Ort: Tivoli Vredenburg, Utrecht
Bands: The Besnard Lakes, Destroyer, Ringo Deathstarr, Keiji Haino, Suuns and Jerusalem in my heart, Kamasi Washington

The Besnard lakes

Der nachmittägliche Kaffeedurst zieht uns ins sogenannte Village Cafe ein paar Straßen nördlich des Tivoli Vredenburg. In einem ehemaligen Gefängnis hat sich ein wirklich schönes, zeitgenössisches vinatge Cafe eingenistet; eine Empfehlung für jeden Utrechtbesucher. Hier veranstaltet der niederländische Sender 3voor12, ein Multimediaableger des niederländischen öffentlichen Rundfunksenders VPRO, seine Nachmittagssessions, Musik und Interviews mit Le Guess Who Bands. Warum also nicht das lebensnotwendige mit der Musik verbinden? So schlecht können Koffie verkeerd und Kuchen im Village Cafe nun auch nicht sein.
Die Band, die gleich auftreten wird, nennt sich The Besnard Lakes. ich kenne sie nicht, aber gerade solche Kleinevents im Rahmen eines Festivals sind immer gute Möglichkeiten, unbekannte Bands kennenzulernen. Es gibt ja nichts zu verlieren, und wenn das Ambiente und Kaffee und Kuchen passen, ist alles wunderhübsch. Die Band lässt sich vom Geschirrgeklimper nicht stören. Ruhig und bedächtig spielen sie ihre Songs, die mich an Arcade Fire, die Stars und andere erinnern. Leider ist die Trennung von Band und Cafebesuchern groß: hier die Stühle und Tische und im anderen Eck des Raumes die improvisierte Bühne. Dazwischen wuseln die Kameramänner von 3voor12. So entsteht leider keine Enge zwischen Publikum und Musikern, aber sicherlich ein wunderschönes Videoergebnis für YouTube. The Besnard Lakes spielen eine gute halbe Stunde, schlecht war das nicht.

DestroyerDestroyer waren nach ihrem Kölner Konzert eine Woche zuvor für mich in Utrecht gesetzt. Da sie Gott sei Dank konkurrenzlos den Konzertreigen im Tivoli Vredenburg am Abend eröffneten, gab es keinen Überlegungsspielraum, selbst wenn es ihn gegeben hätte. Es ist Samstag und Tag drei des Le Guess Who hat gerade begonnen. Der große Saal, in dem später auch Kamasi Washington enorm umjubelt wird, ist noch überschaubar gefüllt.
Destroyer schafften es erneut, mich von der ersten Minute an zu verzaubern. Genau wie in Köln eröffneten sie mit „Bangkok“ und genau wie in Köln war ich sofort verliebt. Poison season ist eines meiner drei Lieblingsalben, The Epic, das zweite, (Kamasi Washington) werde ich später noch hören – zumindest ausschnittsweise – , St. Catherine von den Ducktails wohl erstmal nicht. Ähnlich wie in Köln spielt die achtköpfige Mannschaft hauptsächlich Songs von Poison season. Und es war wieder großartig. Normalerweise möchte ich mir schöne Konzerte nicht durch eine Besuchswiederholung wenige Tage später verwässern, bei Destroyer war ich jedoch froh, sie zweimal innerhalb einer Woche live gesehen zu haben. Da spielte es auch keine Rolle, dass die Setlist auch sonst alles nahezu gleich waren.

Ringo DeathstarrRingo Deathstarr sind die großen Unbekannten. Zwischen Destroyer und Suuns and Jerusalem in my heart ist eine größere Zeitlücke. Da sonst nichts anliegt, beschließe ich, Ringo Deathstarr anzuschauen. Der Bandname klingt immerhin sehr Indie und als Musik erwartete ich entweder luftigen Gitarrenindiepop oder Shoegaze. Dass ich während der 45 Minuten beides hörte, umso schöner. Ringo Deathstarr sind Alex Gehring, Elliott Frazier und Daniel Coborn aus Austin, Texas. Austin, der Ortsname bürgt für Indiegitarrenqualität.
So frisch, wie ich die Band vermutete hatte, ist Ringo Deathstarr nicht. Seit 2007 nehmen sie Alben auf, haben vier Alben und drei EPs veröffentlicht. Ihr Sound ist nicht neu, aber schön. Zwischen Jesus and Mary Chain Gitarren (und Gedächtnisfrisur des Gitarristen Elliott Frazier) dringt immer wieder die süße und melodische Stimme der Bassistin. Und unter uns, gibt es eine bessere Kombination als Gitarrengeschrammel und Mädchengesang? Ich kenne viele, die laut ‘nein‘ sagen würden, mich eingeschlossen. Irgendwie erinnern sie mich an Moon King und tausend andere Bands, die ähnliches machen. Höre ich jemanden Pains of being pure at heart sagen? Oder Yuck? Ich lasse all das gelten.

…done well but done several times before”

steht es in einer Plattenkritik zu ihrem 2011er Debütalbum Color trip. Auch das lasse ich gelten.

Keiji Haino

Keiji Haino machte uns neugierig. Und da ich auch den Kulturteil der Tageszeitung lese, gucke ich mir den Japaner, der laut Internet immerhin zu den wichtigsten Grenzgängern von free Jazz, Minimalism und Noise zählt, natürlich an. Da wir die Hertz Bühne im Tivoli Vreddenburg noch nicht von innen sahen, machten wir einen kurzen Abstecher in den schon laufenden Auftritt des japanischen Avantgardmusikers und Multiinstrumentalisten. Avantgardmusiker, sagt man so, wenn man das, was ein Künstler macht, nicht versteht? Keiji Haino macht ganz viel von dem, was ich nicht verstehe: Seine Performance mit den beiden Becken zum Beispiel, die mir so vorkommt, als symbolisiere sie die Flucht vor den Tönen. Oder der abstrus wirkende Tanz am Ende seines Auftritts. Mainstream war dagegen noch seine Klangkomposition mit den Wassergläsern. Die sahen wir zuerst, als wir den vollen Saal betraten. Wir waren nicht die einzigen, die hineinschneiten, auch nach uns kamen und gingen immer wieder Leute aus und in den Saal. Zur Störung der Konzentration der anderen. Immer wieder gab es ‘ppschhhttt‘ Laute und angenervte Blicke in Richtung der Unruhestifter. Die Kehrseite, wenn man einen Avantgardkünstler ins Programm steckt, den sich viele mal kurz anschauen wollen, um dann aber schnell festzustellen, dass es ihnen nicht gefällt und laut redend mit ihrem Kumpel wieder aus dem Saal verschwinden. Dass gegen 22 Uhr das ein oder andere Bier auch schon im Spiel ist, macht die ganze Sache nicht erträglicher.
Doch noch ein Wort zu Keiji Haino: ach ich weiß nicht. Sowas ist superinteressant, aber ich kann damit nicht viel anfangen. Genauso wie mit vielen Artikeln im Kulturteil der Tageszeitung. Es war erneut eine Sunn O))) Präsentation, ein Tag ohne scheint bei diesem Le Guess Who nicht zu gehen.

Suuns and Jerusalem in my heartWas Suuns and Jerusalem in my heart fabrizierten, war toll. Die Kanadier Suuns haben vor zwei, drei Jahren ein famoses Album hingelegt. Images Du Futur. Elektrokram mit Indiegitarren. Ein Album voller Hits. Ich sag nur: „2020“ oder „Music won’t save you“. Danach war Ruhe und sie begannen ihre Zusammenarbeit mit dem libanesischen Musiker und Videokünstler Radwan Ghazi Moumneh. Bereits im letzten Jahr traten sie zusammen beim Le Guess Who unter dem Namen Suuns and Jerusalem in my heart auf. Im Frühjahr dieses Jahres veröffentlichten sie ihr Album Suuns and Jerusalem in my heart, eine Zusammenfassung von Songideen und Mixen und allerlei experimentellem Elektrokram. Live klingt das entsprechend wirr, einzig der Gesang von Radwan Ghazi Moumneh und Suuns Ben Shemie scheint das Gesamtwerk irgendwie zusammenzuhalten. Ich brauchte meine Zeit, um mich in dieses Konzert einzufinden. Auch weil die Videoanimationen im Hintergrund mir nur so um die Ohren flackern. Die vorderasiatischen Klänge gepaart mit dem Sunn’schen Elektrogefrickel und Gitarren klingen anfangs befremdlich. Allerdings sind sie so großartig schön, dass sie mich nach kurzer Eingewöhnungsphase in den Bann zogen. Der Suuns and Jerusalem in my heart Auftritt wurde zu einem der spannendsten des Le Guess Who Festivals.

Kamasi Washington

Als musikalischer Gegenentwurf stand anschließend das Konzert des heimlichen Festivalheadliners an: Kamasi Washington. Ihm gab das Le Guess Who mit 90 Minuten an diesem Wochenende die längste Spielzeit im großen Theatersaal.
Himmel freute mich auf diesen Augenblick. Seit ich Washington monumentales Album The Epic im Sommer entdeckte, bin ich dem Jazz wiederum ein Stück näher gekommen. Mit rund 180 Minuten Spielzeit zählt schon jetzt zu einer der drei größten Jazzplatten für Jazzgelegenheitshörer. Die anderen beiden sind Miles Davis Kind of blue und John Coltrane’s A love supreme. Alle drei Alben kennzeichnet eine Gemeinsamkeit: sie machen es einem leicht, Jazz toll zu finden. So ging es zumindest mir. Ich kenne mich nicht sonderlich gut im Jazz aus, aber ich wollte ihn unbedingt für mich entdecken und kennenlernen. Ein Jazzexperte riet mir zum Einstieg zu Kind of blue. Ich liebte das Album vom ersten Hördurchgang an. Da war doch genau die Musik, die ich Laie mit Jazz in Verbindung brachte: Saxophonspielereien.
Kamasi Washington klingt ähnlich. Wie toll das erst live sein muss.

Ich mag keine Schlagzeugsolos. Sie sind so ziemlich das schlimmste, was ich mir bei einem Konzert vorstellen kann. Außer bei einem Jazzkonzert. Da ist das anders. Da fliegen einem die Soli ja nur so um die Ohren, weil jeder Musiker seinem Kollegen einen Sonderauftritt zugesteht. Egal ob bass, Saxophon, Klavier oder eben Schlagzeug. Kamasi Washington hat gleich zwei Schlagzeuger in seiner Band, Tony Austin und Ronald Bruner Jr., und beide sicher nicht die schlechtesten. Schlappe 10 Minuten duellieren sich die beiden mit ihrem Instrument. Nennt man das auch battle? Die Spex schreibt richtig über diesen Augenblick:

Bruner triumphiert außerdem in einem spektakulären Schlagzeugduell über Austin, dass man sich vorstellen muss, als bekäme der Vereinsmeister eines sehr, sehr guten Tennisclubs mal so richtig von Roger Federer den Arsch versohlt. Bruner ist der Beste, und er weiß es auch. Hätte er nach dem Konzert noch zwei Stunden weitergetrommelt, wären die Leute auch noch zwei Stunden länger geblieben.

Und so ist das Konzert voller Entdeckungen. Irgendwann taucht Kamasis Vater Rickey auf der Bühne auf, schlurft umher wie Bill Cosby und spielt wunderbar Querflöte und Klarinette. Als wären nicht schon genug Hochwertmusiker auf der Bühne: der Posaunist Ryan Porter, von derem Album die Band später noch einen Song spielen wird, Kontrabassist Miles Mosley, Keyboarder Brandon Coleman, Sängerin Patrice Quinn sowie die beiden Schlagzeuger.
Trotz Mainstreamjazz und teilweise seichten Kaffeehauskettensoundtracks wird das Konzert nie peinlich platt. Dafür spielt die Band auf ihrer ersten Europatour einfach zu großartig, dafür ist das alles instrumententechnisch einfach zu perfekt. Ich kann mich gar nicht genug satt hören an all den Instrumenten, an dem Bass, Washington’s Tenorsaxophon, der Posaune. Eigentlich könnten sie doch die komplette Platte spielen. Sicher würde sich niemand beschweren. Die Säle hier sind ja perfekt schallgedämmt, wenn man draußen vor der geschlossenen Tür steht oder an einem Saal vorbeigeht, hört man nichts. Aber sie spielen nur 90 Minuten. Hinreißende 90 Minuten.
Der Applaus ist langanhaltend und riesengroß. Verdientermassen!

Kamasi Washington

Kontextkonzert:
Le Guess Who? 2015 – Utrecht, 19.11.2015
Le Guess Who? 2015 – Utrecht, 20.11.2015

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