Ort: Veltins-Arena, Gelsenkirchen
Vorband: Paramore

Taylor Swift - Gelsenkirchen, 17.07.2024

Das nenn’ ich Glück.
Als ich am letzten Freitag zufällig gegen 12 Uhr meine E-Mails checkte – ich mache das meistens nur abends nach der Arbeit – , fiel mir die Eventim Nachricht erst gar nicht auf. ‘Wieder so eine Werbesache für neue Konzerte’ dachte ich, und: ‘schaue ich mir später an’. Doch dann ließ mich die Betreffzeile kurz stutzen:

Taylor Swift | The Eras Tour: Neue Tickets jetzt!

stand da und ich konnte das erstmal nicht einordnen. Ah, okay. Ein neuer Zusatztermin vielleicht. Richtig konzentriert war ich nicht, allerdings scrollte ich nicht direkt weiter, sondern überflog die Mail.

..du hast jetzt nochmal die Chance am Ticketverkauf für die Taylor Swift | The Eras Tour teilzunehmen. Nach unseren Informationen hast du deinen Code bisher noch nicht dazu genutzt, Tickets zu kaufen. Dein persönlicher Code ist daher noch gültig. Aufgrund von Produktionsfreigaben gibt es ein begrenztes Kontingent an zusätzlichen Tickets für die oben genannten Termine der Taylor Swift | The Eras Tour, welches JETZT im Verkauf ist…

Ich verstand es immer noch alles. Promocode? Hab’ ich sowas? Als ich die Mail ein zweites Mal konzentrierter gelesen hatte (immerhin war es Freitagmittag, die Arbeitswoche war lang), kam es wieder. Ich erinnere mich, dass ich mich damals für die Registrierung zum Ticketkauf von Taylor Swift Karten für ihre Gelsenkirchener Konzerte angemeldet hatte. Es gab seinerzeit ein zwei-Stufen Verfahren, um an Tickets zu gelangen. Stufe 1 war die Anmeldung zur Ticketregistrierung, Stufe 2 dann per Losverfahren bestimmt der Zugang zur Ticketregistrierung und Stufe 3 schlussendlich die Möglichkeit des Ticketkaufs, wenn man für die Registrierung ausgelost wurde. All das muss irgendwann Anfang des Jahres gewesen sein, ich hatte das bereits völlig verdrängt. Und jetzt gibt es also wieder Tickets? Ich klickte auf den Link und Eventim zeigte mir Ticketverfügbarkeiten in vielen Kategorien (von front of stage bis Kategorie 9 oder so) und für alle drei Taylor Swift Termine. Ich wurde etwas hektisch. Soll ich, soll ich nicht. ich überlegte kurz und wählte dann Tickets der günstigsten Kategorie. Angabe des Promocodes, zack. Ticket in den Warenkorb gelegt, zack. Sicherheitsabfrage, zack….ähh nein. 10- bis 12-mal musste ich irgendwelche Fahrräder, Busse oder Zebrastreifen identifizieren, bis ich endlich zur Anmeldung kam. Ich war ja nicht vorbereitet, deshalb musste ich mich jetzt erstmal auf der Eventim Seite anmelden. Anmeldedaten eingegeben, zack. Ticket bezahlen, zack….ähh auch nein. Das Ticket war nicht mehr im Warenkorb. Verdammt. Also erneut: Ticket auswählen (es waren immer noch alle Kategorien verfügbar), Sicherheitsabfrage (wieder mehrfach) und dann ….Abbruch. ‘Ticketkategorie nicht mehr verfügbar‘. Mh, okay, ich bin also nicht der Einzige, der gerade hektisch vor dem Rechner sitzt. Dann vielleicht eine andere Kategorie. Auf die front-of-stage Kategorie verzichtete ich immer noch, wählte stattdessen die zweitniedrigste Sitzplatzkategorie. 100 Euro schienen mir okay und ein fairer Preis. Wo genau im Stadion mein Platz ist (und dass dieser mit ‘teilweise sichtbehindert’ ausgewiesen ist) erfuhr ich dann erst später in der App. Um es abzukürzen: ich brauchte erneut zwei Anläufe, bis alles unter Dach und Fach war. Und dann war ich Besitzer eines Taylor Swift Tickets. Unglaublich!

Ich interessiere mich erst seit Evermore ernsthaft für die Musik von Taylor Swift. Die Alben davor waren für mich pauschal Radiopop und interessierten mich wenig. Ich hätte noch nicht einmal Songtitel mit Taylor Swift in Verbindung bringen können. Wer weiß denn direkt, ob ein Song im Radio von Miley Cyrus, Taylor Swift oder Dua Lipa gesungen wird. Ich verwechsle die alle untereinander und miteinander. Evermore änderte meine Sicht der Dinge. Klar, als Indiehörer waren meine Dosenöffner die Gastmusiker, Matt Berninger, Bon Iver, die Dessners, die das Album produziert haben. Und Evermore klingt nach Indie Folk, Kammerpop und Country, wenig nach Radiopop. Ich war und bin sehr angetan von diesem Album und schnell fand auch das im selben Jahr veröffentlichte Folklore einen Platz in meinem CD-Regal. Auch hier haben die Dessners ihre Hände im Spiel, auch hier wird ein Song von Bon Iver gefeatured. Musikalisch geht es damit in ähnliche Richtungen wie Evermore. Ich hatte Gefallen gefunden an Taylor Swift Alben, und legte mit 1989 nach. Okay, 1989 ist Radiopop as its best und damit für mich lange nicht so interessant wie die anderen beiden Alben. Ich wusste aber jetzt, dass „Bad Blood“ und „Blank space“ Taylor Swift Songs sind. Das bisschen Pop hindert mich natürlich nicht daran, mich um ein Konzertticket für die Eras Tour zu bemühen.
Am Tag zuvor sammele ich die nötigen Informationen: Anreise, Parken, Zeiten. Das übliche eben. Das Internet ist voll mit Vorberichten. Von Gala über Brigitte bis zur Bildzeitung und der Süddeutschen haben alle was zum Thema Taylor Swift zu schreiben. Der Vorbericht der Bildzeitung fasst das Wichtigste zusammen:

Wofür steht die Eras-Tour?
Die Stadion-Welttournee ist eine Reise durch die fast 20-jährige Karriere von Taylor Swift. Sie besingt die verschiedenen Ären (engl. Eras), also Epochen, ihres Lebens: vom jungen, blond-gelockten Country-Girl über bonbonfarbene Liebesballaden, Pop-Hymnen und Rache-Songs bis hin zum neuesten Abrechnungs-Album „The Tortured Poets Department“. Die elf Alben der „Eras-Tour: „Taylor Swift“, „Fearless“, „Speak Now“, „Red“, „1989“, „Reputation“, „Lover“, „Folklore“, „Evermore“, „Midnights“, „The Tortured Poets Department“.
Was sind „Fan Chants“?
Wer das volle Konzerterlebnis ausschöpfen will: „Fan Chants“ üben! Das sind Rufe vor, während oder zwischen einigen Songs. Am besten „Fan Chants Taylor Swift“ bei Google eingeben und auswendig lernen – oder ausdrucken und mitnehmen.
Und wann ist die beste Zeit für eine Pipi-Pause?
Kaum jemand schafft ein 3,5-Stunden-Spektakel mit über 40 Liedern, ohne dass die Blase drückt. Eingefleischte Fans haben daher sogar die Umbauzeiten zwischen den einzelnen Konzertabschnitten gestoppt – damit man möglichst wenig verpasst!
Man hat etwa drei Minuten zwischen „Reputation“ und Folklore/Evermore. Das ist der längste Bühnenumbau! Die Pause zwischen „Lover“ und „Fearless“ im ersten Drittel des Konzerts dauert rund 2 Minuten und 30 Sekunden.

Nach etwas Kuddelmuddel auf dem Weg zur Arena und bei der Suche nach dem richtigen Eingang bin ich um kurz nach 18 Uhr in der Halle. Der Zeitplan startet früh, um 18.30 Uhr spielen Paramore, um 19.45 Uhr Taylor Swift.

Ich habe einen Sitzplatz nahezu hinter der Bühne. Ob das gut oder weniger gut ist, um kurz nach 18 Uhr bin ich mir unsicher. Auf die Bühne habe ich keinen Blick, ich sehe aber den gesamten Steg und alle Aufbauten davor. Durch Rohre der Deckenkonstruktion – das Gelsenkirchener Fußballstadion hat an diesem Abend ein geschlossenes Dach – ist mir jedoch der Blick auf den Videowürfel versperrt. Mein Sitzplatz ist zu hoch oben. Ich muss mich verrenken, um die Leinwand auf dem Würfel sehen zu können. Im Laufe des Abends wird jedoch eine zweite Videoleinwand, die im rechten Winkel zur Bühne montiert ist, gestartet. Nun sehe ich ganz bequem die Livestreams vom Konzert.

Paramore beginnen pünktlich. Die Band steht auf der Bühne und ich sehe sie nicht. Mhh, denke ich, wenn das bei Taylor Swift auch so sein wird, wird es mehr ein Kinoabend mit sehr kleiner Leinwand als ein Konzertbesuch. Die Band um Sängerin Hayley Williams hat viele Fans in der Arena, und ich weiß nicht genau, warum. Ich kenne Paramore nicht, bin gespannt. Schnell wird klar, Paramore sind zu klein für die große Bühne. Aber welche Band wäre das nicht. Ihr erster Song „Hard Times“ beenden sie mit einem kleinen Snippet von Blondies “Heart of Glass”, es folgt „Burning down the house“. ‘Haben sie kein Vertrauen in ihre eigenen Songs’, denke ich, als ich erst kurz den Blondie Song höre und jetzt das Talking heads Cover. Doch, haben sie. Allerdings vermag ich schon Stunden später nicht mehr, mich an Einzelheiten zu erinnern. Der Auftritt geht in der Größe der Halle komplett unter, ihre Songs haben hier – zumindest für mich – null Ausstrahlung. Vielleicht ist das bei  passender Hallengröße anders; nur, ich werde das nie erfahren. Irgendwann fällt mir auf, dass mich die Stimme von Hayley Williams ab und an an Belinda Carlisle erinnert. Mehr bleibt bei mir von Paramore nicht hängen. Nach 45 Minuten verlässt die Band die Bühne. Sie haben mich ein bisschen gelangweilt. Schade.

Ein letztes Eis vom Eisverkäufer, dann wummert es aus den Boxen. Die Umbaupause dauerte nur knapp 30 Minuten. Es ist 19.45 Uhr, als Tänzer mit großen Fächern den Steg herunterlaufen. In der Mitte, dort wo der Steg eine große Raute bildet, bleiben sie stehen und bilden mit ihren Wedeln eine Art Kokon. Und hier taucht Sekunden später Taylor Swift auf und lässt sich von einem Hebeelement im Bühnensteg nach oben fahren. Schon während des Countdowns über die letzten zwei Minuten vor Konzertbeginn war das Gekreische ohrenbetäubend laut, jetzt legen alle noch eine Schippe drauf. Himmel, sowas habe ich noch nicht erlebt. Was für eine Freude. 60.000 und mehr Teenager können sehr laut kreischen. Und sehr lange. Die ersten Sekunden ist es verdammt laut. „Cruel summer“ ist der erste Song und ich bereue es bereits jetzt nicht, hier zu sein. Nach sehr wenigen Minuten ist mir klar, der Abend wird herausragend und ganz besonders.
Nach ein paar weiteren Minuten wird mir klar, mein Platz ist gar nicht so schlecht. Das Taylor Swift Konzert spielt sich hauptsächlich auf dem Steg und auf den vorderen Aufbauten ab. Zwischendurch frage ich mich, was eigentlich in dem klassischen Bühnenaufbau vor der Südtribüne passiert. Die Band hat sich dort zumindest nicht eingerichtet. Keyboarder, Gitarristen und Schlagzeug stehen neben dem Bühnenbau auf der mir zugewandten Seite. Ich kann sie gut beobachten. Na immerhin spielen sie nicht aus den Katakomben heraus. Auch die Backgroundsängerin entdecke ich dort. Doch was passiert dann im Bühnenaufbau? Hängt dort eine große Leinwand? Sind dort die Tänzer*innen unterwegs? Nur einmal, während der Evermore/Folklore Session, sitzt Taylor Swift auf der eigentlichen Bühne am Klavier. Ansonsten läuft sie den Steg auf und ab und performt dort mit ihren Tourkollegen die Songs. Bedeutet für mich, mein mit ‘sichtbehindert’ ausgewiesener Platz ist null ärgerlich. Habe ich so auch schon anders erlebt, Glück gehabt.

Der Konzertablauf ist ungewöhnlich. Taylor Swift spielt Songs aus ihren letzten zehn Alben. Die Songs sind zu Blöcken zusammengefasst, insgesamt mehr als 40 Stücke. Nach jedem Albumblock gibt es eine kurze Pause. Zuvor verschwindet Taylor Swift meist über eine Hebevorrichtung in der Mitte des Stegs, der sie elevator-esk unter die Bühnenkonstruktion bringt. Kleidungswechsel und Bühnenumbau. Letzteres vermute ich, sehen kann ich es ja von meinem Platz aus nicht. Sei es drum. Für mich als Stehplatzinhaber entpuppt sich das als gute Sache. Oft ist es ja so, dass ich mich bei einem Tribünenplatz falsch verhalte: Stehe ich auf, dann sehen die hinter mir nichts und ich bin der Buhmann. Bleibe ich sitzen, sehe ich vielleicht nichts, weil irgendwo in den Reihen vor mir Leute aufstehen. Durch die Pausen gibt es sowas wie ein kollektives Steh-/Sitz-Verhalten. Alle stehen während der Performances, und in den kurzen Pausen kann ich mich auch mal hinsetzen, ohne etwas zu verpassen. So ab Konzertminute 120 wird es dann doch mal notwendig. Ein Vorteil dieser Blockbildung ist der, dass man klar erkennt, es beginnt ein neuer Abschnitt. Musikalisch wie auch visuell. Zur Red Ära, Taylor Swift nennt ihre Alben Ära, leuchten der Steg und die vorher an die Zuschauer ausgeteilten Blinkbändchen natürlich in Rot, zu der Evermore/Folklore Ära werden Tannen an die Bühnenränder gestellt und das Klavier ist mit Moos umwuchert. Die 1989 Ära sieht aus wie eine Gruppenchoreographie aus dem Film Fame.

Das Ganze ist sehr kurzweilig und enorm unterhaltsam. Nach „Champagne problems“, solo am mit Moos umwucherten Klavier gespielt, ist der Applaus riesengroß. Minutenlang, also wirklich minutenlang, tost er durch die Halle. Taylor Swift weiß nicht, wie ihr geschieht. Sie ist sichtlich perplex. Applaustechnisch gesehen ist es das größte und lauteste, das ich je bei einem Konzert erlebt habe. Es ist so ohrenbetäubend laut und schrill und einzigartig, dass Taylor Swift nicht wagt, einfach weiterzumachen. Auf der Leinwand sehe ich, wie sie ihre Ohrstöpsel herausnimmt, um es real hören zu können. Dann guckt sie zu ihrer Crew, macht große Augen und formt mit dem Mund ein oh-my-god. Mehrmals. Ich nehme ihr das ernsthaft ab, ich glaube nicht, dass das aufgesetzt ist. Taylor Swift sieht angefasst aus und es dauert ein paar Sekunden, bis die Show weitergeht. Der Moment ist sehr beeindruckend.

Der Evermore/Folklore Block ist mein Favorit, der beste Song ist jedoch „All too well“ aus der Red Ära. Taylor Swift spielt ihn 10 Minuten auf der Akustikgitarre inmitten der Halle. Eine Songerzählung mit Kozelek’schen Ausmasse. Das ist schon toll! Diametral dazu empfinde ich die Reputation Phase als die schwächsten 15 Minuten des Abends. Vier Songs, die ein bisschen dahinplätschern. Vielleicht ist meine Aufmerksamkeit aber nach „All too well“ auch etwas weniger stark.

Nach 1989 ist gefühlt das Konzert vorbei. Um mich herum gibt es immer mehr Bewegung. Klar, nach jetzt über zweieinhalb Stunden Taylor Swift müssen einige mal raus. Aber es kommen noch 14,15 Songs, z. B. „I can do it with a broken heart“, das den Block des aktuellen Albums The tortured poets department beschließt.
Im letzten Song „Karma“ (das Konzert endet mit der Midnight Ära) singt sie anstelle ‘Karma is the guy on the screen coming straight home to me’ die folgenden Worte: ‘Karma is the guy on the Chiefs coming straight home to me’. Die Referenz auf die Kansas City Chiefs ist laut Swiftie Fanbuch das ultimative Zeichen, dass Travis Kelce bei der Show anwesend sein muss. Ich habe ihn nicht gesehen, obwohl ich einen guten Blick auf den Bereich hinter der Bühne habe. Sicher lungert er in einer der Logen rum…

Beim Rausgehen werde ich mit typischer Ruhrgebietsherzlichkeit angesprochen. ‘Wahnsinn, oder?!’ ‘Ja, phänomenal gut.‘ Wir tauschen uns kurz aus über das Konzert, die Stimmung und unsere Plätze. Es herrscht Einigkeit: großartiges Konzert, überwältigende Stimmung von den Rängen. Unsere Sitzplatzwahl – wir saßen beide im Oberrang – empfanden wir nicht als ärgerlich, da einigten wir uns schnell. Wie sagt der Konzertkollege abschließend doch so treffend: ‚Ich muss der ja nicht die Hand schütteln, dabei sein ist wichtig.‘ Genau.

My clothes have always been taylored. But I might be a Swiftie now.

Faz online

Setlist:
01: Miss Americana & the Heartbreak Prince
02: Cruel summer
03: The man
04: You need to calm down
05: Lover
06: Fearless
07: You belong with me
08: Love story
09: 22
10: We are never ever getting back together
11: I knew you were trouble
12: All too well
13: Enchanted
14: …ready for it?
15: Delicate
16: Don’t Blame me
17: Look what you made me do
18: Cardigan
19: Betty
20: Champagne problems
21: August
22: Illicit affairs
23: My tears ricochet
24: Marjorie
25: Willow
26: Style
27: Blank space
28: Shake it off
29: Wildest dreams
30: Bad blood
31: But Daddy I love him / So high school
32: Who’s afraid of little old me?
33: Down bad
34: Fortnight
35: The smallest man who ever lived
36: I can do it with a broken heart
37: Superstar / Invisible string
38: False God
39: Lavender haze
40: Anti‐Hero
41: Midnight rain
42: Vigilante Shit
43: Bejeweled
44: Mastermind
45: Karma

Kontextkonzerte:

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