Ort: Kulturzentrum Alter Schlachthof, Eupen
Vorband: Ohio Mark

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Der Eindruck meiner ersten beiden Whispering Sons Konzerte hat sich nach wenigen Minuten bestätigt. Die Band ist live unfassbar gut, Fenne Kuppens hat eine Bühnenpräsenz, die ich so noch nicht oft gesehen habe. Das ist beeindruckend, manchmal gar unheimlich. Es ist fast unmöglich, sich auch um die vier anderen Musiker der Band zu kümmern. Wenn man mich heute fragen würde, wie der Keyboarder aussähe, ich könnte nicht einmal genau sagen, ob die Band überhaupt einen Keyboarder hat. (Haben sie.) Beobachtet man die Sängerin ein paar Minuten, ist man auf eine für mich undefinierbare Art und Weise gefangen von der Unruhe, die Fenne Kuppens ausstrahlt und die wie selbstverständlich zum Post-Punk der Whispering Sons passt: ein bisschen irr, ein wenig wild und laut. Bei last.fm steht: Interessanter Mix aus Sisters of Mercy, The Cure, Interpol, White Lies, David Bowie. Nun gut.

So finde ich es keineswegs merkwürdig, dass der einzige balladeske Song des Abends seine Wirkung irgendwie nicht entfachen kann. „Aftermath“ vom gerade veröffentlichten Album Several Others zündet in meinen Augen überhaupt nicht.  Vielleicht, weil er der bis dato ungewöhnlichste Song der Band ist, vielleicht, weil ich mir nicht vorstellen kann, wie die Whispering Sons einen ruhigen Song spielen können. „Waste“ ist für mich ein typischer Whispering Sons Song. Und der ist alles andere als balladesk. So habe ich die Band vor zweieinhalb Jahren in Genk kennengelernt, so habe ich sie seitdem in Erinnerung. 
Aber sie haben sich weiterentwickelt, ihre stilistischen Mittel erweitert. So lese ich nachmittags die diversen Plattenrezensionen zu Several Others im Internet. ‘Die shoegazigen Hall-Wände fallen auf Several Others nahezu komplett weg‘ sagt zum Beispiel Monkeypress in seiner Plattenbesprechung und der taz Blog spricht von einem ‘spielen mit zusätzlichen EBM-Electro-Elementen, so dass das Album sich zwischen den erwähnten Joy Division und DAF einrichtet.‘

Ich fasse zusammen, die Band hat beim zweiten Album ein paar Sachen anders gemacht, neue Dinge eingebaut und andere Dinge weggelassen. Ich habe das Album noch nicht gehört, aber mein Liveeindruck ist der, dass mir die jetzigen Whispering Sons musikalisch variabler erscheinen und nicht mehr nur starr im Schema F des Gothic-Rock gefangen sind. Vor zwei Jahren hätte ich mir zumindest nicht vorstellen können, dass sich der Gitarrist an die Keyboards setzt und eine Ballade anstimmt. The Murder Capital sind eine Band, die das auch machen, melodiöse ruhige Songs. Vielleicht erinnern mich die neuen Whispering Sons Sachen ein wenig an The Murder Capital.  
Dass dann die Ballade live noch nicht so richtig rüberkommt und der ein oder andere Song („Tilt“) noch holprig klingen, hängt mit Sicherheit auch damit zusammen, dass dies die erste Clubshow der Band zum neuen Album ist. Da darf noch nicht alles rund laufen. Das haben selbst U2 nicht hinbekommen.

Eupen. Diffuses blaues Bühnenlicht. Für Hobbyfotografen keine leichte Aufgabe, gute, sprich scharfe Fotos zu machen. Die automatische Fokussierung verzweifelt mitunter an solchen Lichtverhältnissen. In diesen Momenten greift bei Kompaktkameras das Focuslicht. Es unterstützt die automatische Focussierung. Meist leuchtet es nervig orange-rötlich. Bei Konzerten habe das schon oft gesehen; es gibt immer jemanden, der das Licht an seiner Kompaktkamera nicht deaktiviert hat und dann gar nicht merkt, wie sehr sein Focuslicht einen Musiker irritiert. Bei meinem Vordermann ein paar reihen weiter strahlt das Focuslicht neongrün. Es vergehen ein, zwei Songs, bis ich die immer wieder auftauchenden grünen Lichtpunkte auf dem Gesicht von Fenne Kuppens zuordnen kann. 10 Fotos pro Songs sind vielleicht nicht genug? Ja, denke ich auch. Puh. Geht das dann den ganzen Abend so? Ja.

Die Whispering Sons bringen mich mal wieder nach Eupen in das schöne Kulturzentrum Alter Schlachthof. Seitdem ich vor einigen Jahren hier erstmals war, mag ich diesen Ort. Es ist einer dieser kleinen, feinen Kulturhotspots einer Kleinstadt, wie man sie in Benelux oft findet: das Nieuwe Nor in Heerlen, die Muziekgieterij in Maastricht oder die C-Mine in Genk, um mal die aufzuzählen, die ich kenne.

Kein Covid-Safe-Ticket (geimpft, getestet, genesen) erforderlich. Keine Maskenpflicht. Ab dem 1. September müssen bei Innenveranstaltungen von maximal 200 Besuchern keine Abstände mehr eingehalten werden und die Maskenpflicht wird aufgehoben (ab dem 1. Oktober gilt dasselbe für maximal 500 Besucher). Für diese kleineren Veranstaltungen, wie wir sie im Alten Schlachthof durchführen, ist kein Covid-Safe-Ticket (geimpft, getestet, genesen) erforderlich.

So steht es auf der Homepage des Kulturzentrums und so ist es dann auch. Die alte Normalität zurück und ich muss mich wieder daran gewöhnen. Als ich am Eingang meinen Mundschutz rauskrame, werde ich darauf hingewiesen, dass dieser nicht nötig sei. Irritiert blicke ich mich um. Es ist verdammt ungewohnt, ohne Mundschutz ein Gebäude zu betreten. Und jetzt ein Konzert ohne Restriktionen. Endlich, möchte ich sagen. Das letzte Mal hatte ich das vor …ach, ich weiß es gar nicht mehr.

Der Saal ist gut besucht, aber nicht zu voll. Die ganz harte Bewährungsprobe mit Gedränge und so bleibt mir erstmal erspart. Vielleicht ganz gut. Denn hier und jetzt irritiert mich schon die Geräuschkulisse. Kein Witz. Interessant und erschreckend zugleich, wie schnell ich davon entwöhnt wurde. Ich komme mir vor wie im ‘Hamburger Modell‘ für Konzertgänger. Vor lauter Aufregung verliere gleich mal einen Ohrstöpsel. Die Automatismen funktionieren wirklich noch nicht.
Um halb neun startet die Vorband. Ohio Mark aus Antwerpen. Ich kenne sie nicht, lese vorher bei Post-Punk.com folgendes:

The Antwerp based trio conjure a sonic tempest of reverb and noise, evoking seastorm guitar torrents and windswept vocals echoing the aural palette of shoegaze luminaries such as My Bloody Valentine.

Das klingt grundsätzlich interessant und ich beschliesse, zeitg am Alten Schlachthof in Eupen zu sein. Leider ist der Sound nicht gut, ich höre den Gesang kaum und der Soundwall von Ohio Mark klingt deutlich vermatscht. Das Schicksal einer Vorband. Interessant, dass die Band ohne Schlagzeuger auskommt.

Später ist der Sound besser, um nicht zu sagen, perfekt auf die Whispering Sons abgestimmt. Gesang klar und deutlich, die Gitarren nicht zu wuchtig. Da stören eher die Geräusche der im hinteren Bereich des Saals eingerichteten Bar. Geklapper und Gerede ist in den Songpausen mehr als deutlich zu hören. Ich weiß nicht, ob ich daraus auf eine grundsätzliche Unaufmerksamkeit des Publikums schließen soll, denn es gibt schon auch die, die die Band zwischen und in den Songs begeistert feiern. Und es gibt das ein oder andere bekannte Kölner Gesicht im Publikum. Oft erlebe ich es nicht, dass der Kölner in die Provinz fährt, um sich Konzerte anzusehen. Durstig nach Livemusik sind wir scheinbar alle.
Wie erwähnt, die Whispering Sons enttäuschen nicht. Sie überraschen mich sogar mit ihren neuen Songs. Und sie haben ihre Livequalitäten mindestens verbessert. Wenn es gut für mich läuft, erlebe ich sie auf ihrer just begonnen Tour noch ein weiteres Mal. Aber das sehe ich in den nächsten Tagen. 

In der Nachbetrachtung bin ich erstmal froh, nach Eupen gefahren zu sein und ein normales Konzert erlebt zu haben. Das ist schon noch eine ganz andere Hausnummer als die bestuhlten open-air Konzerte der letzten zwei Sommer. Es war schön, es hat Spaß macht. Alles. Bei der Rückfahrt fällt mir auf, wie ich das alles vermisst habe: Championsleague Spiele am Handy mitzuplotten, in der Umbaupause rumzustehen, die Nachtfahrten, spät aber glücklich nach Hause zu kommen.

Und später am Abend stelle ich fast zwei Jahre nach meinem letzten Clubkonzertbesuch beruhigt fest, dass ich immer noch nicht zu alt für den Quatsch bin.

Setlist:
01: Dead end
02: Heat
03: Got a light
04: White noise
05: (I leave you) wounded
06: Alone
07: Vision
08: Screens
09: Flood
10: Surface
11: Hollow
12: Aftermath
13: Satantango
14: Surgery
Zugabe:
15: Tilt
16: Waste

Kontextkonzerte:
Whispering Sons – Sonic City Festival Kortrijk, 09. u. 10.11.2019
Whispering Sons – Little Waves Festival Genk, 13.04.2019

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