Ort: Kulturfabrik, Esch-sur-Alzette
Bands: Dives, JW Francis, Folly Group, Fat dog, Dan Deacon, O., Beak>

Out of the crowd Festival, Esch-sur-Alzette, 29.04.2023

Luxemburg. Esch-sur-Alzette. Nahe der französischen Grenze.
Hier findet alljährlich das Out of the crowd Festival statt. Seit einigen Jahren bin ich Fan des Festivals. Zum zweiten Mal entscheide ich mich für eine Übernachtung im Belval und gegen einen Ein-Tages-Trip an die französische Grenze. Das hat sich im letzten Jahr bewährt, ein Tagestrip am Festivaltag dagegen nicht.
Das Belval Quartier ist ein neues Wohn-, Lern- und Arbeitsquartier auf dem ehemaligen Gelände der Belval-Eisenhütte. Die Eisenhütte war ein Industriekomplex mit sechs Hochöfen, Stahlwerk und Walzwerk, das Anfang der 1900er Jahre von der Gelsenkirchener Bergwerks-AG errichtet wurde. 1997 wurde die komplette Anlage stillgelegt, in diesem Jahrtausend fand dann die Transformation zum neuen Quartier Belval statt. Es ist schön hier, die Rockhal befindet sich in dem Quartier, die Universität auch. Dank des kostenlosen öffentlichen Personennahverkehrs in ganz Luxemburg ist das Quartier Belval mein Schlafort. Von hier aus sind es 5 Minuten Bahnfahrt nach Esch-sur-Alzette, wo seit Jahren Ende April das Out of the crowd Festival in der Kulturfabrik stattfindet. 10 Minuten Fußweg vom Bahnhof entfernt liegt die Kulturfabrik an einer Ortsausgangsstrasse neben dem Quick Schnellimbiss Restaurant des Ortes.

Zwei Bühnen in zwei Sälen werden im Wechsel nahezu ohne Pause bespielt. Wer alles sehen möchte, sollte vorher gegessen haben. Das Festival beginnt gegen 16 Uhr und endet nach Mitternacht. Ich habe es bisher nicht geschafft, alles zu sehen. Zum einen interessierte mich bei den letzten Ausgaben nicht alles und zum anderen habe ich zwischendurch immer auch Hunger. Doch fünf bis sieben Bands sind bzw. waren bei den letzten Besuchen immer ein muss. Denn das Programm ist so herausragend gut und schlau zusammengestellt, dass ich nicht umhinkomme, nahezu den kompletten Abend vor den beiden Bühnen zu verbringen.

The Out Of The Crowd Festival is back with it’s 19th edition for an all dayer of Indie rock, experimental and underground goodness!

Musikalisch ist mein dritter Out of crowd Besuch meine größte Wundertüte. Aber er bietet mir tatsächlich Gelegenheit, eine Snackpause einzulegen.

So richtig gut kenne ich nur Beak>. O. habe ich im Winter gesehen, alle anderen Bands sind mir nahezu unbekannt. Aber das schreckt mich nicht ab, das Out of the crowd ist immer hervorragend kuratiert und liebevoll arrangiert, das wird schon passen. Und so ist meine erste kleine Enttäuschung über das diesjährige Line-up schnell dahin. Überdies, das ganze Drumherum ist so fantastisch, ich freue mich auf die diesjährige Festivalausgabe.

DIVES, Out of the crowd Festival Esch-sur-Alzette, 29.04.2023

DIVES. Aus Wien. Elegant und catchy DIY-Gitarrenpop. Zwei Alben haben Dora de Goederen, Tamara Leichtfried und Viktoria Kirner auf dem Markt, gegründet hat sich das Trio 2019. Das DIY ist übrigens wörtlich zu nehmen: Songs schreiben, Instrumente spielen, all das haben sich die drei im Rahmen eines Workshops und in den anschließenden Wochen selbst beigebracht. Beim Üben müssen sie viel Big deal, Breeders, Best Coast, etc…gehört haben, ihre Sounds lassen mich an West Coast Indiepoprock denken. Ein Song heißt „Burger“ und er dreht sich um die anmaßende wie gleichermassen sinnleere Frage von Jungs bei Dates: ‘Wie, du kannst einen ganzen Burger essen?‘ DIVES sind ein guter, unterhaltsamer Start in das Out of the crowd Festival im kleineren Saal.

Hast du einen großen und einen kleineren Saal, die nacheinander bespielt werden, müssen notgedrungen auch am späten Nachmittag Bands auf der großen Bühne ran. Müssen, weil um diese Uhrzeit die Besucherzahl noch überschaubar ist und die Musiker*innen eigentlich stimmungsmäßig viel besser in den kleineren Saal passen würden. JW Francis zum Beispiel. Als der Amerikaner mit seiner Band die Bühne betritt, ist es wirklich nicht voll. Gerade mal die ersten Reihen besetzt, wobei die erste Reihe mit einem Respektabstand zur Bühne steht. Man kennt das. Nichtsdestotrotz ist die Stimmung auf der Bühne gut. JW Francis lacht sehr oft und sehr laut. Er hat Spaß, das ist offensichtlich. Und das ist gut.

JW Francis, Out of the crowd Festival Esch-sur-Alzette, 29.04.2023

‘Indie Lofi Musician’ taucht als erstes auf, wenn man den Namen googelt. Passt irgendwie. Mir gefällt nicht alles. direkt die ersten Songs sind mir zu viel Jingle/Jangle-Pop. Doch einige Songs klingen nicht so überladen und haben nicht zu viel Caribbean-Rock im Yacht-Rock. Die finde ich toll. „New York“ ist einer dieser Songs, oder der letzte Song in ihrem Set. Einen Namen dazu habe ich leider nicht.

Nach JW Francis bleibt Zeit, das Gastroangebot zu prüfen. Essen ist auch wichtig und ich freue mich, den Eifelimbiss Food Truck aus dem letzten Jahr wiederzusehen. Leider fehlen in diesem Jahr Frites in seinem Angebot, aber dafür übersieht er meine Bestellung nicht und serviert sie zeitig. Lecker.
Im kleinen Saal spielen Joe & The Shitboys von den Färöer-Inseln. Ich habe zwar noch nie eine Band von den Färöer-Inseln live gesehen, aber während meiner Vorbereitungen zum Festival war mir sehr schnell klar, dass ich diese Lücke an diesem Abend nicht füllen möchte. The reson for hardcore vibes heißt ihr Album, ihr interessantester Songtitel lautet „If you believe in eating meat start with your dog“. Musikalisch finde ich sie weniger interessant als zum Beispiel die nachfolgende Folly Group. Daher nehme ich bereits nach zwei Konzerten eine Pause.

Ab halb acht geht es dann Schlag auf Schlag: Folly Group, Fat Dog, O., Dan Deacon, Beak>. Das ist mein Programm bis Mitternacht. Kaum eine Atempause.

Folly Group, Out of the crowd Festival Esch-sur-Alzette, 29.04.2023

‘Ah, jetzt kommen also schon die Klone’, denke ich etwas unfair, als ich sehe, dass bei der Folly Group der Schlagzeuger die Gesangsparts übernimmt und mich die ersten Songs sehr an Squid erinnern. Später, als Keyboarder und Schlagzeuger die Positionen wechseln und mehr Synthies den Sound dominieren, ist das dann anders. Vielleicht habe ich mein Ersturteil über Folly Group doch etwas zu früh gefällt. Sean Harper, Louis Milburn, Tom Doherty und Kai Akinde-Hummel hängen auch irgendwie im Windmill Umfeld ab. Aber gefühlt macht das aktuell jede britische Newcomerband. „Sand Fight“ ist ein Hit, ein paar andere Songs sind auf den ersten Eindruck auch sehr gut.

Nebenan bereiten sich Fat dog auf ihren Auftritt vor. 5 Musiker*innen umfasst die Band, die sich auf der kleinen Bühne ihren Platz suchen.

Fat dog, Out of the crowd Festival Esch-sur-Alzette, 29.04.2023

Viel ist nicht recherchierbar über die fünfköpfige Band. Auf älteren YouTube Videos haben sie noch eine Sängerin und kein Saxophon, stattdessen aber einen Typen mit Trompete. Musikalisch erinnern mich Fat dog oft an NDW Bands wie DAF, Ideal, Der Plan oder Fehlfarben. Viel Krautsounds, viel Saxophon, viel Rock. Es geht kreuz und quer. Selbst Ravesounds höre ich. Das Saxophon spielt dazu Polka-Sounds. Es ist ein irrer Crossover.

Live sind Fat dog eine Wucht. Wenn ich es irgendwie annähernd beschreiben müsste, würde ich sagen, wie Black Country, New Road auf Speed.
‘Music to grow ur hairline back to’ schreibt die Band auf Instagram über ihren Musikstil. Weird. Ich kann es gerade nicht herausfinden, ob die Band schon irgendwas auf Platte veröffentlicht hat. Grundsätzlich gilt, Fat dog im Auge zu behalten.

Ich bin schlecht vorbereitet. Bei Dan Deacon habe ich etwas völlig anderes erwartet. Irgendwie hatte ich die ganze Zeit  einen Singersongwriter vor Augen, einen der Kategorie a la Cass McCombs oder Andy Shauf. Also mit Band und in Indierock. Irgendwie. Dann steht da aber dieser Tisch – den Dan Deacon im Laufe des Abends noch sehr loben wird, weil er die richtige Höhe hat und die enorm standfest ist, und ein Schlagzeug auf der Bühne.

Dan Deacon, Out of the crowd Festival Esch-sur-Alzette, 29.04.2023

Als es musikalisch dann in Richtung LCD-Soundsystem geht, bin ich sehr überrascht, aber keineswegs enttäuscht. Denn das Konzert ist von Sekunde eins an eine Wucht. „Become a mountain“ nimmt mich sofort mit, und verwundert über mich selbst stehe ich am Bühnenrand und bin sehr begeistert. Dieser ältere Mann mit Halbglatze beeindruckt mich. Er ist schon lange im Geschäft. Seit 2007 veröffentlicht er Alben, arbeitet an Soundtracks und als Produzent. Das alles wusste ich nicht, genauso wenig wie das hier:

Deacon is renowned for his live shows, where large-scale audience participation and interaction is often a major element of the performance.

Was das bedeutet, lerne ich an diesem Abend kennen. Und zwar sehr schnell, nämlich erstmals vor dem dritten Track und dann immer mal wieder zwischendurch. Partyspiele für alle! Na toll. Hey, ach toll!!!

Von links nach rechts laufen, einen sich selbst verlängernden Tunnel bilden, der aus dem Saal und über den Hof zurück in den Saal führt, und ein, zwei weitere Sachen. Den Tunnel mache ich mit, bei den anderen Sachen stehe ich natürlich ganz hinten, um nicht dranzukommen. So wie früher in der Schule auch. Die Stimmung im Saal ist großartig. Es ist irre. Manchmal ist es ganz einfach, das Publikum – und ich weiß nicht, wie viele hier genau Dan Deacon kennen – auf seine Seite zu ziehen. Andererseits, es könnten einige sein. Dan Deacon ist nur für diesen Auftritt in Europa. Während einige der anderen Bands just auf Tour sind, ist das bei dem Amerikaner nicht der Fall. Daher sind sicher auch ein paar nur wegen ihm beim Out of the crowd Festival. Das ist, nebenbei bemerkt, eine schöne Besonderheit dieses Festivals. Die beiden Macher sammeln nicht nur Künstler*innen ein, die gerade unterwegs sind, sondern sie ermöglichen uns Gästen auch besondere Konzerte und einmalige Gelegenheiten, Musiker*innen zu sehen. Bei Beak> ist das ähnlich. Die spielen zwar im Sommer noch ein paar Festivals, aber eine aktuelle Tour machen sie gerade nicht.

O., Out of the crowd Festival Esch-sur-Alzette, 29.04.2023

O.. Punkt inklusive. Baritonsaxophon und Schlagzeug. Ich sah Joseph Henwood und Tash Keary bereits im letzten Dezember beim Zeitgeist Festival in Nijmegen und war sehr angetan von ihrem Jazznoise. Es war laut, es war krachig, es war neu und anders.
Mit diesen Gedanken gehe ich in ihr Konzert und bin wiederum begeistert. Gesang wird überbewertet, ein interessantes Instrument, ein paar gute Soundeffekte und ein treibendes Schlagzeug reichen oft auch aus. O. machen das sehr gut. Ein Album scheint es immer noch zu geben, nur „OGO“, ihre Debütsingle, finde ich bei Recherchen. Live sind O. eine unbedingte Empfehlung. Das Saxophon macht so viele Dinge bzw. Joseph Henwood entlockt ihm so viele verschiedene Töne und Sounds, ich finde das enorm faszinierend. O. sind toll!

Zum Abschluss dann Beak>. Vor Jahren sah ich die Band hier zum ersten Mal. Seitdem dann immer mal wieder. Will Young, Billy Fuller, Geoff Barrow. Das ist die Bühnenanordnung von links nach rechts. Es ist jedes Mal die gleiche Konstellation.
Sie haben ein paar neue Sachen. Die Single „Oh now“ erschien vor zwei Jahren und letztes Jahr das Album Kosmik Musik. Aber ich glaube, Single und Albumsongs habe ich bei meinen letzten Beak> Konzerten auch schon gehört. Bin mir da gerade unsicher.

Beak>, Out of the crowd Festival Esch-sur-Alzette, 29.04.2023

Kosmik Musik ist der Soundtrack/das musikalische Begleitwerk zur gleichnamigen Graphic Novel und das Produkt einer engen, zweijährigen Zusammenarbeit zwischen dem Künstler Joe Currie, dem Schriftsteller Ben Wheatley und der Musikgruppe Beak>.

Beak> werde ich auf Festivals im Sommer definitiv wiedersehen. Ich freue mich schon, denn die drei sind verdammt gute Entertainer und Geschichtenerzähler.
Mit Beak> geht mein diesjähriges Out of the crowd Festival zuende. Es war erneut ein feiner Abend, den ich in der Kulturfabrik erleben durfte. Ich freue mich schon auf das nächste Jahr.

Irgendwann einmal muss ich mir Esch-sur-Alzette genauer anschauen. In den letzten Jahren und auch diesen Samstag bin ich nicht dazu gekommen. Das Bahngleisschild gefällt mir schonmal sehr und ich glaube, darüber hinaus hat die alte Industriestadt noch einiges an (versteckten) Schönheiten zu bieten.

Kontextkonzerte:
Out of the crowd Festival – Esch-sur-Alzette, 30.04.2022 / Kulturfabrik
Out of the crowd Festival – Esch-sur-Alzette, 27.04.2019 / Kulturfabrik

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