1 Uhr mit 30000 anderen Menschen sehen zu müssen, es ist toll, das Konzert in Ruhe von einem Sitzplatz aus genießen zu können, wenn nur mein Fuß mitwippt und ich hinter meinem Mundschutz leise mitsinge. Das Konzert ist so schön wie ein Pavement Konzert Mitte der 1990er Jahre.
Da ist es auch okay, dass sie mal wieder einen Song komplett unbeachtet lassen. Mein Lieblingslied ist wie schon bei der ersten Reunion und bei all den Konzerten vor den Reunions nicht Teil des Programms: „Unseen power of the picket fence“ vom No Alternative Sampler. Selbst in der Reddit Pavement Community zeigt man sich entsetzt darüber, dass die Band diesen Song wiederrum gnadenlos ignoriert. Als Ersatz lasse ich da aber schon gelten, dass sie seit Ewigkeiten mal wieder „AT&T“ spielen. Ich weiss gar nicht, wann ich das zuletzt gehört habe. Die Textzeile
Spritzer on ice in New York City
Isn’t it a pity
wird enthusiastisch aufgenommen und gefühlt von allen mitgesungen.
Am Anfang dauert es etwas bis sie reinkommen. Der Song klingt so holprig, dass ich befürchte, dass sie ihn jederzeit abbrechen, weil sie ihn nicht spielen können. Erst mit dem Refrain kriegen sie die Kurve.
„AT&T“ spielen sie als letzten Song. Dann verschwindet die Band so unspektakulär, wie sie 60 Minuten zuvor auf die Bühne geschlichen ist. Es ist viertel nach zehn. ‘Oh’, denke ich, ‘dann wird der Abend überschaubar lang und die Rückfahrt unkritisch.’
Nach ein paar Minuten kommen sie für vier Songs zurück, darunter „Range life“, dass tatsächlich ein hervorragender sing-a-log Song sein kann, wie das Kings Theatre zeigt, und „Cut your hair“. Pavement können also noch nachlegen. Stephen Malkmus stellt die Band vor, spielt noch kurz „Shoot the singer“ an und dann blitzen die Scheinwerfer wie Sterne, Ein monoton ‘I need to sleep’ klingt durch den Saal. „Fillmore Jive“ ist das Ende eines für mich sagenhaften abends. Das Konzert endet um kurz nach 23 Uhr. Und ehrlich, ich habe noch nie ein so enthusiastisches Publikum, eine so schöne Stimmung und ein so tolles Ambiente bei einem Pavement Konzert erlebt.
Draußen hat der Regen etwas nachgelassen. Mit vielen anderen gehen wir zur Metrostation. 15 Minuten später kommt die Bahn.
In der Bahn lausche ich den Gesprächen der Mitfahrenden. Hier war jeder beim Pavement Konzert. Ein Typ im Mittelgang, ich schätze mein Alter, spricht von Pavementkonzerten aus dem Jahr 1994 (‘nie waren sie besser’ – stimmt sicher nicht) und der Verbindung von Yo La Tengo und Pavement. Und dass sie am ersten Abend ein kurzes Yo La Tengo Cover in „Here“ eingebaut hätten. Welches, habe ich nicht verstanden. Ich glaube, er war ein four-timer, also an jedem der vier ausverkauften Abende im Kings Theatre. Interessanterweise, weil ich das nicht wusste, erzählt er, dass es eine musikalische Verbindung von James McNew von Yo La Tengo auf der einen sowie Stephen Malkmus und Bob Nastanovich auf der anderen Seite gäbe. Zusammen spielten sie in den 1980er Jahren in der Band Ectoslavia.
Musiknerdwissen.
A pro pos ausverkauft. Vor uns blieben fast 20 Sitze unbesetzt und auch hinter uns waren ein paar Sitzplätze frei. Einige haben es scheinbar nicht geschafft. Überraschenderweise setzte nach Konzertbeginn trotzdem kein Run auf die freien Plätze ein; jeder, auch die, die weit hinter uns saßen, blieben auf ihren Plätzen. Dankenswerterweise, denn so hatten wir den ganzen Abend über freie Sicht auf die Bühne.
I need to sleep.
Setlist:
01: Grounded
02: Silence kid
03: Gold soundz
04: Fame throwa
05: Kennel District
06: Starlings of the slipstream
07: Trigger cut
08: Two states
09: Zurich Is stained
10: Heckler spray
11: Debris slide
12: Type slowly
13: Shady Lane
14: Father to a sister of thought
15: Serpentine pad
16: Give it a day
17: Harness your hopes
18: Pueblo
19: Stereo
20: Transport is arranged
21: AT&T
Zugabe:
22: Grave architecture
23: Range Life
24: Shoot the singer
25: Cut your hair
26: Fillmore Jive
Kontextkonzerte:
Pavement – Primavera Sound Festival Barcelona, 02.06.2022
Pavement – New York, 23.09.2010 / Central Park Summerstage
Pavement – New York, 21.09.2010 / Central Park Summerstage
Pavement – Nijmegen, 06.07.2010 / Doornroosje
Pavement – Primavera Sound Festival Barcelona, 27.05.2010
Pavement – Berlin, 19.05.2010 / Columbia Halle
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