Ort: Place des Palais, Brüssel (Brussels Sommer Festivals)
Vorband: –
Patti Smith. Worte über das Schaffen und Leben dieser Frau zu schreiben ist mehr als überflüssig. Das haben andere längst und viel besser getan und eigentlich kennt ja jeder Patti Smith bzw. ihre Musik. Selbst, wenn er sie nicht glaubt, zu kennen. „Because the night“ zum Beispiel ist Patti Smith (mit Bruce Springsteen), und irgendeine Coverversion ihres Welthits ist sicher jedem wenigstens im Radio über den Weg gelaufen. Sei es die der 10000 Maniacs, Kim Wilde oder Cascada; da kennt jeder die Version, die er verdient. Ich mag die zerstückelte, weit weg interpretierte Sonic Youth Variante sehr gerne, früher auf der Tanzfläche natürlich die der 10000 Maniacs.
Wer „Because the night“ nicht kennt, kennt sicher „Dancing barefoot“ vom 1979 Album Wave der Patti Smith Group. Coverversionen gibt’s von The Mission (!!!), U2 und den Simple Minds. Damals war der Punk fast vorbei und Patti Smith, bzw. die Patti Smith Group (Lenny Kaye, Ivan Kral, Richard Sohl und Jay Dee Daugherty) hatte ihren ersten musikalischen Block – bestehend aus drei Alben – abgeschlossen. Es dauerte viele Jahre bis Patti Smith wieder Musik machte und Alben veröffentlichte. Ihr letztes, Banga, erschien vor zwei Jahren. Der Katalog bleibt also übersichtlich, er besticht eher mit Klasse statt Masse. Das ist gut so, kommerziell bedingte Verwässerungen durch Livealben und Best-ofs gibt es eh genug.
Ich habe zwar zugegebenermaßen eine Patti Smith Bildungslücke, viele ihrer Alben kenne ich überhaupt nicht. Aber Lücken gilt es zu füllen, und bei Musik geht das auch immer gut in Form eines Konzertbesuches. So war es schon länger mein Plan, Patti Smith live zu sehen. Als sie vor einem oder zwei Jahren in Bonn ein Open Air spielte, scheiterte mein Konzertbesuch nur an den horrenden Ticketpreisen von irgendwas um die 60 Euro. Da war mein Mut zur Lücke grösser als das Budget. In diesem Jahr ergab sich ein Konzertbesuch dann eher zufällig.
Auf der Autofahrt zum Brüsseler Konzert der Violent Femmes standen wir vor dem Kreisverkehr am Europagebäude in einem Verkehrsstau. Die Lichtmasten neben uns waren beklebt mit Werbeplakaten des im Sommer stattfindenden und sogenannten Brussels Sommer Festivals. Das Plakat zierte Namen wie Texas, -M-, Milky Chance, Patti Smith. Eine irre, wirre Ansammlung, die sich jedoch relativiert, wenn man bedenkt, dass dieses Festival über mehrere Tage andauert und pro Abend eine Handvoll Bands auf drei Bühnen in der Nähe des Königspalastes spielen lässt.
Die Autoinsassen scherzten über die kunterbunte Namenszusammenstellung und die einzelnen Bands. In mir wuchs jedoch zeitgleich der Plan, in diesem Rahmen nochmals den französischen Musiker -M- anzusehen, falls die Rahmenbedingungen passen sollten. Wochen später erinnerte ich mich an das Festival und las auf deren Hompage, dass -M- an einem Freitagabend spielen sollte. Zeitlich lag das sehr gut, was spräche gegen einen Abendausflug in die nahe belgische Hauptstadt? Nichts. Und als der zweite Name für diesen Abend Patti Smith hieß und der Ticketpreis sie 30 Euro nicht knackte, war ich dabei. -M- und Patti Smith, was eine scheinbar absurde Zusammenstellung. Ich freute mich sehr auf diesen Abend.
20 Uhr. Nun war es an der Zeit, etwas tiefer in den Patti Smith Katalog einzutauchen. Ihr Debütalbum Horses hatte ich zur Vorbereitung in den letzten Tagen sehr oft gehört, und immer wieder viel mir dabei die Verbindung zum von mir sehr gemochten 90er Jahre Rock auf. Bei einer meiner sonntäglichen Laufrunden im Stadtpark war ich dann soweit, um direkt im Anschluss an „Horses“ nach Pearl Jams „Sometimes“ rüberzuskippen. Das passt zu perfekt und war für mich in diesem Augenblick der logische Anschlusssong. Natürlich wenig verwunderlich, war doch Patti Smith die Blaupause für Punk (und nein, das waren nicht die Sex Pistols!) und Punk die des Grunge und der die des Alternative Rocks undsoweiter….
Die 67 jährige betritt mit Hipster-Mütze und schwarzem Männersakko die Bühne. Aus der Entfernung wirkt sie damit keinesfalls wie eine knapp 70jährige junge Frau sondern eher wie ein etablierter und gesetzter, beruflich erfolgreich Mid-ager, der früher mal „etwa verrückt“ war, und dies in seiner Freizeit kleidungstechnisch ausdrückt.
Sie startet mit „Dancing barefoot“, einem ihrer bekannteren Hits. Damit erhascht sie sich direkt die Aufmerksamkeit derer, die nicht unbedingt wegen Patti Smith ein Ticket für das Strassenfestival gekauft haben. Ich schätze die Anzahl der nicht Fans deutlich größer ein. Im Laufe der guten 90 Minuten Konzert wird die Unaufmerksamkeit in großen Bereichen des Platzes immer deutlicher, der Gesprächspegel steigt an. Nur ab und an gelingt es Patti Smith auch abseits er ersten Reihen an Aufmerksamkeit zu erzielen. Mit „Because The night“ zum Beispiel, ihrem wohl einzigen Welthit, gelingt das natürlich sehr gut. Dank mannigfaltiger Coverversionen kennen das nun wirklich alle und es entfacht für einen kurzen Moment so etwas wie gemeinschaftliche Stimmung. In den Minuten davor und danach ist die Fanmeile weit davon entfernt. Zwar gibt es sie (und man erkennt sie auch sehr deutlich) zu genüge, die wegen der Musik auf der Bühne da sind, aber sie genießen eher ruhig, lauschen bedächtig und lassen sich auch nicht von den unaufmerksamen Drumherum ablenken.
Vor „My Blakean Year“ erzählt sie in einer Art Gedicht von ihrem ersten Brüsselbesuch Mitte der 70er. Wie es war, welche Ängste sie begleiteten, wie die Akzeptanz so sei. Diese kleine spoken-words performance geht nahtlos in den Song über und ich bin mir sehr sicher, dass sich unter den Tausenden Festivalbesucher einige befinden, die seinerzeit schon Patti Smith gesehen haben.
Die Frau, die für mich auf Fotos immer mürrisch und schroff abweisend wirkte, gibt sich überraschend altersmilde und sanftmütig. Aus welchen Gründen auch immer hatten wir eine eher schlechtgelaunte Patti Smith erwartet. Pustekuchen, das war alles ganz anders als gedacht. Sie lachte, scherzte und suche Publikumskontakt. Beispielhaft dafür eine Szene nach Beendigung des Konzertes, als sie noch minutenlang am Bühnenrand kniete und mit den ersten Reihen sprach und versuchte, Hände zu schütteln, obwohl hinter ihr schon das Abbaukommando zugange war und die Instrumente allesamt im Bühnenhintergrund verschwanden. Wäre sie jünger, Patti Smith hätte sicherlich den Sprung vom Bühnenrand zu den ersten Reihen gewagt.
Zuvor spielte sie ihre letzten Songs. „Gloria“ und „Rock’n’Roll Nigger“, das Standardende auf der diesjährigen Sommertour ließ auch in Brüssel keine Wünsche offen. Zuvor gab es viel altes und weniger neues. Das aktuelle Album ist mit den beiden Songs, „April Fool“ und „Banga“ auf der Setlist vertreten und mit „My blakean years“ kommt nur ein dritter aus der aktuelleren Zeit hinzu. Alle anderen Songs sind zwanzig Jahre und älter. Und ja, sind deswegen nicht auch die meisten hier?
Diese hibbeligen Beats und Grunge-Punk Gitarren, die wollen wir doch hier und jetzt hören. und ein Textupdaten, in dem Edward Snowden neben Jimmy Hendrix Platz nimmt. „Outside of society/that’s where I want to be“. Patti Smith ist das nicht (mehr).
Ich war nie im CBGBs, ich weiß noch nicht mal, wo genau es in Manhattan war, aber in diesem Jahr habe ich nun die Bands / Musiker gesehen, die das CBGBs als erstes (Television) und als letztes (Patti Smith) bespielt haben. Wichtig ist mir das nicht, es ist eine nette Randnotiz, die ich gerne mitnehme. Beide Konzerte waren auf ihre ganz besondere Art und Weise beeindruckend, keine Frage, aber es fehlte mir leider so das ganz richtige echte wahre Aha Erlebnis, um beide Bands noch einmal wiedersehen zu müssen.
Setlist:
01: Dancing barefoot
02: Redondo Beach
03: April Fool
04: Pissing in a river
05: My blakean year
06: Beneath the southern cross
07: Ain’t it strange
08: Because the night
09: People have the power
10: Banga
11: Gloria
12: Rock’n’ Roll Nigger
Kontextkonzerte:
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