Ort: Ehrenhof, Düsseldorf
Vorband: Mia Morgan

Die Sterne

Ich kann es nicht mehr sehen: Schlamm, Matsch, rausgerissene Fußböden. Seit dem Mittwoch vorletzter Woche hat sich unser kleiner Kosmos komplett verändert. Autos schwammen auf dem Parkplatz umher, dass Wasser stand brusthoch im Erdgeschoss. Die halbe Innenstadt ein Chaos aus Müll und Schutt. Es ist nicht schön und es wird für lange Zeit nicht schön sein. Das Hochwasser war in Euskirchen nicht so wild wie weiter südlich, es hat aber trotzdem einen beträchtlichen Schaden hinterlassen. In der Fußgängerzone gibt es keine funktionierenden Geschäfte mehr, die Infrastruktur ist empfindlich getroffen. Das gilt für den Weg zum nächsten geöffneten Bäcker und natürlich auch für weitere Autofahrten. Zum Beispiel nach Düsseldorf, zum New Fall Festival Summer Edition Auftritt der Band Die Sterne. Es ist ein Abenteuer. Anstatt mal eben schnell auf die A1 zu fahren, nehmen wir einen Bogen über Ortschaften wie Lüxheim, Hochkirchen und Wissersheim. Verfahren inklusive, aber das lag bei meiner laxen Vorplanung (‘ach, ich habe mir die Strecke grob angeguckt, sollte klappen.‘) auf der Hand. Ehrlich gesagt, würden hier nicht die Tickets liegen, diese Juckelei würde ich nicht machen. Obwohl, zuhause wird im Erdgeschoss gerade der feuchte Estrich rausgehämmert. Es spricht also auch nicht viel dafür, in den eigenen vier Wänden zu bleiben. Dann doch lieber rheinisch-bergisches Sightseeing.

Die Sterne bzw. Frank Spilker begleiten uns durch die Corona Zeit. Vor gut einem Jahr sahen wir ihn in der Musikschule in Erftstadt (ich hoffe, die Musikschule hat das Hochwasser gut überstanden), als er in erster Linie über sein Buch und seine Texte sprach, in zweiter Linie allerdings auch zwei Hände voll Songs auf der Akustikgitarre spielte. Ich fürchte, erst mit diesem Auftritt wurde mir die Schönheit der Sterne Songs so richtig bewusst. Aber lieber spät als nie. Seitdem höre ich sehr oft das aktuelle Album Die Sterne.

Die Sterne spielen im Rahmen des New Fall Festivals Summer Edition. Tocotronic, Sophie Hunger, Hundreds, Drangsal und weitere Künstler*innen treten in diesen Wochen am Ehrenhof auf, um zumindest ein wenig New Fall Festival Gefühl aufkommen zu lassen. Das New Fall Festival ist ein seit Jahren ein etabliertes Indoorfestival mit Konzerten in verschiedensten Düsseldorfern Locations. Im letzten Jahr konnte es wegen des Lockdowns nicht stattfinden und auch in diesem Herbst wird es nicht durchgeführt werden, da langfristige Planungen, die ein Festival dieser Größenordnung benötigen, einfach zu unseriös gewesen wären. Alternativ gibt es also eine Summer Edition im Ehrenhof. Open Air Konzerte vor begrenzter Zuschauerzahl mit genügend Abstand sind diesen Sommer immerhin möglich.

Der Ehrenhof an der Tonhalle war schon einmal Konzertort. Damals allerdings in anderen Dimensionen. Zum Tour de France Prolog 2017 traten Air und Kraftwerk vor mehreren 1000 Menschen auf. Das New Fall Festival Summer Edition kann höchstens ein, zweihundert Besucher (so genau habe ich die Anzahl der Liegestühle nicht überblicken können) verkraften, die kleine Bühne ist frontal vor dem Eingang des NRW Forums aufgebaut. Davor stehen in Reihen die Liegestühle.

Da wir die Fahrzeit über die Dörfer hin zur Autobahn nicht gut abschätzen konnten, sind wir einigermaßen früh in Düsseldorf. Macht aber nix, die Liegestühle sind bequem und vom Band läuft mir unbekannte, aber gut anzuhörende Musik. Alice Russell und AIM shazame ich mir zusammen, MGMT und die Dirty Projectors erkenne ich trotz Akustikversionen ihrer Songs noch gerade so. Es ist gemütlich hier, die Wartezeit bis zum Konzert von Mia Morgan wird nicht lang.

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Mia Morgan. Neuerdings mit Band, aber immer noch ohne Debütplatte. Die Frau aus dem Internet, wie sie sich selbst vorstellt, kommt aus Kassel. Sagt das Internet. Ich hatte mit Mia Morgan bisher keine Berührungspunkte. Meine Spontanassoziationen nach den ersten Konzertminuten sind Frl. Menke und Nena (vielleicht auch wegen ihres Tanzstils). Gruftpop kommt mir weniger in den Sinn. Gruftpop nennt Mia Morgan ihre EP, die einzige Veröffentlichung bisher.

Ich google Mia Morgan, um mir ein bisschen was anzulesen. Dabei stößt man schnell auf Artikel mit Überschriften wie Germany’s next Goth Model und Texte wie z.B.

Mit der Demo-Version ihres Songs „Waveboy“ sorgte Mia Morgan im letzten Jahr vermutlich für so viele Ohrwürmer, wie der Song Klickzahlen hat. Der eingängige Refrain, das ausgezeichnete Songwriting und die ungezwungene DIY-Attitude ließen schon 2018 auf eine Künstlerin mit viel Potential schließen. Mitte März veröffentlichte „Kassels großer Stolz“ mit „Es Geht Dir Gut“ ihre zweite Single und präsentierte erneut ihren einzigartigen Musik-Stil, welchen sie selbst liebevoll als „Gruftpop“ bezeichnet. Zwischen Darkwave, Indie-Rock und NDW-Sounds besetzt die Sängerin damit ein ganz eigenes Gebiet. (Diffusmag)

Okay. Da ist alles drin, was man wissen muss. „Waveboy“ kannte ich übrigens auch nicht. Mir fällt aber auf, dass sich immer mehr neue Bands musikalisch mit den 1980er Jahren auseinandersetzen. Synthies, Smith Gitarren und all so’n Zeugs. Das fixt heutzutage die Leute an. Mich auch irgendwie ein bisschen. Mia Morgan macht das gut und die halbe Stunde mit sieben, acht Songs ist unterhaltsam. Zurecht ist in der Pause der Andrang am Merchstand groß.
A pro pos Merchstand. Wo sich sonst alles wollknäuelartig knubbelt bildet – den Corona Hygieneregeln sei Dank – sich eine geordnete Schlange. Das könnte man doch eigentlich in die post-Corona Zeit übernehmen.

Die Sterne haben wenig Zeit. Um 22 Uhr muss im Ehrenhof zwischen Tonhalle und Kunstmuseum wieder Ruhe einkehren. Warum und für wen ist mir nicht so ganz klar. Wohngebäude gibt es in unmittelbarer Nähe eigentlich keine und das Open Air Kino an den Rheinterrassen auf der anderen Seite der B1 startet gar erst um 22 Uhr mit seinem Programm. Merkwürdig.

Aber ein kurzes Konzert ist besser als kein Konzert. Und besser als kein Konzert ist auch ein Konzert unter Coronaauflagen. Das sieht die Band so, dass sehen auch wir so. Klar, der Bühnenabstand ist gewaltig und die Liegestühle lassen in mir eher ein ZDF Fernsehgartengefühl aufkommen als das eines Die Sterne Konzertes. Aber so ist das nun mal. Darüber zu lamentieren ist doof, niemand wird gezwungen, hier zu sein. Und so ist die Stimmung den Umständen entsprechend euphorisch. Die vorderen Liegestuhlreihen sind gut gefüllt. Das Konzept scheint zu passen. Ich habe das Gefühl, dass viele hier dem Konzert freudig entgegenfiebern. ‘Endlich mal wieder ein Konzert‘ Atmosphäre liegt in der Luft.

Die aktuellen Sterne sind nicht mehr die Die Sterne meiner Jugend. Die beiden Ursterne Christoph Leich und Thomas Wenzel sind nun auch nicht mehr mit dabei; am Keyboard gab’s ja früher schon immer mal wieder Personalwechsel. Mit dem neuen Album sind Die Sterne nun Frank Spilker und verschiedene Gastmusiker. 

Das ganze Konzept: weniger Band, mehr Kollaboration.

So lese ich es auf der Homepage. In Düsseldorf kollaboriert Frank Spilker mit Philipp Janzen am Schlagzeug, Dyan Valdez am Keyboard und Max Knoth an der Gitarre.

Das Konzert konzentriert sich auf Songs des letzten Albums Die Sterne. Die für mich wichtigsten Songs des Albums werden gespielt: „Hey Dealer“, „Der Sommer in die Stadt wird fahren“, „Du musst gar nix“ und „Wir kämen wieder vor“. „Universal Tellerwäscher“, „Was hat dich bloss so ruiniert“ und noch ein, zwei andere ältere Gassenhauer komplettieren das Set.
Mein Lieblingssong des Abends ist „Depressionen aus der Hölle“. Überhaupt ist das seit ein, zwei, drei Jahren mein liebster Die Sterne Song. Schön ist auch „Wahr ist, was wahr ist“. Sie spielen ihn überraschend gegen Ende des Konzertes. Den habe ich lange nicht mehr gehört. Und sie spielen ihn schnell. Die Zeit tickt bekanntlich und der „Universal Tellerwäscher“ muss ja auch noch in den Abend passen. Großartig, und für einen Augenblick fühle ich mich im Konzert. Lange Zeit ist das nämlich nicht so. Irgendwie gelingt es mir an diesem Abend nicht, in das Konzert hineinzufinden. Liegt’s an den Liegestühlen, am Wetter, an der umständlichen Anfahrt? Es liegt zumindest nicht an der Band, auch wenn sich die Sterne die ein oder andere technische Schludrigkeit erlauben.
So ist es für mich dann kein ganz runder Abend. Und zu allem Überdruss kommt Minuten später noch der Kassenautomat an den Rheinterrassen, der ohne Not und Warnung meinen Geldschein verspeist ohne die Ticketgebühren abzurechnen. ‘Was macht der da, der kann doch nicht meinen Geldschein…der muss doch mein Ticket auslösen.‘
‚Ich muß gar nix‘, wird der Automat gedacht haben. Verflixt.

Die Sterne Ehrenhof Düsseldorf 26.07.2021New Fall Festival Summer Edition

Posted by Anna Radozda on Tuesday, July 27, 2021

Kontextkonzerte:
Die Sterne – Köln, 15.02.2017 / Kulturkirche Nippes
Die Sterne – Bochum, 03.02.2012 / Bahnhof Langendreer
Die Sterne – Juicy Beats Festival, 31.07.2010

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