Bands: Kill J, The Cool Quest, Loren Nine, Naaz, Dakota, Maximo Park, Dean Lewis
Kill J kommt auf Krücken. Wie weiland Dave Grohl, wie der Moderator am N-Joy Festival Bus anmerkte. Der N-Joy Festivalbus steht an einem Ende des Spielbudenplatzes, dem großen und allen zugänglichen Festivalplatz, der mehrere, ich schätze vier, fünf kleine Bühnen beheimatet. Der Spielbudenplatz ist der Hauptort und Treffpunkt des Reeperbahnfestivals. An ihn grenzen die meisten Klubs und Spielstätten, auf ihm finden sich die Merchstände, Essbuden und weitere kleine Bühnen. Er ist mein erster Anlaufpunkt in St. Pauli, nachdem der Tickettausch am Abend zuvor im Festival Village sehr schnell und reibungslos geklappt hat. Das Festival Village ist der nur für Festivalteilnehmer abgeschlossene Open Air Bereich des Reeperbahnfestivals. Auch hier stehen drei, vier kleinere Bühnen, auf denen Newcomerbands im drei Songs Rhythmus durchgeschleust werden. Auf dem Spielbudenplatz ist das ähnlich. Auch hier treten eher kleine, unbekannte Bands auf, die bei ihren Auftritten drei, vier Songs performen. In den nächsten Tagen bin ich öfter hier, da das Programm früh am Nachmittag beginnt. Wie gesagt, der Spielbudenplatz ist mein erster Anlaufpunkt an den Festivaltagen, auch weil hier das aktuelle Tagesprogramm in Form eines riesigen Faltplanes im DIN A3 Format verteilt wird. Ich finde, ein Analogplan ist auf einem Festival viel praktischer als eine Telefon App. Bei einer App fehlt mir die gesamtheitliche Übersicht, die ein Faltplan perfekt bietet. Überdies unterstützt mein Windows Phone die Reeperbahn App nicht, bzw. sie wird erst gar nicht für das innovativste mobile Betriebssystem der letzten Jahre angeboten.

Kill J heißt mit bürgerlichem Namen Julie Agaard und kommt aus Dänemark. Ihr Name sagt mir nichts, ihr Synthiepop lädt mich jedoch zum Verweilen ein. 15 Minuten meiner Zeit gehören ihr und ihrem Keyboard. Hängen bleibt „You are good but i am better“, ein schöner Popsong.
Mein ausgegucktes Ziel für den Donnerstagnachmittag war das Molotow. Anschließend waren Maximo Park und ihr Schallplattenladenkonzert bei Michelle Records in der Hamburger Innenstadt gesetzt. Was ein bisschen nach Hetze klingt, war es aber nicht. Das Maximo Park Dings war für 17 Uhr angesetzt, bis dahin standen die vier Bands The Cool Quest, Leoni Nine, Naaz und Dakota in meinem Bandbüchlein. Da im Molotow die Spielzeit auf ca. eine halbe Stunde pro Band begrenzt war, so wies es der Zeitplan aus, müsste ich anschließend gegen 16 Uhr den Weg zur U-Bahn finden können, um eine halbe Stunde später in der Hamburger Innenstadt zu sein. Stressfrei machbar, denke ich.

Wenn ich sagen würde, ich kenne die vier Bands, die ich im Molotow sehen wollte, würde ich lügen. Mein Plan war es vielmehr, sie an diesem Nachmittag kennenzulernen. Tags zuvor hörte ich in die jeweiligen Musikschnipsel, die über die Reeperbahnfestival Webseite als Appetizer angeboten wurden. Von Shoegaze/ Dreampop über Hiphop, Pop, Singersongwriter war alles dabei. Die Dutch Invasion, wie der Nachmittag im Molotow überschrieben war, klang hochinteressant und abwechslungsreich. Neugierig genug auf neue Bands war ich überdies. Aber das ist auch eine Grundvoraussetzung für den Besuch des Reeperbahnfestivals.

‘Nederlandse is in da house‘ tönte es durch den Saal des Molotow. The Cool Quest machen Hiphop-Pop, erinnerten mich ein bisschen an ihre Kollegen Urban Dance Squad und setzten ein erstes Ausrufezeichen. In den Niederlanden sind sie schon in der Radiorotation, wie ich auf einem Ankündigungsflyer lese. Zu Recht, wie ich finde. The Cool Quest gefallen mir an diesem Nachmittag. Ihr Mix aus Popmelodien und Hiphopelementen ist nicht neu, aber sie haben tolle Melodien und ihre Songs wirken auf eine gewisse Art unverbraucht.

Loren Nine, drei Etagen höher in der Molotow Skybar, setzt den ersten musikalischen Break. Singersongwriterpop mit Keyboard. Aha, kenn‘ ich zu genüge, denke ich, als ich den Saal betrete und die ohne Schuhe am Keyboard sitzende Niederländerin erblicke. Direkt habe ich Assoziationen: Kate Nash, diese Verbindung liegt schon allein wegen des Keyboards nahe, und Amy Macdonald. Der Dutch Invasion Werbeflyer spricht gar von der niederländischen Adele. Ah ha, okay. Das möchte ich eher nicht sagen. Loren Nine ist nett, ihre Musik auch. Mir fehlt jedoch das Besondere und/oder Neue im Vergleich zu all den anderen Keyboard spielenden Mädchen.

Naaz ist dann wieder eine komplett andere Baustelle. Die 19jährige Teenagerin und ihre Band schielen in Richtung Neneh Cherry’s Raw like sushi. Enorm selbstbewusst gibt sich die Sängerin auf der Bühne, kackendreist und frech erzählt sie zwischen den Songs Geschichten und redet mit dem gut gefüllten Molotow über dieses und jenes. Ihr Pop ist so schlecht nicht und Auftritt und Musik passten verdammt gut zusammen.

Junge Mädchen auch im Anschluss in der Skybar. Dakota nennen sich die vier Teenager. Gitarren, Schlagzeug, Bass. Dakota sind an diesem Tag die erste klassische Gitarrenband, die ich höre. Dreampop, Shoegaze, Warpaint Rock sind ihrs. Sie sind toll und Dakota sind das zweite Ausrufezeichen innerhalb meiner ersten Festivalstunden. Ich kenne einige Menschen, die diese Band lieben würden.

Beschwingt verlasse ich das Molotow. Ist das nun das Reeperbahnfestival? Viele Musikgenres gebündelt auf einem kleinen Raum? Geht das jetzt so weiter? Ich bin fürs erste stark beeindruckt und mache mich auf den Weg zu einem der großen Namen des Festivals, die jedoch erstmal in einem kleinen Plattenladen auftreten sollten, bevor sie am Abend für den  ersten Einlassstopp im Docks sorgen werden: Maximo Park.

Michelle Records ist vielleicht der Plattenladen in Hamburg. Das Sortiment ist super und die Leute nett. Ab und an finden auf einer kleinen Bühne am Fenster Konzerte statt. im Rahmen des Reeperbahnfestivals sind es deren drei, die eine Woche vor Festivalstart im Programm auftauchten. Und der Auftritt von Maximo Park ist sicherlich einer der Festivalhöhepunkte.Um sicher zu sein, einen guten Platz im kleinen Laden zu erhaschen, war ich zeitig in der Hamburger Innenstadt. Über Maximo Park muss ich nichts sagen, eigentlich ist die Band, die es mittlerweile auch schon über 10 Jahre gibt, durch. Eigentlich, denn natürlich sind ihre Evergreens („Apply some pressure“, „Books for boxes“, blablabla) und der ein oder andere neuere Song (immer noch) Weltklasse. Erst recht, wenn man sie in einem kleinen und besonderen Rahmen erleben darf. Und das Michelle Records Konzert war ein solch besonderer Rahmen, entgehen lassen wollte ich mir das auf gar keinen Fall. Im Michelle Records spielen Maximo Park fünf Songs. Neben den alten Hits und „Books for boxes“ und „The monument“, die natürlich den meisten Applaus erhielten, auch drei neue Stücke vom aktuellen Album Risk to exist. Von den neuen Songs bleibt das sehr feine „What equals love?“ hängen. Ein bisschen kann es an die alten Hits aus der Hochphase der Band anknüpfen, wie ich finde.
Aus der Nähe bemerke ich erstmals, wie jungenhaft er aussieht. Wie alt ist Paul Smith eigentlich? Zumindest muss er älter sein als es sein milchbubenhaftes Gesicht vorgibt. Paul Smith erzählt viel. Das mit dem vielen Erzählen ergibt für ihn einen logischen Sinn: Sie würden vier oder fünf Songs spielen, aber wenn er zwischendurch mehr erzähle, dann würden wir gefühlt den Eindruck bekommen, dass ihr Konzert viel länger als 20 Minuten ginge. Und das sei doch viel besser als nach 20 Minuten wieder nach Hause zu gehen und zu sagen: nun ja, sie haben 20 Minuten gespielt, es war so nichts Besonderes. Und ja, mit seinen Worten hat Paul Smith nicht ganz Unrecht. Das Konzert fühlte sich länger an als 5 Songs, und zusammen mit Duncan Lloyd und Lukas Wooler zaubern sie mit einem semi-Akustik Set etwas Besonderes auf die kleine Bühne, dass es allen im Plattenladen ein Lächeln in das Gesicht zauberte. Die drei sind trotz Anfahrtsstress (Stau auf der Kennedybrücke) guter Dinge. Immer wenn sie in Hamburg seien, würden sie von Michelle Records gefragt, ob sie nicht ein paar Songs hier spielen möchten. Wie könne man da nein sagen. Konnten sie nicht, und das war gut so.

Das Maximo Park Konzert ist ein kleiner Höhepunkt am ersten Tag, das große Konzert am Abend kann da leider nicht ganz mithalten.

Das Reeperbahnfestival hat aber nicht nur Musik. Ein ausgedehntes Kinoprogramm ist Teil des Programms. Die Höflichkeit (aber nicht nur die, weil die gezeigten Filme sind sehr sehenswert; Musikdokus und so) gebietet es, auch hier kurz vorbei zu schauen. So ist die nächste Station das kleine Studio Kino der Ort, an dem ich mich aufhalte. Die Sendereihe Lessons of Pop soll uns für eine Stunde vom Konzerte gehen abhalten. Lessons of Pop ist eine Aneinanderreihung von  kurzen Kommentaren, die Iggy Pop zu dem einen oder anderen Musikthema raushaut. Das ist sehr unterhaltsam, wie man sich vorstellen kann. Iggy Pop hat einiges zu erzählen über Los Angeles, Milli Vanilli, Lemmy von Motorhead, Lady Gaga und vielen anderen.

Nach dem Kino in die Kirche. Dean Lewis spielt und es ist eine gute Gelegenheit, sich die St. Pauli Kirche von innen anzusehen. Der junge Mann wirkt vor proppenvollem Haus ein bisschen nervös, seine Gitarren und Keyboardsongs sind hundertprozentig dem junge-Männer-Pop zuzuordnen. Leichte Kost also, aber ach, für eine gute halbe Stunde ist das gute Unterhaltung.

Der Tagesabschluss gehört Maximo Park. Wenig überraschend (für mich) ist es vorne im Docks nicht allzu voll.  hat die Band doch die beste Zeit lange hinter sich und ist in den letzten Jahren ein bisschen in der Versenkung verschwunden (also zumindest in meiner). Umso überraschender die Meldung über den Reeperbahnfestival Twitteraccount, dass es für das Docks einen Einlassstopp gebe. Das Konzert ist keine Mischung aus alt und neu, Maximo Park, derzeit auf Tour zum neuen Album, spielen hauptsächlich aktuelle Songs, angereichert mit ein paar alten Hits. Das Konzert im Docks wird vom Radiosender NDR 2 präsentiert. Irgendwie passend, schießt es mir während des Auftritts durch den Kopf, Maximo Park haben nämlich nichts mehr von ihrem zackigen, energischen Sound der Anfängertage, sondern sind mit Risk to exist endgültig im Gleichklang des Mainstream Radio-Pop angekommen. Leider. So fehlt dem Konzert das, was früher Maximo Park Konzerte ausgezeichnet hat: Biß, Energie, kontrollierte Wildheit. Paul Smith ist kein Derwisch mehr, der wild auf der Bühne hin und her läuft und zu „Girls who play guitars“ in die Luft springt. Der Biss der frühen Tage ist verschwunden. Das färbt sich auf die Stimmung ab. Die ist im Docks eher verhalten. Symbolisch ist neben mir vorne links beinahe das ganze Konzert über eine größere Lücke, die erst kurz vor Ende von drei Leuten besetzt wird. Maximo Park waren mal wichtig, 2017 sind sie das eher nicht mehr. Ich weiß gerade nicht so recht, wie schade ich das finden soll.

Kontextkonzerte:
Maximo Park – Düsseldorf, 22.10.2009 / Philipshalle
Maximo Park – Köln, 03.03.2009 / Gebäude 9
Maximo Park – Köln, 16.10.2007 / Palladium

Schreibe einen Kommentar