Ort: Museum Langmatt / Royal Baden, Baden
Bands: Chacho, The Cool greenhouse, Preoccupations
Ein Ausflug nach Baden.
Irgendwann im Januar fiel mir die samstägliche Konzertansetzung des One of a million Festivals im schweizerischen Baden genauer auf. Ich hatte dieses Festival bereits vor Wochen irgendwo gelesen und registriert, dass The Cool Greenhouse dort spielen werden, es aber nicht weiter beachtet. Zu weit, zu starker Winter, lohnt nicht. Also lohnt sicher, aber nicht unter diesen Voraussetzungen.
Doch die Voraussetzungen änderten sich, als ich im Januar das Lineup nochmal studierte. Die kanadische Band Preoccupations tauchte als weitere Bestätigung für den 4. Februar auf und langsam formte sich in meinem Kopf die Idee, dass sich das Doppel The Cool Greenhouse und Preoccupations doch live sicherlich gut anfühlen würden. Post-Punk und Post-Punk, jeweils anders interpretiert, aber beide Male bestimmt schön und gut anzusehen. Die Idee ließ mich nicht los und als Ende des Monats günstige Zugtickets und ein (für schweizer Verhältnisse) nicht allzu teures und gut gelegenes Hotel hinzukamen, wurde die fixe Idee Realität.
Also, ein Tag in Baden.
Trotz Zugausfalls oder gerade deswegen, da wir unfreiwillig von einem EC auf einen ICE geupgradet wurden, dauerte die Reise nach Baden nur knapp fünf Stunden und wir sind bereits nachmittags in der schweizerischen Stadt. Auf den letzten Metern wird das Wetter trostlos, die Landschaft zeigt sich zerklüftet von Industrie, Wohngebieten und Bauernhöfen. Schrebergärten und rauchende Schornsteine huschen an den Fenstern der Regionalbahn vorbei. Abseits der Alpen ist es ein diffuses Bild, das die Schweiz bietet. Von einer Postkartenidylle à la Gruyerer Wiesen oder des Zürichsees ist man hier meilenweit entfernt. Obwohl es bis nach Zürich nicht weit ist. Baden selbst entpuppt sich als kleines und gemütliches Städtchen. Da wir früher als gedacht vor Ort sind, bleibt ungeplant Zeit für einen Stadtrundgang. Das gibt uns die Gelegenheit, die Stadt etwas umfangreicher kennenzulernen und nicht nur im Halbdunkeln den Weg vom Bahnhof zum Hotel, vom Hotel zum Museum Langmatt (erster Konzertort), vom Museum Langmatt zum Royal Baden (zweiter Konzertort) und von dort zum Hotel zurückzulegen. Die alte Badeanstalt und unzählige Treppen hinab zum Fluss und wieder hinauf zum Museum bleiben in meiner Erinnerung. Auch dank des Muskelkaters in den Waden am Sonntag.
Am Abend ist das Museum Langmatt unser erster musikalischer Anlaufpunkt. Hier startet für uns das One of a million Festival. Jeweils im Februar steigt in Baden in verschiedenen Clubs und Orten der Stadt das One of a Million Musikfestival. Was als zweitägiges Mini-Festival begann, entwickelte sich noch vor der Pandemie zu einem sieben Tage Event und Konzerten an rund 20 Orten in der ganzen Stadt. In Clubs, aber auch an besonderen Orten lassen die Veranstalter Konzerte stattfinden. Wie z. B. im alten Museum Langmatt, das in einer Jugendstilvilla beheimatet ist und eine der bedeutendsten Privatsammlungen des französischen Impressionismus in Europa ausstellt. Aktuell ist das Museum allerdings geschlossen; den Grund dafür konnte ich aber nicht in Erfahrung bringen.
Hier findet das Konzert der schweizerischen Musikerin Chacho, die an diesem Abend am Bass und Schlagzeug von zwei Freunden begleitet wird. Leider spielt die Band nicht zwischen französischen Impressionisten, sondern in einem Nachbargebäude der Villa und dort im sogenannten Raumfahrtkeller. Warum der so heißt, ist leider auch nicht zu erfahren. Das Konzert von Chacho & Friends ist eines von vielen kostenfreien Konzerten, die im Rahmen des One of a Million Festivals ohne Ticket und von jedem besucht werden können. Eine tolle Sache, wie ich finde. Toll finde ich auch die Preispolitik der nicht kostenfreien Konzerte. Für jeden Konzertabend stehen uns Konzertgänger drei Preiskategorien zur Auswahl, unter denen man sich den Preis aussuchen kann, den man bereit ist oder den man sich leisten kann zu zahlen. Das ist wirklich fair und bietet gerade heutzutage vielen die Chance, die Konzertabende zu besuchen.
Wir starten also gegen 19 Uhr mit Chacho & Friends. Was nach Coverband und schlechten Coversongs klingt, ist in Wirklichkeit eine schweizerische Gitarrenband um die Sängerin Chacho mit sehr schönen eigenen Songs. Die Singersongwriterin kommt aus der Nähe von Lausanne, ihr französischer Akzent in den englischsprachigen Ansagen ist deutlich. Dem Festivalbooklet entnehme ich, dass sie an diesem Abend erstmals in der Deutschschweiz auftritt. Ein Premierenkonzert also, interessant. Viel mehr an Hintergrundinformationen ist über Chacho nicht in Erfahrung zu bringen. Vorher hatten wir überlegt, wie lange wir bleiben. Doch bereits nach dem ersten Song ist mir klar, dass ich nicht vor Konzertende den Kellerraum verlassen werde. Zu schön klingt die Gitarre und Chachos Stimme erinnert mich mitunter an den Gesang von Kim Gordon zu Goo Zeiten. Also zwei Gründe, nicht zu gehen. Eine knappe Dreiviertelstunde oder acht Songs lang stehen wir vor der improvisierten Bühne und vergessen für den Moment die nasskalten Temperaturen, die jetzt gegen Abend langsam aus dem Flusstal hervorkriechen.
Ich weiß gar nicht, ob Chacho ein Album veröffentlicht hat oder wie grundsätzlich ihr Songoutput aktuell ist. Ein Cover haben sie auch. „True Killer“ von Sneaks, besser bekannt als Eva Moolchan, eine US-amerikanische Spoken-Word- und Post-Punk-Musikerin aus Washington, D. C.. Das wusste ich nicht, ich habe das gegoogelt. Aber das Cover ist gut ausgewählt und passt optimal zu den eigenen Songs. Post-Punk und Do-it-yourself ist so in etwa der Kosmos, in den ich Chachos Musik einordnen würde.
Setlist:
01: Stay
02: I ok
03: All i need
04: Not mine
05: Innocence
06: Egg
07: True Killer
08: Electricity
Danach geht es in einem kurzen Fußmarsch rüber ins Royal Baden. Das jetzige Kulturhaus mit Holzempore und Unisextoiletten war im früheren Leben ein Kinosaal. 1913 erbaut war es das älteste Kino der Schweiz. Es wurde als eine Art Gegenreaktion auf das 1912 vom Stadtrat Baden erlassene Kinoverbot von der Pariserin Marie Antoine (übrigens das artist-wlan Passwort des Royal) gegründet. Warum ich das kenne, ist eine andere Geschichte. Die hat etwas mit einem Merchkauf und einer neuen Bezahl-App des The cool Greenhouse Keyboarders zu tun.
Wer sich für Post-Punk interessiert, kommt aktuell an The Cool Greenhouse nicht vorbei. Mir ist die Londoner Band erstmals 2020 oder 2021 aufgefallen, als ich beim Durchscrollen der Konzertankündigungen der Muziekgieterij in Maastricht bei dem Namen The Cool Greenhouse hängenblieb. Natürlich wurde seinerzeit das Konzert abgesagt, aber The Cool Greenhouse standen seitdem dick unterstrichen auf meiner muss-ich-mal-live-sehen Bandliste. Leider ergab es sich nicht, dass sie in den Folgemonaten oder besser Jahren in der Nähe spielten. Ich glaube gar, sie hatten gar keine Europatour mehr im Angebot, höchstens einzelne Festivalgigs. Nun, in der Nähe ist Baden jetzt auch nicht, aber irgendwie ist es die einzige Möglichkeit, The Cool Greenhouse zu sehen. Dass dazu noch die lange nicht gesehenen Preoccupations aus Kanada den Abend komplettieren, machte den Ausflug möglicher.
Letztere hätten es fast nicht nach Europa und zu dieser Tour geschafft. Sänger und Bassist Matt Flegel hat sich kurz vor Tourbeginn die linke Hand so stark verletzt, dass sie gegipst oder zumindest stark getapet werden musste. An Bass spielen war damit nicht zu denken. Doch gut, wer einen Bass spielenden Bruder hat. Patrick Flegel – der übrigens mit dem Preoccupations Schlagzeuger Mike Wallace und seinem Bruder in den 2000er Jahren gemeinsam in der Band Woman spielte – kennt glücklicherweise alle Songs und konnte kurzfristig als Bassist einspringen und so die Europatour, die konsequent Termine in Deutschland auslässt, retten.
Für mich hieß das, ich konnte ruhigen Gewissens nach Baden reisen und musste mir den Aufwand für nur ein Konzert nicht schönreden. ‘The only Sprechgesang band that matters‘, schreibt der Musikblog Louder than war über The Cool Greenhouse, und Henry Rollins ergänzt ‘The Cool Greenhouse, my new favourite post-everything existential music happening’. Alternativlose und richtige Statements wie ich finde und ich behaupte, dass wir von The Cool Greenhouse noch sehr viele tolle Songs hören werden und dass die Band im britischen post-everything eine bedeutende Rolle einnehmen wird.
Die Band um Sänger Tom Greenhouse schafft es erst spät nach Baden. Der Merchstand steht erst 15 Minuten vor Konzertbeginn und wir hatten uns vorher schon gefragt, ob die BAnd überhaupt auftreten wird. ‘Traffic jams’ werden als Entschuldigung vorgebracht, als sie etwas verspätet die Bühne betreten. Es blieb noch nicht einmal Zeit, das eigene Schlagzeug aufzubauen, der Preoccupation Instrumentenaufbau muss für die guten 40 Minuten Konzert herhalten. The Cool Greenhouse stecken das gefühlt sehr routiniert weg, von Hektik, Eingewöhnung oder Stress durch die nervige und verspätete Anreise ist auf der Bühne keine Spur. The Cool Greenhouse kommen sehr sympathisch rüber, so mein erster Eindruck, der sich im Laufe des Konzerts verfestigt. Zwei Alben hat die Band bisher veröffentlicht. Das aktuelle, Sod’s Toastie, erst vor ein paar Wochen.
‘Music to lose scratch-cards to’, steht auf ihrer Bandcamp Seite. Ein interessantes Motto. Aber The Cool Greenhouse sind auch eine interessante Band. Anders als all die anderen Post-Punk Emporkömmlinge verzichten sie auf ein Saxophon, stattdessen nimmt das Keyboard eine tragende Rolle in den Songs ein. In nahezu jedem Song ist es unüberhörbar präsent. Oft im Intro oder in Soloparts, manchmal auch ein bisschen nervig Arcade-esk. Die entscheidende Komponente im The Cool Greenhouse Sound ist der Sprechgesang von Tom Greenhouse. Der ist toll und verleiht der Band aktuell ein Alleinstellungsmerkmal. Klar, es gibt Dry cleaning, es gibt Protomartyr, und sicher noch ein paar mehr Bands mit Sprechgesang, aber im britischen Indiepop-Post-Punk ist das schon sehr einzigartig.
Die Texte sind mitunter sehr unterhaltsam und pointiert und auf der Höhe der Zeit. Digitalisierung, Mieten, Endzeit, all das findet sich in den Texten wieder. Die Songs dazu heißen „End of the world“, „Landlords“ oder „Alexa“. Tom Greenhouse scheint ein schlaues Kerlchen, auch seine Ansagen und Anmerkungen sind pointiert und ironisch, oft aber erst auf den zweiten Blick. Es braucht einen kurzen Moment des Nachdenkens, bevor man schmunzeln kann.
Zur musikalisch Einordnung des The Cool Greenhouse Sounds bemühen Blogs und Musikkenner die üblichen Verdächtigen: The Fall, Talking Heads, Devo; Gang of Four Gitarren. Alles richtig, alles passt. Ich möchte nur noch Trio ergänzen. Natürlich wegen des Sprechgesangs. Und wer sich wie ich auch ab und an an Franz Ferdinand erinnert fühlt, liegt ebenso nicht falsch. The Cool Greenhouse machen sehr vieles sehr richtig und werden definitiv der nächste große Hit.
Preoccupations aus Kanada. Auch Post-everything, aber anders. Lauter, dunkler, drone-iger. Als die Band noch Viet Cong hieß, habe ich sie lieben gelernt. Was mittlerweile auch schon um die 10 Jahre her ist. Das erste Album – ich glaube, es heißt Viet Cong – ist ein Evergreen. „Continental shelf“, „Newspaper spoons“ oder „Bunker Buster“ sind auch heute noch sehr gut hörbar. Es war lärm und shoegaziger Post-Rock, den die Band damals spielte und ich fand das großartig. Die Tour nahm ich natürlich mit, in Utrecht spielten Viet Cong seinerzeit im Rahmen des Le Guess Who Festivals.
‘Wir sind keine politische Band. Wir sind auch keine Idealisten im Sinne von Punk. Wir haben einfach nicht genug nachgedacht, als wir uns für diesen Namen entschieden. Plötzlich brach im Netz ein Shitstorm los. Und dann tauchten die ersten Demonstranten bei unseren Shows auf‘, sagt Matt Flegel. Flegel, Sänger und Songschreiber einer der populärsten Post-Punk-Bands aus Kanada, erinnert sich an eine Zeit, als sich seine Formation noch Viet Cong nannte. (Deutschlandfunk Interview)
Aus Viet Cong wurden Preoccupations, die Besetzung blieb dieselbe. 2015 erschien Preoccupations, das erste Album unter neuem Namen, das zweite Album der Band. Musikalisch war es dem ersten Album ähnlich, laut und gitarrig. Dazu gab es auch eine Tour, ich sah die Band in Köln. Alben Nummer drei und vier kenne ich dagegen nicht. New Material erschien 2018, die aktuelle Scheibe Arrangements vor ein paar Wochen.
Viele Leute sind nur wegen der Band hier. Das Royal ist nochmal etwas voller geworden. Hätte ich nicht gedacht, aber 300 Besucher sind es bestimmt.
Ihr Set ist zweigeteilt. Die ersten sieben Songs gehören komplett dem aktuellen Album, erst danach spielen sie alte Kamellen von Viet Cong und Preoccupations. „Continetal shelf“ ist dann auch der erste Song, den ich kenne. Daher fällt mir auch der musikalische Stilwechsel auf, den die Preoccupations scheinbar auf ihren letzten beiden Platten langsam umgesetzt haben. Die Band klingt jetzt tatsächlich etwas poppiger und weniger scharf. Ich höre öfter mehr Synthesizer als Gitarren, Anleihen an den 1980er Jahre Synthie-Pop klingen mehr als einmal durch. In „Tearing up the grass“ erinnern mich Matt Flegels Gesang und die Gitarre gar an die Sisters of Mercy und „Temple of love”. Es ist unfassbar.
Erst nach einer Stunde drehen sie die Uhr zurück. Mike Wallace spielt wieder Schlagzeug wie das Monster aus der Muppet Show und die Gitarren werden lauter, der Sound ruppiger. Sechs Songs lang nehmen sie sich Zeit, Songs aus den ersten beiden zu spielen. Dabei sind die 10 Minuten „Memory“ eigentlich das perfekte Finale. Doch sie legen noch „March of progress“ nach. Wegen mir hätten sie das nicht machen müssen, ich bin mit allem vorher schon sehr zufrieden gewesen – „Continental shelf“, „Bunker Buster“ – und hätte „Memory“ auch als besseres Finale empfunden. Einfach weil es wuchtiger und endgültiger klingt als das leicht ausfransende „March of progress“. Eine Zugabe steht nicht mehr an. Nach knapp 70 Minuten ist das Konzert vorbei. Der Saal leert sich rasch, eine Zigarette vor der Tür und die letzten Züge nach Zürich und Basel warten. Wir gehen um drei Ecken und sind im Hotel. Es war ein schöner erster Konzertabend in 2023.
Setlist:
01: Fix Bayonets!
02: Ricochet
03: Death of melody
04: Slowly
05: Advisor
06: Recalibrate
07: Tearing up the grass
08: Continental Shelf
09: Silhouettes
10: Bunker Buster
11: Disarray
12: Memory
13: March of Progress
Kontextkonzerte:
Preoccupations – Köln, 28.11.2016 / MTC
Viet Cong – Le Guess Who? – Utrecht, 20.11.2015
Viet Cong – Primavera Sound Festival Barcelona, 29.05.2015