Ort: Parc del Fòrum, Barcelona
Bands: Lucy Dacus, Snail Mail, BEAK>, Piroshka, Liz Phair, Jawbreaker, Suede, Miley Cyrus, Low, Tame Impala

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Lucy Dacus

Unsere Hotelzimmernachbarn sind auch schon da. Gestern Abend begegneten wir ihnen um drei Uhr im Fahrstuhl, nun, 13 Stunden später, stehen sie neben mir vor der Ray-Ban und warten auf Lucy Dacus. Die spanische Ü40 Gruppe vom gestrigen Guided by Voices Konzert lungert auch schon vor der Bühne rum macht schon wieder Späße. Der 1990er Jahre Indierock feiert ein kleines Revival. Zumindest für mich und zumindest an diesem Nachmittag. Erst Lucy Dacius, deren Liveset viel rockiger rüberkommt als ihre Songs auf Platte klingen, dann Snail Mail.
„La vie en rose“ ist ein gelungenes Cover, „Nightshift“ nach wie vor ein Spitzen Indierocksong und das neue „I would kill him“ (ja, der bitte der Sängerin, es nicht aufzuzeichnen und auf YouTube zu stellen wurde nachgekommen) auf den ersten Hördurchgang gut.

Snail Mail

Snail Mail sind noch verdammt jung. Und sie haben verdammt gute Melodien. Gefühlt touren sie seit zwei Jahren ununterbrochen durch Europa, aber Verschleißerscheinungen kann ich nicht ausmachen. Die vier Townies aus Maryland – wie sich Lindsey Jordan, Alex Bass, Ray Brown, Madeline McCormack bezeichnen – spielen zuckersüßen Indierock, den sich auch Lucy Dacus und Kollegen gerne länger anschaut. Zuvor jedoch begrüßte die Band ausgiebig Big Jeff, der mir hier in schöner Regelmäßigkeit seit 10 Jahren über den Weg läuft. Ich glaube, alle anderen Umstehenden haben die Band, die Minuten zuvor noch auf der Ray-Ban Bühne stand, nicht erkannt.
Snail Mail machen noch cooleren Indierock als tags zuvor Soccer Mommy und Lucy Dacus. Die Band, die gerade ihr Debüt Lush veröffentlicht hat, gefällt mir. Im letzten Sommer habe sie oft verpasst, daher freute ich mich, als sie im Programm des Primavera auftauchten. Bands wie Snail Mail, Lucy Dacus oder Soccer Mommy machen den frühen Nachmittag des Festivals zu kleinen Höhepunkten. Die Sonne blendet, die Bühnen liegen im hellen Licht und eigentlich ist es noch viel zu früh für Konzerte. Aber wenn man sich doch aufgerafft hat, nach dem Mittagessen oder dem Nachmittagsschläfchen zum Parc del Fòrum zu wandern, dann weiß man, der Festivaltag startet mit Perlen und ersten musikalischen Höhepunkten. Das war in den letzten Jahren so, dass ist auch 2019 so. Zum Abschluss covern Snail Mail die 1990er Jahre Band Courtney Love. „Second most beautiful girl in the world“. Daran stimmt alles.

Geoff Barrow hat eine ganz besondere Art von Humor. Beispiele:

‘Wir spielen nun unseren Hit. Er ist in Ungarn auf Platz 136 der Charts‘

oder:

‘Das ist … . Er ist der beste Metaldrummer des Landes. Darum spielt er bei unserem nächsten Song Bongos.‘

Herrlich! So stört es mich auch nur kurz, dass vor Konzertbeginn noch eine Box in mein Blickfeld auf den Schlagzeuger geschoben wurde.
BEAK> ist seit dem Out of crowd Festival in Luxemburg meine Lieblingsband des Jahres. Ich habe mir alle drei Alben gekauft, ich verehre ihren Triphop Beat in „Brean down“, ich könnte ihn in Endlosschleife hören. Das Trio hat Spaß und der überträgt sich auf die nicht wenigen Leute vor der Primavera Bühne. Konkurrenzveranstaltungen zu diesem Zeitpunkt sind Kurt Vile und Julia Holter, aber BEAK> haben ihr Publikum. Wenn auch das ältere.

‘Ich sehe hier nur ältere Menschen. Die jungen sind wohl alle bei Cardi B. oder wer sonst gerade auf der großen Bühne spielt.‘

Bis auf die Tatsache, dass Cardi B. nicht (glaub‘ ich zumindest) im Lineup des Primaveras zu finden ist, stimmt das natürlich. Stört jedoch nicht, wir haben Spaß und die Gewissheit, mit dem BEAK> Konzert alles richtig gemacht zu haben.

Piroshka

Zwischen BEAK> und Liz Phair ist noch ein bisschen Platz für Piroshka. Die Band spielt auf der Heineken Stage, die vor zwei Jahren in der Parkgarage des Parc del Fòrum untergebracht war, im letzten Jahr als größere open air Bühne ausgelegt war und in diesem Jahr in einem Holzbau mittlerer Größe aufgebaut wurde. Es ist stickig hier drin und laut. Der Holzbau sieht von außen aus wie ein alter Provinzbahnhof und ich frage mich, wer zum Teufel auf die absurde Idee kam, eine Bühne in dieser Verpackung auf dem Primavera zu installieren. Es macht definitiv keinen Spaß, hier Konzerte zu schauen und so beende ich nach dreißig Minuten Piroshka den Gedanken, mir morgen hier Swervedriver anzusehen. Das Programm an der frischen Luft kann zu dem Zeitpunkt nicht so schlecht sein, als dass ich einen erneuten Besuch der Heineken Bühne tatsächlich in Erwägung ziehen müsste.
Piroshka machen da weiter, wo Lush und ähnliche aufgehört haben. So mein erster musikalischer Eindruck von der Band um die ehemaligen Lush Sängerin Miki Berenyi.  Neben der Sängerin haben auch die anderen Mitglieder eine Vergangenheit. Schlagzeuger Justin Welch war früher bei Elastica aktiv, Gitarrist KJ McKillop bei Moose und Bassist Mick Conroy bei Modern English. Auf der Heineken Bühne wird die Band von einer Keyboarderin unterstützt. A pro pos Moose. Deren Album …XYZ wollte ich Anfang der 1990er Jahre unbedingt haben. Doch ich fand es nirgendwo und Bestellversuche schlugen fehl. (Nein, Amazon gab es noch nicht, liebe Millenials). Irgendwann gab ich es auf, Moose verschwanden aus meinem Blickfeld und ich richtete meine Ohren mehr nach den amerikanischen Alternative und College Rock.

Liz Phair

Liz Phair und ihr Exile in Guyville. Es ist eines meiner Lieblingsalben und folgerichtig warte ich schon Jahrzehnte darauf, Liz Phair live zu sehen. Bisher klappte es nie, manchmal war es meine Schuld, seit über 10 Jahren ist es Liz Phairs Schuld, da sie so lange nicht mehr in Europa auftrat. 2019 kommt sie mit sehr junger Begleitband und ich frage mich, ob das an der Gitarre ihr Sohn ist und die anderen seine Kumpels. Der Altersunterschied zwischen Liz Phair und Band ist signifikant, und ich frage mich, warum ich während des gesamten Konzertes immer wieder auf diesen Gedanken zurückkam. Exile in Guyville ist eines der legendären Alben der 1990er Jahre und es ist mit den Singles „Stratford-on-Guy“, „Never said“ und zwei, drei weiteren Songs im Set vertreten, das sich auf Songs aus ihren ersten Alben konzentriert. Ich denke, eine gute Entscheidung, lese ich doch wenig schöne Kritiken über ihre letzten Albenveröffentlichungen.

Liz Phair hat ihr Konzert beendet und ich bin unschlüssig. Ein paar Minuten Suede oder bei Miley Cyrus nah an der Bühne stehen. Ich entscheide mich erstmals für Jawbreaker. Soll mir doch der Postpunk ein bisschen meine Gedanken durchpusten.

Suede

Und warum eigentlich nicht beide Konzerte? Also erst ein paar Songs lang bei Suede reinschnuppern und dann zu Miley Cyrus.Brett Anderson ist sofort auf Betriebstemperatur. Wollen er und seine Band Suede mit macht die Leute vor der Ray-Ban halten? Hit auf Hit ballern auf uns ein und der Sänger ist sekündlich in höchster Ekstase. Immer wieder springt er auf seine Knie, dass mir vom Zusehen der Meniskus schmerzt, hüft auf die Monitorboxen, legt sich auf den Boden um im nächsten Moment wie ein irrer Derwisch aufzuspringen. Brett Anderson ist in seinem Element und ich bin überrascht, dass mich der Frontmann noch so begeistern und mitziehen kann. „Outsiders“, „We are the pigs“, „So young“, „Metal Mickey“, „Filmstar“, dann zieht es mich trotzdem zu Miley.

Miley Cyrus

Neugierde und so. Miley Cyrus beginnt mit ihrem Radiohit „Nothing breaks like a heart“. Damit hat sie für mich schon fast alles gesagt. Die nächsten Songs kenne ich nicht und ihre Bühnenshow reißt mich auch nicht gerade vom Hocker. Ich schleiche mich langsam wieder zurück in Richtung Ray-Ban. „Wrecking Ball“, was ich auch kenne, bekomme ich so nicht mehr mit. Da bin ich schon wieder bei Brett Anderson und dem Hüpfkonzert. „Beatiful ones“ beendet das für mich bisher stimmungsvollste Primavera Konzert 2019. Respekt Suede. Das hatte ich nicht erwartet.

Low

Low sind laut. Sehr laut. Alan Sparhawk, Mimi Parker und Steve Garrington legen Gitarre auf Gitarre und es klingt toll. Von den Musikern sieht man kaum was, die Bühne ist bis auf rotes Neonröhrenlicht null ausgeleuchtet und stockdunkel. Es ist ein guter Soundtrack zur Nacht. Im Hintergrund funkeln die Lampen der angrenzenden Wohnhäuser. Die Luft versprüht Meerduft, es weht ein laues Lüftchen. Die Hintergrundgeräusche des Festivals fügen sich formlos ein. Auf den Treppenstufen sitzend genießen wir die Nacht und das Konzert. Low machen wirklich den idealen Soundtrack für den Augenblick. Dass mich in diesen Minuten ein Insekt überfällt und mein Knöchel daraufhin in den nächsten Tagen dick angeschwollen ist, bemerke ich zu diesem Zeitpunkt nicht.

„Feels like we only go backwards“, „New person, same old mistakes“, „Apocalypse dreams“ und „Borderline“. Die Songs, die uns Tame Impala entgegenwerfen, lesen sich wie ein seelisches Horrorszenario. Die psychodelische Licht- und Nebelshow tut ein Übriges, um die Nacht zu einem befremdlich wirkenden Event zu machen. Wir sitzen auf dem großem Festivalplatz und lauschen den letzten Songs des Tame Impala Konzertes. Der Tag war lang, der Tag ist nun vorbei. Er war gut!

Kontextkonzerte:
Beak> – Out of the crowd Festival Esch-sur-Alzette, 27.04.2019
Suede – Primavera Sound Festival Barcelona, 01.06.2016
Brett Anderson – Köln, 25.01.2010 / Luxor

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