Ort: Kunstencentrum Belgie, Hasselt
Vorband: –
Ich kannte mal einen Menschen, der möchte die Benelux-Länder überhaupt nicht. Ungefragt bekam ich jedes Mal Gründe vor den Latz geknallt, wenn ich anfing, von Brüssel zu schwärmen. Denn ich mag Brüssel und Belgien. Seitdem ich hier wohne, und die Entfernung nicht mehr so weit ist bis ins Nachbarland, fahre ich sehr gerne dort hin. Zum einkaufen, zum Pommes essen, zu Konzerten. Oder einfach mal so ohne Grund. Ich denke, man sollte öfter mal ohne bestimmten Grund irgendwo hinfahren. Vielleicht, und dieser Gedanke kommt mir gerade in den Sinn, mag ich Brüssel auch deswegen, weil es mit der Botanique einen der besten Konzertorte der Welt beheimatet, und nicht unbedingt wegen seines schön verwrackten Stadtbildes, der weltbesten Schokolade, dem Europaviertel oder dem Atomium.
Daher nein, ich verstehe nicht, wie man dieses Land nicht mögen kann.
Am Samstag musste ich nicht ganz soweit die A76 hinauffahren. Lee Ranaldo spielte in Hasselt, einem 50000 Einwohnerstädtchen kurz hinter der Grenze (zu den Niederlanden). Hier in dem Dreiländmischmasch aus Belgien, Deutschland und den Niederlanden finden des Öfteren interessante Konzerte statt, und ich verliere nationalitätentechnisch regelmäßig die Orientierung (ich bin ich schon in Belgien oder noch in den Niederlanden, oder schon wieder?). Es sieht aber auch alles gleich aus, wunderschön gleich. Ich glaube, ich mag diese limburgischen (oder sagt man limburger?) Provinzstädtchen. Roermond, Heerlen, Hasselt, sie alle wirken für mich auf den ersten Blick sehr gemütlich und wohnenswert.
Was also spricht gegen einen erweiterten Samstagsausflug, zumal ich die Stadt noch nicht kenne. Spontan sprach nichts dagegen, so dass der Abend schnell geplant war. Hinfahren, frittierten Krams essen, Musik gucken, zurückfahren. Kann man so machen.
Die Sache mit dem Lee Ranaldo Konzert war einem Zufall geschuldet (erst Tage zuvor erfuhr von disem Konzert), zu Thurston Moore und Kim Gordon will ich schon länger. Lustig, dachte ich am Samstag, nun beginnen also meine Sonic Youth Häppchenkonzerte. Erst Lee Ranaldo und Steve Shelley, morgen Kim Gordon (body/head) und in zwei Wochen Thurston Moore (Chelsea light moving). So wären denn alle vier Bandmitglieder abgehakt; wenn es schon eine meiner Lieblingsbands ever nicht mehr gibt, dann schau ich mir ihre Musiker eben einzeln und nacheinander an. Entkommen können sie mir jedenfalls nicht und nach wie vor hoffe ich auf eine Sonic Youth Reunion auf dem Primavera 2015 zum 25sten Geburtstag von Goo.
Das Kulturencentrum Belgie, in dem das Konzert stattfinden sollte, ist ein gemütlicher Ort mitten in einer Wohnstraße knapp außerhalb der Innenstadt. Hasselt ist nicht groß, aber mit Parkplätzen tun sie sich schwer. Dreimal fuhr ich im vertrackten Einbahnstraßensystem an dem Laden vorbei, dreimal sah ich Lee Ranaldo und Band den Transporter ausräumen. Gott sei Dank waren sie so vom auf die Straße gucken abgelenkt, Gedanken wie ’nun kurvt der schon zum dritten Mal hier durch‘ konnten gar nicht erst entstehen. Die Band schien spät dran zu sein, es war wohl ein länger Abend in Amsterdam, wo sie am Freitag auftraten. Irgendwann war dann ein Parkplatz da und endlich Zeit, noch etwas von der Stadt zu besichtigen, die Fritur an der Ecke kam dazu sehr gelegen.
Gegen neun Uhr begann der musikalische Teil des Abends. Das Kulturencentrum Belgie ist nicht sonderlich groß, besteht jedoch aus mehreren Räumlichkeiten. So ist u. a. eine Fotografieausstellung zu besichtigen und ein atriumhaft angelegter Außenraum bietet frische Luft. Schön hier, und so herrlich unaufgeregt alles. Der eigentliche Konzertsaal wird rundherum von einer Galerie umringt. Von hier oben kann man Steve Shelley beinahe auf den Kopf spucken, sicher eine überaus spannende Perspektive, direkt über dem Schlagzeuger zu stehen. Darüber hinaus hat der Saal den Charme eines Partykellers. Über der Theke baumeln rote chinesische Lampions, an der Rückwand hängen eine riesige Holzleiter und allerlei Kabel- und Schlauchgedöns. Der Kulturhauschef, der so aussieht, wie ein Kulturleiter eben aussieht, gibt derlei letzte Anweisungen. Die Leiter an der Wand wird noch mit einem schwarzen Vorhang bedeckt, die Kabel abgenommen.
Ready to go. Untypisch für belgische Konzerte und ihre Zeitankündigungen hingen wir ordentlich hinterher.
Gegen halb zehn betreten Lee Ranaldo, Steve Shelley, Alan Licht und ein Bassist (den Namen hab ich leider nicht verstanden) die kleine Bühne. ‚Es sei schön, mal wieder in Hasselt zu sein‘, so Lee Ranaldo, auf den sich während des Konzertes die meisten Augen richten, und ’sie würden an diesem Abend ein paar neue Songs vom bald erscheinenden Album spielen.‘ Eines kommt gleich zu beginn. „Keyhole“ merkt man das Neu sein überhaupt nicht an. Wie die Songs des noch aktuellen Albums Between the times and the tides klingt auch „Keyhole“ direkt vertraut und bekannt. Es sind klassische Sonic Youth Gitarren, die uns entgegen dröhnen. Und dröhnen ist noch untertrieben. Es ist sehr laut in dem kleinen Konzertsaal. Zeitweise denke ich gar darüber nach, etwas weiter nach hinten zu gehen. Und wer mich kennt weiß, was das in Sachen Lautstärke bedeutet.
Neben „Keyhole“ spielen Lee Ranaldo und Band noch drei weitere neue Songs: „Last night on earth“, „Lecce“ sowie „Home count“. Letzteres läutet die Zugabe ein, die in einem famosen „Waiting on a dream“ endet. „Waiting on a dream“ ist vielleicht das Sonic Youth-este Stück der gesamten Platte und mit knappen sieben Minuten geradezu prädestiniert, ein Konzert im Gitarrengeflenne enden zu lassen. Zuvor gab es nahezu alle anderen Songs des Between the tides and times Albums. Herausragend schön natürlich „Xtina as i knew her“, aber auch „Off the wall“ – rasch und poppig heruntergedudelt – klingt an diesem Abend angenehm catchy und luftig. Oder die rigoros gespielten „Fire island“ und „Hammer blows“, bei dem ein alter abgefetzter Geigenstock zur Saitenmalträtierung herhalten muss und das in minutenlänges Gitarrengewimmere abbdriftet. Ich finde es immer wieder einen Hochgenuss zu beobachten, wie durch welche Gitarrenkörpererschütterungen die tollsten Tonschwingungen kreiert werden. Ach, ich liebe diese Gitarrenwelten sehr und kaum einer erschafft sie so gut wie Lee Ranaldo.
Neben den aktuellen und Album Songs gibt es zwei Coverversionen. „Revolution blues“ von Neil Young und „Everybody’s been burned” von den Byrds.
Beim Neil Young Cover bekommt der meist gelangweilt dreinblickende Bassist etwas mehr zu tun. Zumindest hat er jetzt keine Augen mehr für das Treiben auf der Galerie oder an der Bar, die direkt neben der Bühne eingerichtet ist. Konzentriert wie zuvor nicht gesehen zupft er an den Saiten. Bei den Lee Ranaldo Songs scheint er unterbeschäftigt zu sein, sie zeichnen sich wahrlich nicht durch virtuose Basslinien aus. Meist reichen drei, vier Griffe, die locker nebenbei herunterzuspielen sind. Großes Bassspiel ist dafür nicht notwendig. Nun aber ist er voll dabei. Für ca. 5 Minuten. Dann verfällt er wieder in sein altes Muster: dröges Bassspielen und interessiert teilnahmslos in die Gegend gucken.
Grundsätzlich waren die beiden anderen Musiker eher abseits des Geschehens. Lee Ranaldo war uneingeschränkt der Bühnenchef, im Blickkontakt mit Steve Shelly regelte er die Songs. Gitarrist Nummer zwei, Alan Licht, stand dem oft teilnahmslos gegenüber. Für zwei Gitarrensoli traute er sich in die Bühnenmitte, hob seine Gitarre senkrecht in die Höhe und wirkte dabei eher unglücklich lustlos als hundertprozentig bei der Sache. Die Musiker kamen mir etwas müde vor. Steve Shelly hang über seinem Schlagzeug (auf dem vorne noch der Sonic Youth Schriftzug prangte) und wirkte manchmal wie ein Teddybär, der nach vorne übergebeugt krabbelnd die Schlagstöcke auf die Trommeln wischt. ‚Summer is coming‘ wie Lee Ranaldo richtig feststellte, und ‚die Zeit für Klubkonzerte eher ungeeignet.‘ Vielleicht schien das den vieren aufs Gemüt zu schlagen.
Ach, ist aber auch egal, denn es war ein hervorragendes Konzert. So war an diesem Abend in Hasselt alles gut. Musik gut, Kulturcentrum gut, Frituur gut. Mehr kann ich von einem Belgienausflug nicht verlangen.
Kontextkonzerte:
Lee Ranaldo – Köln, 04.07.2012
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