Ort: SchlachtGarten, Krefeld
Vorband: –
Vor Jahren war ich beim Rolling Stone Weekender am Weissenhäuser Strand, stand im großen Saal des Urlaubsparadieses vor der Bühne und sah ein Konzert von Get well soon. Der Saal hatte viel 1970er, 1980er Jahre Charisma und wirkte damit auf mich sehr passend zu diesem Ostseebad / Ferienresort. Familienurlaube meiner Kindheit fanden an solchen Orten statt, daher sicherlich auch die 70er/80er Jahre Assoziationen. Ich will sagen, er war etwas altbacken, etwas in die Jahre gekommen, etwas uncool, etwas wie eine Gelsenkirchener-Barock-Schrankwand. Unmodern, aber auf eine charmante Art und Weise. Irgendwann während des Konzertes schweiften meine Gedanken ab, angestachelt durch die nahe See und durch die Kapitänsmütze, die Konstantin Gropper trug (ich glaube, ich irre mich da nicht), fühlte ich mich irgendwann wie bei einer Abendveranstaltung auf einem Kreuzfahrtschiff. Aber nicht auf dem Traumschiff, sondern vielmehr wie in einer Arthouse Independent Film Version des Traumschiffes mit Steve Buscemi als Kapitän. Sprich: auf eine interessante Art und Weise.
Am Samstag beim Die Sterne Konzert passierte mir ähnliches. Ich fühlte mich natürlich nicht wie auf einer Kreuzfahrt, das Konzert fand schließlich nicht an der See statt, sondern im Biergarten des Schlachthofs in Krefeld, eine – so mein Eindruck – Indiekneipe in einem ehemaligen Industrieareal und Frank Spilker trug keine Kapitänsmütze. Ich fühlte mich wie auf einer launigen 50er Jahre Geburtstagsparty, bei der im leicht trashigen Ambiente anstelle eines Alleinunterhalters eine irgendwie coole Band spielt. Wer jetzt glaubt, das seien gruselige Gedanken, der irrt. Ganz im Gegenteil. Es sind Wohlfühlgedanken, die ich an diesem Abend hatte. Und genau wie seinerzeit das Get well soon Konzert war auch das Die Sterne Konzert mit all den Menschen und mit all dem Ambiente eine perfekte Veranstaltung.
Kurzentschlossen kaufte ich am Samstagnachmittag ein Ticket für das Die Sterne Konzert am Abend. Das Wetter war gut, der Weg nach Krefeld nicht allzu weit. Nichts, was gegen einen Konzertbesuch sprach. Der Schlachthof, in dessen Garten das Open-Air-Konzert stattfand, liegt auf dem gleichen Areal wie die Krefelder Kulturfabrik. Ich war hier noch nie, ich erwähne das für diejenigen, die sich etwas in Krefeld auskennen. Von der Autobahnanschlussstelle ist es schnell erreichbar. Als wir nach einem Abbiegefehler und der damit verbundenen unfreiwilligen Stadtrundfahrt – ach, wie werde ich diese spontanen Umwege vermissen, wenn ich erst ein Auto mit Navi besitze – gegen halb acht ankommen, ist der Biergarten erst überschaubar gefüllt. Es ist gemütlich, die kleine Bühne steht am Ende eines kleinen Platzes, links und rechts davon unter Bäumen stehen Bierbänke, Tische und Stühle. Lampions baumeln von den Ästen, zwischen den Bäumen hängen Lichterketten. Das Die Sterne Konzert ist in der Reihe ‘Schlachtgarten Open-Airs’ das letzte des Sommers 2024. Der Veranstalter wies bei der Bandbegrüßung darauf hin, sonst hätte ich das nicht gewusst. Überhaupt weiß ich nichts über die Schlachthof Veranstaltungen. Ich hatte nur über einen Newsletter von diesem Konzert erfahren. Krefeld gehört nicht so zu meinen direkten Konzertorten, auf die ich monatlich ein Auge habe.
Nachmittags gab es dann nur eine Frage: Spielen sie in Krefeld „Gleich hinter Krefeld“ vom aktuellen Album Hallo Euphoria? Das können sie sich eigentlich entgehen lassen und ja, natürlich spielen sie es. Ein Blick auf die ausgelegte Setlist verriet: „Mein Sonnenschein“ ist durchgestrichen und durch den Hinweis ‘Ersatz: Krefeld’ ausgetauscht.
„Gleich hinter Krefeld“ ist der sechste Song des Abends. Davor und danach spielten und spielen Die Sterne nur Hits. Die Band hat just ein Best-of Album veröffentlicht, Grandezza, und ist damit auf Grandezza-Tour. Entsprechend ist die Setlist eine Best-of Setlist. Oder richtiger gesagt: die Setlist besteht aus einigen ihrer besten Songs. Denn richtig ist auch, Die Sterne haben so viele Hits, dass sie mehrere Abende damit bespielen könnten, ohne sich zu wiederholen. Entsprechend bleiben pro Abend immer ein paar Songs auf der Strecke, in Krefeld zum Beispiel „Depressionen aus der Hölle“, „Hey Dealer“ oder „Wir kämen wieder vor“, einer meiner Top 3 Die Sterne Songs mit dem vielleicht besten Die Sterne Text ever. Na ja, ich jammere auf hohem Niveau, Füller gibt es an diesem Abend schließlich auch so keine.
Stattdessen eine für mich neue Extended Version von „Fickt das System“. Sie lassen den Song nahtlos übergehen in den Discokracher „Last night the DJ saved my life“. Dieses Mash-up habe ich so noch nicht gehört; es ist toll! Das Keyboard – gespielt von Dyan Valdés – flirrt und dröhnt, das Schlagzeug tobt stakkatohaft durch die Songs. ‘Brauchst du eine Pause?‘ fragt Frank Spilker am Ende der sehr tanzbaren „Fickt das System“/ „Last night the DJ saved my live“ Kombi seinen Kollegen Jan Philipp Janzen, der jedoch verneint. Also weiter, es folgen „Nach fest kommt lose“, „Die Interessanten“, „Universal Tellerwäscher“ und „Was hat dich bloß so ruiniert“, um nur meine Favoriten zu nennen. Es sind die üblichen Verdächtigen bei Die Sterne Konzerten.
Fun fact: Auch The Notwist, die andere beste deutsche Indieband, verwurschteln den Song der New Yorker Band Indeep in ihren Konzerten.
Nach „Universal Tellerwäscher“ ist das Konzert vorbei. Die Sterne verlassen die Bühne, zwängen sich an uns vorbei und verschnaufen in einer der Biergartensitzecken. Aber sie kommen nochmal zurück, oder besser zweimal. Umjubelt und gefeiert. Im ersten Zugabenblock spielen sie „Hallo Euphoria“ (mit sehr vielstimmigem ‘Hallo’ Echo) und „Was hat dich bloß so ruiniert“. Das Konzert endet schlussendlich nach einem erneuten Ausflug in die Biergartensitzecke und anschließendem Comeback auf die Bühne mit „Du musst gar nix“.
Auf der Grandezza CD ist als Zusatzsong “In diesem Sinn” auf Mandarin enthalten. Leider spielen sie das nicht, wäre bestimmt lustig geworden.
Eine Zeitlang vergessen wir, was weh tut und lassen unsere Sachen sein.
Drei Akkorde – Die Sterne
Es war ein toller Abend, keine Frage. Ich denke, jeder sollte mindestens einmal im Jahr ein Die Sterne Konzert sehen. Es lohnt, ich kann es nur empfehlen. (Ich sage das, obwohl – oder gerade weil – ich in diesem Jahrzehnt bereits eine Jahreslücke habe).
Setlist:
01: In diesem Sinn
02: Aber andereseits
03: Widerschein
04: Big in Berlin
05: Das bisschen besser
06: Gleich hinter krefeld
07: Fickt das System
08: Nach fest kommt lose
09: Trrrmmer
10: Nur Flug
11: Der Sommer in die Stadt wird fahren
12: Wenn dir St. Pauli auf den Geist fällt
13: Die Interessanten
14: Universal Tellerwäscher
Zugabe I:
15: Hallo Euphoria
16: Was hat dich bloß so ruiniert
Zugabe II:
17: Du musst gar nix
Kontextkonzerte:
Die Sterne – Monheim, 14.05.2022
Die Sterne – Düsseldorf, 26.07.2021 / Ehrenhof
Frank Spilker – Erftstadt, 05.09.2020 / Anneliese Geske Musik- und Kulturhaus
Die Sterne – Köln, 15.02.2017 / Kulturkirche Nippes
Die Sterne – Bochum, 03.02.2012 / Bahnhof Langendreer
Die Sterne – Juicy Beats Festival, 31.07.2010