Ort: Gebäude 9, Köln
Vorband: Disappears

Lee Ranaldo - Köln, 04.07.2012

Auf dieses Konzert freute ich mich seit dem Tag, an dem ich feststellen musste, dass ich die Band Disappears im Kölner King Georg verpasst hatte. Das war irgendwann im Frühjahr des Jahres. Als dann wenig später die Ankündigung des Lee Ranaldo Konzertes zu mir durchdrang und gleichzeitig bekannt wurde, dass Disappears die Vorband sein werden, war die Anwesenheit Pflicht.
Da ist es auch egal und kein Argument zuhause zu bleiben, wenn das Wetter einen dazu drängt. Konzerte im schwülen Sommerwetter Mitteleuropas können schnell nervig anstrengend werden. Ich mag Hitze noch weniger als Vanillesoße und verkrümel mich am liebsten in angenehm schattigen Orten abseits von Sonne, Wärme und stickiger Luft. Alles Gegenteile zu Konzertsälen (also bis auf die Sonne). In diesen Momenten ärgere ich mich, dass ich nicht in den Staaten wohne und dort Konzerte besuchen kann. Klimaanlagentechnisch herabgekühlt auf 18 Grad macht ein Gebäude 9 im Sommer sicherlich mehr Spaß als so, wie es ist. Aber übers Wetter jammern kann jeder, über ein Lee Ranaldo Konzert berichten nur der, der da war. Also, los jetzt:
Lee Ranaldo gehören meine liebsten Sonic Youth Songs. Knapp vor Thursten Moore und Kim Gordon höre ich seine Stimme am liebsten: „Skip tracer“, „Saucer-like“ von Washing machine, „Rats“ von Rather ripped , „Karen revisted“ (Murray street) oder „Mote“ (Goo), alles Sonic Youth Favoriten. Aber mit Sonic Youth ist das ja seit einem Jahr so eine Sache, gibt’s sie noch, gibt’s sie nicht mehr, die Dinge scheinen offen.
Da passte es mir ganz gut, dass Lee Ranaldo Anfang des Jahres ein „Solo“-Album veröffentlicht hat. Between the tides and the times klingt grundsätzlich nach bekanntem und wer Sonic Youth mag, mag auch dieses Album. Es ist eben schwer, seine jahrelange Heimat abzustreifen.

„In früheren Jahren habe ich die Zeit außerhalb von Sonic Youth eigentlich immer für Erkundungen jenseits des Songformats genutzt“, so Ranaldo. „Aber dadurch, dass die Zeit zwischen unseren Platten immer länger wurde, hatte ich plötzlich gar keine Möglichkeit mehr, an strukturierteren Stücken zu arbeiten, und ich merkte irgendwann, dass mir das fehlte.“ Etwa zu der Zeit erhielt er die Einladung, ein Solokonzert beim Midi-Festival im südfranzösischen Hyères zu spielen. Er begann, neben akustischen Versionen von alten Sonic-Youth-Songs, wie „Eric’s Trip“ oder „Hey Joni“, neue Lieder zu erarbeiten. „Plötzlich hatte ich Material für eine ganze Platte zusammen“, so Ranaldo. „Zunächst dachte ich, es würde ein akustisches Soloalbum werden.“
Als Ranaldo dann allerdings im Sonic-Youth-Studio Echo Canyon in Hoboken, New Jersey mit Schlagzeuger Steve Shelley und Bassist Irwin Merken die Aufnahmen vorbereitete, entwickelten die Songs ein Eigenleben, wollten größer werden und lauter. So nahm „Between The Tides And the Times“ Gestalt an. (rollingstone.de)

Gestern nun wollte ich mir das live anhören. Als wir gegen neun Uhr das Gebäude 9 betraten passierte noch nix. Die ganze Meute saß noch draußen und schöpfte jede Sekunde frische Luft aus, bevor es mit der Musik in einem doch recht stickigen Gebäude 9 losgehen sollte.

‚Summer in cologne‘

wie Ranaldo später lapidar anmerkte. Diese Konstellation führte vielleicht auch dazu, dass Disappears erst gegen halb zehn anfingen. Mehrmals lugte jemand hinter dem Bühnenvorhang hervor, sah einen leeren Saal und dachte sich: okay, ist noch niemand drin, warten wir noch ein paar Minuten. Ich weiß nicht mehr, wer dann zuerst da war, das Publikum oder die Band, in der Hauptsache ist es auch nur wichtig, dass beide Seiten sich in den Konzertsaal bewegt hatten. Disappears sind diese kleine feine Chicagoer Band um Sänger Brian Case und Tausendsassa- Schlagzeuger Steve Shelley, der ab dem zweiten Album Guider zur Band gehört. Nebenbei bemerkt spielt Steve Shelley auch Schlagzeug in Lee Ranaldos Band, was bedeutete, dass er heute den längsten Abend aller Musiker haben sollte. Aber er hatte auch zwei Hemden dabei, so dass er nach der Umbaupause mit unverschwitztem Oberteil in die zweite Halbzeit gehen konnte. Sicherlich etwas angenehmer und ehrlich gesagt, ich hätte nicht tauschen wollen. Mir reichte schon das bloße rumstehen.
Disappears sind live genauso wie auf ihren Alben. Auf den ersten Höreindruck klingt alles toll und super. Toll ist es auch noch nach weiteren Hördurchgängen, allerdings relativiert sich das ’super‘ etwas, mittlerweile entdecke ich auf pre-language doch die ein oder andere Länge. Das klingt dramatischer als es ist, eine Grundklasse ist in allen Songs natürlich da. Und live war von Längen im Disappears Set nichts zu hören. Brian Case Gesang klingt so besonders, die Disappears Gitarren so schön altbacken, dass die 45 Minuten Spielzeit lange nicht ausreichten, um sich daran satt zu hören.
Den Begriff Vorgruppe finde ich daher unpassend, Disappears sind mit Lee Ranaldo auf Augenhöhe.

„Xtina as i knew her“, dieser Song erforderte die längste Einleitungserklärungsrede an diesem Abend. Ich möchte das jetzt nicht im Einzelnen wiederholen, was es mit Lees alter Freundin Christina auf sich hat. Wem das wichtig ist, hört sich das am besten selbst live an, mehr Konzertzuschauer als an diesem Abend in Köln hat Lee Ranaldo nämlich definitiv verdient. Knapp halbvoll war das Gebäude 9, als gegen halb elf Steve Shelley erneut die Bühne betrat. Zu viert bestritten sie die nächsten 80 Minuten. Alan Licht war dabei, und ein Bassist namens Eric, der, für mich als Instrumentenlegastheniker, zeitweise eine interessante Saitenwischtechnik zeigt. „Xtina as i knew her“ war also ein erster Höhepunkt, die beiden gegen Ende des Konzertes gespielten Coverversionen die nächsten. Ich bin weder großer Kenner von Neil Young noch von Talking Heads Songs, aber nachdem mir die Talking Heads damit diese Woche zum zweiten Mal aufgetischt wurden, denke ich, ist das ein Zeichen, mich endlich mit ihnen zu befassen. „Thank you for sending me an angel” kannte ich folglich nicht, empfand das Cover aber als gelungen. Wie den gesamten Abend. Mein Genußfaktor war hoch, die ruhig vorgetragenen hochmelodiösen Songs und die abklingende Sommerwärme ließen uns gegen Mitternacht glücklich in den Abend fallen.

Dieser Mann und seine Gitarren, die haben es einfach drauf! Weitermachen, auch mit Sonic Youth!
A pro pos Gitarren. Lee Ranaldo besitzt viele davon. Anfangs kam es mir so vor, dass er für jeden Song eine neue, andere Gitarre in die Handgedrückt bekam. Erst nach vielen Songs entdeckten wir eine bereits vorher gesehene. Und wie ist das eigentlich mit den Aufklebern auf den Gitarrenköpfen? Kleben Musiker sie bewusst auf, sind sie Ausdruck von irgendwas, könnten sie Geschichten erzählen oder pappt sie heimlich ein Fremder auf die Instrumente? Nun, bei Lee Ranaldo erzählen sie auch Geschichten, bzw. der Musiker erzählt die Geschichten zu den Aufklebern. So wie zu dem wohl recht neuen ‚Occupy Athens‘ Aufkleber und dem Vancouver Poster Papp auf der Gitarrenrückseite. Beide lassen sich gut erklären. Aber welche Ereignisse ranken sich wohl um den Vans Sticker ‚off the wall‘ und die Aufforderung ‚Ride your bike‘? Das hat uns Lee Ranaldo an diesem Abend nicht verraten.
Seinen Moonlander hatte er übrigens nicht dabei.

Kontextkonzerte:

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

Schreibe einen Kommentar