Ort: E-Werk, Köln
Vorband: Slow Pulp
Death cab for cutie. Die andere Band aus Seattle.
Lange ist’s her. Ein Death cab for cutie Konzert und ein Besuch im E-Werks. Wann war ich das letzte Mal hier? Das war bei Midnight Oil, 2017. Und wann war mein letztes Death cab for cutie Konzert? Ah, 2015. Danke Blogarchiv.
Es wurde also mal wieder Zeit, sowohl für einen E-Werk Besuch als auch für ein Death cab for cutie Konzert. Ehrlicherweise hatte ich Death cab for cutie ein bisschen vergessen. Das Konzert zum Album Kintsugi war zwar ganz schön (das war 2015), aber irgendwie war ich gefuehlsmaessig bei den Alben Plans, We have the facts and we’re voting yes und Transatlanticism hängengeblieben. Alles, was danach kam, war mir irgendwie egal.
Indie-Emo, mal rockiger, mal mehr elektronischer. Das waren Death cab for cutie. In den 10er Jahren fand ich das nur noch mäßig spannend. The Postal Service – das Gibbard’sche side project – war da schon interessanter. Doch Moment, das war auch in den 00er Jahren. Es ist also viel Zeit vergangen, in der ich mich nicht ernsthaft mit Death cab for cutie und so beschäftigt habe. Und dann kam der Lockdown und plötzlich, wie aus dem Nichts, wurde ich wieder Death cab for cutie Fan. Oder besser gesagt, Ben Gibbard Fan. Wie kam’s? Nun, der Death cab for cutie Sänger machte während des harten Lockdowns das, was viele machten: er streamte Konzerte aus seinem Arbeitszimmer. Und ich entdeckte sie irgendwann auf Facebook. Live from home hieß die Konzertreihe, in der Ben Gibbard einmal pro Woche ein Konzert streamte.
Neben den Küchenkonzerten von Bill Janovitz waren diese Onlinekonzerte mein zweiter, regelmäßiger Konzertkontakt während des Lockdown. Beide Musiker spielten ihre Alben, sie spielten Zuhörerwünsche, sie spielten Cover. Einmal spielte Ben Gibbard alle ersten und letzten Songs seiner Alben. Es gab die skurrilsten Augenblicke, langweilig waren diese Streams, auch wenn sie mitunter die zwei Stundengrenze knackten, nie. An manchen Tagen freute ich mich regelrecht darauf, abends wieder eine neue Onlinesession sehen zu können. Es machte Spaß. Noch mehr Spaß macht es natürlich, die Musiker auf der Bühne zu sehen. Bei Buffalo Tom gelang mir das letztes Jahr im Sommer, bei Death cab for cutie an diesem Abend.
Früh bin ich da, viel zu früh. Die Anbindung mit Zug und Straßenbahn ist eher ungünstig, sehr viel Spaß macht mir die Anfahrt nach Mühlheim nie. Das E-Werk ist erst mäßig gefüllt. Ausverkauft wird es später nicht sein, aber sehr gut gefüllt. Ich warte also. Die nächste Bahn wäre definitiv zu spät gewesen, ich komme ums Warten nicht umhin. Es läuft „Kool thing“ und ich muss daran denken, dass ich Sonic Youth hier auch mal gesehen habe. Damals war es ähnlich voll wie heute. Ich schaue mich um. Ich sehe zwei junge Leute, die die Trackingwerte ihrer Sport App vergleichen. Ich sehe Kreis- und Spaltendiagramme aufblinken. Andere surfen im Internet oder lesen ein Buch. Klar, wenn man nicht alleine da ist, geht auch sich unterhalten. Aber nicht zwingend.
Ich vertreibe mir die Wartezeit gerne mit Nichtstun. Nur selten, und wenn ich wirklich nicht angesprochen werden möchte, lese ich etwas auf meinem Mobiltelefon. Ich kann gut alleine und in Ruhe warten. Langeweile spüre ich dabei nie. Was mir auffällt: Das Publikum ist überraschend jung. Wenn ich bedenke, dass die Band vor 20 Jahren ihre erfolgreichste Zeit hatte, wundert mich das schon etwas. Als Death cab for cutie 1998 ihr erstes Album Something about airplanes (mir gefällt der Titel sehr!) veröffentlichten, waren sehr viele im Publikum noch nicht im schulpflichtigen Alter. Ich überlege. Was für eine befremdliche Vorstellung: Welche Band hat um 1975 ihr Debüt veröffentlicht? Und habe ich sie dann in den 1990er Jahren live gesehen? Unwahrscheinlich, ich muss das mal googlen…
Slow Pulp starten pünktlich. Die Band um die Sängerin Emily Massey macht fluffigen Indiepop. Eine halbe Stunde haben sie Zeit, mich zu überzeugen. Restlos gelingt ihnen das leider nicht. Anfangs bin ich sehr angetan, aber nach drei, vier Songs schwächt mein Interesse deutlich ab und ich werde unaufmerksam. Klingt das nicht alles gleich? Wenn ich es richtig verstehe, haben Slow Pulp bisher ein Album veröffentlicht. Moveys erschien 2020. Tags drauf wird mir die aktuelle Single in meine Insta-Timeline gespült. Das klingt doch jetzt viel Alternative Rock-iger als gestern Abend. Nach Melissa auf der Maur und den späten Hole. Ich glaube, ich höre in Moveys mal rein.
Death cab for cutie haben Alben ohne Ende, das letzte – Asphalt Meadows – erschien im Herbst. Dessen Songs bilden an diesem Abend den Schwerpunkt des Konzerts. Gut zwei Drittel der Setlist stammt von diesem Album. Alles weitere ist ein kleines Best-of. Das freut mich natürlich. „The new year“, „Cath…“ , „I will follow you into the dark“, „I will possess your heart“, „Your heart is an empty room“, „Soul meets body“, „Black sun“. Alles Evergreens. Death cab for cutie spielen sie über den Abend verteilt.
Für mich ist „I will possess your heart“ das Kernstück des Konzertes. Sie spielen es gegen 22 Uhr, eingebettet zwischen die eher ruhigen und elektro-esken „I will follow you“ und „Your heart is an empty room“. Es ist ein phänomenaler Moment. Death cab for cutie verdoppeln nahezu die Spielzeit des Songs, allein das Intro zieht und windet sich. Ganz zu Beginn des sehr langen Gitarrenintros schmeißt Ben Gibbard etwas ins Publikum, ein Plektron vielleicht. Es ist keine zufällige Geste, er macht das an jedem Abend, sehe ich auf den Videos zur aktuellen Tour. Dann setzt er sich ans Piano und nach sehr vielen Minuten beginnt der Gesang. „I will possess your heart“ ist großartig und sehr hörenswert.
Zu Köln hat die Band übrigens eine besondere Beziehung. Hier spielten sie ihr erstes Deutschlandkonzert, berichtet Ben Gibbard irgendwann.
‘Do you know the Gebaeude 9? It’s one of the filthiest places I’ve ever been. But I loved it.’
Das ist eindeutig eine Liebeserklärung an das alte Gebäude 9 in seiner ursprünglichen Form, die seit einigen Jahren so nicht mehr existiert. Ich kann die Worte voll und ganz verstehen, mir geht es ähnlich.
Ben Gibbard ist hibbelig, ein Zappelphilipp, der auf der Bühne nur im äußersten Notfall – sprich, wenn er längere Passagen singen muss – stillsteht. Ansonsten ruhelost er über die Bühne. Dabei schwingt er die Gitarre mit den Hüften, wie es in den 1990er Jahren jeder coole Gitarrist gemacht hat. Die jüngere Generation hat irgendwie andere Bewegungen drauf, bilde ich mir ein. Death cab for cutie sind schon sehr 1990er Jahre.
Der Sänger ist übrigens der Einzige, der nicht komplett schwarz gekleidet ist. Er trägt ein weißes Ringelshirt. Dafür hat er als einziger ein rotes Mikrofonkabel, das sehr elegant an seinem Mikrofonständer herunterbaumelt. Ben Gibbard wird so zum Fixpunkt auf der Bühne. Das dann und wann auf ihn gerichtete Spotlight verstärkt diesen Eindruck natürlich nochmals. Seit dem Abgang von Chris Walla zeigt Ben Gibbard hauptverantwortlich für den Death cab for cutie Sound. Die Mehrzahl der Songs ist von ihm. Daher passt das schon.
Der Bassist ist auch umtriebig. Aber anders. Er ist ein Poser. Ich beobachte ihn ein paar Minuten und ja, wenn ich die Musik nicht hören würde, würde ich glauben, er spielt gerade in einer Metal-Band. In einigen Songs spielt er dann auch einen Metal-Bass, manchmal klingt sein Gezupfe aber auch deutlich nach The Cure.
Mit „Foxglove through the clearcut“ beenden sie nach 90 Minuten ihr reguläres Set. Zugabe? Natürlich. Die nehme ich aber nur aus dem Vorraum wahr. Ich habe es eilig, die Straßenbahn geht zeitig. Aus arbeitstechnischen Gründen möchte ich nicht sehr spät zuhause sein. Und die Straßenbahn in 20 Minuten bedeutet, eine Stunde später zuhause zu sein.
Setlist:
01: I don’t know how I survive
02: Roman candles
03: The new year
04: Cath…
05: A movie script ending
06: Here to forever
07: Black Sun
08: Northern lights
09: I miss strangers
10: Crooked teeth
11: Rand McNally
12: I will follow you into the dark
13: I will possess your heart
14: Your heart is an empty room
15: Asphalt meadows
16: The ghosts of Beverly Drive
17: You are a tourist
18: Soul meets body
19: Foxglove through the clearcut
Zugabe:
20: Lightness
21: Pepper
22: Marching Bands of Manhattan
23: Transatlanticism
Kontextkonzerte:
Benjamin Gibbard – Seattle, 27.03.2020 / Ein Arbeitszimmer
Death cab for cutie – Köln, 10.07.2008 / Live Music Hall
Death cab for cutie – Köln, 10.07.2008 / Live Music Hall
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