Ort: Helios37, Köln
Vorband: Camille Camille
Nachmittags mache ich noch schnell einen Antigen-Schnelltest. Wie viele andere Veranstaltungen in Köln ist auch dieses Konzert als 3G+ ausgerufen. Also ein tagesaktueller negativer Testbeleg auch für Geimpfte, Geboosterte und Genesene. Das ist okay und stört nicht. Am frühen Abend habe ich mein negatives Testergebnis. Damit habe ich die größtmögliche Absicherung gewährleistet. Blöd nur, dass das abends niemanden interessiert. Testbeleg, App. Egal. Im Saal gehöre ich zur Minderheit der Mundschutzträger. Das Fallen der Regelungen wird konsequent angenommen. Ich bin gespannt, ab wann niemand mehr mit Mundschutz zu sehen sein wird und wann ich mich bereit dazu erkläre. Im Moment eher noch nicht.
King Hannah. Wie ich zu diesem Konzert komme, weiß ich nicht mehr. Ich glaube, es war einer dieser ‘ich interessiere mich mal für diese Veranstaltung, weil ich das eine Video toll fand’ Klicks, die man im Vorbeigehen so tätigt und dann oft wieder vergisst. So war das auch hier. Und wurde die Veranstaltung nicht dann auch verlegt? Sei es wie es ist; irgendwann bemerkte ich, dass ich eine Konzertkarte habe. Okay, dachte ich. Den einen Song finde ich ja ganz gut. In den Tagen vor dem Konzert passierte dann das, was oft passiert: Der Name King Hannah wurde mir immer präsenter. Musik, Texte und Erwähnungen wurden auffällig oft in meine Newsfeeds gespült. Und ich nahm sie auf und las, hörte und schaute sie mir alle an. Das führte dazu, dass ich mich ab dem Wochenende extremst auf den Abend freute.
Da wie erwähnt mein Test negativ ausfiel, sitze ich abends erstmals seit Ewigkeiten wieder in der Regionalbahn und fahre erstmals überhaupt ins Helios37 nach Ehrenfeld. Hier gleich um die Ecke stand das Underground, eine Querstraße weiter ist die Live Music Hall. Seit über 2 Jahren war ich nicht mehr hier und es fällt mir direkt ins Auge, wie viel hier gebaut und neugestaltet wurde und wird. Die Gentrifizierung greift und ich fürchte, es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch das Helios weiteren Wohn- und Bürogebäuden weichen muss.
Ich finde tatsächlich die verdammte Eingangstür nicht. Etwas in Gedanken laufe ich zweimal an ihr vorbei. Es ist aber auch unübersichtlich bzw. die Eingangstür unscheinbar.
Drinnen ist es kuschelig warm. Der gut geschnittene Saal ist angenehm gefüllt. Ich hatte vorher überhaupt keine Ahnung, wie voll es werden wird. Sind King Hannah nun der große Hype oder passiert das nur in meiner Newsfeed Bubble? Nun, es passiert wohl eher in meiner Newsfeed Bubble. Keine 300 Leute sind da, schätze ich.
Camille Camille steht auf der Bühne und stimmt ihre letzten beiden Songs an. Die Sängerin macht Folk und die beiden Songs, die ich höre, sind sehr ruhig und, na ja, folkig.
Camille Camille is a Belgian singer-songwriter based in Leipzig, Germany. She likes to call her music melancholic soothing folk, inspired by nature, dreams, self- reflection, human relationships as well as the ever changing aspect of things.
Das Debütalbum Could you lend me your eyes der Belgierin – so lese ich später in der Bahn – ist in den TOP 10 der besten belgischen Alben 2021 gelistet. Okay. Ende des Monats spielt sie in Maastricht, vielleicht schaue ich sie mir nochmal an, losgelöst von einer nachfolgenden Hauptband. An diesem Abend denke ich nur: Passt gar nicht so richtig zu King Hannah. Ich habe zwar nicht viel Ahnung darüber, was mich erwarten wird, aber dass King Hannah kein Singersongwriter Ding sein wird, das weiß ich. Die ein, zwei Videos, die ich sah, lassen meine Gedanken eher in Richtung PJ Harvey trifft auf Bluesrockgitarren wandern. Ihr Debütalbum I’m not sorry, I was just being me habe ich noch nicht gehört.
King Hannah sind Gitarrist Craig Whittle und Sängerin Hannah Merrick. Ergänzt wird dieses Kernteam um einen Schlagzeuger und einen Bassisten. King Hannah stehen somit zu viert auf der Bühne.
Nach dem zweiten Song haben sie mich. Erstmals spielen sie ihre ausufernden Gitarrenparts, erstmals fangen sie mich damit und lassen mich minutenlang nicht wieder los. In den nächsten gut 60 Minuten ist das immer mal wieder der Fall, zum Ende des Sets sogar verstärkt. „The moods that I get in“ ist herausragend gut, „Crème Brûlée“ schließt nahtlos an. America-Rock von einer Liverpooler Band, The war on drugs fallen mir ein, Hannah Merricks Gesang erinnert mich zeitweise an Hope Sandoval. Was für eine Mischung.
Das Konzert ist ein Debütalbum-Konzert: kurz und knackig. 11 Songs vom Album und der vorgeschalteten EP Tell me your mind and I’ll tell you mine, ergänzt um ein Bruce Springsteen Cover. 70 Minuten in der Summe. Der Abend ist intensiv. Die Schwere in den Sounds, das Getragene, der Blues. All das wirkt und schafft eine besondere Grundstimmung. Dazu die langen, einnehmenden und mitreißenden Gitarrenparts. Die Atmosphäre ist gefühlt immer angespannt. Oder kommt nur mir das so vor?
Überhaupt diese Gitarren. Sie bauen sich nicht langsam auf, wie z. B. bei dEUS oder Mogwai, sie sind einfach irgendwann da. Wie eine Wand. Und damit packen sie mich. Weil mich sowas packt. Lange habe ich diese Art von Gitarren nicht mehr gehört. Sie klingen nach einem Mix aus ungleichen Teilen von 1990er Jahre Indie und 1980er Jahre Rock. Letzteres überwiegt dabei. Nicht umsonst covern sie Bruce Springsteen. Das passt und es klingt toll. Überhaupt klingt der gesamte Abend toll.
Beendet wird das Konzert aber nicht – wie man es erwarten könnte – mit einem ausufernden „The moods that I get in“. Ganz im Gegenteil. Zum Schluss werden King Hannah im Rahmen ihrer Möglichkeiten poppig: „It’s me and you, kid“ ist der most catchy Song des Abends. Wow, was für ein Abend. Ich bin baff. Mit Mundschutz fällt es nicht auf, dass ich die letzten Songs mit offenem Mund und tief beeindruckt verfolge.
Was für ein Konzert!
Setlist:
01: A well-made woman
02: State Trooper
03: The Sea has stretch marks
04: Foolius Caesar
05: Berenson
06: Go-Kart Kid (Hell no!)
07: Big Big Baby
08: I’m not sorry, I was just being Me
09: The moods that I get in
10: Crème Brûlée
11: It’s me and you, kid
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