Oder: Bad Salzuflen weltweit. Ein Kurztrip im September 2021
Wie oft ist es mir schon passiert, dass ich die A2 Richtung Norden gefahren bin und mir beim Anblick der kulturellen Autobahnhinweisschildern gedacht habe, das muss ich mir eigentlich auch mal ansehen. Hermannsdenkmal, Externsteine, Porta Westfalica, Marta. Doch nie gab es Zeit, nie einen Plan, einen Abstecher in die Region in die Tat umzusetzen. Und dann kam Corona und plötzlich waren ganz andere Reise- und Kurztripziele auf unserer Liste: Bayern und Baden im letzten Jahr, das Rheintal, oder in diesem Sommer die Bauhaus-Luther-Route. Ostwestfalen stand auch auf unserer Liste.
Und so kam auf der Suche nach einem spätsommerlichen Kurztrip der Teutoburger Wald ins Spiel, ergänzt durch die Weltkulturerbe Schloss Corvey und das Fagus Werk im niedersächsischen Alfeld. Was für ein schönes, buntes, kulturelles Programm: Römer, Kaiserreich, Bauhaus, Modern Art, Kurorte.
Da wir mittlerweile ein bisschen Routine im Austüfteln von Roadtrips haben, stand das Programm relativ zügig. Übernachtungen in Bad Pyrmont und Bad Salzuflen (ab einem gewissen Alter kann man sich dem Flair eines Kurbads scheinbar nicht mehr entziehen) sowie in Hameln (eine kleine Enttäuschung, da die Stadt so recht nicht meinen Erwartungen entsprach) waren schnell gebucht. (Und es bleibt die Erkenntnis, dass Kurhotels unter der Woche überraschend günstig sind.)
Auf dem Hinweg nach Bad Pyrmont fährt man quasi am Hermannsdenkmal und an den Externsteinen vorbei; somit waren die ersten beiden Routenpunkte schon am ersten Tag abgehakt. Es war angenehm leer, sowohl am Denkmal als auch an der Steinformation gab es alle Zeit und Ruhe, Fotos zu machen und herumzulaufen. Ich weiß nicht, ob es an den Coronarestriktionen liegt, an unserem Besuchstag unter der Woche oder an dem noch nicht ganz sonnigem Wetter: wir waren gefühlt alleine vor Ort. Ähnliche Erfahrungen haben wir später noch in Corvey und in Alfeld gemacht. Nur das Wilhelmsdenkmal war merklich stärker besucht. Was mir bei der Anreise sofort auffiel, viel Wald säumt den Weg nach Bad Pyrmont. Der Teutoburger Wald ist unübersehbar.
Bad Pyrmont ist eine Kurstadt wie aus dem Bilderbuch. Wilhelminische Bauten, Neoklassizismus. Die ist schön anzusehen, keine Frage. Bad Pyrmont scheint ein Ort aus einer längst vergangenen Zeit. Als wir unser Hotelzimmer beziehen, spielt im Kurpark ein Orchester. Das musikalische Motto an diesem Abend lautet Pyrmont Pops, Abba Hit inklusive. Die Band aus einer längst vergangenen Zeit plant gerade ihr erfolgreiches Comeback, Bad Pyrmont möchte ich das auch wünschen. Denn viele der altehrwürdigen Gebäude stehen leer oder sind renovierungsbedürftig. Auch das ein oder andere Kurhotel ist nur noch eine Bauruine. Ich deute daraus, dass das mit dem Kuren nicht mehr en vogue zu sein scheint. Zumindest hier in Bad Pyrmont. Der Ort wirkt auf mich wie mit Patina überzogen. Im Morgennebel, der sich an beiden Tagen unseres Aufenthaltes lange gegen die Sonne behaupten konnte, wirkt der Ort morbid und der Kurpark, der weiter oben in einen Wald übergeht, spooky. Die Promenade wird jeden Morgen tip top gepflegt und die Gaststätten sind abends gut besucht, aber irgendwie war es das dann auch. Oder wir waren zu den falschen Zeiten an den falschen Orten. Tatsächlich sehen wir junge Leute eher selten. Das Durchschnittsalter der Menschen, die uns auf unseren Touren durch den Kurpark begegnen, liegt oft jenseits von 60. In unserem Kurhotel ist das natürlich nicht anders. Beim Frühstücksbuffet am Morgen kommen wir uns vor wie party crasher.
Vorurteil werden wahr.
Zwei Nächte bleiben wir in Bad Pyrmont, den Tag dazwischen wollten wir mit einer Ausflugsfahrt ins Umland gestalten. Schloss Corvey, alt, herrschaftlich, wuchtig und die Fagus-Werke, industriell, grazil, nicht ganz so alt, heißen unsere Ziele.
Schloss Corvey ist tatsächlich das letzte UNESCO Weltkulturerbe Nordrhein-Westfalens, das wir noch nicht gesehen haben. Es gab also einen sehr guten Grund, hierher zu fahren. Abgesehen von unserem Interesse an historisch wichtigen und schönen Bauwerken. Schloss Corvey begrüßt uns majestätisch und erhaben. An diesem Morgen sind wir fast die einzigen Besucher und es macht Spaß, ohne Hetze und in aller Ruhe und mit Ruhe durch die Gärten und Räumlichkeiten zu schlendern.
Dem Nachmittag ist das zweite Weltkulturerbe vorbehalten. Den Ausflug nach Alfeld verdanken wir unserem Bauhaus Spleen. Walter Gropius entwarf die Fagus Fabrik (eine Schuhfabrik, ich wusste das nicht) 1911; ich glaube, es war seine erste Arbeit dieser Art. Das Design der Fabrikhalle und umliegenden Gebäude war seinerzeit einzigartig und nahm viele Ideen und Konzepte des späteren Bauhauses vorweg. Ähnlichkeiten zwischen den Bauten in Dessau und Alfeld sind selbst für Archtekturlaien wie mich unübersehbar.
Die Fahrt durch den Teutoburger Wald und die Region Ostwestfalens ist sehr hügelig. Mir war nicht klar, wie bewegt hier das Gelände ist und das die Strecken ein ähnliches Profil aufweisen wie in der Eifel. Aber es ist irgendwie anders hügelig. Geschwungener, finde ich. Und es gibt mehr Wälder. Diese Beobachtung nehme ich aus dem ersten Tag mit. Der alte Mercedes ächzt und irgendwann nach all den Serpentinenfahrten quietscht es merkwürdig im Getriebe. Das ist ein bisschen unheimlich, aber am nächsten Tag scheint alles wieder normal.
Der zweite Abend in Bad Pyrmont brachte statt Pyrmont Pops einen Rundgang durch den Schlosspark und den angrenzenden Kurpark. Hey, wenn wir schon Kurtaxe zahlen, dann auch bitte mit Gegenleistung! Ist schon schön hier, und gegen Abend vor allem sehr ruhig.
Tag 3. Weiter geht es nach Hameln. Bei unserer Routenplanung sahen wir den Ort als idealen Brückenkopf zur Weiterfahrt zum Kaiser Wilhelm Denkmal und Bad Salzuflen. Inhaltlich enttäuscht mich Hameln ein wenig. Bis auf die Rattenfänger Geschichte mit Rattenfänger Wohnhaus und -statur hat mir Hameln nicht allzu viel zu bieten. Klar, ein nachmittäglicher Spaziergang durch die Stadt ist immer drin, und am nächsten Tag geht es weiter entlang der Weser Richtung Norden.
Porta Westfalica, Kaiser Wilhelm Denkmal. Das zweite Denkmal unserer Tour und ich fürchte, ich habe beide Denkmäler schon mehr als einmal bei der Vorbeifahrt auf der A2 verwechselt.
Man ist nicht mehr allein an Sehenswürdigkeiten. Der Parkplatz ist an diesem Samstagmorgen gut gefüllt und es ist schwer, ein Foto ohne Personen vom Denkmal zu erhaschen. Doch genau daran hatte ich mich in den letzten zwei Jahren gewöhnt: leere Touri Hotspots und vereinsamte Denkmäler. So langsam muss ich wieder umdenken. Was einerseits gut ist, andererseits aber auch ein bisschen schade.
Bad Salzuflen. Letzter Ort der Tour, ein letztes Mal einen Kurpark vor der Nase. Unser Hotel ist ein Betonklotz aus den 1970er Jahren. Falls diesen Eintrag ein Locationscout lesen sollte, das Kurhotel in Bad Salzuflen wäre die perfekte Kulisse für einen 1970er Jahre Film: Tiefe Decken, gelb-braune Marmorböden und Wände, dunkles Tafelholz. Nur die Betten, die wirklich gut sind, und das Internetkabel müssten vor dem Dreh entfernt werden. Beides ist moderner.
Keine Frage, das Hotel hat Flair. Sowas mag ich ja. Am Frühstücksbuffet darf auch hier die Sektbar nicht fehlen. Bevor es ans kneippen geht, muss schließlich der Kreislauf aktiviert werden.
Bad Salzuflen wirkt auf mich jugendlicher. Der Kurort scheint die Transformation in die 2000er Jahre besser hinbekommen zu haben. Er wirkt bei Weitem nicht so elitär und mondän wie Bad Pyrmont. Vielleicht war er das auch nie. Ich bin da kein Experte. Allerdings fand ich den Pyrmonter Kurpark schöner. In Salzuflen scheint es dagegen das größere medizinische Angebot zu geben, wenn ich die die vielen Thermalgebäude und -einrichtungen korrekt deute. Aber wie gesagt, ich habe keinerlei Kurerfahrungen. Das sind nur meine Gedanken, als wir am Abend durch den Kurpark schlendern.
Bevor es am Sonntag zurück auf die Autobahn geht, besuchen wir noch kurz den Museumsshop im Marta, dem Frank Gehry Museumsbau in Herford. 2Pac begrüßt uns am Eingang und der Shop ist klein aber fein. Aber es findet sich immer etwas. Leider ist das Café geschlossen. Statt frischem Kaffee und Snacks bleiben uns nur die eingepackten Brötchen, die wir auf dem Parkplatz verspeisen.
Es waren vier Tage mit vielen interessanten Eindrücke, einer Gegend, in der ich bisher noch nicht war, alten Orten, Weltkulturstätten, mondänen Kurorten und historischen Schlachtfelder aus römischer Zeit. Es waren gute vier Tage, ein weiterer Landstrich kann von der bucket list genommen werden.
Über Stock und Stein
PS: Das hier ist primär ein Musikblog. Also:
Auch musikalisch ist Ostwestfalen groß. Unweit von Höxter findet in Beverungen zum Beispiel alljährlich das feine Orange Blossom Festival statt. Veranstaltet wird es vom Indielabel Glitterhouse Records, dass in Beverungen ihren Firmensitz hat.
In den 1990er Jahren war Ostwestfalen musikalisch sogar noch größer. In Bielefeld gab es das PC69, einer der wichtigsten Clubs der Republik, in dem ich von Sonic Youth über Soul Asylum, Mudhoney und den Lemonheads nahezu alle wichtigen Bands der Grunge und der Alternative Rock Ära gesehen habe. Aus dem Münsterland war der Weg nicht weit, und es war streckentechnisch einfacher, ins PC zu fahren als zum Beispiel nach Köln.
Und dann waren da noch die Ostwestfalen-Cliquen. Dirk Dresselhaus und Christopher Uhe brachten mit den Hip Young Things, den Speed Niggs und anderen Projekten die Indiegitarren nach Deutschland. Ostwestfalen war Massachusetts. Detmold war Boston.
Und die Hamburger Schule stammt eigentlich aus Bad Salzuflen: Frank Spilker, Jochen Distelmeyer und Bernd Begemann oder Herford, Bielefeld und Bad Salzuflen lernten sich über das Bad Salzuflener Label Fast weltweit kennen, bevor sie später nach Hamburg gingen.
Himmel, hätte ich das vor ein paar Tagen nur gewusst. Doch ich dachte nur an die Indiegitarren. Zum Fast weltweit Label gibt es einen schönen Hörbeitrag in der ARD Audiothek. Bad Salzuflen weltweit – die Anfänge der „Hamburger Schule“.
(Appetizer: ‚Einmal Bad Salzuflen, bitte.‘ ‚2.80. Sind Sie nicht ein bisschen zu jung für ’ne Kur?‘).
Kontextkonzerte:
Locust Fudge – Düsseldorf, 09.04.2019 / Zakk