Kalt ist es draußen. Bitterkalt. Ich betrete die Regionalbahn über vereiste Bahnsteige. Was wird das heute Abend geben? Ex-Suede Mann Brett Anderson spielt im Luxor, und ich fahre hin. Angefixt durch die lange, konzertlose Zeit fiebere ich dem Abend entgegen. Oh Gott, Entzugserscheinungen. Ich werde, bzw. ich möchte mich überraschen lassen. Das scheint der Antrieb zu sein, bei diesem Mistwetter die warme Wohnung zu verlassen. Denn, ich muss gestehen, ich kenne keinen einzigen Song aus Brett Anderson’s Solo- Schaffenswerk. Was natürlich kein Grund ist, nicht hinzugehen. Ich mag Suede, und hab eine kleine Ahnung von dem, was mich erwarten könnte.
Ich bin wegen der Stimme hier. Wegen Brett Anderson’s Gesangsstimme. Schon zu Suede Zeiten fand ich dieses sehr markante Organ sehr toll. Ich spar’ mir jetzt eine adjektivbelastete Beschreibung, ich denke, es ist klar, was ich meine.
Nur Suede sind lange vorbei. Seit 2003 existiert die Band nicht mehr. Drei Soloalben hat Brett Anderson seit dieser Zeit produziert, zwischendurch gab es noch das quasi Suede Projekt mit Bernard Butler Namens The Tears. Ruhig war es also nie um ihn, nur an mir sind diese Phasen komplett vorbeigegangen.
Zurück ins Luxor.
Brett Anderson hat sein Handwerk nicht verlernt. Beim zweiten Song steht er bereits am Bühnenrand, greift Hände und lässt sich ohne Scham von der ersten Reihe anhimmeln. So habe ich ihn in Erinnerung. Vor einigen Jahren sah ich ihn in der Live Music Hall. Damals versuchte ihn ein eingegipstes Bein in seinem Bewegungsdrang zu bändigen. Es gelang dem Gips nicht immer. Zwar musste er die meiste Zeit des Konzerts auf einem Hocker sitzen, aber das tat er mit der gleichen Intensität wie Eddie Vedder im Jeremy Video. Ja, ja, Brett Anderson ist ein feiner Entertainer.
Viele, oder alle (?) im gut gefüllten Luxor kennen ihn von früher. Und ich vermute, dass nicht wenige auf den einen oder anderen Klassiker spekuliert haben. Aber natürlich spielte die Band keine Suede Schinken.
Die Zugabe kündigte Herr Anderson mit ‚dies ist ein Song aus alten Zeiten‘ an. Kurz keimte Hoffnung auf, das war links und rechts, vor und hinter mir deutlich zu spüren. ‚Ich möchte euch auf eine lange Fahrt zurück mitnehmen‘. Ahhhh. ‚Zurück nach 2007.‘ Ohhhh. Die ‚Memory lane‘ war also nicht besonders lang. „Back to you“ erklang und bildete einen würdigen Konzertabschluss.
Die vorherigen 90 Minuten waren ebenso unterhaltsam wie dieser kleine Monolog. Brett Anderson hatte seine Band mitgebracht. Bassist und Gitarrist flankierten ihn an den Seiten (lustig zu sehen, dass die Schräglage der Köpfe zu ihren Positionen passte. Der Bassist links am Bühnenrand neigte den Kopf zur linken Seite beim Bass spielen, der Gitarrist neigte den Kopf zur rechten Seite), das Schlagzeug positionierte sich im Hintergrund. Allesamt solide Handwerker. Leider war die eigentliche Instrumentensensation sehr weit hinten links auf der Bühne versteckt. Keyboarderin / Pianistin Angie Pollock, die auch schon Peter Gabriel live unterstützte, sah man den Abend über kaum oder gar nicht. Sehr schade, sie verrichtete einen hervorragenden Job, sie war die heimliche zweite Kraft auf der Bühne. Ein bisschen mehr Rampenlicht hätte ihr gut zu Gesicht gestanden.
Der Abend begann schmissig. Auf so viel „Gitarrenlärm“ war ich gar nicht vorbereitet. Nach den ersten beiden Songs versprach ich mir, Brett Andersons Soloalben demnächst zu kaufen.
Nach einer guten halben Stunde, mittlerweile war etwas Ruhe in die Bühnenshow eingekehrt, verließen die Begleitmusiker die Bühne. Der elder statesman klimperte zwei Songs auf der Akustikgitarre. Die anschließenden ein, zwei Songs schipperten in ähnlich seichten Gewässern. Das war der Moment, in dem das Konzert seinen kleinen Durchhänger hatte.
Zum Ende hin wurde es dann wieder lauter, was der Veranstaltung besser tat. Zum einen musste ich dann nicht – gezwungenermaßen – den Gesprächen vor mir lauschen (weil ich sie dann nicht hörte), zum anderen kam dann der Anderson Pathos erst richtig schön zur Geltung. Denn Pathos war immer dabei. Anderson spielte damit, wirft sich in Pose, gestikuliert, greift Hände, will der Mittelpunkt sein. Theatralisch, aber nie überkandiert. Die Gelassenheit des Alters, so scheint es, lässt es ihn nicht übertreiben. Brett Anderson ist sich seiner Rolle bewusst, er genießt sie sichtlich. Und er freut sich über so viel entgegengebrachte Sympathie. Macht einen sehr netten Eindruck, der Herr Anderson. Und das Luxor betreibt ein wenig Heldenverehrung.
Brett Anderson hat es geschafft. Er ist dem Suede Schatten entkommen, er hat genug gute eigene Songs, die ihn durch ein Konzert bringen. Er braucht die alten Hits nicht, um sein Publikum zu begeistern. Das ist auf der einen Seite toll, auf der anderen Seite ein bisschen schade. Gerne hätte ich, so als letzte Zugabe, einen Klassiker gehört, „Beautiful ones“ zum Beispiel. Es wäre das i-Tüpfelchen gewesen, und uns hätte es gefreut.
Er komme gerne nach Deutschland, ließ er uns wissen, und er freue sich, dass es hier von Mal zu Mal besser funktioniert. Na dann schau mal schnell wieder vorbei!
Der Abend war eine schöne Überraschung!
Setlist:
01. Hymn
02. Wheatfields
03. The hunted
04. Ashes of us
05. Frozen roads
06. Leave me sleeping
07.Summer
08. Julian’s eyes
09. The Swans
10. The Empress
11. Clowns
12. Chinese whispers
13. A different place
14. To the winter
15. Love is dead
16. Song for my father
Zugabe:
17. Scarecrows and lilacs
18. Funeral mantra
19.Back to you
habe suede 1997 während der coming up-tour bei frankfurt gesehen, das war damals echt gut. umso schöner, wenn brett auch heute noch seine zuhörer fesseln kann. seine musik sagt mir allerdings nicht mehr so zu…
oh. ich wäre auch gern dabei gewesen. und bei so einem konzertbericht schmerzt es mich noch mehr.
tja. aber die arbeit geht vor. das nächste mal bestimmt. :)