Ort: Forest Nationaal, Brüssel
Vorband: James Holden

The Smile - Brüssel, 15.03.2024

1995 sah ich Radiohead zum ersten Mal. Damals spielten sie im Kölner E-Werk eines ihrer letzten Konzerte der The Bends Tour. Erinnern kann ich mich an das Konzert kaum noch, ich weiß aber, dass die Vorband Slut aus Augsburg waren. Das ist fast 30 Jahre her, wow.
Thom Yorke und Jonny Greenwood machen also schon ewig Musik zusammen. Nachdem sie 2016 ihr letztes Album veröffentlicht haben, ist es ruhig um Radiohead. Zu Grabe getragen wurde die Band jedoch nie. Stattdessen veröffentlichten Thom Yorke, Ed O’Brien und Philip Selway ein paar Soloalben. Oder gründen mal eben eine neue Band. 2020 rief Thom Yorke zusammen mit Jonny Greenwood und Tom Skinner The Smile ins Leben. Da zwei Drittel der Band eine Radiohead-Beziehung haben, nennt die Musikseite Wikipedia The Smile auch ein Radiohead Spinoff.
Musikalisch passt das übrigens auch. The Smile klingen wie die logische Weiterentwicklung von Radiohead. Etwas Jazz, leichtes ambient, etwas weniger rau und ruppig dafür umso gediegener im Sound. Also so, wie man als Indierocker im gesetzten Alter klingen möchte. Es gibt da viele weitere Beispiele.

Der Hype um die neue Supergroup – Tom Skinner trommelte u. a. für die Jazzcombo Sons of Kemet – war groß, und ist es immer noch. Konzerte ihrer ersten Tour waren ratzfatz ausverkauft. Die spielten sie 2021-2022, rund um die Veröffentlichung von A light for attracting attention, ihrem Debütalbum, das, so nebenbei bemerkt, sehr großartige Songs enthält. Dieser Tage folgt nun Album zwei, Wall of eyes, und die dazugehörige Tour ist nicht ganz so schnell ausverkauft wie die erste. Nichtsdestotrotz, als die Band die ersten Konzerte für 2024 ankündigte, schlug ich sehr schnell zu. Man kann ja nie wissen und Brüssel, ach, das ist kein Ding. Deutschlanddaten standen zu dem Zeitpunkt nicht im Tourkalender. Die kamen erst in der zweiten Terminwelle ab Juni dazu. Doch da war es schon zu spät, Brüssel war längst eingeplant. Ich war gespannt auf The Smile.

Radiohead sah ich nach 1995 noch zwei oder dreimal. Müßig zu erwähnen, dass die Hallen mit jedem Konzert größer wurden.

James Holden führt gut ein. Chillige Tracks, unprätentiös und wenig hektisch lassen die Zeit leicht verfliegen. Es ist noch sehr leer im Rund des Forest Nationaal – rund ist dabei wörtlich zu nehmen, der Innenraum ist kreisrund gebaut – der Oberrang scheint, Stand jetzt, gar unbesetzt zu bleiben. Kann das sein? Ist das so? Nein, natürlich nicht. Kurz vor dem Start von The Smile beginnt nicht nur das übliche Gedränge im Innenraum, sondern ich sehe jetzt auch kaum noch einen freien Platz im Oberrang. Der Forest Nationaal ist mit seinen 8000 Plätzen so gut wie ausverkauft. Okay, ich hatte mich auch schon etwas gewundert, aber scheinbar kommt man im Forest Nationaal keine Sekunde zu früh zu einem Konzert. es sei denn, man ist Erste-Reihe-Junkie. Auch vor der Bühne ist das Gerede nun groß. Ich bemerke Dinge, die ich eigentlich nicht zwingend bemerken möchte: das Mädchen vor mir benutzt offensichtlich ein duftintensives Kokosshampoo, hinter mir hat jemand irgendwas mit Zwiebeln und Knoblauch gegessen. Der Bierbehälter rechts von mir schwappt etwas über. Aber bis zum Konzertende ist meine Jacke wieder trocken.
Ich stehe an der Seite des Schlagzeugers und von Jonny Greenwood, der schon zu Radiohead Zeiten Thom Yorkes musikalischer Begleiter war. Hier stehen auch viele weibliche Jonny Greenwood Fans, ich höre es aus den Gesprächen während der Umbaupause heraus. Später im Konzert gibt es jedes Mal ein großes Gejaule, wenn er seinen Bass umarmt oder ein paar Schritte in Richtung Bühnenecke geht. Oft macht er das nicht, überhaupt ist es von Seiten der Musiker her ein eher statisches Konzert. Manchmal setzt sich Thom Yorke ans Piano, manchmal der Saxophonist. Tom Skinner spielt dazu so unaufgeregt, dass ich ihn kaum wahrnehme.

Es ist die Tour zum neuen Album, logisch, dass die Songs von Wall of eyes die Setlist dominieren. Ich kenne die neue Platte noch nicht, daher sind mir auch viele der gespielten Stücke noch unbekannt. In den Tagen zuvor habe ich mir das Debütalbum nochmal intensiv angehört, leider spielen The Smile an diesem Abend „The same“ nicht. Dafür aber „A hairdryer“ (yeahh) , „Thin thing“ und „The smoke“, was dann doch etwas entschädigt.

Es ist ein ruhiges Konzert, die Songs changieren irgendwo zwischen Krautrock und Jazz. Ergänzt wird das Trio live durch Robert Stillman am Saxophon. Irgendwie muss der Jazz ja live gespielt werden. Manchmal denke ich, der Saal ist viel zu groß für diese Art Musik. Der Gesang klingt etwas dünn und in den ruhigen Momenten verliert sich einiges von den musikalischen Feinheiten durch den weiten Abstand zwischen Bühne und Zuschauer, bzw. zwischen Bühne und mir. Aber vielleicht stehe ich auch nur ungünstig, ich stehe doch sehr weit am äußeren Bühnenrand. Für Kölner mag der nächste Halbsatz sehr merkwürdig anmuten, aber ich glaube, dass The Smile im Juni im kleineren Palladium anders, sprich besser klingt.
Was uneingeschränkt top ist, ist die Lichtshow. Sie erinnert mich manchmal an mein letztes Radiohead Konzert in der Kölner Lanxess Arena. Seinerzeit dominierten auch Rottöne das Bühnenlicht und genau wie damals gibt es auch an diesem Abend kleine Videoprojektionen am oberen Rand des Bühnenhintergrundes.

Der Sound ist leise, vielleicht sogar etwas zu leise. Thom Yorkes Stimme ist mitunter nur schwach zu hören. Dafür höre ich die Nebengeräusche umso besser. In meiner Umgebung wird viel geredet und gefilmt, überdies – es gibt tatsächlich viele Jonny Greenwood Fans – wird jeder Move des Gitarristen euphorisch kommentiert. Eine Gruppe Spanier tut sich hierbei besonders hervor. Vor mir steht mittlerweile ein Vater mit seinem Sohn, die nicht nur bei den gleichen Songs mitfilmen (wahrscheinlich erstellen sie zuhause daraus Filme aus zwei Perspektivwinkeln), sondern sich auch gegenseitig fotografieren. Oft auch mit Blitz. Na ja, so ist das eben.
Irgendwann wird es mir aber zu dumm, und da ich auch Durst bekomme, gehe ich nach hinten. Mittlerweile spielen The Smile eh den letzten Song des regulären Sets. Es dauert etwas, bis ich am Saalausgang angekommen bin. Wie so oft ist das Gedränge in der Mitte des Saals größer als vorne. Die Luft ist ganz schön muffig stickig. Merkt man vorne auch nicht so, im hinteren Teil der Halle schon. Die vier Songs der Zugabe verfolge ich von hier. Der Ton ist hier nicht besser als vorne, obwohl ich jetzt relativ mittig vor der Bühne stehe. Es scheint also ein grundsätzliches Ding zu sein und nicht standortabhängig, wie ich zwischenzeitlich vermutete.

Sehr planmäßig ist das Konzert um kurz nach halb elf vorbei.

Draußen warten bereits die Ziehharmonikabusse, die zu den nächsten Metrostationen fahren. Im Bus steht man dann noch enger als vorne im Konzert. Der Fahrer nimmt darauf wenig Rücksicht und prescht forsch durch die Kreisverkehre. Immerhin kann ich nicht umfallen. Etwas früher als geplant steigen wir aus und gehen etwas länger zu Fuß zurück zum Hotel. Frische Luft schadet nicht.
Der Ausflug nach Brüssel hat sich gelohnt. The Smile haben sich gelohnt.
Keine Ahnung wie Thom Yorke dazu steht, aber in jedem The Smile Song höre ich auch immer ein bisschen Radiohead heraus.

Setlist:
01: Wall of eyes
02: The opposite
03: A hairdryer
04: Speech bubbles
05: Colours fly
06: Skrting on the surface
07: Instant Psalm
08: Waving a white flag
09: Thin thing
10: Bodies laughing
11: Friend of a friend
12: Read the room
13: We don’t know what tomorrow brings
14: The smoke
15: You will never work in television again
16: Under our pillows
17: Bending hectic
Zugabe:
18: Feeling pulled apart by horses
19: Teleharmonic
20: Pana-Vision
21: You know me!

Kontextkonzerte:
Radiohead – Köln, 15.10.2012/ Lanxess Arena

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