Ort: C-Mine, Genk
Bands: Villagers, Ryley Walker, Andy Shauf, Sylvie Kreusch, Helena Deland
Wenn das Out of the crowd Festival für laut steht, steht das Little Waves Festival für leise. In Genk bestimmen die Singer/Songwriter*innen das Programm; es ist ein Festival für Freund*innen der ruhigen und sanften Töne. Ausnahmen bestätigen natürlich diese Regel: Sylvie Kreusch in diesem Jahr, die Whispering Sons vor ein paar Jahren. In diesen Fällen greift Regel zwei des Little Waves Festivals: unterstütze belgische Bands.
Zeitlich ist das Little Waves nicht so gut durchgetaktet wie das Out of the crowd Festival. Es gibt Überlagerungen zwischen den drei Bühnen. Und für mich gibt es größere Lücken im Programm, da mich nicht alle Künstler*innen gleichermaßen interessieren. Aber das Ambiente der C-Mine ist so toll, da lässt sich das leicht verschmerzen und mit einem Spaziergang ausgleichen. Außerdem gibt es einen Food Truck mit belgischen Kartoffelspezialitäten. Was will ich mehr?!
Freitags hatte ich mir den Tagesplan für Samstag zurechtgelegt: Natürlich Villagers, Ryley Walker und Andy Shauf, um am Abend anzufangen. Am Nachmittag auch Helena Deland. Da hatte ich mich zuvor ein bisschen reingehört, die Songs der Kanadierin klingen interessant. Um die gut zweistündige Lücke zwischen Nachmittag und Abend nicht nur mit Spazieren gehen zu füllen, entschied ich mich noch, Sylvie Kreusch anzusehen. Eine schöne Auswahl für einen spannenden Tag in Genk, wie ich finde.
Gegen 16 Uhr treffen wir in der ehemaligen Bergbaumine ein. In den letzten Jahren ist hier ein feines Kulturzentrum mit Konzertsälen, Ausstellungsräumen und Kino entstanden, das auch ohne Konzerttermin einen Ausflug wert ist. Von Aachen ist man in weniger als einer Stunde hier, wir benötigen an diesem Samstagnachmittag 90 Minuten.
Helena Deland ist aktuell mit ihrem Landsmann Andy Shauf auf Tour. Tags zuvor spielten beide im Kölner Luxor; ein Konzert, das ich mir angesehen hätte, wenn nicht dieser Termin klar gewesen wäre. Die Kanadierin eröffnet für mich das Little Waves Festival. Vor der Bühne stehen um kurz nach 16 Uhr vielleicht 50 Leute. Auf der Bühne steht Helena Deland und es lässt sie unbeeindruckt, dass 80% des Saales leer sind. Mehr wirft sie da schon ein Fan aus der Bahn, der sie aus dem Saal heraus anspricht und um ein Foto bittet. nach 40 Minuten ist ihr Auftritt vorbei und ich weiß wieder, warum ich dieses kleine Festival so mag: es sind die ruhigen Töne und das unaufgeregte Ambiente, die beim Little Waves für eine gute Zeit sorgen. Denn selbst wenn das Festival ausverkauft ist, oder so gut wie ausverkauft ist, wirkt es nie voll und unübersichtlich, ist es nie hektisch. Es gibt immer einen Sitzplatz im Theatersaal; der kleine Saal ist nie zu voll und das Gelände drinnen und draußen weitläufig genug, um auch mal seine Ruhe zu haben.
Sylvie Kreusch lässt mich an Florence and the machine denken. Nicht musikalisch, mehr durch ihre Bühnenpräsenz. Die Belgierin bringt eine vierköpfige Begleitband mit und liefert die opulenteste Show, die ich bei diesem Little Waves Festival sehe. Mit Kopftuch und schwarzgerandeter Sonnenbrille sieht sie aus wie eine 1960er Jahre Filmikone. Eine imposante Erscheinung, die – so denke ich – alle Blicke im Saal auf sich zieht. Musikalisch ist es bei Sylvie Kreusch so: 2021 erschien ihr Debütalbum Montbray. Ich mache es mir einfach und zitiere Laut.de, die folgendes darüber schreiben:
Dass ein Beziehungsende die gegensätzlichsten und verwirrendsten Reaktionen hervorrufen kann, beweist sie auf „Montbray“ umfänglich: Akzeptanz, Vorwurf, Wut, Beleidigung, Heimsuchung, Neuanfang – you name it, she sings it. Dabei hüllt die Belgierin ihre Emotionen in hypnotisierenden Pop, der mal atmosphärisch, mal tanzbar ausfällt – je nachdem, was besser zu Kopfschütteln über die eigene Naivität, sarkastischen Fragen oder bitteren Vorhaltungen passt.
Angesprochen wird hier die Trennung Sylvie Kreuschs von Maarten Devoldere, dem Sänger der belgischen Band Balthazar, die ich sogar schon einmal vor Jahren im Garten des Molotows zum Reeperbahnfestival gesehen habe. Die waren ganz gut, nebenbei bemerkt.
Doch zurück zu Sylvie Kreusch. Live schwingt viel Pathos in ihrem Auftritt mit; ihre Gesten und der Tanzstil sind sehr extrovertiert. Oft beugt sie sich zu den ersten Reihen herunter, stolziert über die Bühne und verliert das ein oder andere Mal ihr Kopftuch. In Belgien scheint sie eine gute Fangemeinde zu haben, der Saal in der C-Mine ist sehr gut gefüllt. So ganz ist das nicht meins, trotzdem bin ich irgendwie beeindruckt und gefangen von der Bühnenpräsenz und Show der Sylvie Kreusch. Mehr aber auch nicht.
Restlos überzeugt bin ich von Andy Shauf bereits beim Soundcheck. Ein paar Minuten vor seinem Konzert steht er noch auf der Bühne und sucht mit den Technikern die letzten Soundeinstellungen. Die ersten Leute stehen schon vor der Bühne und gucken sich das Schauspiel interessiert an. Ich auch. Die Band spielt diverse Songs an und schon bei diesen Fragmenten werde ich Fan. Yachrockig klingt das, nach lauschigster Fahrstuhlmusik (im positiven) Sinn. Ein eher jazziges Schlagzeug, das mehr gewischt denn geschlagen wird, ein Saxophon und eine Bassklarinette schmeicheln mir. Dazu die ruhige, sanfte Stimme Andy Shaufs, die ab und an an Josh Rouse erinnert. Ja, ein Konzert hätte es nicht mehr benötigt, um mich zu überzeugen.
Die nächste Stunde ist dann durchgängig toll. Und unaufgeregt. Andy Shauf ist ein zurückhaltender Sänger und Frontmann, der sich oft in die Reihe seiner Mitmusiker stellt. Mir scheint es so, dass er nicht der sein will, der vorne steht. ‘Ob man das Licht nicht ein bisschen dimmen könne’, fragt nach den ersten beiden Songs den Lichttechniker. Man kann. Und dann spielt Andy Shauf einfach wunderschöne Melodien ohne Ende. und ich frage mich zwischendurch immer wieder, wieso ich Andy Shauf nicht früher entdeckt habe und wieso ich so Wenige seiner Songs kenne. Ein fataler Umstand, den ich dringend ändern muß. Letztes Jahr erschien sein aktuelles Album Wilds, aus dem er an diesem Abend eine Menge Songs spielt. Anfang des Jahres erschien mit „Satan“ eine neue Single, die Andy Shauf auch vorträgt. Das Vorgängeralbum Neon Skyline aus dem Jahr 2020 ist ebenso mehrmals vertreten, natürlich auch mit dem Song „Neon skyline“. Ja genau, der Song, den Barack Obama auf seiner Playlist hatte. Und was Barack Obama gefällt, …
Setlist:
01: Neon skyline
02: Clove cigarette
03: Where are you Judy
04: Spanish on the beach
05: Twist my ankle
06: Begin again
07: Living room
08: Things I do
09: Try again
10: Television blue
11: Quite like you
12: Thirteen hours
13: To you
14: The Magician
15: Satan
Eine der Besonderheiten des Little Waves ist es, dass die Künstler*innen von einer Conférencieuse vorgestellt werden. Die junge Dame kommt vor dem ersten Song auf die Bühne und liest von ihrem Tablet Wörter ab, die die Musiker*innen und deren Werk beschreiben sollen. Man kennt. Oft läuft das unspektakulär ab, die Künstler*innen stehen daneben und konzentrieren sich auf ihren Auftritt. Anders Ryley Walker. Er versteht das ein oder andere Wort und kommentiert durch Zwischenrufe und Gesten. ‘Fingerpicking’, Ryley Walker nickt und lacht in sich hinein, ‘jazziger Schlagzeuger’, Ryley Walker bejaht. Ein bisschen flämisch versteht halt jeder; die Sprache besitzt einige allgemeinverständliche Wörter.
Ryley Walker ist ein komischer Typ. Nicht-Frisur, leicht verpeilt wirkend. Zu Beginn philosophiert er erst einmal ein paar Minuten über Pommes und Mayonnaise. Beides super Sachen, von denen er nicht genug bekommen kann. Mayonnaise hat es ihm sehr angetan, die gäbe es ja so in den USA nicht zu Pommes. Wenn er so erzählt, schiebt er sein Kaugummi von einer Wangenseite in die andere und er spricht nicht ins Mikrofon, Ryley Walker brüllt, als ob er der Mikrofontechnik nicht trauen würde. Das ist spaßig, aber auf Dauer ein bisschen nervig.
Seit 2014 hat Ryley Walker eine Vielzahl von Veröffentlichungen vorgelegt (darunter auch ein Album mit Coversongs der Dave Matthews Band), die ich alle nicht kenne. Ein bisschen was kenne ich von seiner letzten Platte Course in fable. Fingerpicking ist eine bestimmte Technik des Gitarre Spielens. Dabei schlägt man die Gitarrensaiten nicht mit einem Plektrum, sondern man zupfst sie einzeln mit den Fingern. Ryley Walker kann das wirklich sehr gut, und es sieht manchmal lustig aus, wenn er seine vier Finger über die Saiten legt und damit zugreift. Die Konzentration in den Songs liegt auf dem Gitarrenspiel, entsprechend sind die einzelnen Stücke durchsetzt mit Soli. Und dadurch lang. Im einstündigen Set spielen die drei (neben Ryley Walker stehen ein Bassist und Schlagzeuger auf der Bühne) vier oder fünf Songs. Langatmig wird es dadurch aber nicht.
Und überhaupt: Genk oder Gent. Neben Mayonnaise das zweite große Gesprächsthema. Wie lebt es sich in einer Stadt, die dauernd mit Gent verwechselt wird? Egal. Hauptsache Belgien. Und Pommes Frites. Der Sänger der Villagers ist grau geworden. Kein Wunder, dass mich das verwundert, ich habe die Band das letzte Mal vor gut 12 Jahren gesehen und seitdem ehrlich gesagt nicht mehr beachtet. Schaue ich in den Spiegel, sehe ich ganz genau, was 12 Jahre anrichten können. Um kurz vor Mitternacht sehe ich Conor O’Brien wieder. Musikalisch haben sich die Villagers nicht groß geändert, stelle ich schnell fest. Immer noch haben sie diese schönen ruhigen, melodiösen, tagträumerischen Popsongs, denen ich mich dann und wann nicht entziehen kann. Es reicht bei mir zwar nicht zu absolutem Fantum, aber schon vor Jahren genoss ich ihre Konzerte sehr. Im richtigen Mood mag ich mir die Villagers live bedingungslos ansehen. Da haben sie große Ähnlichkeit zu Elbow, die mich live in eine ähnliche Stimmung versetzen können. So steht es auch zu keiner Zeit in Frage, den Villagers Auftritt mitzunehmen. Überdies ist es ein schönes Konzert, das den Abend rund macht und uns gemütlich in die Nacht entlässt.
Kontextkonzerte:
Little Waves Festival – Genk, 13.04.2019 / C-Mine
Little Waves Festival – Genk, 14.04.2018 / C-Mine
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