Ort: Philharmonie, Köln
Vorband:

Benjamin Clementine

Es war eines der bewegendsten Konzerte im letzten Jahr. Benjamin Clementine, damals noch ohne Album und nur mit ein paar EPs ausgestattet, spielt eine knapp Stunde im Stadtgarten vor zwar bestuhltem aber vollem Haus. Es war ungefähr die gleiche Jahreszeit, es war kühl, es war trüb. Also genau das passende Ambiente für den ehemaligen Straßenmusiker, der singt wie Nina Simone und Klavier spielt wie kein anderer. Seine Songs wie „Cornerstone“, „Edmonton“ oder „I won’t complain“ zeigten ihre volle Wirkung, alles in allem ein famoser Abend.
Auf eine Wiederholung hoffte ich, als ich mich auf den Weg in die Philharmonie machte. Wow, die große Philharmonie für einen Mann, den bis vor anderthalb Jahren niemand kannte. Und wow, wie toll müssen die Klaviersongs nur in einem richtigen Konzertsaal klingen.
Draußen klingen die Glöckchen vom Weihnachtsmarkt. Auf dem Roncalliplatz ist der – wie ich vor einigen Jahren mal feststellte – amerikanischste Weihnachtsmarkt Kölns aufgebaut. Amerikanisch deswegen, weil viele Lichergirlanden kreuz und quer gespannt sind, weil eine Bühne aufgebaut ist und weil er mir so aufgeräumt erscheint. Vor vielen Jahren erinnerte er mich an einen Weihnachtsmarkt aus einer Ally McBeal Folge, seitdem ist der Roncalliplatz Weihnachtsmarkt für mich mit ‘der amerikanische Weihnachtsmarkt‘ getagged.
Es herrscht also eine weihnachtliche Vorstimmung, wie das ebenso ist im Dezember. Diese Stimmung schwingt natürlich mit, als ich die Philharmonie betrat. Bewusst oder unbewusst. Musikalisch passte der heutige Abend eins a zu dieser Stimmung, Benjamin Clementine ist weder Karnevalsband noch Spaßpunk. Benjamin Clementine spielt ruhige Klavierballaden. Soulmusik. Vielleicht auch Jazz. Vielleicht auch was ganz anderes. Ich tue mich schwer, den Briten irgendwo einzuordnen. Irgendwo zwischen Jimi Hendrix und Nina Simone, lese ich.
Genauso schwer wie seinen Musikstil zu beschreiben ist es, über seine Konzerte zu erzählen. Man muss ihn erleben. Das ist nicht nur bloßes Klaviergeklimper. Das ist es zwar auch, aber alles andere ist sehr viel prägnanter. Seine Stimme zum Beispiel. Leise, laut, mitreißend, einnehmend. Der Mann kann singen, keine Frage. Live merke ich das noch viel deutlicher als auf Platte. Wenn Benjamin Clementine bei „Condolence“ zum Finale ansetzt, ist das atemraubend. Wenn er bei „Edmonton“ das zetern anfängt, klingt das mitfühlend. Auf der Bühne kommt noch eine weitere Sache hinzu, die unhörbar ist. Benjamin Clementine besitzt eine Ausstrahlung, die ich nicht beschreiben kann. Fesselnd. Faszinierend. Irgendwie.

Die Philharmonie ist voll und wir fragten uns, warum das so ist? Wie kann das sein? Benjamin Clementine, der spielt doch bei uns eigentlich gar keine Rolle. Der Engländer ist niemand, über den man spricht, der in den Medien präsent ist. Gut, er hat den Mercury Preis gewonnen, aber das interessiert doch hier nun wirklich nicht jemanden. Gut, er hatte einen Auftritt bei Aspekte, aber, genauso wie die Veröffentlichung seiner aktuellen Platte At least for now, ist das schon ein paar Tage her. Wieso und woher kommen also all die Menschen? Die Frage bleibt natürlich unbeantwortet, wir sind nur verblüfft darüber, wie sich Informationen verbreiten. Aber natürlich kamen sie alle zurecht!

Ich war sehr gespannt, ob der Abend an die knisternde Stimmung im Stadtgarten vor Jahresfrist heranreichen würde. Immerhin ist die Philharmonie um ein vielfaches grösser und anonymer, der Sound um einiges klarer und besser. Quasi die CD Pressung im Vergleich zum Vinyl. Bleibt da vielleicht etwas auf der Strecke? Der Charme, die Wärme, das Knisternde oder Intime? Am Ende des Abends muss ich feststellen: ja. Das Philharmoniekonzert stand in keinem Vergleich zum surrealen Stadtgartenkonzert. Kann es aber aus eben den erwähnten Gründen auch nicht. Was mich jedoch am meisten irritierte waren nicht die Saalgröße und der klare Sound, also das anonymisierende. Als einschneidender empfand ich das Schlagzeug.
Benjamin Clementine bestreitet diese Tour nicht allein, er hatte nicht nur sein Klavier in all seinen Tonlagen als rhythmischen Begleiter gewählt für seine hervorragende Stimme gewählt, sondern auch ein Schlagzeug. Zumindest bei einigen Songs. Ich sah die Stärken des Konzertes immer, wenn das Schlagzeug Pause hatte. Dann kam erst die dunkle Stimme so zur Geltung, wie sie es verdient hat. Denn ja, das Schlagzeug war laut und phasenweise sehr dominant. Schlagzeuger Alexis Bossard trug Clementine Outfit: barfuß und nur mit einem grauen Designerwollmantel seinen Oberkörper bedeckend. Das wirkte durchgestylt, und beide ein bisschen wie Edelclochards. Auf YouTube Videos sah ich, dass das Schlagzeug schon öfter Clementine‘s Begleiter war, ab und an auch eine Cellistin und ein Gitarrist. In der Philharmonie war es also nur die kleine ‘Bandbesetzung‘.
Zwar waren Becken und Trommel mit allerlei Tüchern abgehangen, aber trotzdem raubte das Trommeln viel von der ruhigen, dezenten Stimmung. „Nemesis“ zum Beispiel klang mit Schlagzeug für mich komplett anders, es erwischte eine ganz andere Grundstimmung als nur am Klavier gespielt. Genauso wie „Condolence“, das auf einmal viel freundlicher und flotter klang. Beide waren dadurch nicht weniger schlechter, nur anders. Nichts von ihrer bekannten Spannung verloren dagegen „Edmonton“ oder „London“ oder das als grandiose letzte Zugabe gesungene „I won’t complain“, die Benjamin Clementine nur mit Klavierunterstützung vortrug. Das waren großartige Momente. Genauso wie die Stille, die zwischen den Songs einsetzt. Der Zeitraum zwischen dem abklingenden Applaus und dem Augenblick, in dem Benjamin Clementine ein paar Worte sagt. Oder besser gesagt: flüstert. Denn mag auch seine Stimme während der Stücke noch so laut, dunkel und kräftig sein, bei den Ansagen und Dankeswünschen ist sie leise, gar flüsternd. Es ist der absolute Kontrast, vielleicht sogar der bestmögliche, um die Songs noch besser zur Geltung zu bringen. Genau wie im Stadtgarten sind das surreale Augenblicke, die man einfach erleben muss, um sie zu verstehen.

Its a wonderful life, its a wonderful life
Traversed in tears from the heavens
My heart is a mellow drum, a mellow drum in fact
Set alight by echoes of pain 24-7, 24-7

An diesem Abend voll und ganz. Ein tolles Konzert!

Kontextkonzert:
Benjamin Clementine – Köln, 29.11.2014  /  Stadtgarten

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